Sternengeschichten Folge 573: Die ewige Inflation
Sternengeschichten Folge 573: Die ewige Inflation
Ewige Inflation! Das klingt nach einem sehr deprimierenden Konzept der Wirtschaftswissenschaft. Ist es aber natürlich nicht - es geht um Kosmologie. Wir werden heute beim Urknall anfangen und am Ende feststellen, dass der Urknall vielleicht gar nicht der Anfang war sondern immer noch stattfindet und unser Universum nicht das einzige sein könnte, das existiert. Und wie immer, wenn es um Kosmologie geht, wird die Angelegenheit ein wenig verwirrend werden. Aber keine Sorge, wir kommen da schon gut durch. Bis zum Ende. Oder zum Anfang, je nachdem.
Schauen wir uns zuerst mal das an, was in der Kosmologie als "Inflation" bezeichnet wird. Ich habe darüber schon ausführlich in den Folgen 69 und 70 gesprochen. Aber das ist lange her, deswegen lohnt sich vielleicht ein kurzer Rückblick. Seit den Arbeiten von Albert Einstein, Edwin Hubble und ihren Kolleginnen und Kollegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war klar, das Universum expandiert. Es dehnt sich aus und war demnach in der Vergangenheit kleiner als heute. Und irgendwann in der Vergangenheit gab es einen Punkt, an dem es ein Punkt war. Oder anders gesagt: Das Universum hat einen Anfang in der Zeit. Vor 13,8 Milliarden Jahren war alles was wir heute sehen in einem extrem kleinen Raum verdichtet; alle Orte waren ein Ort und ausgehend von diesem extrem dichten und heißen Zustand hat sich das Universum zu dem Kosmos ausgedehnt, den wir jetzt sehen können.
Es gibt sehr viele Beobachtungsdaten, die diesen Befund stützen und ich habe darüber schon in vergangenen Folgen gesprochen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man aber festgestellt, dass diese Urknalltheorie auch ein paar Probleme hat. Wir sehen zum Beispiel auf großen kosmologischen Skalen keinerlei Raumkrümmung. Das Universum erscheint uns völlig flach - was zwar nicht unmöglich ist, aber sehr unwahrscheinlich. Die, wenn man so viel, Form des Universums, wird einerseits durch die Menge an Materie und Energie bestimmt, die es enthält, denn die sorgt ja dafür, dass der Raum sich krümmt. Andererseits aber auch durch die Geschwindigkeit der Expansion. Und um ein Universum zu kriegen, das flach ist und nicht in die eine oder andere Richtung gekrümmt, müssten die Anfangsbedingungen beim Urknall enorm exakt aufeinander abgestimmt gewesen sein. Es gibt noch ein paar andere ähnliche Probleme, aber die lasse ich jetzt mal weg, bevor es zu kompliziert wird.
In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren hat man dann eine Lösung für diese Probleme gefunden. Der sowjetische Kosmologe Alexei Starobinsky und vor allem und unabhängig davon der Amerikaner Alan Guth hatten die Idee der kosmologischen Inflation. Und natürlich waren noch viele andere Forscherinnen und Forscher beteiligt, aber ein historischer Überblick über diese Forschung muss auf eine andere Folge der Sternengeschichten warten. Die Grundidee ist eigentlich ganz simpel: Kurz nach dem Urknall hat sich das Universum für eine sehr kurze Phase unvorstellbar schnell ausgedehnt. Warum löst das das Problem, das ich eben beschrieben habe? Wenn ein Raum gekrümmt, aber absurd groß ist, dann merkt man nichts von der Krümmung. Man kann das an der Erdoberfläche sehen: Die ist definitiv gekrümmt, aber weil die Erde im Vergleich zu uns Menschen so groß ist, erscheint sie uns flach. Und weil das Universum sich eben in seiner inflationären Phase so absurd stark ausgedehnt hat, spielt es keine Rolle, wie stark oder schwach die Krümmung davor war. Danach war es auf jeden Fall groß genug, so dass es uns heute als flach erscheint.
Die ganze Angelegenheit ist natürlich deutlich komplexer als "Das Universum hat sich in sehr kurzer Zeit sehr schnell ausgedehnt". Das fängt schon bei "sehr kurz" und "sehr schnell" an. Die Phase der Inflation hat 10 hoch minus 35 Sekunden nach dem Urknall begonnen. Darunter kann man sich nichts vorstellen. 0,000… insgesamt 34 Nullen und dann 1 Sekunden nach dem Urknall. Und gedauert hat die Phase bis ungefähr 10 hoch minus 33 oder 10 hoch minus 30 Sekunden nach dem Urknall. Kann man sich auch nicht vorstellen. In dieser absurd kurzen Zeit ist das Universum um das 10 hoch 26fache größer geworden. Also 100 Quadrillionen mal größer, als es vorher war - was sich aber auch niemand vorstellen kann. Deswegen also: in sehr kurzer Zeit sehr schnell ausgedehnt".
So weit, so gut. Aber es bleiben trotzdem auf jeden Fall noch mindestens zwei Fragen offen. Erstens: Warum hat das Universum angefangen, sich inflationär auszudehnen? Und zweitens: Warum hat es dann wieder damit aufgehört? Damit sind wir genau bei den zentralen Punkten für diese Folge. Punkte, für die man leider sehr viel sehr komplexe Mathematik benötigen würde, um sie wirklich detailliert zu erklären. Ich probiere es also jetzt mal in einer sehr, sehr vereinfachten Form. Wir müssen dafür mit dem Begriff des "falschen Vakuums" anfangen. Wir wissen aus der Quantenmechanik, dass ein Vakuum ja nie wirklich leer ist. Aufgrund der Quantenfluktuationen steckt immer ein bisschen Energie im Vakuum, denn auch wenn dort absolut nichts drin ist, gibt es immer noch die diversen Quantenfelder, die ja quasi immer da sind. Das sind die Dinger, die ich schon in Folge 247 genauer erklärt habe; die Grundlage der Materie, vereinfacht gesagt. Wenn ausreichend viel Energie in ein Quantenfeld gesteckt wird, kann ein Teilchen entstehen. Wenn nicht, dann nicht - aber sie sind immer da. Jetzt kann so ein Vakuum theoretisch verschiedene mögliche Energiezustände haben. Das "wahre Vakuum" wäre eines, das sich im niedrigstmöglichen Zustand befindet. Und ein falsches Vakuum ist dann logischerweise in einem Zustand, in dem die Energie höher ist. Man kann das mit einem Ball vergleichen. Der will auch immer einen Zustand mit möglichst wenig Energie einnehmen oder anders gesagt: Wenn er kann, dann rollt der Ball nach unten. Stellen wir uns jetzt einen Berg vor, der auf halben Weg nach unten eine kleine Grube hat. Wenn der Ball am Gipfel liegt und einen kleinen Schubs bekommt, wird er nach unten rollen. Wenn er dabei in die Grube fällt, wird er dort bleiben, auch wenn er den Zustand mit der niedrigstmöglichen Energie noch nicht erreicht hat. Man muss ihn nochmal anschubsen, damit er aus der Grube rauskommt und bis ganz nach unten ins Tal rollt. So ähnlich ist es auch mit dem Vakuum, auch wenn es schwer ist sich vorzustellen, wie man ein Vakuum aus einer Grube schubsen kann…
Man geht bei der Theorie der Inflation jedenfalls davon aus, dass es ein spezielles Feld gegeben hat bzw. gibt, das Inflatonfeld. Je nachdem wie dieses Feld sich verändert, kann es dazu führen, dass sich das Universum ausdehnt oder nicht beziehungsweise absurd schnell ausdehnt. Der Zustand des Feldes hängt, sehr vereinfacht gesagt, von der Temperatur ab und den energetisch günstigstens Zustand des Feldes nennt man das "wahre Vakuum". Wenn man jetzt davon ausgeht, dass dieses Inflatonfeld kurz nach dem Urknall in einem falschen Vakuum war, dann könnten zufällige Quantenfluktuationen dafür gesorgt haben, dass es in ein wahres Vakuum oder ein anderes falsches Vakuum mit niedriger Energie als zuvor gewechselt ist. Dadurch hat sich der Zustand des Feldes so weit geändert, dass eine exponentielle Expansion des Universums ausgelöst worden ist: In diesem Moment ist die Inflationsphase gestartet. Bei diesem Übergang von einem Vakuumzustand in den anderen hat das Inflationfeld Energie abgegeben und zwar in Form von Strahlung und Materie. Und diese Materie, die jetzt im Universum vorhanden war, hat die Inflation wieder eingebremst und beendet, so dass der Kosmos ab da wieder "normal" expandiert hat, also nicht mehr exponentiell schnell.
Wie gesagt: Das war eine sehr stark vereinfachte Erklärung der Inflation. In Wahrheit hat man sehr lange gebraucht um zu verstehen, was da passiert und musste unterwegs mehrere Probleme lösen. Die allererste Idee zur Inflation hat zum Beispiel keinen vernünftigen Mechanismus gehabt, um die Inflation nach dem Start wieder zu beenden. Erst später fand man einen Weg, wie man das hinbekommt und als man sich diese "neue Inflation", wie die Theorie mittlerweile genannt hat, genauer angesehen hat, ist man auf ein spannendes Phänomen gestoßen. Die Inflation muss nämlich nicht überall zu Ende gehen. Es können sich - wieder sehr vereinfacht gesagt - durch die zufälligen Quantenfluktuationen quasi einzelne "Blasen" bilden, in denen das Inflatonfeld gerade den passenden Wert hat, um die Inflation zu beenden. Anderswo geht sie aber ungehemmt weiter. Das, was wir "unser Universum" nennen, wäre dann eben nur eine dieser Blasen, in denen die Inflation geendet hat und dadurch Strahlung, Materie und all das andere produziert hat. In der langsamer expandierenden Blase konnte sich dann der Kosmos entwicklen, den wir heute sehen und auf die Weise entwickeln, die wir durch unser Urknallmodell beschreiben. Aber wenn das alles wirklich so ist, dann ist unsere Blase definitiv nicht die einzige. Es muss durch die Quantenfluktuationen immer und immer wieder dazu gekommen sein, dass sich aus dem übergeordneten inflationär expandierenden Raum Blasen abgespalten haben, in denen die Inflation stoppt. Und das muss auch passiert sein, bevor unsere Universumsblase sich gebildet hat. Das, was wir "Urknall" nennen, wäre demnach nicht der Anfang von allem, sondern nur der Anfang des Endes der Inflation in der Blase, die unser Universum darstellt. Tatsächlich gibt es keinen "Anfang von Allem", sondern nur die ewige Inflation, aus der sich immer wieder neue Universumsblasen abspalten.
Es besteht natürlich keinerlei Chance, diese anderen Universen zu beobachten oder irgendwie in Kontakt mit ihnen zu treten. Wir sind von ihnen durch den seit ewig inflationär expandierenden Raum getrennt. Diese anderen Universen sind so unerreichbar für uns, dass wir auch behaupten könnten, sie würden gar nicht existieren. Aber wenn das mit der ewigen Inflation stimmt, dann muss es sie geben. Dann leben wir in einem Raum, der noch viel unvorstellbar viel größer ist als das eh schon unvorstellbar große Universum, das wir beobachten können. Wir leben in einer kleinen Blase die vor 14 Milliarden Jahren in diesem Raum aufgepoppt ist; in einem Raum, in dem immer wieder neue Universen auftauchen - und übrigens auch wieder verschwinden können. Es ist sogar möglich, dass jedes dieser Universen andere Naturgesetze hat.
Ob das aber wirklich so ist, wissen wir nicht. Wir gehen davon aus, dass so etwas wie die inflationäre Phase existiert haben muss. Nur dann machen unsere Beobachtungen des Universums Sinn und alles was wir bis jetzt beobachtet haben, stimmt gut mit dem Konzept einer inflationären Phase überein. Und wenn die Inflation so abgelaufen ist, wie wir es uns derzeit vorstellen, dann stehen die Chancen gut, dass es eine ewige Inflation gewesen ist. Aber natürlich kann es auch sein, dass die Inflation anders funktioniert als wir es uns vorstellen und es gibt durchaus Forscherinnen und Forscher die Modelle der Inflation entwickelt haben, die ohne ewige Inflation auskommen; Stephen Hawking zum Beispiel. Manche dieser Modelle kann man unter Umständen auch durch Beobachtungen überprüfen oder widerlegen. Ohne in die Details gehen zu wollen: Wir könnten Spuren der Inflation in der kosmischen Hintergrundstrahlung sehen; also der Strahlung, die gut 400.000 Jahre nach dem Urknall entstanden ist, die immer noch im Universum registrierbar ist und in der sich der Zustand des Kosmos unmittelbar nach dem Urknall quasi eingebrannt hat. Bis jetzt haben wir in der kosmischen Hintergrundstrahlung nichts gesehen, dass unseren Inflationsmodellen widerspricht. Aber leider auch noch nichts, was uns eindeutig sagt, dass sie stattgefunden hat, das es sich um eine ewige Inflation handelt - oder eben nicht.
So oder so: Irgendwann werden wir vielleicht mehr wissen. Und bis dahin bleibt es ein faszinierender Gedanke, dass selbst so etwas gewaltiges wie unser Universum nur eine kleine Blase in einem viel größeren Raum ist, in dem unzählige andere Universum aufploppen und verschwinden wie der Seifenschaum in der Badewanne.
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