Die Maus - Anpassungskünstler und gefürchteter Schädling
Sie sind possierlich, flink und unglaublich fruchtbar. Das müssen sie auch, bedenkt man, wer ihnen alles nachstellt - und: Sie sind nicht überall gern gesehen. Über 40 Mäusearten gibt es weltweit. Autorin: Renate Kiesewetter (BR 2014)
Credits
Autorin dieser Folge: Renate Kiesewetter
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Hemma Michel, Andreas Neumann, Stefan Wilkening
Technik: Fabian Zweck
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Dr. Walter Bäumler, Zoologe, Mäuseforscher, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK: C1432360 007 (00‘30‘‘)
Zitator:
"Ach", sagte die Maus, "die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe." – "Du mußt nur die Laufrichtung ändern", sagte die Katze und fraß sie.
MUSIK ENDE
Sprecherin:
Die Kleine Fabel von Franz Kafka. Der Schriftsteller hatte zeit seines Lebens Angst vor Mäusen. Und damit war und ist er nicht alleine. Denn Mäuse und Menschen haben seit jeher ein gespaltenes Verhältnis. So beschreibt Francesco Santoianni in seinem Buch "Von Menschen und Mäusen" den Jahrhunderte währenden Kampf gegen die Nagetiere als eindeutige Niederlage des Menschen. Zahlreiche Bekämpfungsarten hat sich der Mensch einfallen lassen, doch es gibt sie immer noch, trotz Katzen, Mausefallen, Gift oder ausräuchern. Und die menschliche Fantasie bringt nach Francesco Santoianni immer wieder neue Horrorszenarien hervor:
MUSIK: M0024267 000 (00‘45‘‘)
Zitator:
Überernährt von den Abfällen einer auf Verschwendung gegründeten Gesellschaft, geschützt in relativ warmen und endlosen Kanalisationssystemen, haben sich Mäuse und Ratten im Herzen sämtlicher Metropolen breitgemacht. Fünfzehn Millionen in Rom, fünfundzwanzig Millionen in New York, zehn Millionen in Neapel ... diese Zahlen tauchen regelmäßig in den Massenmedien auf und nähren atavistische Ängste und Vorstellungen von einem dunklen, bedrohlichen Heer, das nur darauf wartet, alles zu verschlingen und zu zerstören.
MUSIK ENDE
Sprecherin:
'Mus musculus', die Hausmaus … 'so ein kleines putziges Tier', möchte man fast sagen. Der "schlimmste Freund des Menschen", wie Francesco Santoianni die Maus nennt, hatte zumindest in dem berühmten Tierforscher Alfred Edmund Brehm einen Fürsprecher. Seine Beobachtungen aus dem 19. Jahrhundert über die verschiedenen Mäusearten sind anregend und wohlwollend. Aber auch er weiß um die schwierige Beziehung zwischen "heißhungrigen" Mäusen und Menschen:
Zitator:
Die anmutigen und zierlichen Mause sind trotz ihrer schmucken Gestalt und ihres heiteren und guten Wesens arge Feinde des Menschen und werden von ihm mit Ingrimm verfolgt (…) Man kann sich schwerlich ein naschhafteres Geschöpf denken als eine Hausmaus, welche über eine gut gespickte Speisekammer verfügen kann. Sie beweist auf das schlagendste, daß der Sinn des Geschmackes bei ihr vortrefflich entwickelt ist.
Sprecher:
Den ungebetenen nagenden Gästen in Speisekammern, Dachböden und Kellern sei nur das Beste gut genug. Kein Hindernis sei zu groß, kein Winkel zu abgelegen, kein Material zu hart, so Alfred Brehm:
Zitator:
Wo sie etwas Genießbares wittert, weiß sie sich einen Zugang zu verschaffen, und es kommt ihr nicht eben darauf an, mehrere Nächte angestrengt zu arbeiten und selbst feste, starke Türen zu durchnagen. Findet sie viel Nahrung, welche ihr besonders mundet, so trägt sie sich auch noch einen Vorrat davon in ihre Schlupfwinkel und sammelt mit der Hast eines Geizigen an der Vermehrung ihrer Schätze.
MUSIK: Z9383695 016 (00‘55‘‘)
Sprecherin:
Die Hausmaus - bis zu 11 Zentimeter lang mit einem schuppenartigen Schwanz so lang wie der ganze Körper, gerade 20-30 Gramm schwer. "Maus"-grauer oder braungrauer, gedrungener Körper, große Knopfaugen. Spitzes Gesicht. Besonders gut sehen können Hausmäuse und auch andere Mäuse nicht. Viele Arten leben unterirdisch in selbst gebuddelten Höhlengängen, sind nachtaktiv. Ihr Gehör ist deutlich besser ausgestattet, vor allem auch im Ultraschallbereich. Dabei können die Tiere noch Töne von 40.000 Hertz wahrnehmen. Am besten entwickelt aber ist ihr Geruchssinn. In Experimenten fanden Mäuseforscher heraus: Sogar die Geschlechtsreife kann durch Duftstoffe beschleunigt oder verlangsamt werden.
MUSIK ENDE
Sprecher:
Am Geruch erkennen die Tiere auch, ob eine andere Maus zur eigenen Gruppe gehört. Bis zu sechs Stunden lang speichern sie diesen Geruch, danach sind sie einander fremd. Betritt eine fremde Maus das Territorium und fällt bei der Geruchskontrolle durch, gehört sie also nicht zum eigenen Clan, gibt’s Randale und nicht selten einen erbitterten Kampf auf Leben und Tod. Wie aggressiv gerade Feldmäuse dabei vorgehen, veranschaulicht der Münchner Zoologe und Mäuseforscher Dr. Walter Bäumler:
O-Ton Walter Bäumler:
Da gibt es also ein Männchen, und es hat so einen Harem, wenn die Wiesen abgemäht sind im Herbst, sieht man, da ist immer wieder eine Kolonie, also alle 30 Meter sind viele Mauselöcher, da leben mehrere Weibchen, und ein Boss. Der markiert die ganze Kolonie als sein Territorium, und wenn da ein fremdes Männchen kommt, wird es sofort angegriffen. In so einer Wiese fängt man jede Menge schwer verwundete Männchen, die also fürchterliche Narben haben.
Sprecher:
Auch dafür kommen die Nagezähne zum Einsatz. Überhaupt: das Gebiss von Mäusen. … Alle Mäuse, egal ob Hausmaus, Ährenmaus, Schermaus, Feldmaus oder Rötelmaus … haben ein hoch spezialisiertes Gebiss:
O-Ton Walter Bäumler:
Also die zwei namengebenden Nagezähne, mit der starken Schmelzauflage, auf der Vorderseite, die des ermöglichen, dass die Mäuse auch sehr hartes Material, zerlegen können, Aluminium ist kein Problem, dass die sich da durchnagen. Sie können sich durch Stahldrähte, die 2, 3 Millimeter dick ist, können Sie durchnagen. Man kann sie praktisch nur in Glasbehältern halten, sonst büchsen sie aus, nagen sie sich durch.
MUSIK: C1506550 010 (01‘30‘‘)
Sprecherin:
Mäuse bevölkern die Erde seit dem Aussterben der Dinosaurier vor ca. 60 Millionen Jahren. Doch wann und wo wurden sie zum Kulturfolger des Menschen? Das datieren Forscher auf einen Zeitpunkt vor 23 Millionen Jahren, rund ums Kaspische Meer, heutiges russisches Westasien. Ursprünglich folgten die kleinen Nagetiere den Nomaden auf der Suche nach Nahrungsresten. Francesco Santoianni beschreibt in seinem Buch "Von Menschen und Mäusen" die Herkunft und die frühen Wanderrouten der Hausmaus:
Zitator:
Ein Gebiet, das das heutige Kasachstan, Turkmenistan und den Iran umfasst, wurde als die Heimat von Mus musculus identifiziert, von der aus ihr Triumphmarsch begann, der in zwei deutlich erkennbaren Richtungen verlief: eine kontinental (zentraleuropäisch) verlaufende und eine auf die Mittelmeerregionen zielende.
Sprecherin:
Andere Quellen nennen Indien als Ursprungsland. Zumindest sollen Knochenfunde beweisen, dass 4.000 vor Christus die ersten Mäuse in Mitteleuropa ankamen. Als blinde Passagiere folgten sie den Menschen. Auf allen Handelswegen, auf der Seidenstraße, auf den Seefahrten nach Indien, nach Amerika. In den letzten 1.000 Jahren besiedelten sie auf diese Weise dann auch Afrika, Amerika und Australien.
MUSIK: CD701250 003 (00‘50‘‘)
Sprecher:
Die enge Bindung an den Menschen wurde immer wieder in Mythologie, Literatur, Religion und Kunst abgebildet: Dabei findet man Mäuse sowohl als verehrungswürdiges als auch verabscheuungswürdiges Sinnbild. Verehrt hat man sie besonders in fernöstlichen Mythologien. Als Begleiter von Daikoku, dem japanischen Gott des Reichtums, wird eine Maus "prächtig geschmückt" dargestellt. Auch in Sibirien gilt sie als Symbol des Wohlstands. Und in der indischen Provinz Rajasthan werden - wohl einzigartig in der Welt - noch heute Mäuse und Ratten verehrt und geschützt: Im Tempel von Deshnoke, geweiht der Göttin der Sänger und der Mäuse, werden sie reichlich gefüttert.
MUSIK ENDE
Sprecherin:
Auch in den griechischen Tempeln von Apollo Smintheus, dem Gott der Mäuse, hat man die kleinen Nagetiere jahrhundertlang verehrt und sogar gezüchtet. Gingen daraus weiße Mäuse hervor, galt das als Zeichen für kommenden Wohlstand. Über solchen unsinnigen Mäuseaberglauben war der römische Politiker und Schriftsteller Cicero entsetzt: Nähme man das ernst, müsse man um die "Sicherheit der römischen Republik" fürchten, wetterte er. Schließlich hätten Mäuse bei ihm zuhause seine Schrift über den Staat angeknabbert - ebenso wie Epikurs Buch Über die Lebensfreude. Nicht nur Ciceros Ausgabe des griechischen Philosophen fiel der Nagelust zum Opfer, auch alle anderen Schriften waren nicht sicher vor den unermüdlichen Schneidezähnen der Mäuse. Der französische Autor Michel Dansel erkundete in seinem Buch "Nos frères, les rats" ("Unsere Brüder, die Ratten") die Symbolik der Nagetiere und schreibt über ihr Werden und Vergehen:
Zitator:
Die Geschichte der Mäuse ist so eng mit der der Menschheit verbunden, dass sie vielleicht sogar all deren Facetten abdecken kann, die dunklen und die hellen Seiten. Sie kann uns zur Erkenntnis erhabener Wahrheiten inspirieren, uns aber gleichzeitig unser traurigstes und demütigendstes Spiegelbild entgegenhalten: das eines Tieres, das dazu bestimmt ist, zu verschwinden und sich vergeblich durch Dinge und Aufzeichnungen verewigen will, die jedoch selbst vom Zahn der Zeit zernagt werden wie Buchseiten von den Zähnen der Mäuse.
Sprecher:
Sigmund Freud brachte noch eine andere Sicht ins Spiel. Er betont das Schützenswerte eines kleinen Wesens, einer geliebten Person, eines Kindes. Und bedenken wir nicht oft unsere Lieben mit Kosenamen wie "Maus, Mausi, Mäuschen"? (MUSIK: E0007900 104 [00‘15‘‘]) Klein aber schlau wappnet sich auch Micky Mouse, die berühmteste Comic-Maus, gegen ihre riesigen Feinde.
MUSIK ENDE
Sprecherin:
In der biblischen und christlichen Symbolik stehen die Mäuse für die Seele, den Teufel, die Zerstörung, für Sünde und ungezügelte Sexualität. Sie wurden etwa von der katholischen Kirche gerne als Sinnbild für alles Heidnische verwendet, das in Form der Mäuse die christlichen Hostien annagt. Arme verfolgte Nager – ein katholischer Bischof hat sie sogar exkommuniziert. Und es wurden Heilige gegen Mäuseplagen angerufen – wie die Heilige Gertrud. Sie hatte schließlich als Spinnerin die Mäuse von ihrem Spinnrocken vertrieben. Möglicherweise diente diese Geschichte als Vorlage zur Redensart:
Zitator:
Da beißt die Maus kein` Faden ab. …
MUSIK: G0030590 006 (00‘20‘‘)
Sprecher:
Schon im Mittelalter gab es professionelle Mäusefänger. Daran erinnert die Sage vom Rattenfänger in Hameln, der mit seiner Flöte alle Mäuse und Ratten aus ihren Löchern hervorlockte und sie so aus der Stadt hinauslotste.
MUSIK ENDE
Sprecherin:
Schließlich konnten die Nager sich so zahlreich vermehren, dass sie durch die Vernichtung der Ernten oder der Lebensmittel-Vorräte existenzbedrohend wurden. Nur: Wie sollte man ihrer Herr werden? Nachts mit dem Dreschflegel auf die Jagd gehen? Eine antike griechische Anweisung für Bauern riet:
Zitator:
Nimm ein Stück Papier und schreib darauf folgendes: "Ich beschwöre euch, ihr Mäuse, die ihr hier anwesend seid, daß ihr weder mir schadet noch duldet, daß eine andere Maus dies tut. (…) Stecke das Papier auf einen unbehauenen Stein auf dem Felde vor Sonnenaufgang. Sieh zu, daß die beschriebene Seite nach oben zu liegen kommt.
Sprecher:
Eher unwahrscheinlich, dass diese Maßnahme erfolgreich war! … Mäuse ernähren sich als nachtaktive Allesfresser von Wurzeln, Blättern, Samen, Pflanzenstängeln, Obst, Gemüse und Gräsern. Mäuse sind flinke Läufer, manche können auch hervorragend klettern. Andere, wie die Hausmaus, können sehr gut schwimmen. Mäuse kommen also in der Regel überall hin. Dabei sind die kleinen Kulturfolger bei ihren Nahrungsraubzügen auch noch wählerisch, sie bevorzugen eindeutig die kulinarische Vielfalt und Abwechslung. Walter Bäumler:
O-Ton Walter Bäumler:
Früher hat man zum Beispiel Marmelade eingemacht, und hat nur so Zellophanpapier drüber geklebt, wenn da eine Hausmaus drin war, dann hat die das erste Marmeladeglas aufgenagt oben, des Zellophanpapier, bisschen Marmelade herausgenommen, dann ans zweite, dann ans dritte, bis alle geöffnet waren, und dann hat sie wieder beim ersten weitergemacht, so dass man alle Marmeladegläser, obwohl die noch voll waren, ja, vergessen konnte, das konnte man wegwerfen.
Sprecherin:
Denn die Mäuse fressen nicht nur Lebensmittel, sie verunreinigen diese zusätzlich mit ihren Ausscheidungen. Dabei können sie gar nicht anders als möglichst viel zu fressen: Erstaunlicherweise ist der Nahrungsbedarf der Mäuse so groß, weil sie so klein sind:
O-Ton Walter Bäumler:
Da gibt es eine allgemeine bioenergetische Grundregel: Je kleiner ein Tier ist, desto mehr Nahrung benötigt es im Verhältnis zu seinem Gewicht. Eine Maus braucht pro 100 Gramm Mäusegewicht, braucht sieben Mal mehr Kalorien – oder Joule sagt man – wie ein Tier in der Größe eines Menschen.
MUSIK: C1560350 W01 (00‘30‘‘)
Sprecher:
Mäuse vermehren sich rasant: Die Hausmaus zum Beispiel ist das ganze Jahr über fortpflanzungsfähig. Ein Wurf hat zwischen drei und acht Junge, bei bis zu acht Würfen im Jahr macht das die stattliche Zahl von 64 Jungtieren - wohlgemerkt in einem Jahr! Nach nur sechs Wochen sind diese selbst wieder geschlechtsreif, mit einer Tragezeit von drei Wochen.
MUSIK ENDE
Zitator:
Die Mutter schlägt ihr Wochenbett in jedem Winkel auf, welcher ihr eine weiche Unterlage bietet und einigermaßen Sicherheit gewährt. Nicht selten findet man das Nest in ausgehöhltem Brode, in Kohlrüben, Taschen, Todtenköpfen, ja selbst in Mausefallen. Gewöhnlich ist es aus Stroh, Heu, Papier, Federn und anderen weichen Stoffen sorgfältig zusammengeschleppt.
Sprecherin:
Aus Brehm's Thierleben.
Sprecher:
Äußerst geschickt und kunstvoll bastelt zum Beispiel die Ährenmaus das Nest für ihren Nachwuchs. Fast als häkele, stricke und flicke sie unentwegt mit den Grashalmen. Bei uns heimisch in den Getreidefeldern und Forstkulturen des Donauraums bietet sie dem Betrachter ein interessantes Schauspiel. Walter Bäumler:
O-Ton Walter Bäumler:
Die turnt also sehr geschickt und – ja – fast artistisch durch die Grashalme, die hat dort also die Grashalme oben, und hat so einen Greifschwanz, den wickelt sie um die Grashalme durch, lässt sich dann oft auch – ja – hängen, oder wie als Anker, und hangelt sich dann von einem Grashalm zum nächsten. Und das ist eigentlich sehr interessant, das zu sehen, ja, manchmal richtig lustig, wenn die da kopfüber an denGrashalmen hängt.
Sprecherin:
Das kunstvolle Nest der Ährenmaus ist in der Welt der Mäuse eine besondere Kinderstube. Wie bei den Hausmäusen kommen die Jungen blind, taub und nackt zur Welt, bei ihrer Geburt wiegen sie weniger als ein Gramm. Nun werden sie 21 Tage von der Mäusemutter mit Milch gesäugt, stets zärtlich und fürsorglich gepflegt. Bei einigen Arten übernimmt sogar eine andere Muttermaus die Pflege, falls die eigene ums Leben kommt. Alfred Brehm beschrieb den sorgsamen Umgang einer Mäusemutter mit ihren Jungen so:
Zitator:
Bei jeder Bewegung der Mutter ließen sie ein feines, durchdringendes Piepen oder Quietschen hören. (…) Am 18. abends kamen sie zum ersten Male zum Vorschein; als aber die Mutter bemerkte, daß sie beobachtet wurden, nahm sie eine nach der anderen ins Maul und schleppte sie in das Nest. Einzelne kamen jedoch wieder aus einem anderen Loche hervor. Allerliebste Tierchen von der Größe der Zwergmäuse mit ungefähr 3 Zoll langen Schwänzen! (…) Sie saugten noch dann und wann (…), spielten miteinander, jagten und balgten sich auf die gewandteste und unterhaltendste Weise, setzten sich auch wohl zur Abwechslung auf den Rücken der Mutter und ließen sich von derselben herumtragen.
Sprecher:
Der Spieltrieb ist den Mäusen angeboren. Im Spiel werden die Mäusekinder für die Anpassung an die Umwelt trainiert. Und noch etwas - und das haben sie mit den Menschen gemein - zeichnet die kleinen Nager aus: die Neugier. Sie erobern sich nagend ihre Umgebung, nichts bleibt vor ihren Zähnen sicher. Und sie lernen dabei.
MUSIK: C1352870 113 (00‘25‘‘)
Sprecherin:
Dieses Neugier-Verhalten der Maus könnte, neben ihrem possierlichen Aussehen, der Grund dafür sein, warum sie zur Vorlage für die beliebte ARD-Fernsehmaus wurde. Seit Jahrzehnten begeistert die sonntags Kinder und Erwachsene mit ihren "Lach- und Sachgeschichten".
MUSIK: NC015960 036 (01‘10‘‘)
Sprecher:
Seit die echten, biologischen Mäuse dem Homo sapiens folgen, übertragen sie auch immer wieder Krankheiten auf den Menschen. Über Jahrhunderte hinweg gefürchtet war der "Schwarze Tod", die Pest, die unzählige Menschen dahinraffte. Doch auch die Überträger selbst, vor allem Ratten aber auch Mäuse, verendeten in Scharen bei Ausbruch von Seuchen, wie Albert Camus in seinem Roman "Die Pest" dramatisch beschrieb:
Zitator:
Aus den Verschlägen, den Untergeschossen, den Kellern, den Kloaken stiegen sie in langen, wankenden Reihen hervor, taumelten im Licht, drehten sich um sich selber und verendeten in der Nähe der Menschen. Nachts hörte man in den Gängen und den engen Gassen deutlich ihren leisen Todesschrei. Am Morgen fand man sie in den Straßengräben der Vorstädte ausgestreckt, ein bißchen Blut auf der spitzen Schnauze, die einen aufgedunsen und faulig, die anderen steif, mit gesträubten Schnauzhaaren.
MUSIK ENDE
Sprecherin:
Seit Ende des 19. Jahrhunderts weiß man: Die Pest ist eine Infektionskrankheit, verursacht durch das Bakterium Yersinia pestis. Überträger des gefürchteten Erregers sind nicht die Nager direkt, sondern deren Flöhe, die den Bazillus von infizierten Tieren durch Stiche in die Haut auch auf den Menschen übertragen.
Sprecher:
Katastrophen wie die mittelalterlichen Pestepidemien konnten moderne Naturwissenschaft und Medizin eindämmen. Aber auch heute noch können Mäuse und Ratten mit ihrem Urin und Kot Salmonellen oder Virus- und Bakterienerkrankungen beim Menschen auslösen – etwa die Weil‘sche Krankheit, eine Leberkrankheit. Behandelt wird sie mit hochdosierten Antibiotika. In unseren Breiten überträgt die Rötelmaus so genannte 'Hantaviren'. Diese Viren werden auch durch die Ausscheidungen der Maus übertragen. Walter Bäumler:
O-Ton Walter Bäumler:
Typischer Fall ist, jemand räumt sein Gartenhaus auf, da waren Mäuse drin, da ist‘s natürlich recht schmutzig drin, da hat sich einiges angesammelt, man kehrt oder fegt es aus und atmet den Staub ein und infiziert sich damit.
Sprecher:
Die ersten Symptome sind hohes Fieber und heftige Nierenschmerzen. Die Erkrankung ist meldepflichtig und kann durch Labortests nachgewiesen werden. Selten verläuft sie tödlich. Ein Impfstoff ist in der Entwicklung.
MUSIK: M0010586 004 (00‘15‘‘)
Sprecherin:
Mäuse fressen viel, weil sie klein sind. Und sie vermehren sich so zahlreich, weil sie keine lange Lebensdauer haben. Der Zoologe Walter Bäumler:
MUSIK ENDE
O-Ton Walter Bäumler:
Die Lebenszeit der kleinen Säugetiere ist allgemein sehr kurz, erstaunlich kurz. Eine Maus hier, eine einheimische, die erreicht hier kaum das zweite Lebensjahr.
Sprecherin:
Ein Grund für diese kurze Lebensdauer sind der beschleunigte Stoffwechsel und die erhöhte Atemfrequenz der kleinen Nager. Dadurch altern die Tiere auffallend schneller.
Sprecher:
Die meisten Mäuse aber sterben nicht eines natürlichen Todes, sie fallen ihren zahlreichen natürlichen Feinden zum Opfer:
Sprecherin:
Mäusebussard
Sprecher:
Raubfußbussard
Sprecherin:
Schlangen
Sprecher:
Waldeule
Sprecherin:
Schleiereule
Sprecher:
Füchse
Sprecherin:
Steinmarder
Sprecher:
Wiesel
Sprecherin:
Katzen
Sprecher:
Und schließlich der Mensch mit seinen zahlreichen Methoden der Mäusebekämpfung. Aus den Häusern ist die Hausmaus weitgehend vertrieben: Altbauten werden saniert, Neubauten sind weitgehend mäusesicher, Schlupflöcher und Ritzen sind rar geworden. Auch an Kühlschränke und fest geschlossene Dosen in Speisekammern kommen die kleinen Feinschmecker nicht mehr so leicht heran.
Sprecherin:
Wenn spätabends eine Maus über die Gartenterrasse huscht und schnell wieder im Beet verschwindet, dann ist es wohl eher die Feldmaus. Sie ist größer, an die Umwelt besser angepasst und deswegen durchsetzungsfähiger. Hausmäuse sind eher selten geworden, meint Walter Bäumler:
O-Ton Walter Bäumler:
Allerdings einige Refugien hat sie noch behalten, wie die U-Bahn Schächte in München, da ist sie wieder aufgetaucht, aber ansonsten ist sie in den Räumen, in den Wohnungen und Gebäuden also kaum noch anzutreffen. Ich vermute ja, dass die alten Kellergewölbe mit Erdkontakt nicht mehr vorhanden sind, aber in so einem U-Bahn Schacht, da ist der Kontakt zur Erde noch da, und dass dast vielleicht der Grund ist, warum die sich das so zäh halten drin - sehr schwer zu beseitigen sind.
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