Meine Großmutter hatte einen rauen Daumen. Als Kind spürte ich, wie der mich kratzte, wenn sie mir damit ein Kreuz auf die Stirn machte. Einen Segen stellt man sich vielleicht irgendwie zart vor. Aber ich mochte das. Der Segensdaumen meiner Großmutter war liebevoll, aber eben etwas rau. Und das passte zu ihr. Vielleicht auch deshalb, weil ihr eigenes Leben sehr, sehr rau gewesen war.
In der Kirche ist der Segen in letzter Zeit zum Zankapfel geworden. Weil sich an ihm der Streit entzündet hat, wo und wofür Vertreter der Kirche stehen, was sie billigen, gutheißen, fördern und also „absegnen“.
Beim Segen Abrahams geht es nicht darum, dass Gott etwas „absegnet“, sanktioniert oder gutheißt. Bei der Segensverheißung an Abraham geht es um eine Veränderung, eine Transformation seines ganzen Lebens.
Es beginnt mit einem Abschied. „Geh fort aus deinem Land“, sagt Gott zu Abraham. Ich habe das in der Kirche schon oft zitiert gehört. Meistens als Forderung an die jeweils Anderen, sie mögen ihre alten Gewohnheiten, Traditionen oder Überzeugungen verlassen. Es stimmt sogar, dass das manchmal dringend notwendig ist. Aber nur, wenn sich eine Überzeugung als falsch oder eine Tradition als unangemessen für die Erreichung eines göttlichen Zweckes erweist.
Abraham jedoch soll gar nicht weggehen, weil es Zuhause falsch oder schlecht gewesen wäre. Er soll gehen, weil es richtiger und besser ist, woanders zu sein – dort, wo Gott ihn mehr braucht: in dem versprochenen Land. Und zwar nicht bloß um Abrahams Willen, sondern für die ganze Welt, für „alle Sippen der Erde“.
Ich denke an meine Aufbrüche, meine Abschiede. Auch, um Priester und Malteser zu werden. Und dass ich für die Anderen gesegnet worden und losgegangen bin. Und dass ich an der einen oder anderen Stelle müde und träge geworden bin und mich gewöhnt habe.
Ein altes deutsches Sprichwort sagt: „An Gottes Segen ist alles gelegen“. Das will ich mir in dieser Fastenzeit wieder sagen lassen, dass mir an Gottes Segen liegen soll. Nicht allein in der Liturgie, sondern auch durch Mutter und Vater, durch die Schwestern und Brüder im Glauben, durch betende Hingabe. Und nicht als Bestätigung meines status quo, sondern als Sendung dahin, wo Gott mich mehr braucht.
Wir sollen mit Abraham segnen und „ein Segen sein“. Aber der Segen ist mehr als ich bin, kann mehr als ich kann, sagt und tut mehr, als ich sagen und tun kann.
Wenn ich letzte Woche durch die Stadt ging und die Gesichter der Menschen sah – frohe und traurige, freundliche und missmutige, bemalte und unbemalte – habe ich oft daran gedacht, dass es darum geht: dass ich ihnen mit Gott gut bin.
Und das heißt: sie liebe und segne. Der Segen ist ja das „Plus der Liebe Gottes“ über alles hinaus, was ich selbst tun kann. Dass ich sie als Geliebter liebe und als Gesegneter segne – schon bevor ich sie kenne und ohne vertraut oder einverstanden sein zu müssen mit dem, was sie denken, sagen und tun.
Die Segensverheißung an Abraham beginnt mit einem Abschied. Am Tag nach meiner Priesterweihe verabschiede ich mich von meiner Mutter. Sie küsst mich rechts und links, hebt dann ihre Hand Richtung meiner Stirn, um mir wie immer (und wie ihre Mutter mit dem rauen Daumen) den Segen zu geben. Dann hält sie inne und sagt – halb im Scherz: „Darf ich Dich jetzt eigentlich noch segnen?“
Da wusste ich wieder, dass der „Muttersegen“ – der raue wie der zarte – eine ganz eigene Gnade birgt. Vielleicht auch deshalb, weil Gott uns zuallererst unseren Müttern anvertraut. Weil sie die erste Heimat sind. Und weil vielleicht kein anderer Mensch uns so sehr loslassen und so segnend senden soll, wie sie…
Fra' Georg Lengerke
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