Das Licht in der Malerei - Kerzen, Glanz und Sonnenstrahlen
Licht haucht einem Gemälde Leben ein, es formt die Gegenstände und den Raum und vor allem: Es sorgt für die richtige Stimmung. Aber mit welcher Farbe stellt man Licht eigentlich dar? Warum schwärmen so viele Künstler vom Licht des Südens? Und warum sind trotzdem viele Gemälde so dunkel? Autorin: Julie Metzdorf
Credits
Autor/in dieser Folge: Julie Metzdorf
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Andreas Neumann, Susanne Schroeder
Technik: Christine Frey
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Dr. Bernhard Maaz, Kunsthistoriker und Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München;
Dr. Karin Althaus, Kunsthistorikerin Lenbachhaus München
Literaturtipps:
„Über das Licht in der Malerei“ von Wolfgang Schöne, erschienen 1951 im Gebr. Mann Verlag Berlin.
Dieses Buch behandelt den Zeitraum von der mittelalterlichen Buchmalerei bis ins 20. Jahrhundert. Das Buch ist allerdings vergriffen und nur noch antiquarisch erhältlich.
Eine sehr gute Vertiefung des Themas bieten auch die Kataloge zu den Ausstellungen:
„Die Nacht“ im Münchner Haus der Kunst 1998/99;
„Sonne. Die Quelle des Lichts in der Kunst“ im Museum Barberini in Potsdam 2023.
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Kunstverbrechen - True Crime meets Kultur
Juwelenraub, geschmuggelte NS-Kunst, Fälscherskandale, verschollene Gemälde: Lenore Lötsch und Torben Steenbuck rollen spektakuläre Kunstdiebstähle auf. Sie nehmen uns mit an Tatorte, treffen Zeugen und Experten. Die Hosts arbeiten dabei mit der Polizei zusammen: Deutschlands bekanntester Kunst-Kommissar René Allonge vom LKA Berlin ist in jeder Folge dabei.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLER
Im alten Griechenland, genauer gesagt in Sikyon auf der Halbinsel Peleponnes, lebte der Überlieferung nach ein Töpfer mit seiner Tochter. Eines Tages verabschiedet sich der Geliebte dieser Tochter auf eine Reise. Um ein Andenken an ihn zu haben, setzt sie ihn seitlich vor eine Wand, stellt eine Lampe vor sein Gesicht und zeichnet den Schatten seines Profils an die Wand.
ERZÄHLERIN
Dieser von Plinius überlieferte Mythos gilt als die Geburtsstunde der Malerei. Und eines war selbst für diese einfache Konturlinie unabdingbar: Licht.
1 OT Bernhard Maaz
Ohne Licht nichts los, als ganz knappe Formel.
ERZÄHLERIN
Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.
2 OT Bernhard Maaz
Licht ist entscheidend für alles in der Wahrnehmung von Malerei.
MUSIK: „UNO“ - C138761#001 (1:00)
ERZÄHLER
Da wäre zunächst mal das Licht, in dessen Strahlen das Kunstwerk entsteht: bei Kerzenschein, wie die mittelalterliche Buchmalerei in den Skriptorien großer Klöster. Oder bei Sonnenlicht, wie die Freilichtmalerei, an der Staffelei auf dem Feld, wenn sich Wolken vor die Sonne schieben und sich das Licht minütlich ändern kann! Oder bei gleichmäßigem Nordlicht in den Dachgeschosswohnungen mit hohem Atelierfenster von Schwabing, Paris oder Berlin?
ERZÄHLERIN
Dann sind da die Lichtverhältnisse, unter denen wir Malerei betrachten. Die Büffel und Antilopen früher Höhlenmalereien müssen im unruhig flackernden Fackelschein wie bewegt, fast lebendig ausgesehen haben. Es ist auch ein Unterschied, ob ich Wandmalereien im schummrigen Licht einer romanischen Kapelle mit kleinen Fenstern in dicken Mauern betrachte, oder ob ich in einem gleichmäßig beleuchteten Museumssaal praktisch unter Laborbedingungen jeden einzelnen Pinselstrich eines Gemäldes analysieren kann.
3 OT Bernhard Maaz
In der Schöpfungsgeschichte, Moses 1. Buch, da trennt Gott Himmel und Erde, das ist sein erster Schöpfungsakt und der zweite ist: Er schafft das Licht. Das skizziert vielleicht die Tragweite des Lichtes für alles, was kommt, für alles Leben, für alles Wahrnehmen, für alles Sehen.
MUSIK: „Decision“ – C1423688#010 (0:31)
ERZÄHLER
Und dann ist da das Licht im Bild. „Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis“, heißt es in der Bibel. Wo Licht ist, ist also auch Schatten. Mittelalterliche Buchmalerei und Fresken aber kennen zunächst keinen Schatten. Bis ins 15. Jahrhundert hinein werden Menschen, Tiere, Pflanzen und Dinge nicht beleuchtet, sie leuchten von selbst.
ERZÄHLERIN
Das Gesicht des Heilands, Marias Mantel, Throne, Schafe, Palmwedel: alles erstrahlt im sogenannten „Eigenlicht“. Es ist ein unnatürliches Licht, außer-irdisch, gewissermaßen. Der Betrachter blickt auf eine fremde Welt, in der andere physikalische Gesetze zu herrschen scheinen als in seiner eigenen irdischen Schattenwelt. Mit Blick auf die Motive dieser Zeit, die fast ausschließlich Szenen der christlichen Heilsgeschichte zeigen, ist klar: Das Licht in der Malerei des Mittelalters ist ein Offenbarungslicht.
ERZÄHLER
1522 malt Antonio da Correggio „Die heilige Nacht“. Das Bild in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden zeigt das frisch geborene Jesuskind in seiner Wiege. Die Umgebung verliert sich im Dunkel der Nacht, rund um das Kind ist das Bild allerdings extrem hell. Doch kein besonderer Lichtstrahl fällt auf die Wiege – es ist das Kind selbst, das so leuchtet.
4 OT Bernhard Maaz
Das Christuskind liegt in dem Stroh, wie die Bibel das berichtet, und von dem Kind geht ein Glimmen, ein Leuchten, ein Strahlen aus, was die Muttergottes und die Hirten, die herbeigeeilt und die Engel, die herbeigeflattert sind, alle anstrahlt. Das ist das göttlichste Licht, was man sich nur vorstellen kann.
ERZÄHLERIN
Mittelalterliche Verkündigungsdarstellungen zeigen das göttliche Licht oft sogar ganz konkret. Eines der schönsten Beispiele dieses Motiv stammt von Fra Filippo Lippi und befindet sich in der Alten Pinakothek in München. Über Maria und dem vor ihr knienden Erzengel Gabriel sieht man links oben Gottvater. Von dort aus durchzieht ein Lichtstrahl in gerader Linie das gesamte Gemälde direkt auf Marias Herz zu. Mitten auf dem Lichtstrahl sitzt eine Taube und rutscht auf einer kleinen hellblauen Wolke auf Maria zu.
6 OT Bernhard Maaz
Das ganze Bild ist von Licht, von natürlichem Licht durchströmt. Das hat der Renaissance-Maler genau gesehen, genau beobachtet, auch in seinen Wirkungen, dass das Licht die Figuren plastisch macht. Aber es kommt eben der goldene Strahl als heiliges Licht noch dazu. Wir haben also verschiedene Bedeutungsebenen von Licht und Lichtstrahl.
MUSIK: „Until it blazes“ – C504944#014 - (1:15)
ERZÄHLER
Licht ist elektromagnetische Strahlung, es ist immateriell. Licht malen heißt: die Wirkung des Lichts imitieren, seine Erscheinung nachahmen. Eine silberne Kanne bekommt weiße Glanzlichter auf ihren runden Bauch, einen schweren Baumwollstoff hingegen malt man ganz ohne Reflexe, trocken und stumpf, er soll das Licht schlucken. Es ist wie in der realen Welt: Wir müssen einen Gegenstand nicht erst berühren, um zu wissen, ob er weich oder glatt ist. Wir sehen das vorher.
Außerdem formt das Licht die Gegenstände. Ein Maler kann die Dinge mit Licht modellieren: eine Stofffalte etwa malt man in ihrem Tal, wo der Schatten ist, dunkel, ihre höchste Stelle hingegen muss hell sein.
ERZÄHLERIN
Die Ölmalerei gilt als die Königsdisziplin der Malerei, unter anderem wegen ihrer Farbbrillanz. Eine Holztafel oder eine auf einen Keilrahmen gespannte Leinwand wird mit einer weißen Kreideschicht grundiert. Dann beginnt die langwierige Arbeit der Maler:
8 OT Bernhard Maaz
Sie lasieren, legen also mehrere transparente Farbschichten oder bedingt transparente übereinander, sodass aus der Tiefe der tieferen Schichten, aus der Farbigkeit, ein Leuchten hervorkommt, weil natürlich alle Farbe, die wir sehen, nur dadurch entsteht, dass Licht auf das Pigment fällt und dass die verschiedenen Pigmente, die verschiedenen Materialien von unseren Augen wahrgenommen werden, weil sie das Licht in verschiedenen Spektren reflektieren.
ERZÄHLER
Das Licht dringt also tief in die Malschichten ein und wird von dort zurückgeworfen. Von Tizian weiß man, dass er 150 Lasuren übereinander malte. Das Bild mag am Ende trotzdem nur wenige Millimeter dick sein, doch genau diese Lasuren machen den Unterschied zwischen einer aus der Tiefe des Raums leuchtenden Fackel und einem gelben Fleck.
ERZÄHLERIN
Trick Nummer zwei sind die Kontraste. So wie das Licht am Ende eines Tunnels besonders hell strahlt, so gilt auch für die Malerei: Je dunkler ein Bild, desto heller wirken die lichten Partien. „Chiaroscuro“ nennt sich das, Helldunkelmalerei. Vor dunklem Hintergrund werden einzelne Partien des Bildes beleuchtet, als stünde ein starker Scheinwerfer neben dem Bild.
9 OT Maaz
Die Figur strahlt nicht von sich, sondern sie wird angestrahlt, etwa in den Bildern, die in ein sogenanntes Kellerlicht getaucht sind. Da ist die Szenerie dann geradezu theatralisch mit Schlaglichtern, mit Scheinwerfern ausmodelliert und auch von den Bedeutungen ausdifferenziert.
MUSIK: „Ascolta“ – C138761#010 - (1:33)
ERZÄHLER
Die punktuellen Helligkeiten und starken Kontraste lenken das Auge des Betrachters durch das Bild. Eine Handlung mag noch so kompliziert sein, kluge Lichtführung macht jedes Bild verständlich. Der Italiener Caravaggio gilt als Meister des Chiaroscuro, niemand vor ihm hatte solch eine Dramatik in der Malerei erreicht. Etwa um das Jahr 1600 malte Caravaggio „Die Berufung des heiligen Matthäus“. Eine Gruppe von Männern sitzt an einem Tisch, einige von ihnen zählen Münzen; es sind Zöllner. Von rechts nähert sich ein Fremder und zeigt auf den jungen Mann ganz links, am anderen Ende des Bilds.
ERZÄHLERIN
Es ist Jesus, der Matthäus zu seinem Jünger erwählt. Das Licht fällt schlaglichtartig von rechts auf die Männer, es lenkt den Blick vor allem auf ihre Gesichter und Hände, der Rest versinkt im Dunkeln. Das Gemälde befindet sich in der Kirche San Luigi dei Francesci in Rom, genau an dem Ort, für den es geschaffen wurde: an der linken Seite einer kleinen Kapelle. Durch ein Fenster über dem mittigen Altarbild fällt Tageslicht auf das Gemälde, und entspricht damit genau dem gemalten Licht im Bild.
ERZÄHLER
Das Besondere an dem Bild ist aber nicht nur die dramatische Lichtführung: Zum ersten Mal in der Kunstgeschichte wird eine heilige Handlung nicht in einem heiligen Rahmen oder in einer Ideallandschaft gezeigt, sondern in einer alltäglichen Stube. Das Fenster ist schmutzig, die Männer sind unordentlich gekleidet, manche nehmen nicht mal Notiz von dem Fremden.
ERZÄHLERIN
Es ist eine durch und durch profane, alltägliche Szenerie, und dann kommt auch noch das Licht im Bild aus der Welt des Betrachters. Ganz im Sinne der Gegenreformation ging es Caravaggio hier darum, den Menschen das göttliche Geschehen nahezubringen, es in ihre Welt zu tragen.
ERZÄHLERIN
Was wir bei der Betrachtung des Lichts in der Malerei immer mitdenken müssen: Was wussten die Maler überhaupt über das Licht und das Sehen? Im Altertum ging man wahlweise davon aus, dass das Auge einen Sehstrahl auswirft, der die Informationen über den Raum zurückwirft, oder aber, dass die Gegenstände über ihre Poren eine Art Strahlung aussenden, die in das Auge eindringt. Erst um das Jahr 1000 erkannte man den Zusammenhang zwischen Sehen und Licht. So richtig in Fahrt kommt das Wissen um das Sehen erst um das Jahr 1600.w
12 OT Maaz
Das Wissen über Licht und Lichtbrechung wächst zunehmend, es entsteht die Optik... Und es wächst die technische Raffinesse, die Ferngläser, also es gibt schon im Mittelalter, im Spätmittelalter, die Brille, aber das, was an Beobachtungsmöglichkeiten hinzukommt um 1600, ist immens. Es gibt also ein stark wachsendes Interesse an der naturwissenschaftlichen Weltbeobachtung und deren Umsetzung in der Malerei.
MUSIK: „Harmony of the spheres“ – CD06653#06 (1:03)
ERZÄHLER
Adam Elsheimers „Flucht aus Ägypten“ in der Alten Pinakothek in München steht beispielhaft für das Interesse der Maler an Licht, Physik, Wahrnehmung. In kühlem, fast bläulichem Weiß steht der Vollmond am Himmel und spiegelt sich in einem Gewässer. Dieser Mond ist so detailliert gemalt, dass man die Krater auf seiner Oberfläche erkennen kann. Auch der Rest des Nachthimmels ist für die Zeit außergewöhnlich detailreich: 1200 Sterne hat Elsheimer hier wiedergegeben, darunter mehrere bekannte Sternbilder und vor allem: die Milchstraße. Als milchig helles Band mit besonders hoher Sternendichte zieht sie sich quer über den Nachthimmel.
13 OT Maaz
Und neben dem kosmischen Licht unten im Hintergrund ein Feuer, bei dem sich Menschen wärmen, mitten in der Nacht. Das ist die nächste Verfeinerungsstufe, wenn man so sagen kann, die verschiedenen Qualitäten, das kältere Sternenlicht und das wärmere Feuer.
ERZÄHLERIN
Das Bild ist eine Sternstunde der Kunstgeschichte in doppeltem Sinn: Elsheimer malte den Himmel so genau, dass Astrologen das Bild exakt datieren konnten: Es zeigt den Himmel über Rom am 16. Juni 1609 um 21.45 Uhr. Und: Elsheimer muss den Himmel durch ein Fernrohr gesehen haben, das erst ein Jahr zuvor in den Niederlanden erfunden worden war. Denn bei solch hellem Vollmond hätte er die Milchstraße mit bloßem Auge gar nicht sehen können. Der Barockmaler zeigt hier nicht nur was er sieht, sondern auch was er weiß und vor allem: was er kann.
ERZÄHLER
Bis hierhin könnte man den Eindruck gewinnen, die Kunstgeschichte kenne nur Nachtbilder. Dabei ist die Sonne die hellste Lichtquelle von allen. Keine Lampe, kein Feuer und kein Vollmond kann es mit ihrer Strahlkraft aufnehmen. Doch die Landschaft setzt sich erst im 17. Jahrhundert als Motiv durch, dazu musste sich die Malerei erst aus dem konfessionellen Kontext lösen.
ERZÄHLERIN
Einer der ersten Maler, der die Sonne ins Zentrum des Bildes rückt, ist der Franzose Claude Lorrain. Lorrain ist bekannt für heitere, idyllische Ideallandschaften, in denen es nie regnet. Eines seiner Bilder in der Alten Pinakothek zeigt einen Seehafen bei untergehender Sonne. Lorrain malt hier die Sonne selbst, sie ist zugleich Lichtquelle und Hauptmotiv.
15 OT Maaz
Wir sehen ein Aufstrahlen am Firmament, wir sehen wie die See, die Architekturen, die Staffagefiguren, die Schiffe, die ferne Landschaft, wie alles ins Licht getaucht ist. Und er geht sogar noch weiter. Er zeigt auch die Spiegelung der Sonne auf dem Meer, bei Sonnenuntergang, bei Sonnenaufgang, also immer auch mit starken emotionalen Komponenten.
ERZÄHLER
Claude Lorrain ist der Meister des Lichtes schlechthin. Er ist allerdings nicht der einzige Maler, den man „Meister des Lichts“ nennt. Auch der britische Landschaftsmaler William Turner – ein großer Verehrer Lorrains – wird gern als „Maler des Lichts“ bezeichnet. Die Kunsthistorikerin Karin Althaus:
16 OT Karin Althaus
Es ging ihm total um Malerei, Landschaft, um Wetter, um Wetterphänomene und eben auch um Licht und wie Licht in Farbe übersetzt werden kann.
MUSIK: „Won‘t somebody see a lady home“ – C143243#001 (0:58)
ERZÄHLERIN
Turner interessierte sich für Licht und Luft in den unterschiedlichen Erscheinungsformen, für Wolken und Rauch, Staub und Ruß. Er malte das brennende Parlament in London, einen Schneesturm in den Alpen, Rauch ausstoßende Lokomotiven oder Dampfschiffe im Hafen. Er kannte viele optische Effekte, zum Beispiel, dass weit entfernte Gegenstände durch die Trübe der Atmosphäre bläulich erscheinen. Berühmt wurde Turner vor allem mit seinen späten Werken. Es sind Bilder, in denen sich die Formen langsam auflösen, Häuser, Brücken, Bäume und Menschen zerstäuben regelrecht im Licht.
17 OT Karin Althaus
Vielleicht hat Turner als einer der ersten begriffen, wenn man Licht darstellen will, dass halt dann die Kontur eines Berges nicht mehr das zentrale ist, sondern wirklich das, was das Licht mit der Atmosphäre macht.
MUSIK: „Run“ – C154752#106 (0:43)
ERZÄHLER
Maler lieben das Licht. Und zwar nicht nur den strahlend hellen Schein der Sonne oder spektakulär flackernde Fackeln in der Nacht. Auch über die warme Stube der Bürgerlichkeit lässt sich mit Licht erzählen. „Wohnzimmer mit Menzels Schwester“ heißt ein Gemälde von 1847: der Berliner Adolph Menzel malt hier den Blick in ein Wohnzimmer. Im Hintergrund sitzt die Mutter an einem Tisch und näht oder stickt, vorn im Bild steht die Schwester des Malers, sie lehnt am Türrahmen mit einer Kerze in der Hand. Bernhard Maaz:
18 OT Maaz
Wir haben also in einem Raum zwei verschiedene Lichtquellen. Wir haben die völlig verschattete, abgewendete Figur der Mutter, und wir haben die von unten, von der Kerze her anmutig beleuchtete Schwester, in deren Augen sich das Licht mit einem winzigen weißen Tupfer spiegelt.
ERZÄHLER
Zwei Lichtquellen, zwei Frauen, zwei Tätigkeiten: Die Mutter bei der Handarbeit, die Schwester selbstvergessen, sie scheint zu träumen, auf jemanden zu warten. Eine äußerst private, intime Szenerie.
19 OT Maaz
Menzel, der exzellente Beobachter, führt uns in eine persönliche Sphäre hinein in ein dunkles braun-, grün-, gelbtoniges Zimmer. Er höht, er hebt die Lichter heraus, bis hin zum weißen Saum am Ärmel der Schwester. Und er feiert das Licht in einem bürgerlichen Raum.
ERZÄHLERIN
Zu den Höhepunkten des Lichts in der Malerei gehören zweifelsohne die Bilder der Impressionisten. Sie machten es sich zur Aufgabe, das Licht selbst zu malen – in all seinen Nuancen. 1893 und 94 malte Claude Monet insgesamt 33 Bilder der Kathedrale von Rouen. Immer die gleiche Ansicht, die Westfassade mit ihren großen Portalen und dem Rosettenfenster, aber zu unterschiedlichen Tageszeiten. In grau-blauem Morgennebel, bei Sonnenuntergang in glühendem Goldgelb, in rotes Licht getaucht, oder mit harten Schlagschatten im gleißenden Mittagslicht. Mit kurzen, schnellen Pinselstrichen fängt er die flüchtigen Effekte des Lichts und der Atmosphäre ein.
ERZÄHLER
Es geht Monet nicht um die Architektur und auch nicht um Heuhaufen, von denen er ähnliche Bilderreihen malt: es geht einzig und allein um die verschiedenen Qualitäten des Lichts.
20 OT Maaz
Das ist eine Malerei des reinen Lichts und der Beobachtungen über die stark modifizierende Lichtwirkung. Monet geht eben raus und malt die Natur in ihrer Unverfälschtheit und lehrt uns differenziert zu schauen.
ERZÄHLERIN
Aber das Licht im 20. Jahrhundert hat noch mehr zu bieten. 1930 malt Lyonel Feininger die Marktkirche in Halle: Ein hohes Kirchenschiff mit steil aufragendem Dach und Doppeltürmen vor blauem Himmel. Das gesamte Bild ist von Linien durchzogen, an denen sich das Licht zu brechen scheint, als sei das Bild aus verschiedenfarbigen Papieren zusammengeklebt oder als betrachte man es durch eine gebrochene Glasscheibe.
21 OT Maaz
Man weiß gar nicht ganz genau: Kommt das Licht von oben, kommt es von unten, sind es Schattenwürfe, sind es Strahler, sind es, ja, wenn es zehn Jahre später wäre, würde man sagen, sind es Flakscheinwerfer. Es ist ein Licht aus vielen, vielen Richtungen. Und ich glaube, dass das ganz symptomatisch ist für das moderne Sehen. Dass es eben in einer Stadt die Gaslaternen gab, die elektrische Beleuchtung eingeführt wurde und die Figuren Schatten werfen, die Architekturen Schatten werfen und das ganze Geschehen im Bild sich aus Beleuchtungen entwickelt und nicht nur aus einem Sonnenlicht.
ERZÄHLERIN
Das zwanzigste Jahrhundert ist das Zeitalter der unendlichen künstlichen Lichter, der Scheinwerfer, der Tag und Nachtbeleuchtungen, der Lichtreklame. Feininger gibt dem neuen Lichtgefühl mit seiner Malerei ein Gesicht
22 OT Maaz
(Er erfasst einfach seine Zeit,) er erfasst, wie so ein Stadtraum sich darstellt und wie relative Schwärzen entstehen, wo kein Licht hinfällt. Und erfasst damit auch zugleich die Lebendigkeit des urbanen Raums.
ERZÄHLER
Neues Licht für eine neue Zeit. Und so wird es weitergehen.
23 OT Maaz
Licht wird immer eine Rolle spielen, das ist die Conditio sine qua non für die Malerei. Und die Wirkung der verschiedenen Materialitäten, in dem Licht, in der Verschattung, ist ja auch mit das Spannendste, was ein Künstler machen kann.
MUSIK: „Until it blazes“ – C504944#014 - (1:15)
ERZÄHLERIN
Und manchmal braucht man dazu nicht mal mehr Pigment: Für das Diözesanmuseum in Freising schuf der amerikanische Lichtkünstler James Turrell eine Lichtkapelle: ein Raum, ganz in helles wechselndes farbiges Licht getaucht. Es gibt keine Horizontlinie und keinen Tiefenraum, kein Oben und kein Unten, kein Motiv und keine definierbare Lichtquelle.
ERZÄHLER
Es ist, als würde man in das Licht hineinsteigen und alle Arten von Licht gleichzeitig erfahren: das außerirdische Eigenlicht des Mittelalters, Lorrains strahlende Sonne und Monets flirrendes Stimmungslicht, Turners dichte Atmosphäre und Menzels warmes Stubenlicht. Mag sein, dass Turrells Installation keine Malerei mehr ist.
Aber eines hat uns die Geschichte des Lichts in der Malerei gelehrt: Licht ist mehr als Beleuchtung. Es weist immer über sich hinaus.
ENDE
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