In der Bibliothek einer Hochschule, in der ich studierte, gab es einen, der hatte an seinen Schnürsenkel ein kleines Glöckchen gebunden. Bei jedem Schritt klingelte es. In der Stille der Bibliothek war das umso störender. Und das war offenbar beabsichtigt.
Als ich den jungen Mann ansprach, meinte er, er „läute für den Frieden“. Ich sagte ihm, dass er genau den hier gerade massiv gefährde. Darauf zitierte er die heutige Lesung aus dem Ersten Petrusbrief: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ Worauf ich ihm sagte, dass die Rechenschaft, die ihm die Studenten von ihrer Hoffnung gleich geben würden, möglicherweise nicht mit Rede und Antwort getan sei, sondern zu seiner Entfernung führte.
Ich war und bin mir sicher, dass Petrus das nicht gemeint hat: Dass die Christen den Leuten mit kindischen Provokationen so lange auf die Nerven gehen sollten, bis die danach fragen, ob die Christen eigentlich noch ganz bei Trost seien.
Von Paul Claudel stammt das Wort, wir Christen sollten nur reden, wenn wir gefragt würden, aber so leben, dass wir gefragt werden. Daran ist richtig, dass Christen nicht irrelevante Antworten auf ungestellte Fragen geben sollen. Und sicher werden Menschen besser durch einen bestimmten Lebensstil zum Nachfragen provoziert, als durch steile Thesen oder irgendeine Besserwisserei.
Aber es gibt auch Sachverhalte, wo ungefragt zu reden ist. Nämlich überall dort, wo die Liebe nicht schweigen darf, und von dem, wovon die Liebe nicht schweigen darf. Bei Ungerechtigkeit, Unangemessenheit oder Unwahrheit, wo es um die Würde des Menschen oder die Bewahrung der Schöpfung geht, und dort, wo das Heilige in den Dreck gezogen wird.
Ich habe allerdings auch immer häufiger den Eindruck, dass viele Menschen der Glaube der Christen schlicht nicht mehr interessiert. Sei es, weil sie nichts mehr von den Christen oder der Kirche erwarten. Sei es, weil die dingliche Welt, das Sichtbare, Messbare und angeblich Machbare in ihrem Leben derart bestimmend geworden ist, dass die Transzendenz, also die Frage nach dem Unsichtbaren über das unmittelbar Vorhandene hinaus, einfach keine Option mehr ist. So dass viele Menschen es angesichts der Christen mit dem Münchner Karl Valentin halten: „Net amoi ignoriern“.
Es könnte sein, dass das Desinteresse der Menschen am Leben und Glauben der Christen eines Tages wiederum umschlägt. Für die von Gott Berührten in ein neues Fragen nach Ihm. Für die vom Leben und Glauben der Christen Gestörten in Ablehnung oder Hass.
Vielleicht wird man das Wort von Claudel eines Tages dann wieder so lesen, wie es zu Verfolgungszeiten zu lesen ist: Dass wir die Wahrheit sagen sollen, wenn wir verhört werden, und so leben, dass wir verhört werden.
Aber bevor es so weit ist, scheint mir noch etwas anderes wichtig zu sein: Wir sollten nicht bloß warten, bis wir nach unserer Hoffnung gefragt werden. Wir sollten vielmehr auch ernst damit machen, dass wir selbst ja vorher schon von dem gefragt wurden, der der Grund unserer Hoffnung ist und auf den wir unsere Hoffnung gesetzt haben. Gott antwortet dem Menschen nicht nur. Zuvor fragt Gott nach dem Menschen: „Wo bist du?“ (Genesis 3,9) „Was willst du?“ (Markus 10,51) „Was suchst du?“ (vgl. Johannes 1,38)
Gott fragt nicht nur nach denen, die schon an ihn glauben, sondern nach jedem Menschen. Also sollten auch die von Gott Gefragten mit Ihm und wie Er nach den Menschen fragen. Nach ihrer Hoffnung und ihrer Not. Nach ihrer Freude und ihrem Schmerz. Auch dann, wenn wir selbst noch nicht alle Antworten auf Seine Fragen haben.
Dann stellen wir vielleicht fest, dass auch einige von ihnen eine Antwort haben auf die Frage nach der Hoffnung –
die nach uns Menschen fragt.
Fra' Georg Lengerke
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