Der Mord an JFK - Trauma und Verschwörungsmythos
Am 22. November 1963 wird US-Präsident John F. Kennedy bei einer Wahlkampfveranstaltung in Dallas, Texas erschossen. Der Mord wird zum Trauma für eine ganze Nation und zeigt die Verletzlichkeit der amerikanischen Demokratie auf. Zudem bleiben Zweifel: wer hat JFK wirklich erschossen? War es der Einzeltäter Lee Harvey Oswald, oder fand hier ein diabolischer Staatsstreich statt? Viele Ungereimtheiten werden zum Nährboden für zahlreiche Verschwörungsmythen. Autor: Florian Kummert
Credits
Autor/in dieser Folge: Florian Kummert
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Ditte Ferrigan, Peter Veit
Technik: Monika Gsaenger
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Dr. Andreas Etges, LMU München und Kennedy-Experte
Linktipps:
Hintergründe zum Kennedy-Attentat
22.06.1964 ∙ Panorama ∙ Das Erste
Lane, der Verteidiger des Kennedy-Mörders Oswald, über die angeblich wahren Hintergründe des Attentats auf Kennedy.
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Wann geht ein US-Präsident in die Geschichtsbücher ein als "guter" - oder als "schlechter" Präsident? Bei Richard M. Nixon, der den "Watergate-Skandal" zu verantworten hat, ist die Sache gar nicht so klar. Von Florian Kummert (BR 2014)
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZUSPIELUNG 1a
(Titelmelodie Tagesschau)
Präsident Kennedy ist heute Abend um 20 Uhr mitteleuropäischer Zeit an den Folgen eines Attentats gestorben. Ein bisher noch unbekannter Mann hat mehrere Gewehrschüsse auf ihn abgefeuert.
MUSIK 1 (Z8037020118 Alan Filip/Mac Prindy: Traumatic Drone 1’15)
ERZÄHLERIN
Die Tagesschau vom 22. November 1963. Während der Sendung erreicht die Redaktion die Eilmeldung: US-Präsident John F. Kennedy ist tot. Sprecher Karl-Heinz Köpke verkündet der deutschen Fernsehnation die tragische Nachricht:
ZUSPIELUNG 1b
Das Weiße Haus in Washington teilte mit, dass Präsident Kennedy einer durch eine Kugel verursachten Gehirnverletzungen erlegen ist.
ERZÄHLERIN
In den USA kommt das öffentliche Leben zum Stillstand. Der Tod des Präsidenten trifft die Öffentlichkeit wie ein Schock. Wer kann, verlässt den Arbeitsplatz und verfolgt am Fernseher oder Radio die Berichterstattung über das Attentat.
ZUSPIELUNG 2a (Radioaufnahme 1963, Quelle: JFK Museum, frei verwendbar)
President Kennedy has been assassinated. It’s official now, the president is dead.
ERZÄHLERIN
Reportagen aus Dallas, Texas, von Journalisten, die vor dem Krankenhaus stehen, in das Kennedy eingeliefert wurde. Weinende Menschen, Trauer überall, Fassungslosigkeit. Momente, die sich ins kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation einbrennen.
ZUSPIELUNG 2b
The picture here is grief, and much of it.
OTON Andreas Etges 1a
Die Ermordung hat tagelang die Medien bestimmt. Es gab eine 24 Stunden Berichterstattung, aber auch international ist die Wirkung enorm. Menschen auf der ganzen Welt trauern. Studierende der Freien Universität Berlin organisieren einen Trauermarsch mitten in der Nacht in Berlin, und viele Tausende Menschen kommen zum Rathaus Schöneberg, wo Kennedy Monate vorher gesprochen hatte.
ERZÄHLERIN
Sagt Dr. Andreas Etges, Historiker und Amerikanist von der LMU München und ausgewiesener Kennedy-Experte. Für ihn ist der 22. November 1963 vor allem rückwirkend ein einschneidender Tag für die US-Geschichte. Der Mord an JFK, dem die tödlichen Schüsse auf Martin Luther King und auf Robert Kennedy folgen sollten.
OTON Andreas Etges 1b
Also die unmittelbare Wirkung der Ermordung: Wie kann das passieren? Und was bedeutet das? Und im Nachhinein auch die Wirkung dessen, was dann alles danach kam, die dann auf diesen Tag zurückprojiziert wurde. Auch wenn ich das für eine problematische Idee halte: Amerika hat seine Unschuld verloren. Nur war Amerika auch vorher schon in gewissen Fällen durch die CIA oder Kriege auch mit schuldig geworden, in gewisser Weise. Aber das ist ein Moment, wo auch ein Stück weit das amerikanische Selbstbild einen Kratzer erhält.
MUSIK 2 (CD666410001 John Williams: Prologue 0‘37)
ERZÄHLERIN
Nur 1036 Tage dauert seine Präsidentschaft: John Fitzgerald Kennedy. Erst 43 ist er, als er ins Weiße Haus einzieht. Der jüngste gewählte Präsident der Vereinigten Staaten wird zu einem fast royalen Vorbild für die Massen. Ein Politiker, der den Traum eines modernen, eines besseren Amerika verkörpert, mit Charme und der Gabe, in rhetorisch ausgeklügelten Reden, das Publikum miteinzubeziehen und an das gesellschaftliche Engagement zu appellieren.
Zuspielung 3 O-Ton John F. Kennedy (JFK Museum, frei verwendbar)
"And so, my fellow Americans, ask not what your country can do for you - ask what you can do for your country."
ZITATOR
„Meine amerikanischen Landsleute, fragt nicht, was euer Land für euch tun kann. Fragt vielmehr, was ihr für euer Land tun könnt.”
OTON Andreas Etges 2
„Wobei der Satz noch weitergeht. Die meisten vergessen ihn. Fragt nicht, was Amerika für euch tun kann, sondern was wir gemeinsam, also alle Länder dazu tun können, die Welt besser zu machen. Also auch der Appell an die Welt. Ganz zentral für Kennedys Wirkung in den ersten Jahren ist die Aufbruchstimmung, die mit seinem Amtsantritt verbunden ist. Da kommt jetzt jemand, der Leute mitnimmt, der Leute auch dazu aufruft, ihr könnt alle euren kleinen Beitrag dazu tun, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Das hat ein ganzes Stück weit in den USA und auch in Ländern wie Deutschland funktioniert, gerade bei der jungen Generation.“
MUSIK 3 (CD666410008 John Williams: The Conspirators 0‘55)
ERZÄHLERIN
Kritischer sind die Hardliner im Regierungsapparat, die Falken, die in Krisenzeiten eher auf Angriff und Machtdemonstrationen setzen als auf Besonnenheit. Und Krisen erlebt Kennedy in seiner Amtszeit einige. Den Bau der Berliner Mauer, die Panzerkonfrontation am Checkpoint Charlie, und - quasi vor der eigenen Haustüre - das Problem um Kuba und das Regime von Fidel Castro. Erst scheitert die Schweinebucht-Invasion von Söldnertruppen der rechts-konservativen Exil-Kubaner, heimlich unterstützt durch die CIA, von der sich der Präsident bewusst hintergangen fühlt. Als Folge feuert er CIA-Direktor Allen Dulles und dessen Stellvertreter. Dann kommt es - im Oktober 1962 - zur gefährlichsten Konfrontation des Kalten Krieges: in der Kuba-Krise. Durch eine Seeblockade zwingt Kennedy die Sowjetunion ihre heimlich auf Kuba stationierten, nuklear bestückten Raketen wieder abzuziehen. Als Gegenleistung willigt Kennedy ein, keine weitere Invasion von Kuba zu planen, sehr zum Missfallen der Hardliner.
MUSIK 4 (Z9338166213 Nina Simone: Young, Gifted And Black 0‘05)
Innenpolitisch wird die Debatte um die Bürgerrechtsbewegung immer virulenter. Im Juni 1963 kündigt der Präsident ein Gesetz an, das die Rassentrennung in den ganzen USA abschaffen soll. Im Kongress scheitert er aber an den Mehrheiten konservativer Südstaaten-Politiker aus beiden Parteien.
MUSIK 5 (CD847750004 Joan Baez: We shall Overcome 0‘25)
ERZÄHLERIN
Die Südstaaten, dort fallen für Kennedy die Umfragewerte massiv. 1964 will sich Kennedy zur Wiederwahl stellen, also macht sich JFK mit seiner Frau Jacqueline und dem Vize-Präsidenten, dem Texaner Lyndon Johnson, auf Wahlkampf-Reise durch Texas. Dort gibt es regelrechte Hasskampagnen gegen Kennedy. Poster mit dem Konterfei des Präsidenten tauchen auf, die ihn in Form eines Steckbriefs wegen Hochverrats anklagen wollen.
MUSIK 6 (Z8037020101 Alan Filip/Mac Prindy: Drama Pulse 1‘13)
ERZÄHLERIN
Am Morgen des 22. November spricht Kennedy in Fort Worth, dann fliegt die Air Force One nach Dallas. Vom Flughafen aus fährt die Wagenkolonne durch die Innenstadt von Dallas. Die Straßen sind vollgepackt mit Leuten, die dem Wagen des Präsidenten zujubeln. Eine offene Limousine, ohne Verdeck. Kennedy auf der Rückbank, neben ihm im rosa Kostüm die First Lady, Jackie Kennedy. Direkt vor Kennedy sitzt der Gouverneur von Texas, John Connelly, begleitet von dessen Ehefrau Nellie.
12 Uhr 29. Die Limousine des Präsidenten biegt rechts ab, auf die Houston Street und nähert sich dem Texas School Book Depository, einem mehrstöckigen Haus, in dem Büros und das Schulbuchlager untergebracht sind. Nellie Connelly dreht sich zu Kennedy um und sagt: „Mister President, Sie können nicht sagen, dass Dallas Sie nicht liebt.“ Kennedy antwortet: „Nein, das kann ich wirklich nicht.“
Es sind seine letzten Worte. Um 12 Uhr 30 biegt das Auto vor dem School Book Depository in die Elm Street ein, eine 120-Grad-Kurve, bei der die Limousine stark abbremsen muss. Kennedy winkt den Leuten in der Elm Street zu…
ATMO Schuss
ERZÄHLERIN
…da fällt der erste Schuss. Er verfehlt das Auto. Kennedy reagiert auf das Geräusch und hört auf zu winken.
ATMO Schuss
ERZÄHLERIN
Der zweite Schuss, wenige Sekunden später. Er trifft den Präsidenten in Hals und Kehle. Kennedy hebt die Arme. Wegen einer Rückenerkrankung trägt er ein Stützkorsett und bleibt aufrecht sitzen. Jackie Kennedy will sich zu ihrem Mann beugen, in dem Moment trifft die dritte Kugel.
ATMO Schuss
ERZÄHLERIN
Sie durchschlägt Kennedys Kopf. Chaos bricht aus. Die Limousine ist voller Blut. Gouverneur Connelly ist ebenfalls getroffen und schwer verwundet. Jackie Kennedy versucht rückwärts aus dem Auto aufs Heck zu klettern. Ein Secret Service Agent, der hinter dem Wagen läuft, hält sie auf, dann rast der Wagen davon, in Richtung Parkland Memorial Hospital.
Dort wird, um 13 Uhr Ortszeit, der 35. Präsident der Vereinigten Staaten für tot erklärt.
ATMO ZUSPIELUNG 4 Polizeisirenen / Polizeifunk vom 22.11.63 (Quelle: JFK Museum, frei verwendbar)
ERZÄHLERIN
Polizeifunk-Aufnahmen vom 22. November 1963 aus Dallas, archiviert in der John F. Kennedy Presidential Library and Museum. Kurz nach dem Attentat melden sich Augenzeugen, die gesehen haben, wir aus dem Schulbuchlager geschossen wurde, aus einem Eckfenster im fünften Stock. Bereits 80 Minuten nach den Schüssen verhaften Polizisten den Hauptverdächtigen: einen Mitarbeiter des Schulbuchlagers, den 24jährigen Lee Harvey Oswald, der seit einem Monat in den Räumlichkeiten arbeitet. Im fünften Stock des Gebäudes finden Beamte ein Jagdgewehr samt Patronenhülsen, es soll von Lee Harvey Oswald per Katalog bestellt worden sein, unter einem Pseudonym.
ATMO Gewehr wird nachgeladen, Klacken
ERZÄHLERIN
Oswald wird stundenlang verhört. Ohne Anwalt. Notizen des Verhörs gibt es nicht. Der Verdächtige weist jegliche Schuld von sich, sagt, er sei nur ein Sündenbock. Kurz nach Mitternacht gibt es eine Pressekonferenz im Versammlungsraum der Polizei. Unter die Reporter mischt sich auch ein 52jähriger Nachtklub-Besitzer aus Dallas: Jack Ruby.
Am Sonntagvormittag, den 24. November, soll Lee Harvey Oswald in ein anderes Gefängnis überstellt werden. Im Keller des Polizeipräsidiums steht ein Wagen bereit. Der Raum ist voller Reporter und Polizisten. Als Oswald in Handschellen zum Auto geführt wird, bildet sich eine Gasse, um ihn durchzulassen. Plötzlich stürmt Jack Ruby nach vorne und schießt Oswald mit einem Revolver in den Bauch. Der stöhnt auf und fällt tödlich verletzt zu Boden. Ruby wird festgenommen und später des Mordes für schuldig gesprochen. Er wollte ein Held sein, sagt er. 1967 stirbt Jack Ruby im Gefängnis an Krebs.
ATMO Beerdigung JFK, Trommler (Quelle: JFK Museum, frei verwendbar)
ERZÄHLERIN
Lee Harvey Oswald wird erschossen, während der Trauermarsch für den ermordeten Präsidenten durch die Straßen der Hauptstadt Washington D.C. zieht. Auch hier brennen sich ikonographische Momente ins Gedächtnis vieler Menschen ein: Jackie Kennedy, die 34jährige Witwe in ihrem schwarzen Kostüm samt Schleier. Daneben die beiden kleinen Kinder: Caroline, die das gerahmte Foto ihres Vaters in der Hand hält, und John Junior, der an diesem Trauertag drei Jahre alt geworden ist. Als der Sarg an ihm vorbeizieht, legt er die Hand zum letzten Salut an die Stirn. Momente, so Kennedy-Experte Andreas Etges, die stark von Jackie Kennedy gesteuert wurden.
OTON Andreas Etges 3
„Wo der Junge salutiert. Wenn man sich ein paar Sekunden vorher die Filmszene anguckt, dann beugt sie sich zu ihm runter, flüstert ihm was ins Ohr und dann geht er zwei Schritte vor und salutiert, als der Sarg vorbeikommt. Also Jackie Kennedy ist sich ganz stark der Bilder bewusst. Und auch die Idee oder der Begriff Camelot, also der mythische Hof von König Artus, mit dem die Kennedy-Präsidentschaft oft verglichen wird. Den hat keiner während der Amtszeit von Kennedy benutzt. Jackie Kennedy verwendet diese Idee zum ersten Mal in einem berühmten Interview mit einem Life-Journalisten, ein paar Tage nach der Ermordung, und dann vergleicht sie die Amtszeit mit Camelot. Und so einen Moment, sagt sie, wird Amerika nie mehr erleben. Also sie ist von der ersten Sekunde dabei, am Mythos ihres Mannes zu arbeiten und den auch später ganz massiv gegen Kritik zu verteidigen.“
ATMO Gewehr wird nachgeladen, Klacken
ERZÄHLERIN
Und Lee Harvey Oswald? Ist er nun derjenige, der den Präsidenten erschossen hat? Die Ermittlungen richten sich auf Oswald als Einzeltäter. Eine eigenwillige Gestalt, ein Heimkind, dem Psychiater bereits in der Jugend eine gestörte Persönlichkeitsstruktur attestieren. Mit 17 bricht er die Schule ab und geht zu den US-Marines, wo er zum Radartechniker und Scharfschützen ausgebildet wird. Als angeblich bekennender Marxist lebt er einige Jahre in der Sowjetunion, ehe er 1962 nach Texas zieht. Er abonniert kommunistische Zeitungen und engagiert sich für Fidel Castros Politik, bemüht sich sogar um ein Visum für Kuba. War er also bekennender Castro-Anhänger, oder war alles nur Fassade?
MUSIK 7 (CD666410006 John Williams: Garrison’s Obsession 0‘55)
ERZÄHLERIN
Kennedys Nachfolger Lyndon Johnson setzt eine Kommission ein, die das Attentat und die Umstände untersuchen soll: die siebenköpfige Warren Kommission, benannt nach dem Obersten Verfassungsrichter Earl Warren, der sie leitet. Weitere Mitglieder: der Abgeordnete und spätere US-Präsident Gerald Ford, sowie - eine umstrittene Personalie - Allen Dulles, der frühere CIA-Direktor, der von Kennedy gefeuert wurde. Nach zehnmonatiger Arbeit kommt die Warren Kommission zu ihrem Endergebnis: Lee Harvey Oswald hat als Einzeltäter agiert und war nicht Teil einer größeren Verschwörung, er hat die drei Schüsse abgefeuert und den Präsidenten getötet.
OTON Andreas Etges 4
„Relativ schnell gibt es große Kritik an diesem Warren-Report. Zurecht, denn vieles ist bei den Ermittlungen falsch gegangen. Wir wissen auch heute, dass das FBI, die Bundespolizei, und auch die CIA, der Geheimdienst, gar kein Interesse daran haben, dass genau ermittelt wird. Nicht, weil sie in die Ermordung irgendwo involviert sind oder da Verschwörer sind, sondern weil sie eine ganze Menge illegale Aktivitäten zu verstecken haben und auch Fehler im Schutz des Präsidenten, die sie verbergen wollen. Wir wissen heute, dass Lyndon Johnson der Untersuchungskommission den geheimen Auftrag gibt: Macht Oswald zum Einzeltäter. Warum? Nicht, weil er selber involviert war, sondern Lyndon Johnson hat Angst. Was wäre denn, wenn tatsächlich die Kubaner oder sogar die Sowjetunion involviert sind? Dann gibt es Krieg, und dann werden Millionen Menschen sterben.“
MUSIK 8 (Z8037020111 Alan Filip/Mac Prindy: Micropulse 1‘15)
ERZÄHLERIN
Wer war also involviert und wer nicht? Wer hat bei den Mordermittlungen welche Agenda?
Bei kaum einem anderen Thema wie den Schüssen auf JFK vermischen sich Fakten, Vermutungen und Fake News derart effektiv. Ein perfekter Nährboden für Alternativdeutungen und Verschwörungstheorien aller Art. Kann Oswald wirklich der Einzeltäter sein? War er mit der Mafia im Bunde, mit Castro-Anhängern, den Exil-Kubanern, oder gar der CIA? Konnte er mit dem Gewehr tatsächlich in Sekundenschnelle die drei Schüsse abgeben, mit einem nicht präzise eingestellten Zielfernrohr? Noch dazu geht der erste Schuss daneben, aber die zweite Kugel wird als „magische Kugel“ berühmt-berüchtigt. Sie trifft erst Kennedy, dann Connally, verursacht bei beiden Körpern insgesamt sieben Eintritts- und Austrittswunden und wird später - ohne größere Deformationen - bei Connallys Trage im Krankenhaus gefunden. Kann das sein? Und kamen nicht Schüsse aus unterschiedlichen Richtungen, wie manche Zeugen berichten?
Fragen über Fragen, die Gedankenspiele auslösen, und Skepsis. So etwa beim US-Regisseur Oliver Stone.
OTON Oliver Stone (Quelle: kinokino-Archiv BR, frei verwendbar)
„Even as a young man…involved in the murder.“
Schon als junger Mann, ohne vorgefasste Meinung über den Mord begann ich mir ein paar Fragen zu stellen, die von den Vertretern der Regierung ignoriert wurden. Denn damals fragte niemand, warum Kennedy getötet wurde. Die hauptsächliche Frage bei einem Mord lautet immer: wo ist der Mörder? Ich fragte aber: warum wurde Kennedy getötet? Wer profitierte davon? Und wer hatte die Macht den Mord zu decken? Doch niemand in den US-Medien stellte damals diese Fragen.
Für mich ist die plausibelste Erklärung des Mordes die von Jim Garrison, der die Aufmerksamkeit auf die Geheimdienste und deren Verstrickungen lenkte.“
ERZÄHLERIN
1991 erreicht die Kontroverse um den Kennedy-Mord einen Höhepunkt, als Oliver Stone mit JFK seine Sicht der Dinge als über dreistündiges Verschwörungsepos veröffentlicht, mit Kevin Costner prominent besetzt. Er verkörpert Jim Garrison, den Bezirks-Staatsanwalt von New Orleans, der Ende der 1960er Jahre das Kennedy-Attentat vor Gericht bringt. Garrison setzt einen gewissen Clay Shaw auf die Anklagebank, der mit möglichen Verbindungen zu Exilkubanern, Lee Harvey Oswald und zur CIA ins Visier der Ermittler geraten ist. Am Ende aber bleibt die Anklage wegen Verdachts der Verschwörung zum Mord am Präsidenten ohne konkrete Beweise. Shaw wird freigesprochen.
Dennoch wird der Vorwurf in Jim Garrisons Büchern und später in Oliver Stones Film deutlich: Kennedy sei durch einen Staatsstreich getötet worden, finstere Hintermänner in der CIA und aus dem militärisch-industriellen Komplex wollten verhindern, dass Kennedy den Kalten Krieg, den Vietnam-Krieg und damit die Aufrüstung stoppt.
Wie Jim Garrison vor ihm wird auch Oliver Stone massiv kritisiert, Fakt und Fiktion zu vermischen. Eine Kritik, die Andreas Etges teilt:
OTON Andreas Etges 5
„Oliver Stone zeigt nicht die Tatsachen, wie sie an dem Tag waren. Und ihm sind Dutzende faktische inhaltliche Fehler nachgewiesen worden. Aber der Film ist spannend, unterhaltsam. Er hat die Debatte befeuert und hat einen ganz großen Effekt gehabt, denn am Ende des Films wird gesagt, quasi keiner von uns wird noch erleben, dass diese Akten freigegeben werden, wo möglicherweise die Wahrheit drinsteht. Und durch den Film und die Kampagne, die die Filmfirma macht, gibt es ein Sondergesetz nur für Kennedy-Akten, die in irgendeiner Form mit der Kennedy-Ermordung zu tun haben. Millionen Seiten sind praktisch alle freigegeben worden, vielleicht noch ein, zwei Prozent nicht. Aber es hat was bewirkt: dass nämlich viel mehr Transparenz in dem ganzen Umfeld der Ermittlungen stattgefunden hat, so dass wir heute deutlich mehr über diesen Tag und auch die Fehler bei den Ermittlungen wissen, als wir es damals wussten.
Also der Film hat dadurch aus auch für Historiker und Historikerinnen eine sehr gute Wirkung gehabt. So problematisch er andererseits ist.“
MUSIK 7 (CD666410016 John Williams: Arlington 0‘37)
ERZÄHLERIN
Bis heute werden die Akten ausgewertet und halten das Interesse am JFK-Mord am Leben, in Form von immer neuen Büchern und Filmen, die spektakuläre Beweise versprechen und am Ende wenig mehr als Vermutungen bieten. Doch Kennedy bleibt weiterhin ein Publikumsmagnet: Der ewig Junggebliebene. Das Idol der Hoffnung, das nie altert und zur Frage einlädt: was wäre, wenn? Hätte er uns in eine bessere Welt geführt? Hätte er sich in seiner zweiten Amtszeit genauso in Vietnam verstrickt wie die Regierung von Lyndon Johnson? Oder hätte er sich aus Vietnam zurückgezogen und um ein rasches Ende des Kalten Krieges bemüht? Was ist aber mit dem Verlauf der Bürgerrechtsbewegung? Erst durch Kennedys Ermordung kam es zu einem überparteilichen Schulterschluss und in kürzester Zeit wurden liberale Reformprojekte und Gesetze angestoßen, die vorher undenkbar waren. Wären sie vom Senat und Kongress verabschiedet worden, hätte Kennedy gelebt? Viele Fragen, wenig Antworten. So bleibt John F. Kennedy weiterhin ein Mythos - im Leben wie im Tod.
MUSIK 10 (CD666410017 John Williams: Finale 0‘45)
OTON Andreas Etges 6
„Von daher lebt der Mythos tatsächlich auch davon, dass das unerfüllt geblieben ist. Eine ganz berühmte amerikanische Biografie zu Kennedy heißt im Untertitel „An Unfinished Life“, ein unvollendetes Leben. Aber wir können uns alle noch Vorstellungen machen, wie vollendet oder wie dieses Leben wohl weitergeführt worden wäre und was es sowohl für die USA als auch die Welt bedeutet hätte. Die Geschichte wäre sicherlich anders verlaufen, auch der Vietnamkrieg wäre anders verlaufen, da bin ich sicher. In welcher Form? Da kann man natürlich nur spekulieren.“
STOPP
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