Ob ich im Ernstfall tapfer bin? Ich weiß es nicht. Die Angst des Petrus um Jesus und um sich selbst jedenfalls ist mir sehr vertraut.
Im Evangelium gibt es keinen Menschen, der derartig scharf in den Senkel gestellt wird wie Petrus. Jesus hatte gesagt, er müsse nach Jerusalem gehen, werde dort leiden und getötet werden und am dritten Tage auferstehen. Das mit der Auferstehung wird Petrus überhört oder nicht verstanden haben. Aber dass Jesus wissentlich ins Verderben läuft, das kann er nicht zulassen: „Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!“
Hat Petrus nicht recht? Was soll das denn heißen, Jesus „müsse“ in Jerusalem leiden? Ist das etwa sein Schicksal, seine unabänderliche Bestimmung oder sein Fluch? Soll er halt nicht hingehen!
Und muss ein Freund seinen Freund nicht vor dem Leiden bewahren, ihn warnen, sich ihm in den Weg stellen, wenn der ins Verderben läuft?
Petrus hat zunächst einmal recht. Niemand zwingt Jesus, nach Jerusalem zu gehen und zu leiden. Und wer liebt, bewahrt den Geliebten vor dem Leiden, wo er nur kann.
Dennoch folgt eine Zurechtweisung, wie sie schärfer und für Petrus schmerzlicher nicht sein kann: „Tritt hinter mich, du Satan! Ein Ärgernis bist du mir, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“
„Du Satan!“ Schlimmer geht’s nicht. Wenn sein Freundesdienst eine solche Reaktion hervorruft, muss Petrus irgendwas gründlich missverstanden haben – an Jesus und seinem Weg, an seiner Freundschaft zu Jesus und seiner eigenen Berufung, mit ihm zu gehen.
Jesus muss wirklich nach Jerusalem gehen. Nicht, weil er gezwungen würde. Sondern weil er in die Mitte seines Volkes, in die Mitte der Welt, in die Heilige Stadt Gottes gehen muss, um sich dort den Menschen und der Welt zu offenbaren. Auch wenn er weiß, dass sein Zeugnis nicht angenommen wird. Auch wenn er weiß, dass er von Menschen verworfen und verflucht und auf die schändlichste Weise getötet wird.
Er muss gerade dorthin gehen, weil die Liebe Gottes in Menschengestalt gerade dorthin gehen muss, wo sie bespuckt, ausgelacht und zu Tode gequält wird – dorthin, wo sie dennoch Liebe bleibt und als Liebe offenbar wird. Als Liebe zu denen, die ihn verneinen, quälen und töten. Und als Liebe zu denen, mit denen er verneint, gequält und getötet wird.
Jesus muss ein dunkles Wissen darum gehabt haben, dass der Vater ihn nicht im Tod lassen würde. Aber dieses Wissen hat sein Leiden nicht gelindert und seinen Schmerz nicht erträglicher gemacht. Denn größer als aller körperlicher Schmerz ist sein Leiden an dem Hass und der Schuld, an der Traurigkeit und Verlorenheit derer, die er liebt und die seine Liebe dennoch verwerfen.
Petrus wollte seinen besten Freund vor einer riesengroßen Dummheit und vor einem tödlichen Fehler bewahren. Darum stellte er sich ihm in den Weg.
Aber in Wirklichkeit hatte er sich – ohne es zu wissen – der Liebe in den Weg gestellt, die weder verborgen noch für sich bleiben darf, sondern dahin gehen muss, wo´s wehtut.
Ich kenne die Versuchung, mich der Liebe in den Weg zu stellen. Dort, wo ich denen, die mich lieben, nicht erlaube, an meine ungeliebten Schmerzstellen zu rühren. Und dort, wo ich Angst habe, mit der Liebe Gottes in die Not zu gehen.
Und das beginnt bei mir nicht erst dort, wo ich Grund zur Angst vor ernsthaftem Schaden hätte. Sondern schon dort, wo ich mich den Menschen, ihrem Urteil oder ihrer Not entziehe, wo ich mich abseits von ihnen eingerichtet habe und meine Ängstlichkeit zur Blockade geworden ist.
Darum geht’s: der Liebe nicht länger im Weg stehen und hinter Jesus her gehen; wollen, was Gott will, und lieben, was Gott liebt.
Fra' Georg Lengerke
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