Bis zum 8. Sonntag im Jahreskreis wird dieses Jahr sonntags der erste Brief des Apostels Paulus an die Korinther gelesen.
Manchmal sind unsere Briefanfänge höflicher als unsere Meinung über die Adressaten. Wir schreiben „Liebe Anneliese“, obwohl wir Anneliese weder lieben noch lieb finden, und „Sehr geehrter Herr Kollege“, obwohl wir ihm in den folgenden Zeilen keineswegs die Ehre geben. Oft sind solche Anreden nur Höflichkeit oder Konvention.
Anders ist es, wenn Paulus den Brief nach Korinth an „die Geheiligten in Christus Jesus, die berufenen Heiligen“ adressiert – um sie anschließend zu rügen, dass es bei ihnen Streit und Spaltung, Unzucht und Selbstruhm gibt.
Paulus ist nicht bloß höflich. Er meint wirklich die „Heiligen“ in Korinth. Denn zum Leben der Kirche und der einzelnen Christen gehört es von Anfang an, dass sie die Spannung von Heiligkeit und Sünde in sich tragen und aushalten müssen.
Heiligkeit hat zwar mit Vollkommenheit und Güte zu tun. Aber das ist zunächst mal die Vollkommenheit und Güte Gottes. Heilig ist, was zu Gott gehört und von Gott spricht.
In den Religionen wird daher der Bereich des Heiligen vom Bereich des Profanen unterschieden. Der Bereich dessen, was von Gott handelt, vom Bereich des rein menschlich Funktionalen oder der Sphäre Gottes Entzogenen – mit allen Unschärfen und Überschneidungen, die das in Gottes Schöpfung und insbesondere im Leben der Menschen haben kann.
Denn das Verhältnis von heilig und profan ist keineswegs statisch. Es geht im Leben Christi und der Christen ja gerade darum, dass Leben und Welt (also auch das Profane) „geheiligt“, also (wieder) Gott gemäß werden und von ihm erzählen sollen.
Paulus unterscheidet offenbar eine objektive und eine subjektive Heiligkeit. Die Christen in Korinth wurden durch die Annahme des Glaubens an Christus und die Taufe objektiv „geheiligt“ – und zwar nicht nur um ihrer selbst willen, sondern für die Anderen.
Aber das allein macht sie noch nicht vollkommen und gut. Sie sind zwar mit Gott verbunden, und jene anfängliche Trennung, die die christliche Theologie etwas missverständlich „Erbsünde“ nennt (statt z.B. „Ursünde“), ist überwunden. Aber dennoch bleiben sie subjektiv der Möglichkeit der Sünde ausgesetzt, fallen sie hinter ihre Heiligkeit und ihre Würde zurück, um wieder und wieder aufzustehen, versöhnt zu werden und weiter zu gehen.
„Christ, erkenne deine Würde!“ schrieb Papst Leo d. Gr. im 5. Jahrhundert den Christen, die auf diese Würde nichts gaben. Vielleicht ist das eine der Grundschwierigkeiten des Christseins heute: Wir ertragen nicht, gesagt zu bekommen, dass wir geheiligt und zur Heiligkeit berufen sind und gleichzeitig Gutes unterlassen und Böses getan haben.
Wir verdammen gnadenlos die Bösen (oder jene, die wir dafür halten) und wollen für uns selbst ansonsten hören, alles sei schon irgendwie in Ordnung oder normal oder unvermeidlich.
Ich will mir das Paradox eingestehen, geheiligt zu sein und zugleich Gottes Heiligkeit (noch) nicht zu entsprechen. Je ehrlicher ich damit bin, umso näher bin ich dem, der mich heiligt, und umso verlockender wird für mich die Freiheit der Heiligen, die darin besteht, dass die Sünde keine Macht mehr über sie hat.
Und beim nächsten Brief an die „liebe Anneliese“ erinnere ich mich, dass sie für Gott tatsächlich „lieb“ ist, und beim Schreiben an den Herrn Kollegen, dass Gott als Mensch sein Leben gegeben hat, um aus ihm einen „sehr Geehrten“ zu machen.
Fra' Georg Lengerke
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