Auf drei Rotwein mit Carlo Masala - ein völlig subjektiver Jahresrückblick.
Letzter Podcast in 2022. Wen einladen? Über was reden? Ich habe relativ schnell an Carlo Masala gedacht, weil er so gar nix mit der Verkehrswende zu tun hat, aber a. ein Mensch ist, mit dem ich mich gern unterhalte, und b. die Dinge, die wir so bearbeiten, unterschiedlicher nicht sein könnten, die Reaktionen auf uns sich jedoch recht stark ähneln.
Hier gehts zum ersten Gespräch mit Carlo im Oktober:
In der aktuellen Folge erzählt Carlo zunächst, wie er mit seiner Familie Weihnachten verbracht hat: Er hat alle drei Tage lang bekocht. Und damit kamen wir auch schon zum ersten Aha für mich: Carlo wollte mal Koch werden nach der mittleren Reife. Er spricht über Freunde, die diesen Weg gegangen sind. Wir sprechen über diese handwerklichen Jobs, für die wir beide viel Wertschätzung haben. So auch ich durch den Teil meiner Verwandtschaft, der eine Bäckerei betreibt. Wir sprechen über die geringe Wertschätzung für diese Jobs und deren Produkte und darüber, dass Deutsche im weltweiten Vergleich unfassbar wenig Geld für Lebensmittel ausgeben – und zwar nicht Jene, die wenig Geld haben.
Wir sprechen über intrinsische Motivation, die Carlo und mich manchmal zu Getriebenen macht. Wir sind angetrieben von den Themen, die uns interessieren, aber 2022 war nicht unbedingt ein Jahr, das wir komplett „im Griff“ hatten. Ähnlich wie viele andere, die zum Beispiel aktivistisch für das Klima tätig sind. Auch Kolleg:innen von Carlo haben ab September gesagt: So geht das nicht mehr weiter, die Belastung ist zu groß. Auch Carlo hat aus dieser Ausgebranntheit Konsequenzen gezogen, Podcastformate abgegeben und macht nicht mehr so viele Interviews und Talkshows.
Ich frage Carlo nach den 100 Milliarden Euro, die für die Bundeswehr zur Verfügung gestellt worden sind. Er ist aktuell sehr skeptisch, ob diese in richtiger Weise adressiert werden, wenn das System und die Prozesse dieselben bleiben. Wir streifen die Weltmeisterschaft in Katar, unser Erstaunen darüber, dass der große Protest erst kurz vor Beginn einsetzte. Über meine sportlichen Ambitionen und die Abkehr vom Massensport.
Und dann gehen wir durch unsere aktuelle Bundesregierung. Wir sprechen über feministische Außenpolitik, über die Arbeit von Annalena Baerbock und das Elitebewusstsein des Auswärtigen Amtes. Und die Tatsache, dass sie als Anfang 40erin dabei ist, dieses Amt hoch professionell und erfolgreich zu führen. Hier ist es natürlich total spannend, da Carlo ein wenig von seiner Wahrnehmung berichten kann. Dann sprechen wir über Olaf Scholz, den ich als Hamburgerin weniger neutral betrachten kann als Carlo. Wir besprechen die erfolgreiche Oppositionsarbeit der FDP und final dann auch Robert Habeck und sein erstes Jahr im Job.
Ein Politiker, von dem Carlo massiv beeindruckt ist, ist Anton Hofreiter, der innerhalb kurzer Zeit sich unfassbar tief in Wehr- und Waffenthemen eingearbeitet hat. Dabei zunächst überhaupt nicht zu dem Thema in Erscheinung trat.
Wir sprechen über die Themen außerhalb unserer Kernthemen, die uns 2022 beschäftigt bis besorgt haben. Carlo nennt hier den Kulturkampf, die Tendenz, kleine Themen nahezu lustvoll hochzustilisieren, als ob diese echte Konfliktlinien seien. Gendern als Beispiel und der Vorsitzende der Hamburger CDU als Person zu diesem Thema.
Ich berichte vom Druck, zu allem eine finale Meinung haben zu sollen. Fehlerlos zu agieren. Ansprüche zum Beispiel an mein Buch zu stellen, die ich selbst gar nicht habe. Autokorrektur ist für mich eine Einladung, neue Perspektiven auf Automobilität und die Probleme, die diese schafft, zu gewinnen. Diese Haltung habe ich mir jedoch hart erarbeiten müssen, Impostorsyndrom winkt grad freundlich
Porträt von Carlo. Von Christoph Busse.Wir sprechen über selbsternannte Kritker:innen (ich gendere mal großzügig), denen es überhaupt nicht um echten Diskurs geht, sondern darum, dem Gegenüber zu zeigen, dass es Unrecht und man selbst Recht hat. Ohne wirkliches Interesse an Austausch. Carlo erlaubt mir, diese Männschen dann auch einfach mal herablassend zu behandeln und damit zu entlarven.
Ich berichte Carlo über den Unterschied von Mastodon und Twitter und die mentale Entlastung, die es für mich bedeutet, kaum noch beim Vogel sein zu müssen. Carlo berichtet von enorm heftigen technischen Problemen, die Twitter in der Anwendung aktuell hat. Kein Wunder, wenn fast alle von Enlo entlassen wurden
Wir sprechen über die Figur Enlo, die Firma Tesla und die Versuche mit dem autonomen Fahren, die auch auf dem Gelände von der Uni, an der Carlo tätig ist, durchgeführt werden.
Dann dreht Carlo den Talk um und fragt mich, woher ich die Hoffnung habe, den Kampf gegen diese unfassbar übermächtige Autoindustrie und -lobby gewinnen zu können.
Ich erkläre, dass es mir nicht um die Gegnerin Autoindustrie geht, auch wenn ich diese natürlich gern als Partnerin hätte, um zu gewährleisten, dass die Transformation möglich und damit der negative Impact auf die deutsche Wirtschaft harmlos wird. Ich glaube an eine Gesellschaft in Bewegung und Begegnung, die aber aktuell durch das Auto verunmöglicht wird. Wir sind durch das Auto nur noch mit „Gleichen“ zusammen. Es bedarf der bewussten Handlung, um Unbekannten zu begegenen. Was in der Bahn oder im Bus automatisch geschieht. Das schafft eine Trennung in unserer Gesellschaft, die uns nicht gut tut – auch gesellschaftlich betrachtet. Angst vor „Fremden“ kann nur entstehen, wenn wir diesen nicht begegnen und sie näher kennenlernen.
Ich spreche darüber, dass vor allem auch die Immobilität und Abhängigkeit von Kindern bedrückt. Sie lernen nur noch aus 2. Hand.
Dadurch gerät unser Gespräch in unsere Kindheiten, die auf der Straße stattfanden. Wir muskelbewegt zu unseren Schulen gelangten. Doch schon der Vergleich des Schulweges seiner Kinder zeigt, dass die Generation der Kinder von Carlo schon eher gebracht wurde. Morgens Autostau vor den Schulen.
Wir sprechen über das Auto als Symbol von Erfolg. Über die mittlere Mittelschicht, die gut verdient und dennoch einen gewissen Lebensstandard sich nicht mehr leisten kann, wie gutes Wohnen in der Stadt. Carlo befürchte hier ein großes Aggressionspotential, was ich wiederum im Verhalten gegenüber den Blockierenden von der Letzten Generation bereits gespiegelt sehe.
Ich berichte vom Brief einer jungen rassifizierten Mutter in Berlin, die tägliche Rassismuserfahrungen kennt und mit einem Mann verheiratet ist, der vor zwei Jahren nach Deutschland floh und unbedingt diesen BMW fahren möchte, um dazuzugehören. Ähnliches hat Carlo bei Freund:innen beobachtet, die aus der Türkei nach Deutschland gingen und mit deutschen Autos zurück in ihre Dörfer fuhren und Anerkennung erhielten.
Bringst du mich jetzt zu deinem hässlichen Jugendbett?
Und kommen dann erstaunlicherweise aufs Tempolimit. Carlo denkt, dass es kaum noch Kilometer gibt, die auf Autobahnen ohne Tempolimit sind. Stimmt so nicht, im Januar 2019 galt auf 57 % der Autobahnkilometer kein Tempolimit. Auf 13 % gab es ein vorübergehendes Tempolimit aufgrund von Bauarbeiten. Streckenabschnitte mit einem Tempolimit machten 30 Prozent der Autobahnkilometer in Deutschland aus. Deutschland ist das einzige Land der Europäischen Union, in dem auf Autobahnen keine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung herrscht.
Carlo und ich sind uns einig, dass wir neue Aufstiegsversprechen brauchen. Gute Bildung muss wichtiger werden als die Autoindustrie. Wir brauchen viele Füße, auf denen unser Land wirtschaftlich stehen kann – ausbalanciert und eben nicht in wackliger Abhängigkeit von einer Industrie.
Kein Verständnis hat Carlo für Behelfspanzer, so nennt er die aktuellen großen Automodelle. Wenn er Panzer fahren will, fragt er jemanden bei der Bundeswehr. Recht optimistisch ist Carlo, dass, wenn es politische Führungskräfte gibt, die Transformation möglich ist. Davor wird sich jedoch gescheut, weil Politiker:innen aktuell nur auf Umfragewerte schauen. Und momentane Stimmungsbilder sind für ihn der schlechteste Ratgeber, Politik zu gestalten. Ich füge hinzu, dass Politik aktuell auf die Lauten hört – die auch oft die Falschen sind.
Meine Hoffnung 2023 ist, dass sich ungeahnt große Bündnisse von armutsbetroffen über Gewerkschaften über Pflege bis Klimaaktivist:innen ergeben, die nach der lange überfälligen Transformation verlangen. Carlo ist da skeptischer und erwartet eher große Lethargie in der Mehrheit der Gesellschaft. Er sieht wie ich die Probleme, aber er glaubt, dass die Dringlichkeit der Reform, die sich in den letzten drei Jahren gezeigt hat, von einem Wunsch nach „zurück in die Normalität“ überlagert werden wird. Ich teile den Pessismismus in Bezug auf die Autoindustrie, die sich nicht transoformieren will – habe aber den Optimismus, dass die Klimakatastrophe sie final zwingen wird, umzudenken, wenn sie auch nur im Ansatz überleben will. Denn lethargisch und voller Hybris ist die Industrie allemal.
Naja, und wir haben nach drei Stunden dann auch nur geendet, weil ich echt dringend aufs Klo musste. Sorry. DANKE Carlo, es war ein Fest!
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