#DiePodcastin über #MaleFail: Isabel Rohner & Regula Stämpfli über #sofagate #Erdogan #soko #CharlesMichel #MediaToo, #Cohn-Bendit
Medien informieren, analysieren, ordnen ein. Sie tragen zur Meinungsbildung bei, decken Missstände auf und fordern Verbesserungen. Daher ist die Freiheit von Presse und Medien in Demokratien besonders geschützt. Was aber, wenn sich die Missstände, über die berichtet werden sollte, in den Medien selber abspielen? Was dann passiert, kann aktuell in der Schweiz hautnah erlebt werden. Spoiler: Die Branche bekleckert sich nicht mit Ruhm. Am 7. März 2021 haben 78 Journalistinnen der Tamedia-Redaktionen einen Brief veröffentlicht, in dem sie strukturellen Sexismus beklagen und mit seitenlangen konkreten Vorkommnissen belegen. Diese reichen von ungleicher Bezahlung über sexistische Umgangsformen bis zur Verhinderung von Themen, die aus Sicht der Journalistinnen eine besondere Relevanz für Frauen haben. Die mediale Berichterstattung war auffallend zurückhaltend. Bis heute haben es längst nicht alle Medien für nötig befunden, überhaupt über diesen Vorfall zu berichten. Auf eine Titelseite schaffte es das Thema kein einziges Mal. CH Media gehörte zwar zu den ersten, die unter der Überschrift „78 Journalistinnen klagen sexistische Arbeitskultur an“ am 8. März berichteten, doch auch hier war das Thema nur unter ferner liefen zu finden. Insgesamt überwog das grosse Schweigen.
Stellen wir uns einmal vor, der Brief wäre von 78 Beschäftigten eines anderen Unternehmens gekommen – z.B. von der SBB, von Nestlé, der Caritas oder einer Partei. Er hätte einen bundesweiten Skandal ausgelöst! Jede Zeitung hätte gross berichtet, hätte über Tage Interviews mit Betroffenen gebracht und die Verantwortlichen zur Rede gestellt. Es wäre Thema gewesen in der SRFArena und im Club – und die Medien hätten die Frage gestellt, wie es mit sexistischen Strukturen in anderen Institutionen aussieht.
Doch der Brief, den inzwischen 115 (!) Journalistinnen unterzeichnet haben, handelt eben nicht von einem anderen Unternehmen, sondern von einem mächtigen Medienkonzern.
Lediglich der „Medientalk“ von Radio SRF4 hat Arthur Rutishauser, den Chefredaktor der Zentralredaktion der Tamedia, zu den Vorkommnissen befragt. Rutishausers Antworten liessen tief blicken: Es gäbe „sicher kein strukturelles Problem mit Sexismus“, denn „strukturellen Sexismus – den gabs in der Filmbranche in den USA, das sind die Weinstein-Geschichten“. Bei Tamedia habe es keine „ernsthafte direkte sexuelle Belästigung“ gegeben, sondern lediglich „irgendwelche sexistischen Sprüche“. Die Sache würde nun aber „intern und extern“ untersucht. Es befremdet, dass einer der mächtigsten Journalisten des Landes entweder nicht weiss, was Sexismus ist – Sexismus ist die Benachteiligung oder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – oder es für eine kluge Strategie hält, den Begriff einfach mal eben neu zu definieren, wie es ihm in die Argumentation passt. Sexismus beginnt aber nicht erst bei Handgreiflichkeiten. Es befremdet, dass der Chefredaktor mit dieser Haltung 115 Kolleginnen in den Rücken fällt. Auch diese Aussage eines Verantwortlichen wäre im Fall der SBB, von Nestlé, der Caritas oder einer Partei sofort und breit aufgegriffen worden. Doch auch hier stellte kein einziges Medium die Frage, ob Rutishauser tatsächlich erfolgreich gegen Sexismus in den eigenen Reihen vorgehen kann, wenn er Sexismus gar nicht erkennt.
Warum ist das so? Vielleicht weil in der kleinen Medienbranche Schweiz jede/r jede/n kennt. Und weil sexistische Strukturen nicht an den Mauern des Tamedia-Konzerns halt machen.
Es ist leider kein Zufall, dass der vorliegende Text von einer freien Autorin vorgeschlagen und geschrieben wurde und nicht von einem Chefredaktor. Fakt ist: Die Presse kommt im Fall Tamedia ihrem Auftrag nicht nach und misst mit zweierlei Mass – wahrscheinlich so lange, bis die Politik einschreitet. Ein wirkungsvolles Instrument wäre es bspw., wenn der Bund keine Institutionen mehr mit Steuergeldern subventioniert, deren Männerquote so hoch ist, dass sie für eigene Missstände blind werden. Das würde dazu führen, dass innerhalb kürzester Zeit mehr Frauen in verantwortliche Positionen kämen – und ja, es gibt viele hervorragend qualifizierte Journalistinnen für diese Aufgaben! Der Brief der Tamedia-Journalistinnen lehrt uns zudem, dass dies auch einen direkten Einfluss auf die zukünftige Themenvielfalt hätte.
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