Der Saum in der Landschaft - Was existiert zwischen Feld, Bach und Wald?
Die Übergänge zwischen Acker und Feld, Wald und Wiese, Bach und Straße werden immer weniger. Dabei ist längst klar, dass diese kleinen Landschaftsstreifen besonders wertvoll sind für die Artenvielfalt. Für viele Säugetiere, Pflanzen und Insekten sind diese "Säume" zwischen verschiedenen Landschaftsnutzungen der ideale Ort, um zu überleben. Autorin: Daniela Remus
Credits
Autorin dieser Folge: Daniela Remus
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Rahel Comtesse, Frank Manhold
Technik: Susanne Harasim
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Prof. Rainer Buchwald, Biologe, Universität Oldenburg;
Dr. Lena Neuenkamp, Biodiversitätsforscherin, Universität Münster;
Prof. Georg Petschenka, Insektenkundler, Universität Hohenheim;
Prof. Andreas Schweiger, Ökologe, Universität Hohenheim
Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren:
Biotopvernetzung - Wenn Lebensräume verbunden werden
JETZT ANHÖREN
Was macht Moore so wertvoll? - Alles Natur
JETZT ANHÖREN
Flechten, Meister der Extreme - Alles Natur!
JETZT ANHÖREN
Neophyten, die eingeschleppten Pflanzen - Alles Natur
JETZT ANHÖREN
Weitere Überblicksinformationen zum Thema, zusammengestellt vom BR:
Welt verbessern: Wie mach' ich Säume in der Landschaft?
JETZT ANHÖREN
Der Saum in der Landschaft: Mehr als eine Randerscheinung
JETZT ANHÖREN
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
CUT - Das Silvester, das uns verfolgt | ARD Audiothek
In diesem Podcast gehen wir auf eine Reise: Von 2015 bis Heute. Und sehen: Diese Nacht hat einen Riss in der Gesellschaft hinterlassen. Damals wurden mehr als 600 Frauen Opfer von sexuellen Straftaten. Die Täter: Meist Männer aus Nordafrika. Dieses Täterprofil hat Debatten über Integration, Flucht und Sicherheit verändert. Bis heute. Was haben wir in Sachen Migration und Asyl gelernt, ignoriert und verpasst seit der Kölner Silvesternacht 2015? Wir reden über Ängste und Angstmacher, Täter und Opfer, die AfD und über ein kleines Dorf in der Eifel, Marmagen. Wir hören die Geschichten derer, die von der Nacht nicht losgelassen werden. So wie uns alle die Silvesternacht 2015 bis heute nicht loslässt.
ZUM PODCAST
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | RadioWissen
JETZT ENTDECKEN
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | RadioWissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ATMO (Sommeratmo, Vögel zwitschern usw., verblenden mit Atmo von Straße oder Bach oder Traktorfahrt) dann darüber:
SPRECHERIN
Sie sind klein, schmal, oft auch etwas kümmerlich und werden häufig übersehen: Die Ränder oder Übergänge von einem Landschaftselement zum nächsten. Zwischen Acker und Wald, Bach und Straße, Wiese und Feld. Den meisten Menschen fallen sie nicht auf, denn sie sind ein „Dazwischen”. Der Name für diese kleinen Biotope: Saum oder Saumhabitat, aber auch – wissenschaftlicher gesprochen – Refugialfläche, Puffer oder Ökoton. Das Lexikon der Biologie beschreibt den Saum als einen…
ZITATOR
„…wachsenden Streifen von krautigen, meist mehrjährigen Pflanzen, der sich floristisch und damit auch strukturell vom angrenzenden Nutzland (Wiese, Acker, Weide) oder von Wegen absetzt. Je nach Wasser- und Nährstoffhaushalt sind die Säume sehr verschiedenartig aufgebaut.”
ATMO (vom Anfang nochmal hoch)
SPRECHERIN
Denn es kommt darauf an, wo sie sich befinden. Welche Bereiche der Landschaftsnutzung umsäumen sie? Wälder, Äcker oder Bäche? Oder unterbrechen sie als sogenannte Knicks mit Hecken und Sträuchern landwirtschaftlich genutzte Felder?
TAKE 1 (O-Ton Schweiger) L: 0, 15
Grundsätzlich kann man unterscheiden zwischen menschlich gemachten Saumhabitaten und Saumhabitaten oder Ökotonen, die durch nicht menschliches Zutun gestaltet werden, die dann generell als Ökotone bezeichnet werden.
SPRECHERIN
Erklärt Andreas Schweiger, Professor für Pflanzenökologie von der Universität Hohenheim. Natürliche Saumhabitate finden sich beispielsweise in den Bergen: Die Übergange vom Wald in Grasland oder alpine Matten. Außerdem kommen natürliche Säume zum Beispiel auch in den nördlichen Breitengraden vor. Auch dort stellen sie den Übergang dar von bewaldeten Zonen zum offenen, steppigen Gelände der Tundra.
ATMO (Wind pfeift eisig)
SPRECHERIN
Wenn wir hierzulande über diese Übergänge sprechen, dann geht es in der Regel um andere Säume, nämlich um die von Menschen. Also um die Ränder von Äckern, die Bereiche zwischen Wald und Wiese oder die Böschungen von Bächen und Flüssen. Naturschützerinnen und Biologen fordern, diese oft unscheinbaren Streifen Land besser zu schützen. Denn diese Biotope seien ein Rückzugsort für viele Tier- und Pflanzenarten, und damit für den Erhalt der Artenvielfalt unersetzlich. Was das Besondere an einem solchen Übergangsgelände ist, das lässt sich am Beispiel eines Waldrandes anschaulich machen:
TAKE 2 (O-Ton Buchwald) L: 0, 20
Da gibt es eine bestimmte Abfolge, die nennt man Zonierung oder Zonation, das heißt, da sind vier Zonen nebeneinander geschaltet, die interessanterweise auch durch eine zeitliche Veränderung miteinander verbunden sind…
SPRECHERIN
Erklärt der Biologe Rainer Buchwald. Er ist emeritierter Professor an der Universität Oldenburg.
TAKE 3 (O-Ton Buchwald) L: 0, 30
Das ist einmal der eigentliche Wald, mit einem besonderen Waldinnenklima und der Wald ist eben gekennzeichnet durch die Dominanz von Bäumen… dann das nächste ist der Waldmantel, der ist dem vorgelagert sozusagen und ist dominiert von Sträuchern oder jungen Bäumen kann man auch sagen, und der unterscheidet sich vom Wald durch ein anderes Mikroklima.
SPRECHERIN
Unter dem Begriff Mikroklima verstehen die Biologen einerseits die klimatischen Bedingungen in Bodennähe bis zu einer Höhe von rund 2 Metern. Und andererseits ist damit das Klima gemeint, in einem kleinen, klar definierten Bereich. Zum Mikroklima gehört die Bodenbeschaffenheit eines Geländes, die Art und Dichte der vorherrschenden Pflanzen und die Lichtverhältnisse. Aber auch Standortbedingungen wie Wind beeinflussen das Mikroklima. Der Waldmantel, in der Aufteilung von Rainer Buchwald Zone zwei, geht in den Waldsaum über und erst danach, als Zone vier beginnt das Kulturland. Das kann ein Acker sein oder eine Straße. Jede dieser vier Zonen weist ein ganz spezielles Mikroklima auf. Und das bedeutet: Die Zonen unterscheiden sich durch die Sonnenbestrahlung, Feuchtigkeit oder die Bodendichte. Und dementsprechend lassen sich in diesen vier Zonen sehr unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten nieder.
TAKE 4 (O-Ton Buchwald) L: 0, 30
Man sagt, dass ein Wald, damit er ein richtiges Waldinnenklima hat, sollte er mindestens 1-2 Hektar groß sein. Davor ist er den Randeinflüssen zu stark ausgesetzt und ein richtiges Waldinnenklima bildet sich nicht. Der Waldmantel, wenn er von verschiedenen Sträuchern besiedelt ist, sollte mindestens wenn es geht 4-5 oder noch mehr Meter breit sein. (…) Und dann kommt der Waldsaum, der wieder ein anderen Mikroklima hat, der ist noch stärker besonnt oder offen und ist deshalb den äußeren Einflüssen stärker ausgesetzt als der Wald selber (…)
SPRECHERIN
Waldsäume können eigenständige Biotope sein. Sie bieten dann sichere Brutplätze und Nahrung wie Früchte, Nektar oder Pollen. Insekten, Spinnen, Vögel und kleinere Säugetiere leben dann hier. Um aber als eigenständiges Biotop überhaupt bestehen zu können – gegen die äußeren Einflüsse – können Saumhabitate nicht beliebig groß oder klein sein, sie brauchen eine Mindestgröße.
TAKE 5 (O-Ton Buchwald) L: 0, 10
Das ist die Krux: Fluch und Segen eines Saums ist eben, dass er einerseits was Eigenes ist, aber auf der anderen Seite in der heutigen Landschaft sehr häufig unter die Räder kommt.
SPRECHERIN
Und damit meint er, dass sie nicht genug in ihrer Besonderheit beachtet werden. Deshalb fordert Rainer Buchwald, dass kein Saum schmaler sein dürfe als zwei Meter, denn sonst sei dieser bewachsene Rand eben kein Biotop, in dem sich die dafür typischen Tiere und Pflanzen ausbreiten können. Neben der Mindestgröße sei darüber hinaus noch ein weiterer Aspekt entscheidend, damit ein solches Gelände auch tatsächlich als Biotop funktionieren kann: Seine Pflege. Denn diese kleinen Landschaftsflecken dürfen nicht komplett verwildern, nicht komplett zuwachsen, um ihre Eigenart nicht zu verlieren, betont der Vegetationskundler Rainer Buchwald:
TAKE 6 (O-Ton Buchwald) L: 0, 25
Ein Saum ist immer ein Offenbiotop und wenn irgendwann Gehölze aufkommen, dann muss eben ein Landwirt oder eine Gemeinde oder ein Naturschutzverband …muss diese Bereiche pflegen, und das Beste, was man da machen kann, ist eben einmal im Jahr mit dem Mäher drübergehen, damit die nicht zuwachsen und wirklich einen Offencharakter haben.
SPRECHERIN
Denn, um beim Waldrand-Beispiel zu bleiben, würde der Waldsaum nicht immer mal wieder gemäht, allerdings höchstens einmal pro Jahr, dann würde sich der Wald nach und nach auf dieses Territorium ausbreiten.
ATMO (Waldatmo)
SPRECHERIN
Es gibt Tiere und Pflanzen, die sowohl in den kleinen Übergängen als auch im angrenzenden Wald vorkommen. Aber sie brauchen diese unterschiedlichen Biotope für verschiedene Lebensphasen. Die Brut mancher Insekten ist z.B. im Wald perfekt aufgehoben, während die geschlüpften Insekten bessere Lebensbedingungen im Saumhabitat haben. Und manche Arten erfüllen in den unterschiedlichen Umgebungen unterschiedliche Funktionen.
TAKE 7 (O-Ton Petschenka) L: 0,30
So kann es z.B. sein, dass sich am Waldsaum oder am Rand eines Waldweges da kommt beispielsweise durchaus mal ein Baumschößling hoch, und der Baum ist nicht gleich Baum. Der Baum kann ökologisch eine ganz andere Funktion haben, wenn er als kleiner Schößling irgendwo am Wegrand steht, als wenn er eine ausgewachsene Eiche oder Buche im Mischwald ist. Weil manche Insekten beispielsweise ihre Eier nur an Stockaustriebe legen… und da macht es einen ökologischen Unterschied, ob ich einen Baum oder einen Baumschößling vor mir habe und deshalb ist ein Rand oder Saumhabitat ganz wichtig.
SPRECHERIN
Der Lebenszyklus der Pflanzen ist mit dem anderer Arten aufs engste verknüpft, sagt Georg Petschenka, Professor für Insektenforschung an der Universität Hohenheim. Manche Schmetterlinge nutzen junge Bäume zur Eiablage, Wildbienen brauchen Totholz zum Brüten während andere Insekten sich von der Baumrinde ausgewachsener Bäume ernähren. Und nicht zu vergessen, die verblühten Blühwiesen bieten vielen Insekten Unterschlupf als Winterquartier. Deshalb ist es notwendig, unterschiedliche Biotope bestehen zu lassen oder sie anzulegen, um die Artenvielfalt zu erhalten bzw. das Artensterben zu verlangsamen. Und noch ein Beispiel, das zeigt, wie wichtig Saumhabitate sein können: An Gewässern beispielsweise stabilisieren Büsche und kleine Bäume das Ufer und beschatten im Sommer das Wasser. Das bleibt dadurch ein paar Grad kühler und kann so für einzelne Fischarten lebensrettend sein.
ATMO (Bachgeglucker)
SPRECHERIN
Saumhabitate sind also ein wertvoller Lebensraum, der aber in den letzten Jahrzehnten drastisch geschrumpft ist. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Da ist zum einen die Tatsache, dass immer mehr Flächen versiegelt wurden, dass Gewässer begradigt und Feuchtbereiche trockengelegt wurden. Aber auch der Umstand, dass die Landwirte im großen Stil Pestizide auf den Feldern versprühen. Als Hauptursache für den Rückgang dieser kleinen Streifen gebiete benennen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber den grundlegenden Strukturwandel in der Landwirtschaft, erklärt Andreas Schweiger:
TAKE 8 (O-Ton Schweiger) L: 0, 30
Wenn man das Ganze historisch betrachtet, ist es natürlich so, dass die Flurbereinigung sehr viele von diesen Saumhabitaten aus unserer Landschaft entfernt hat. Es werden ja auch Heckenstrukturen als Saumhabitate z.B. gesehen, die wurden einfach systematisch entfernt aus unseren Landschaften mit den allen bekannten Folgen für die Biodiversität, für die Rückzugsräume, pflanzlich aber auch tierisch.
SPRECHERIN
Die Flurbereinigung. Hinter diesem Begriff steht die umfassende Umstrukturierung der Landwirtschaft, die bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen hat. Durch die Erfindung des Kunstdüngers und den Einsatz der ersten landwirtschaftlichen Maschinen. Der entscheidende Schritt aber erfolgte in der Mitte des 20. Jahrhunderts durch das sogenannte Flurbereinigungsgesetz, das am 1. Januar 1954 in Kraft trat. Der erste Paragraph beschreibt das Ziel dieses Gesetzes:
ZITATOR
„Zur Förderung der landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Erzeugung und der allgemeinen Landeskultur kann zersplitterter oder unwirtschaftlich geformter ländlicher Grundbesitz nach neuzeitlichen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten zusammengelegt, wirtschaftlich gestaltet und durch andere landeskulturelle Maßnahmen verbessert werden (Flurbereinigung). ” (§1 Flurbereinigungsgesetz 1953)
SPRECHERIN
Die Konsequenzen dieses Gesetzes: Das Nebeneinander vieler kleiner Äcker, zum Teil schief und krumm, durch Hecken, Gebüsch oder schmale Blühstreifen voneinander getrennt, in manchen Regionen eher einem Flickenteppich ähnelnd, wurde nach und nach neu geordnet.
ATMO (landwirtschaftliche Maschinen)
SPRECHERIN
So entstanden große rechteckige Flächen, die von Ackerwalzen, Beregnungsmaschinen oder Mähdreschern problemlos befahren werden können.
TAKE 9 (O-Ton Neuenkamp) L: 0, 25
Die Flächen, seitdem es die Ackermaschinen gab, sind seitdem viel, viel größer geworden. Früher konnten die Arten immer noch einmal durch´s Feld laufen oder fliegen, heute sind die so groß, dass das einfach unmöglich ist. Und deswegen ist es so wichtig, Ausweichhabitate zu haben. Und die können linear sein aber letztendlich geht es um alle Brachflächen.
SPRECHERIN
Erklärt Dr. Lena Neuenkamp, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster, mit Schwerpunkt Biodiversitätsforschung. Die Flurbereinigung veränderte aber nicht nur die Größe der Äcker, das Aussehen der Landschaft, sondern auch die Lebensbedingungen vieler Pflanzen und Tiere: Hecken und schmale Blühstreifen standen der intensiven Nutzung des Bodens entgegen und mussten deshalb vielfach weichen:
TAKE 10 (O-Ton Schweiger) L: 0, 10
Die menschlichen bedingten Saumhabitate sind, oder waren traditionell Bereiche, der extensiveren Nutzung, also Rückzugsorte für Pflanzen und Tiere.
SPRECHERIN
Sagt der Ökologe Andreas Schweiger. Diese Rückzugsorte, wissenschaftlich Refugialflächen genannt, gingen durch die Flurbereinigung im großen Stil verloren. Wie groß der Verlust der Flächen tatsächlich ist, lässt sich allerdings nur schätzen. Denn nicht in allen Bundesländern ist der Verlust dokumentiert worden. Aus Schleswig-Holstein liegen aber z.B. Daten vor. Dort verschwanden zwischen 1950 und 1980 rund 28.000 Kilometer dieser Saumhabitate. Heute ist klar, und wissenschaftlich erwiesen, dass diese Randstreifen und Übergangspassagen bei der Flurbereinigung unterschätzt wurden. Denn sie spielen für den Erhalt der Artenvielfalt eine ganz zentrale Rolle, betont Insektenkundler Georg Petschenka von der Uni Hohenheim:
TAKE 11 (O-Ton Petschenka) L: 0, 30
(…)und die Besonderheit ist, dass diese Lebensräume einfach sehr, sehr heterogen sind, das sind einfach Lebensräume, die sich im Prinzip von links und rechts unterscheiden. Also von dem, was angrenzt, (…) und dieser Übergangsbereich ist besonders interessant, weil wir da andere Bedingungen vorfinden, (…), das geht einher mit einem heterogenen Mikroklima auch unterschiedlichen Nischen und einer erhöhten Biodiversität.
SPRECHERIN
Die Biodiversität ist aber nicht in allen Säumen gleich. Sie variiert je nach Struktur des Saums und je nach Umgebung. Eine junge Hecke beherbergt andere Arten als eine alte Hecke, eine Blühwiese am Waldrand ist ein anderer Lebensraum als der bewachsene Rand einer Autobahn.
TAKE 12 (O-Ton Buchwald) L: 0, 20
Es ist ein eigenes Mikroklima, es sind Arten, die dort ihren Schwerpunkt haben, es ist extrem schwierig, da exklusive Arten zu finden… aber die Zusammensetzung der Arten, die Artengemeinschaft, die ist schon einmalig, das auf jeden Fall, wegen dieses Mikroklimas.
SPRECHERIN
Und Georg Petschenka ergänzt:
TAKE 13 (O-Ton Petschenka) L: 0, 35
Wenn ich jetzt einen Waldrand hab, dann finde ich dort nicht nur Arten, die es im Wald gibt oder auf der angrenzenden Wiese, sondern ich finde auch Arten, die vielleicht nicht ausschließlich aber doch vorrangig in solchen Habitaten vorkommen. Also gerade wenn ich an Wegränder denke, da finde ich (…) eine Insektenfauna die vielleicht einen offenen, lückigen Bodenbewuchs braucht, bestimmte Laufkäfer beispielsweise, die ich möglicherwiese in der Wiese daneben gar nicht finde. (…) Da werden Lebensräume geschaffen, die für bestimmte Arten letztendlich essentiell sind.
SPRECHERIN
Die Forschenden schätzen, dass es rund 8 Millionen Arten gibt. Etwa 1 Millionen davon steht kurz vor dem Aussterben, so der Welt-biodiversitätsrat. Und: Das gegenwärtige Artensterben gehe 10 bis 100 Mal schneller voran, als in den letzten 10 Millionen Jahren. Selbstverständlich sind diese alarmierenden Prognosen nicht allein damit zu erklären, dass es immer weniger Säume in der Landschaft gibt. Aber der Rückgang dieser Lebensräume trägt zum Artensterben ebenfalls bei. So hat sich beispielsweise allein in Deutschland die Anzahl der Vogelarten in der Agrarlandschaft in den letzten Jahrzehnten um mehr als 36 Prozent verringert.
ATMO (Wiesenatmo)
SPRECHERIN
Deshalb haben mittlerweile alle Bundesländer sogenannte Naturschutzpläne, in denen es auch um die Wiederherstellung und die Pflege von Saumhabitaten geht. In Bayern zum Beispiel ist 2019 durch das Volksbegehren Artenvielfalt und Naturschönheit in Bayern das Ziel ins Auge gefasst worden, den „Biotopverbund Offenland” bis 2030 auf 15 Prozent zu steigern. Zur Zeit liegt er noch bei rund 10 Prozent. Denn, das ist die zweite nicht zu unterschätzende Funktion von Saumhabitaten: Sie ermöglichen es, Biotope miteinander zu vernetzen, wie Rainer Buchwald erklärt:
TAKE 14 (O-Ton Buchwald) L. 0, 20
Entlang dieser Korridore wandern z.B. Rehe, das machen Rebhühner, das machen Tagfalter, wenn ich drumrum nur eine Straße und Acker hab, dann ist das das einzige was noch halbwegs ein paar Blüten anbietet für die Tagfalter oder Wildbienen, auch nicht immer viel, aber besser als nichts.
SPRECHERIN
Feldhasen, Rehe, Wildkatzen, Rebhühner und auch die verschiedensten Insektenarten, sie alle brauchen den sogenannten Biotopverbund. Also eine Vernetzung zwischen den Gebieten, in denen sie sich aufhalten und verstecken können oder in denen sie Nahrung finden. Denn viele von ihnen haben keine große Reichweite, wie es in der Biologie heißt. Und das bedeutet, dass sie eine Entfernung von mehreren hundert Metern nicht überwinden können. Ohne Korridore, die einen Saum mit dem anderen verbindet, schaffen sie es also nicht die Entfernung zu bewältigen, sagt Georg Petschenka:
TAKE 15 (O-Ton Petschenka) L: 0, 30
Verinselung ist ein großes Problem, dass Biotope oder Habitate zerschnitten werden, und dann Populationen isoliert. Damit eine Art dauerhaft existieren kann…Insektenarten sind da von ihrer Empfindlichkeit her relativ unterschiedlich, aber üblicherweise ist doch schon so, die Meinung, dass wir einen großen genetischen Fluß wollen und deswegen ist es wichtig, dass die Einzelvorkommen vernetzt sind. Und da helfen natürlich viele kleine Inselchen, um so etwas zu erreichen.
SPRECHERIN
Trittsteinhabitate nennen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese kleinen Inselchen, die eine Biotopvernetzung ermöglichen, erklärt Lena Neuenkamp.
TAKE 16 (O-Ton Neuenkamp) L: 0, 15
Die werden dementsprechend Trittsteinhabitate genannt, dass man sagt, dass selbst die Arten, die in der Intensivlandwirtschaft nicht leben können, die haben dann da wie so Trittsteine, um dann ein Habitat mit dem anderen zu verknüpfen.
SPRECHERIN
Das Wissen um die Bedeutung der kleinen Saumgebiete für die Artenvielfalt ist in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Und damit auch die Erkenntnis, dass die Flurbereinigung zwar dazu beigetragen hat, die Landwirtschaft zu optimieren, dass sie aber gleichzeitig viele Schäden verursacht hat und auch noch heute bewirkt. Dennoch passiere in der Praxis bisher viel zu wenig, so das einhellige Urteil der Expertinnen und Experten, um diese wertvollen kleinen Flächen angemessen zu schützen. Rainer Buchwald von der Universität Oldenburg:
TAKE 17 (O-Ton Buchwald) L: 0, 30
Man kann nicht sagen, dieser Saum hier, egal ob das am Graben ist oder am Weg oder am Wald, er ist per se schutzwürdig. Und deshalb weil er oft zu schmal, zu klein ist und deshalb ist oft auch dies „geschützter Landschaftsraum”, den man oft bei Baumreihen, bei Alleen hat, der greift da nicht richtig. Und wer macht sich die Mühe, so einen wunderbaren Saum (…) zusammen mit dem Wald oder mit dem Trockenrasen unter Schutz zu bringen?
SPRECHERIN
Das sieht auch Andreas Schweiger von der Universität Hohenheim so.
TAKE 18 (O-Ton Schweiger) L: 0, 10
Das Bewußtsein ist da…ich denk, letztendlich es hängt damit zusammen, dass Förderung noch nicht gezielt genug zur Verfügung gestellt wird, bzw. umgesetzt werden kann.
SPRECHERIN
Die Ursache für die oft halbherzige Umsetzung liegt vermutlich auch daran, dass es bisher, ganz formal, kein Naturschutzprogramm gibt, in dem es ausdrücklich um Saumhabitate geht. Ein solches existiert nicht, betont Rainer Buchwald.
TAKE 19 (O-Ton Buchwald) L: 0, 20
Es gibt keinen geschützten Biotoptyp nach §30 vom Naturschutzgesetz, der sagt, dieser Waldsaum oder dieser Grabenrand ist besonders schutzwürdig! Das gibt es nicht. Und wenn man Glück hat, wird er auch so erhalten und wenn man Pech hat, wird er eben weggenietet.
SPRECHERIN
Dabei gäbe es Möglichkeiten, diese Rand- und Übergangsbereiche zu schützen, zu pflegen und zu erhalten. Viele dieser Flächen sind im kommunalen Besitz. In Bayern zum Beispiel gibt es im Internet den „Bayernatlas”, auf dem ist die Flurstückskarte einsehbar. Dort sind die Flächen gekennzeichnet, die am Rand von Straßen, Feldern oder Gewässern im kommunalen Besitz sind und die als Saumhabitat angelegt oder gepflegt werden könnten. Allerdings rät Lena Neuenkamp von der Universität Münster davon ab, in Aktionismus zu verfallen und überall die gleichen Hecken zu pflanzen oder Blühstreifen anzulegen. Denn für die Artenvielfalt brauche es landschaftliche Diversität, gibt sie zu bedenken:
TAKE 20 (O-Ton Neuenkamp) L: 0, 20
Eine Saumstruktur eine Ackerbiodiversitätsmaßnahme, die kann nicht alles abdecken. Es geht ja auch um Dinge wie, eine Hecke speichert viel Kohlenstoff, die einen sind gut für die Bodeninsekten, die anderen für die Bestäuber…
SPRECHERIN
Deshalb sieht sie es als erforderlich an, nicht nur neue Säume anzulegen, sondern sie in ihrer Struktur so zu mischen, so dass sie für unterschiedliche Tiere und Pflanzen attraktiv sind. Und das bedeutet, dass es neben den generellen Schutzprogrammen für diese Gebiete auch Pflege- oder Aufbauprogramme geben sollte, die die landschaftlichen Bedingungen in einer Region übergeordnet bedenken und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen bepflanzen und pflegen. Bis dahin aber kann jeder Einzelne viel dafür tun, den eigenen Garten, die Terasse oder den Balkon zu Rückzugsorten für heimische Arten zu machen.
Create your
podcast in
minutes
It is Free