Roda Verheyen: Wo keine Klägerin - da keine Richterin? Warum sind Klimaklagen ein wichtiges Mittel gegen die Klimakatastrophe?
Auf meiner Lesereise für Autokorrektur bin ich vielen verzweifelten Menschen begegnet: „Die wollen hier allen Ernstes eine neue Umgehungstraße bauen!“ „Hier soll bald eine Autobahn lang führen, wo heute noch ein gesunder Mischwald steht!“ Und – für mich vor fünf Jahren noch undenkbar – ich habe dazu geraten, zu klagen. Die Mühlen der fossilen Maschinen durch deutsche Gerichte zu stoppen. Hoffentlich so lange, bis die Vernunft auch in die Köpfe und Handlungen Jener gedrungen ist, die heute noch die fossile Maschine am Laufen halten.
In den vergangenen Jahren haben Gerichte die Kahlschläge im polnischen Białowieża-Nationalpark untersagt, sie ordneten einen Stopp der Rodungen im Hambacher Forst an, sie setzten Fahrverbote in deutschen Innenstädten aufgrund von Klagen der Deutschen Umwelthilfe durch. In den USA verklagen Jugendliche die Regierung, weil ihnen deren Tatenlosigkeit die Chance nimmt, ein glückliches Leben in der Zukunft zu führen. In der Schweiz sind es Senior:innen, die klagen, weil nachweislich vor allem Frauen über 60 Jahre sehr gefährdet durch die Klimakatastrophe sind.
Im März 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht die Klimapolitik der Bundesregierung für verfassungswidrig. Im Sinne des Handelns für zukünfitge Generationen, denen aktuelles politisches Handeln stets verpflichtet sein wollte. Auch an diesem Erfolg hatte Roda Verheyen großen Anteil. Die ZEIT schreibt: „Ein Urteil, das viele überrascht hat. Es ist deshalb so eine Sensation, weil es erstmals festhält, dass Klimaschutz ein Grundrecht ist – und einklagbar. Dieser Verweis auf die Grund- und Menschenrechte eröffnet Anwälten wie Verheyen nun viele Möglichkeiten für erfolgreiche Verfahren.“
Wenig später entschied ein niederländisches Gericht, dass der Shell seine CO₂-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent senken muss. Damit begann die Sicht auf Konzerne, die wie Staaten zu behandeln seien. Es war das erste Mal, dass ein Gericht einen privaten Konzern verpflichtete, Klimafolgen abzuwenden. Und es war der Start für eine neue Sicht auf die Möglichkeiten von Justitia. Lokal bis global. An Gerichten hat eine Zeitenwende begonnen: Umweltrecht ist zu einer überzeugenden Waffe im Kampf gegen die Klimakrise geworden.
„Sehr geehrter Herr Dr. Diess“, schreibt sie Anfang September an den Chef von VW. Im Auftrag von Greenpeace fordert Verheyen den zweitgrößten Autobauer der Welt dazu auf, spätestens ab dem Jahr 2030 keine Verbrennerautos mehr zu verkaufen und seinen CO₂-Ausstoß um 65 Prozent gegenüber 2018 zu senken. Sollte sich der Konzern nicht dazu bereit erklären, werde man „zur Klage raten“. Zeitgleich haben BMW und Daimler Schreiben bekommen, von Verheyens Kollegen Remo Klinger im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe. Es ist ein koordinierter Angriff auf breiter Front. Auch Klinger ist ein von der Wirtschaft gefürchteter Umweltanwalt, der 2018 die Dieselfahrverbote erstritt.
Wir sprechen über die Klage gegen Volkswagen, die Klage gegen RWE – beide sind flanktiert von Bauern, die hohe Einbußen aufgrund der Klimakatastrophe erleiden. Bei der Klage gegen VW kommt zudem hinzu, dass es ein Ausstiegsdatum aus dem Verbrenner-Auto geben muss, das weit vor dem anvisierten 2035 liegt – und 65 Prozent weniger Emissionen. „Hochglanzbroschüren haben vielleicht zuvor genügt, das lenkt nicht mehr ab. Wir wollen echte Veränderung“, so Roda Verheyen.
Sie erklärt mir und damit euch Zuhörenden die unterschiedlichen Ebenen von Gesetzgebung in der EU, in Deutschland, dem Lobbyismus, aber auch den Möglichkeiten, die manche Urteile eröffnen. So zum Beispiel das Recht auf Gesundheit. Das habe ich in vielen der Städte, die ich grad auf meiner Interrailtour besuche, nicht umgesetzt gesehen. Es gab Warnungen vor schlechter Luftqualität, ich hatte Atemprobleme und war wenig belastbar – aus einer Kombination von großer Hitze und Abgasen heraus. „Natürlich können Menschen klagen, dass ihre Gesundheit geschützt wird!“, so Roda Verheyen
„Das Treibhausgasbudget ist die Grundlage allen Handelns – das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Das erkennt VW nicht an, stattdessen will der Konzern noch viele Jahre Millionen von Benzin- und Diesel-Autos verkaufen. Aber er muss nicht nur in Europa aus dem Verbrenner aussteigen, sondern global. Allein VW verursacht mit seiner Jahresproduktion so viel CO2 wie ganz Australien, und der jährliche globale CO2-Ausstoß der gesamten deutschen Autoindustrie übersteigt die Emissionen von ganz Deutschland. Um es klar zu machen: Das ist kein Spiel. Das sind große Player der industriellen Weltwirtschaft, viele Arbeitsplätze sind global betroffen. Für diese müssen wir auch Verantwortung übernehmen. Darum haben wir die Anträge auch konstruktiv formuliert – ein Plädoyer für ein gerechtes, klimaneutrales Wirtschaften, ein Aufruf, die Transition zu beschleunigen auch im Interesse der Arbeitnehmer:innen.“ So ein Ausschnitt aus einem Interview mit Roda im Greenpeace-Magazin.
„Klimaschutz ist Menschenrecht“, sagt die Greenpeace-Anwältin Dr. Roda Verheyen, Partnerin der Hamburger Kanzlei Günther. Jedes Gericht müsse sich fragen, wen das Recht letztlich schütze: „Den Planeten und die Menschen, die darauf leben wollen, oder die Interessen einiger Konzerne.“ Wer Klimaschutz verzögere, schade anderen und verhalte sich damit rechtswidrig.
Am 9. September geht es in Detmold um die nächste Entscheidung gegen Volkswagen. Roda ist es dabei nicht so wichtig, zu siegen – auch wenn sie bis in die letzte Instanz gehen wird. Ihr ist es wichtig, dass innerhalb der anderthalb Jahrzehnte, in denen sie hier juristisch tätig ist, national und international immer mehr Menschen auch vor Gerichten „Einspruch“ erheben und ihr Recht auf ein menschengerechtes Leben auch in der Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder einklagen.
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