Pierre-Auguste Renoir - Malerei voll Licht und Luft
Auguste Renoir ist der wohl populärste Maler Frankreichs. Seine sonnendurchfluteten Bilder zeigen pure Lebensfreude: fröhliche Tänzerinnen oder Badende am See. Ernste Themen sucht man bei ihm vergeblich. (BR 2019) Autor: Julie Metzdorf
Credits
Autor/in dieser Folge: Auguste Renoir
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Annette Wunsch, Christian Baumann, Florian Schwarz
Technik: Robin Auld
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Michael F. Zimmermann
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
OT Michael Zimmermann – Museumshop
Renoir ist eine mythische Figur, als Schlüsselgestalt des Impressionismus und der Belle Époque.
ERZ.IN
…sagt der Kunsthistoriker Michael Zimmermann.
OT
Man kann sich kaum einen Kalender oder ein Buch über den Impressionismus vorstellen ohne die glücklichen Pariser Mittelschichten, ohne die schönen, ein bisschen auf ein Kindchenschema reduzierten modischen Frauen. Renoir ist heute der Impressionist par excellence. Und als solcher hat er den Geruch des Malers für den Museumsshop. Seine Motive passen auf die hübschen Tassen, auf die hübschen Teller… Er ist der zur Ware gewordene Impressionismus.
Musik hoch und aus.
ERZ.IN
Pierre-Auguste Renoir wurde 1841 in Limoges geboren. Der Vater war Schneider, die Mutter Näherin. In der Hoffnung, in der blühenden Metropole Paris mehr Geld verdienen zu können, zogen die Renoirs in die französische Hauptstadt, als Auguste noch ein kleines Kind war. Sein künstlerisches Talent wurde früh erkannt.
Musik über Sprecher „Scenes Bohemeniennes“
SPRECHER Jean Renoir – Talent
Er habe wie wild gezeichnet, berichteten seine Eltern später: Weil Papier teuer war, hat er mit Kreide auf dem Fußboden gezeichnet. Sehr zum Ärger des Großvaters. Denn es war seine Schneiderkreide, die nach und nach verschwand. Trotzdem: Die Gestalten, mit denen der Sohn die Wohnung verzierte, seien „ganz gelungen“ gewesen.
ERZ.IN
Mit 13 Jahren begann Renoir eine Lehre als Porzellanmaler und pinselte fortan Blümchen, Schäferidyllen und das Profil der Marie-Antoinette auf Kaffeetassen. Als Vorlagen dienten häufig Rokoko-Gemälde des vergangenen Jahrhunderts von Antoine Watteau oder François Boucher. Renoir verdiente recht gut, konnte mit dem Geld sogar seine Familie unterstützen. Doch nach ein paar Jahren war Schluss: Man hatte eine Maschine erfunden, die die Bilder auf Porzellan drucken konnte, und die ganze Branche brach zusammen. Renoir bemalte fortan nicht mehr Tassen und Teller, sondern Fächer, Schränke, Vorhänge und die Wände einiger Pariser Cafés. Wieder verdiente er gut, weil er viel schneller als andere arbeitete. Doch er wollte mehr:
Musik über Sprecher „Scenes Bohemeniennes“
SPRECHER Jean Renoir S. 88 – Malunterricht
Renoirs Sohn Jean berichtete später, dass der Vater die Kneipen von Paris mit Göttern und Symbolen bemalt habe. Damit habe er gar nicht schlecht verdient. Mit jedem Auftrag, der ihm Geld einbrachte, sei in ihm deswegen der Wunsch größer geworden: Er wolle einen richtigen Malunterricht in einer richtigen Schule nehmen.
ERZ.IN
Mit 21 Jahren wurde er Student der École des Beaux-Arts, arbeitete aber die meiste Zeit im privaten Atelier des Schweizer Malers Charles Gleyre, wo ein liberaler Geist und weniger Reglement herrschte. Dort freundete er sich unter anderem mit Claude Monet an, dem späteren Maler der Seerosenbilder. Zusammen mit Monet beginnt er, das „Hier und Jetzt“ zu malen, realistische Abbilder der eigenen Zeit.
Das klingt banal, war aber damals eben keine Selbstverständlichkeit. Heute gelten Künstler als Seismographen der Gesellschaft, man erwartet geradezu von ihnen, dass sie sich mit aktuellen Themen beschäftigen. Damals aber galt die Historienmalerei als das höchste aller Genres, auch literarische, mythologische und biblische Themen waren beliebt.
über Musik („ I’isle joyeux für Klavier“)
Renoir aber malte die Welt so wie sie ihm vor die Nase kam: Madame Monet, den „Figaro“ lesend. Eine junge Frau bei ihrem ersten Theaterbesuch. Cafészenen, Porträts seiner Künstlerfreunde, kleine Kinder beim Spielen. Laut Michael Zimmermann ging es Renoir und seinen Mitstreitern dezidiert darum, die eigene Zeit und gesellschaftliche Wirklichkeit abzubilden.
OT Michael Zimmermann – zeitgemäß
Die Zeit hatte regelrecht ein Programm, dass die Kunst zeitgenössisch sein sollte, dass die Kunst sich ihrer eigenen Gesellschaft widmen sollte. Aber wie Charles Baudelaire, der Dichter, das einmal in einem Aufsatz 1863 – also zu Beginn der Karriere eines Renoir - gesagt hat, man soll als Maler des modernen Lebens, durch die Mode aus dem transitorisch, dem unbedeutenden, dem dahinfließenden Leben der modernen Stadt so was wie eine Ewigkeit ziehen, erahnen und festhalten. Und Renoir hat sich wie kaum einer seiner Impressionisten-Kollegen darum bemüht, das Moderne so zu transformieren, dass er daraus eine Idylle mit Ewigkeitswerten gemacht hat.
ERZ.IN
Das genaue Hinschauen und Beobachten war für Renoir das Entscheidende. Er begann, seine Staffelei unter freiem Himmel aufzustellen und direkt nach der Natur zu malen. Diese sogenannte Pleinairmalerei war nicht völlig neu, aber Renoir und seine Mitstreiter schauten noch genauer hin.
Und plötzlich erkannten sie, dass Schatten nicht einfach nur grau oder schwarz, sondern farbig sind, vor allem blau. Sie beobachteten, wie die Gegenstände je nach Lichteinfall ihre Farben änderten. Sie sahen, wie sich die Umrisse einer Figur im flimmernden Sonnenlicht in Luft auflösten. Besonders deutlich nahm man solche Effekte an Laubwerk und Blumen wahr, an Wasser, Wolken oder an den feinen Stoffen von Frauenkleidern. All das wurde zu ihren bevorzugten Motiven. Eine technische Neuerung kam ihnen dabei zugute: Bis vor kurzem hatten Maler ihre Farben aufwändig im Atelier anrühren müssen. Mitte des 19. Jahrhunderts aber kamen die ersten Tubenfarben auf den Markt.
SPRECHER Auguste Renoir – Farbtuben
Renoir schwärmte von der Erfindung der Farbtuben: Jetzt erst war es möglich, in freier Natur zu malen, sagte er rückblickend. Ohne die Tuben hätte es weder einen Cézanne noch einen Manet gegeben, und auch keinen Impressionismus.
Musik („Reverie“)
ERZ.IN
Renoirs erstes Meisterwerk stammt aus dem Jahr 1867. Es zeigt eine junge Frau mit Sonnenschirm. Lebensgroß – als handele es sich um ein Staatsporträt – steht sie vor einem schattigen Waldhintergrund. Die Dargestellte ist Lise Tréhot, seinerzeit sein bevorzugtes Modell. Sie trägt ein leichtes Sommerkleid aus weißem Musselin, hochgeschlossen und langen wenn auch durchsichtigen Ärmeln. Sorgfältig gibt Renoir auch noch die kleinsten Details der Garderobe wieder, die schwarzen Bänder an den Ärmeln, die roten Ohrringe und den schwarz-weißen Sonnenschirm. Doch dieser Sonnenschirm ist nicht nur Beiwerk: Er wirft einen Schatten auf Gesicht und Schultern, während das weiße Kleid im prallen Sonnenlicht leuchtet. Das Gesicht der Porträtierten liegt damit im Dunkeln. Statt der Frau steht das Kleid im Zentrum. Mit gutem Grund: Renoir hat hier eben nicht Lise persönlich gemeint, sein Bildnis steht vielmehr beispielhaft für die elegante Pariserin schlechthin, eine modebewusste junge Frau aus der Stadt, die in der Natur Abwechslung sucht und damit exemplarisch für das moderne Leben steht.
OT Michael Zimmermann – nur teilweise emanzipatorisch
Da gibt es auch ein Element der Emanzipation, plötzlich haben diese Frauen vom Lande, die nach Paris drängten, dort kleine Arbeiten hatten, man nannte die Midinette, weil sie ihr Pausenbrot zu Mittag, a midi, auf den öffentlichen Banken verzehrten, diese Frauen konnten modisch sein, sie konnten sich entweder diese Prêt-à-porter-Mode leisten oder sie konnten sie nachnähen, da gab es ab den 1850er Jahren Zeitschriften mit Schnittmustern, das war ein Schritt zu einer gewissen Emanzipation…
ERZ.IN
Renoir hatte in dieser Zeit laufend Geldsorgen, seine Ersparnisse waren längst aufgebraucht. Doch er malte kein einziges Bild, in dem die Armut auch nur ansatzweise spürbar wäre: kein schlechtes Wetter, keine frierenden Menschen, keine Bettler, keine Traurigkeit, nichts Negatives, nirgends.
ERZ.IN
Es gab nur einen einzigen Kunsthändler, der damals den Mut hatte, die Bilder der Impressionisten in seiner Galerie zu zeigen. Der „Figaro“ schrieb darüber:
Musik über Zitator („Tarantella“)
ZITATOR Albert Wolff (in „Le Figaro“ 1876, über Ausstellung bei Durand-Ruel)
Diese sogenannten Künstler… nehmen Leinwand, Farbe und Pinsel, werfen auf gut Glück ein paar Kleckse hin und signieren das Ganze; genauso wie die verwirrten Gemüter in der Irrenanstalt Ville-Evrard Kiesel aufsammeln in dem Glauben, sie hätten Diamanten gefunden. (…) Mach einer doch Monsieur Renoir klar, dass der Körper einer Frau kein verwesender Fleischhaufen mit grünlich-violetten Flecken darauf ist, die bei einer Leiche den Zustand völliger Auflösung bezeichnen!
ERZ.IN
Da auch ihr wohlgesonnener Galerist wirtschaftlich an seine Grenzen kam, organisierten Renoir und Claude Monet, zusammen mit Alfred Sisley, Edgar Degas, Camille Pissarro und einigen weiteren Freunden 1874 eine eigene Ausstellung. Eines der ausgestellten Bilder von Monet zeigte einen Hafen im Morgennebel. Am Horizont liegen Schiffe vor Anker, vorne sind ein paar Fischerboote zu erkennen. Im Hintergrund durchbricht das Rot der aufgehenden Sonne das Graublau des Bildes. Wegen seiner Skizzenhaftigkeit geriet gerade dieses Bild in den Fokus der Kritiker. Viele behaupteten, sie könnten gar nicht erkennen, was dargestellt sei.
Musik über Zitator („3. Satz Grand Concerto G-Dur“)
ZITATOR Louis Leroy 25.4.1874 in „Le Charivari“
Eine Tapete in ihrem embryonalen Zustand ist ausgearbeiteter als dieses Seestück!
ERZ.IN
Monet hatte das Bild „Impression – Soleil levant“, Sonnenaufgang, genannt. Nach dem Titel dieses Bildes wurde die Gruppe von einem Kritiker „Impressionisten“ genannt. Es dauerte nicht lang und die Freunde nutzten diesen eigentlich als Spottnamen gemeinten Namen auch selbst. Denn es stimmte ja: Sie wollten eine Landschaft oder Szenerie nicht hyperrealistisch und exakt wiedergeben, sondern den Eindruck, die Impression, die das Motiv in ihnen hervorgerufenen hatte.
Renoir malte die Wirklichkeit zwar so, wie er sie sah, aber seine Malerei erfasste dabei nicht die volle gesellschaftliche Wahrheit.
SPRECHER Auguste Renoir – Bild
In Gesprächen mit seinem Kunsthändler äußerte Auguste Renoir: Es gebe genug unerfreuliche Dinge auf der Welt, als dass man noch weitere fabrizieren müsse. Hübsch, erfreulich und liebenswert – so sollen für ihn Bilder sein.
Musik („Divertissement pour une fete“)
ERZ.IN
Sein wohl berühmtestes Gemälde, der „Tanz im Moulin de la Galette“ 1876 hängt heute im Musée d’Orsay in Paris. Michael Zimmermann:
OT Michael Zimmermann – Moulin de la Galette 1
Das ist eine Tanzszene in einem öffentlichen Garten am Mont Martre, der hat nach einer alten Mühle, die dort mal war, der hieß das Moulin de la Galette. Und dort zeigt er nun schöne Paare mit charaktervollen Männern, … tanzend oder im innigen Gespräch mit sehr hübschen Frauen, es gibt so dieses hinreißende Frauenmodell, das Modell der Parisienne, die wie die Zeitgenossen nicht müde wurden auch in Reiseführern zu schreiben, immer anbetungswürdig ist, toujours adorable, da gibt es im Vordergrund zwei Frauen, die sehen aus wie Zwillinge.
ERZ.IN
Im Grunde ähneln sich alle Frauen auf dem Bild: jung, hübsch, fröhlich, dunkelblond, sehr bedacht auf ihre Garderobe. Über der Tanzfläche, den Tischen und Stühlen erstreckt sich ein Laubdach. Durch die Blätter fallen gelbe Flecken von Sonnenlicht auf die Gesichter, die Kleidung und den Boden. Als Modelle dienten Renoir seine Malerfreunde und deren Freundinnen. Was er zeigte war ein bunt gemischtes Publikum: Arbeiter, Künstler, Arbeitslose, hochgebildete Literaten, Mädchen vom Land trafen sich hier, um sich zu vergnügen.
In Frankreich entwickelt sich die Mittelschicht gerade als staatstragende Gesellschaftsschicht. Eben dieser Mittelschicht gab Renoir ein Gesicht:
Musik aus
OT Michael Zimmermann - Kunstgeschichte
Das war wichtig, dass nicht die alten traditionellen Gesellschaftsschichten oder auch nicht die ganz revolutionären Avantgarden, die an neuen wissenschaftlichen Kunstsprachen arbeiteten, sondern dass dieses neue Volk, das sowohl politisch wie auch kommerziell seinen Platz suchte und fand im Impressionismus eine Identität fand. Dafür ist Renoir ohne Zweifel eine Schlüsselfigur.
ERZ.IN
Was Renoir malt, ist ein erträumtes Glück und keine soziale Wirklichkeit. Die prekären Lebensverhältnisse der Bohemiens, die Notlage der Frauen, die ihren Körper verkaufen mussten, Syphilis, ungewollte Kinder, die Frauen zur Adoption freigeben mussten – all das blendete der Künstler aus. Aber die Zeitgenossen wussten, dass es sich auf dem Bild „Tanz im Moulin de la Galette.“ um ein Glückskonstrukt handelte.
OT Michael Zimmermann – Moulin de la Galette 2
Dieses Ambiente hatte durchaus die Reputation, dass sich dort Prostituierte aufhielten. Für ihn war aber der abfällige, grausame oder allzu sozialkritische Blick auf dieses Milieu nicht das, was er anstrebte. Er warf dem berühmten Schriftsteller Zola vor in dieser Weise auf solche Milieus zu blicken, mit einem grausamen analytischen Blick. Und er meinte dadurch würde unterschlagen der große Reichtum an Emotionen, an Sensibilität, an echter Liebe, der eben gerade auch in diesen Milieus, die nicht durch die Prostitution gekennzeichnet sind, wo sie aber immer auch in ihren Mischformen zum Beispiel der ausgehaltenen Frau nicht weit war.
ERZ.IN
Lise etwa, die junge Frau mit dem Sonnenschirm, war nicht nur sein Modell, sondern auch sieben Jahre lang seine Geliebte. Zwei Mal wurde sie von Renoir schwanger, doch weder Renoir noch Lise selbst nahmen die Kinder an. Der erstgeborene Sohn scheint früh verstorben zu sein; zu seiner Tochter Jeanne, die nach der Geburt zur Adoption freigegeben wurde, hielt Renoir zeitlebens Kontakt.
SPRECHER Auguste Renoir – Tochter
Als sie ihren Mann verlor, schrieb er ihr, dass er sie auch jetzt nicht allein lassen werde – bis zu ihrem 38. Lebensjahr habe er sie nie im Stich gelassen. Und das werde er auch weiterhin nicht tun.
ERZ.IN
Öffentlich aber machte er diese Vaterschaft nie. Mit seiner späteren Frau, der Schneiderin Aline Charigot, bekam Renoir noch einmal drei Söhne. Der zweitgeborene, Jean Renoir gilt heute als einer der einflussreichsten Regisseure aller Zeiten. In den 1960er Jahren schrieb er ein Buch über seinen Vater, in dem er ihn – nicht nur in pädagogischen Fragen – als äußerst liberalen Menschen schildert. Der Vater sei sehr nachsichtig gewesen, solange sich die Kinder sich respektvoll gegenüber Menschen und Dingen verhielten.
Ende der 1870er Jahre stellten sich endlich erste Erfolge ein, Renoir verkaufte hin und wieder ein Bild und konnte sich erste Reisen leisten. Er fuhr nach Algerien und Italien – natürlich des Lichts und der Farben wegen!
Doch ausgerechnet jetzt geriet der „Maler des Glücks“ in eine künstlerische Krise.
SPRECHER Auguste Renoir – Freilichtmalerei
Im Nachhinein bezeichnete er den Impressionismus in Gesprächen mit Freunden als eine „Sackgasse“ und die Freilichtmalerei als „zu umständlich“. Für aufwändigere Kompositionsarbeiten tauge die Arbeit im Freien nicht, weil sich das Licht ständig verändere.
ERZ.IN
In den 1880er Jahren wurden seine Farben kühler und glatter, die flirrenden Umrisse wichen festen Konturen, die Körper wurden plastischer, die Linien präzise, Sonnenflecken auf der Haut sucht man nun umsonst. Es ist eine klassische Malweise, weit entfernt von jedweder Avantgarde.
Diese Krise befiel auch die anderen Impressionisten. Ihr Bestreben, die bürgerliche Wirklichkeit in Form von heiteren Festen und intimen Szenerien abzubilden stand letztlich im Widerspruch zur gesellschaftlichen Realität in all ihren Facetten. Außerdem hatten sie ja ihr Ziel erreicht. Der harte Durchsetzungskampf ihrer Kunst schien jedenfalls gewonnen.
OT Michael Zimmermann – Krise
Das Statement zugunsten der neuen Schichten scheint nicht mehr notwendig zu sein, und die Maler ziehen sich ein bisschen in eine Kunst, die mehr Selbstzweck, in eine Kunst des L’art pour l‘art zurück.
Musik („Gymnopedie für Klavier Nr. 1“)
ERZ.IN
In Renoirs Spätwerk gibt es fast keine Szenen des Pariser Alltagslebens mehr. Stattdessen malt er zeitlose Aktfiguren im Freien. Die „Großen Badenden“ von 1887 etwa zeigen fünf Mädchen an einem Weiher am Waldrand. Eine will ihre Freundinnen am Ufer nassspritzen. Während seine früheren Idyllen ganz konkrete Orte zeigten – das Tanzlokal am Moulin de la Galette, die Badeanstalt „La Grenouillère“ an der Seine, den Wald von Fontainebleau – ist die Idylle hier jeder Zeit und jedem Ort völlig enthoben. Aus den Pariser Nähmädchen sind Nymphen geworden. Renoir ist nicht mehr der „Maler des modernen Lebens“.
Üppige Akte in einer paradiesischen Natur werden zu seinem Hauptmotiv. Die Frauen erscheinen nicht als Personen mit eigenem Charakter, Wünschen und Sehnsüchten, sondern als auf ihre Weiblichkeit reduzierte Gestalten, „allein zu Erotik und Mutterschaft berufen“, wie Michael Zimmermann es ausdrückt. Renoir malte Frauen wie Blumen oder Früchte, inmitten der Natur, mit der sie sich zu vereinen scheinen.
Musik aus
OT Michael Zimmermann – Naturhaftes Frauenbild
Schon im 19. Jahrhundert haben Sozialanthropologen die Frau als naturhaft betrachtet, während der Mann dem als zivilisatorisches Wesen entgegengestellt wurde. Das war sicherlich auch zum Teil das Frauenbild Renoirs, wie es durch verschiedene Quellen auch belegt ist, nicht zuletzt auch durch das Buch, das sein Sohn, der berühmte Regisseur Jean Renoir über seinen Vater im Jahr 1962 geschrieben hat.
SPRECHER Jean Renoir S. 78-79 – Frauenbild
Jean Renoir nahm in der Haltung seines Vaters „seltsame Widersprüche“ wahr. Der Vater habe zwar von der Überlegenheit der Frau gesprochen, aber seine Worte über die weiblichen Emanzipationsbestrebungen konnten durchaus sarkastisch sein. Einmal soll er gesagt haben: „Was man auf der einen Seite gewinnt, verliert man auf der anderen. Wenn die Frauen an Bildung zunehmen, so kommt ihnen vielleicht anderswo etwas abhanden. Ich habe Angst, dass die kommenden Generationen für die Liebe untauglich werden.“
ERZ.IN
Mit Anfang 50 zeigten sich bei Renoir Anzeichen von Rheumatismus. Wegen des milderen Klimas verbrachte er die Winter nun an der Mittelmeerküste, später zog er ganz nach Cagnes-sur-Mer an der Côte d‘Azur. Sein Haus, das er dort in einem Olivenhain bauen ließ, ist heute ein Museum. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er im Rollstuhl.
SPRECHER Jean Renoir S. 314-315 – Rheuma
Sein Sohn Jean beschreibt diese Zeit in seinem Buch eindringlich. Von Jahr zu Jahr sei das Gesicht des Vaters schmaler geworden, und die Hände immer verkrümmter. Die drei Bälle, mit denen er morgens immer so geschickt jongliert hatte, habe er nicht mehr greifen können. „Verdammt, ich werde ein Tapergreis“, soll er gebrüllt haben…
Musik („6 Years later“)
ERZ.IN
Ein Tapergreis, der nicht mehr malen kann… Renoir ließ sich den Pinsel an die Hand binden. Und so malte er weiter, Tag für Tag: heiter, harmonisch, farbenprächtig, Aktdarstellungen, Porträts, den spätgeborenen Sohn Coco und immer häufiger Blumenstilleben. Als er am 3. Dezember 1919 im Alter von 78 Jahren starb, hinterließ er mit 7000 Arbeiten ein in der Geschichte der Malerei fast unerreicht großes Gesamtwerk. Nicht jedes seiner Bilder ist ein Meisterwerk. Renoir aber war zufrieden.
SPRECHER Auguste Renoir – Ende
Nachdem er sein letztes Bild vollendet hatte soll er gesagt haben: „Ich glaube, allmählich verstehe ich etwas davon.“
Musik aus.
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