Schlittenhunde sind robust und wahre Energiebündel. Diese Eigenschaft, die die Völker des hohen Nordens ihnen angezüchtet haben, macht sie zum unentbehrlichen Gefährten der Menschen in den arktischen Regionen. Autorin: Brigitte Kohn (BR 2014)
Credits
Autorin dieser Folge: Brigitte Kohn
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Detlef Kügow
Technik: Christiane Schmidbauer-Huber
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Jürgen Stolz, Schlittenhundsportler;
PD Dr. Cornelia Lüdecke, Expertin für die Geschichte der Polarforschung;
Veronika Grahammer M.A., Ethnologin, Völkerkundemuseum München.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK & HUNDEGEBELL
ERZÄHLERIN:
Penzing bei Landsberg am Lech, bayerisches Voralpenland. Auf dem Pullachhof wohnt der Schlittenhundsportler Jürgen Stolz mit seinen 18 Sibirian Huskies. Mit ihnen hat er schon viele Rennen bestritten, ist mehrfacher Europa- und Weltmeister. Jürgen Stolz liebt seinen Sport auch deswegen, weil die Hunde so begeistert mitmachen.
MUSIK ENDE
1 O-TON JÜRGEN STOLZ BAND Band 11/0.56
Dem Sibirian Husky ist das voll angeboren. Also, ich hab jetzt noch keinen Hund gehabt, den ich zu irgend etwas hätte auffordern müssen. Wir haben das große Glück, wir haben einen wunderschönen Hof, wir können von Haus aus trainieren, und da sehen die jungen Hunde, wie das geht. Die sind die ersten zwei drei Mal recht schüchtern. Aber wenn du mit einem Hund gut umgehst, gut mit ihm redest, ihn jetzt nicht tadelst irgendwie, und ihm danach noch Leckerlis gibst und ihm sagst, hey, das hast du gut gemacht, dann wird der mit der Zeit so mutig, dass der sich freut. Die Hunde explodieren in der Früh. Die freuen sich, wenn die eingespannt werden. Das Geschirr an, die wissen, es geht los, das ist für den Hund das Allerallergrößte. Da kommt lange nichts danach.
ERZÄHLERIN:
Jürgen Stolz bietet auf seiner Homepage Workshops und Erlebnistage für alle an, die sich für seine Hunde und seinen Sport interessieren. Die Hunde freuen sich, wenn Besuch kommt, sie sind Menschen gegenüber aufgeschlossen, verspielt und verschmust. Diese Kombination aus Temperament, Kraft und Freundlichkeit fasziniert Jürgen Stolz schon seit 20 Jahren.
2 O-TON STOLZ BAND 11/2.40
Das Aussehen vom Hund. Er ist sehr wolfsähnlich. Er ist ein sehr stolzer Hund, der einen starken Willen hat. Die Art von ihm. Wie er mit einem schmust, wie er einen anschaut, er wird ja auch viel als Therapiehund eingesetzt. Das stolze, natürliche Wesen, es ist einfach nicht so ein untertäniger Hund.
Geräusch HUSKY BELLT
ERZÄHLERIN:
Obwohl er so aussieht: Der Husky ist kein Wolf. Wäre er einer, wäre er zum Schlittenziehen ungeeignet. Dazu braucht es Eigenschaften, die durch Zuchtauswahl verstärkt werden: Zugkraft, Freude an der Arbeit, Freude am Fressen - Rennen verbraucht ja viel Energie -, ein verträgliches Wesen. Alle Schlittenhundrassen, Huskies, Samojeden, Malamutes und Grönlandhunde, stammen von den Arbeitshunden der arktischen Völker ab, die bis heute in Grönland, Nordkanada, Alaska und Sibirien leben. Schon vor 5.000 Jahren, als die Eskimos aus Sibirien nach Alaska einwanderten, waren Schlittenhunde dabei. Bis zur Erfindung von Motorschlitten und Flugzeug sicherte der Hund das Überleben des Menschen in den Regionen nördlich des Polarkreises; ohne Hund hätte der Mensch viele Gebiete überhaupt nicht besiedeln können. In den Geschichten der Eskimos hat die enge Beziehung zwischen Mensch und Hund eine übernatürliche Dimension.
MUSIK
ZITATOR:
"Zwei Männer gingen mit ihrer Hündin auf Eisbärenjagd. Hinter ihnen brach das Eis, und sie trieben lange auf dem Ozean. Beide wurden Ehemänner der Hündin. Die Hündin war trächtig, als das Eis abermals brach. Sie wurde von den Männern getrennt und geriet, den Wellen preisgegeben, in ein fernes Land. .... Bald auch brachte sie drei Junge zur Welt, zwei davon waren Welpen, das dritte aber war ein Menschenkind, ein Junge."
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN:
Auch wenn es sich etwas merkwürdig anhört: Ehen, also Vermischungen zwischen Mensch und Tier kommen in Eskimo-Legenden häufig vor. Die tierische Sphäre ist einfach omnipräsent in einer pflanzenarmen Gegend, in der man ohne Tiere nicht überleben kann. Kaum erwachsen, spannt der Menschenjunge Hundemutter und Hundebrüder vor einen Schlitten und fährt in das Land der Menschenfresser, die er im Handumdrehen unschädlich macht. Ein gutes Gespann ist eben zu allem fähig und durch nichts zu ersetzen. In der traditionalen Gesellschaft signalisierte es den hohen sozialen Status seines Besitzers, sagt die Ethnologin Veronica Grahammer. Sie ist auf arktische Völker spezialisiert und arbeitet im Münchner Völkerkundemuseum unter anderem im museumspädagogischen Bereich.
3 O-TON GRAHAMMER 5.06
Wenn ein Jäger ein Schlittenhundeteam hat, dann muss er die ja ernähren, er muss also nicht nur für seine Familie auf die Jagd gehen, sondern er muss natürlich auch die Hunde füttern.
ERZÄHLERIN:
In den Vitrinen des Völkerkundemuseums, das eine sehr große Arktis-Sammlung hat, finden sich auch zahlreiche Schlittenmodelle.
4 O-TON GRAHAMMER 49:00
Ein guter Schlitten wird aus Holz gebaut, aber Holz ist ein wertvolles Rohmaterial in der Arktis. Das ist nur als Treibholz in der Regel zu bekommen. Was alle Schlitten gemeinsam haben, ist, dass sie unglaublich gut gefedert sind und dass sie keine festen Verbindungen haben. ... Weil es ja immer unebenes Terrain ist. Oft sind da Eisblöcke oder Steine im Weg, da könnte der Schlitten brechen, das will man natürlich unbedingt vermeiden und versucht daher, nie was zu nageln, sondern alles wird mit Lederbändern verbunden.
ERZÄHLERIN:
Die Hunde laufen entweder im Tandem, jeweils zwei nebeneinander ..
5 O-TON GRAHAMMER 6.49
... das ist mehr in Alaska der Fall, oder in Sibirien. In der Zentralarktis, in Kanada also oder in Grönland, werden sie fächerförmig angebunden. Das heißt, der stärkste Hund hat die längste Leine, die anderen laufen neben ihm. Es gibt immer einen Anführer unter den Schlittenhunden, die haben eine ganz klare Rangordnung, wer ist der Stärkste, der Anführer, der Leiter.
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Müheloses Gleiten in Hochgeschwindigkeit über verschneite Eisflächen, das kam im Alltag der Eskimos eher selten vor. Meistens war der Schlitten so schwer bepackt, dass die Menschen mit anschieben und den Hunden vorausgehen mussten, um in den endlosen Weiten ohne Spur und Straße die Richtung zu weisen. Zügel kennt so ein Schlittenhund nicht, er reagiert auf Zuruf - oder auch nicht.
MUSIK Ende
6 O-TON GRAHAMMER 49:00.
Und wenn der Schlitten schwer war und man hatte eine schwierige Stelle, dann musste man erst mal den ganzen Schlitten abladen, den Schlitten über die schwere Stelle drüberbringen und dann wieder aufladen, und wenn man Pech hatte, dann sind die Hunde losgelaufen, bevor man fertig war.
ERZÄHLERIN:
Durchgebrannte Hunde suchen, das ist kein Vergnügen bei 40 Grad minus, das ist lebensbedrohlich, vor allem wenn sie Teile des Haushalts mit sich schleifen.
Eskimos waren vor der Zerstörung ihrer traditionalen Lebensweise zu großen Teilen Nomaden, da sie vom Jagen lebten und ihren Beutetieren folgen mussten. Schlitten dienten als Transportmittel nicht nur auf der Jagd, sondern auch auf Reisen.
7 O-TON GRAHAMMER 22.18
Reisen mit einem Schlittenteam kann man am besten im frühen Herbst, wenn das Meer anfängt, zu überfrieren. Dann ist es auf der Meeresoberfläche relativ glatt, und man hat eine gute Grundlage. Was ein bisschen schwierig ist, wenn noch kein Schnee draufliegt, weil das Meereseis bildet so scharfe Kristalle, und da können sich die Hundepfoten sozusagen verletzen. Das heißt, man wartet, bis eine Schneeschicht drauf ist, und dann kann man auf Reisen gehen.
HUSKY jault
ERZÄHLERIN:
Die dichte Unterwolle ihres Fells schützt sie auch bei Minustemperaturen bis zu 40, 50 Grad Celsius vor dem Erfrieren.
9 O-TON GRAHAMMER 15.45
Bei all meinen Reisen nach Alaska hab ich das gesehen, die Hunde bleiben draußen, da kommt nicht einmal eine Pfote in irgendein Wohnzimmer. Das ist irgendwie nicht vorstellbar, das macht für die Eskimos keinen Sinn, dass sie das tun. Einzige Ausnahme ist die Hündin, die gerade geworfen hat, die kommen ins Haus. Und die Welpen, die werden auch sehr geschützt, die werden oft in der Kapuze getragen wie ein Baby, die Kinder schleppen sie natürlich rum, und oft ist es so, wenn der Welpe ein gewisses Alter hat, dass ein Kind diesen Welpen bekommt und ihm dann sofort ein Geschirrchen macht und ihn anspannt. Die Hunde lernen von klein auf, etwas zu ziehen, und sehen das natürlich auch, dass die anderen das machen.
ERZÄHLERIN:
Bei aller Liebe: Hunde, die nicht spuren, haben meist kein langes Leben. Heute nicht, da die Schlittenhunde in der Arktis hauptsächlich für touristische Zwecke und den populären Rennsport benötigt werden, und früher erst recht nicht. Starke Gespanne waren in der traditionalen Eskimo-Gesellschaft überlebensnotwendig und teuer im Unterhalt; Rücksicht auf schwächere Tiere war da nicht möglich. Ein guter Hund zeichnet sich dadurch aus, dass man ihn auch zum Jagen brauchen kann. Am Atemloch einer Robbe stehen, Witterung aufnehmen, herausfinden, ob die Robbe noch in der Nähe ist oder nicht; so etwas kann nur ein Hund.
10 O-TON GRAHAMMER 11. 49
Und was der Jäger dann tut, wenn er verstanden hat, das ist jetzt eines, das vor kurzem noch in Gebrauch war: Er bringt den Hund also zurück, der muss weit weg sein, und stellt sich vor dieses Atemloch und wartet. Und wenn die Nahrungssituation eng ist, dann auch mal 24 Stunden. Das muss er dann aushalten.
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Eskimos wissen, wie man in Eis und Schnee überlebt. Die europäischen Polarfahrer der frühen Neuzeit nicht. Die rechneten mit paradiesischen Zuständen, mit Fabelwesen und Reichtümern am Ende der Welt, fanden eine Eiswüste vor und waren zu hochmütig, um von den verachteten Ureinwohnern zu lernen. So manche Expedition in die Arktis begann mit hochgerüsteten Schiffen und nahm ein grausames Ende in Kannibalismus und Hungertod.
MUSIK ENDE
11 O-TON LÜDECKE 4.20
Man sagt eigentlich, dass erst Ende des 19. Jahrhunderts Expeditionen aufgetreten sind, die bewusst von der dort lebenden Urbevölkerung gelernt haben zu überleben und zu reisen, allein damit sie auch weniger Ressourcen mitnehmen mussten, sie mussten auch lernen zu jagen, überhaupt essbare Tiere zu finden ...
ERZÄHLERIN:
... sagt die Meteorologin Cornelia Lüdecke, Privatdozentin an der Universität Hamburg mit dem Schwerpunkt Geschichte der Polarforschung. Was die Polarfahrer am meisten faszinierte, waren die Eskimohunde, und bald hatten sie selber welche und stellten Eskimos in ihre Dienste, die mit ihnen umzugehen wussten. Viele Erfolge, die sich die Nordpolfahrer stolz an ihre Brust hefteten, sind eigentlich dem Sachverstand der Eskimos zu verdanken. Die Hunde hatten für alle Beteiligten nur Vorteile.
11 a O-TON LÜDECKE18:00
Wenn man Hunde dabei hat, hat man auch Freunde dabei. Ein Hund ist einfach immer ein netter Kamerad. Unterwegs bekommen sie Nachwuchs. Das ist ein psychologisches Moment, wenn man überwintert und dann auch seine Freude an den Hunden haben kann. Hunde können fantastisch gut in diesem Schnee laufen, sie haben natürlich auch den Vorteil, dass wenn ein Hund stirbt, wenn er getötet wird, kann er als Futter für die anderen Hunde verwendet werden. Wenn aus irgendeinem Grund die Nahrung für die Hunde ausfällt, können sie auch Hundefleisch essen.
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Am Südpol gab es keine Unterstützung durch Einheimische, denn die Antarktis ist menschenleer. Der Norweger Roald Amundsen gewann den Wettlauf zum Südpol, weil er Hunde dabei hatte, als Zugtiere und als Nahrungsreserve.
Immer dann, wenn ein Vorratsschlitten leer geworden war und zurückgelassen werden konnte, wurden überzählige Hunde geschlachtet und verfüttert. Amundsen und sein Team erreichten den Südpol am 14. Dezember 1911; alle kamen wohlbehalten zurück. Sein Konkurrent, der Brite Robert Falcon Scott, setzte auf mandschurische Ponys und Motorschlitten, erreichte den Pol 35 Tage später und starb mit seinen Männern auf dem Rückweg einen qualvollen Tod. Alle Ponys waren zugrunde gegangen, die Motorschlitten längst kaputt, und die halb verhungerten Männer mussten ihre Schlitten bis zur völligen Entkräftung selber ziehen. Cornelia Lüdecke beschreibt die Hintergründe dieses dramatischen Wettlaufs in ihrer spannenden Amundsen-Biografie.
MUSIK Ende
12 O-TON LÜDECKE 7:05
Amundsen hat ja nichts anderes gelernt als Polarforschung, und er wusste, wie extrem wichtig Hunde sind, denn nur mit Hunden konnte man sich gut auf Schnee vorwärtsbewegen, das hat er selbst auf der Durchquerung der Nordwestpassage mitgekriegt, weil er dort engen Kontakt mit Inuit hatte, sodass er sein Fortbewegungssystem ganz auf Hunde gebaut hat. Und sie entsprechend wie ein Hochleistungsmotor von Rennautos sehr gut gepflegt hat, gute Nahrung gegeben hat, dass sie stark sind und gut trainiert sind. Scott war ja ein Marineoffizier. Er hat das Bewusstsein für Hunde als Fortbewegungsmittel nicht gehabt, er hat es nicht gelernt, er ist ja von England aus in die Antarktis gefahren, ohne jegliche Polarerfahrung.
ERZÄHLERIN:
Es gab noch einen Grund, warum Scott sich gegen Hunde entschied: Der britische Tierschutz machte sich in der Zeit vor seiner Abfahrt gerade gegen die Verwendung von Hunden bei Tierversuchen stark. Scott wollte Hundeleid vermeiden, um sein Image nicht zu beschädigen.
12 a O-TON LÜDECKE 9:09
Genau zwischen seiner ersten und zweiten Expedition gab es riesige Revolten in London, weil bei einer Vivisektion ein Hund gestorben ist, dem man dann ein Denkmal gesetzt hat. Und dieses Denkmal musste dann auch abgebaut werden, weil die Proteste zu groß waren. Es war zu diesem Zeitpunkt politically völlig incorrect, Hunde gezielt zu töten. Und so konnte er ein System wie Amundsen nicht aufbauen, mit vielen Hunden starten und dann gezielt auch Hunde zu töten, um sie als Futter an die anderen Hunde weiterzugeben. Das konnte Scott überhaupt nicht machen.
ERZÄHLERIN:
Amundsen hatte diesen öffentlichen Druck nicht. Das Fleisch geschlachteter Hunde hielt sein Team stark und leistungsfähig, auch die Menschen, die sich gerne mal ein Stück Hundelende gönnten. Die Hunde waren da weniger wählerisch, schreibt Amundsen in seinem Buch "Die Eroberung des Südpols".
MUSIK
ZITATOR AMUNDSEN:
"Das Einzige, was von so einer Hundemahlzeit übrig blieb, waren die Zähne des Opfers, und wenn die Hunde einen anstrengenden Tag hinter sich hatten, verschwanden auch diese."
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN:
Anstrengende Tage gab es viele. Die überlebenden Hunde waren nicht zu beneiden. Rückblickend gibt Amundsen zu, dass er ihnen viel zu viel zugemutet hat.
MUSIK ENDE
ZITATOR AMUNDSEN:
["Ich glaube auch sagen zu dürfen, dass ich meine Hunde unter normalen Verhältnissen herzlich lieb hatte, und dieses Gefühl war ganz gewiss gegenseitig. Aber die Verhältnisse hatten eben allmählich aufgehört, normal zu sein.
Oder war ich selbst vielleicht nicht mehr normal? Ich habe später oft gedacht, es sei wirklich so gewesen.] Die tägliche Mühe und Arbeit und das Ziel, das ich nicht aufgeben wollte, hatten mich roh gemacht. Denn roh war ich, als ich diese fünf Skelette zwang, den allzu schwer beladenen Schlitten zu ziehen. Noch geht mir ein Stich durchs Herz, wenn ich an die Klagelaute denke, die Thor, ein feiner, glatthaariger Hund, während des Marsches ausstieß, was ein Hund sonst bei der Arbeit nie tut. Aber ich verstand seine Sprache nicht, wollte sie vielleicht nicht verstehen. Vorwärts wurde er getrieben - vorwärts, bis er umfiel. Als wir ihn zerlegten, fanden wir, dass seine Brust ein einziges großes Geschwür war."
ERZÄHLERIN:
Die Vorstellung vom begeistert dahinstürmenden Schlittenhund, der Seite an Seite mit dem Menschen seiner inneren Berufung folgen darf, ist ein Idealbild, das selten zutrifft. Wie alle Arbeitstiere mussten auch Schlittenhunde sich dem Ehrgeiz der Menschen unterwerfen und einen hohen Preis zahlen. An der Wende zum 20. Jahrhundert standen sie im Dienst der Goldsucher, die in der Zeit des Goldrausches nach Alaska und Kanada strömten. Jack London hat der Kraft und Ausdauer dieser Hunde, aber auch ihren Leiden, in seinen Romanen ein Denkmal gesetzt. Aus "Ruf der Wildnis":
MUSIKAKZENT
MUSIK
ZITATOR LONDON:
"Ihr Elend war so groß, dass sie die Schläge, die auf sie niederfielen, nicht mehr spürten. Der Schmerz kam ihnen nur mehr schwach und verschwommen zum Bewusstsein. Alles, was sie sahen und hörten, schien sehr weit weg von ihnen zu sein. Sie waren nur mehr ein Haufen Knochen, in denen ein schwacher Lebensfunke zuckte. Wenn sie angehalten wurden, dann fielen sie wie tot hin, bis die Hiebe sie auf kurze Zeit wieder auf die Beine brachten."
MUSIK ENDE
ERZÄHLERIN:
Einen gewaltigen Popularitätsschub erfuhren die Schlittenhunde im Jahre 1925, als im kleinen Ort Nome im Westen Alaskas die Diphterie ausgebrochen war.
Das rettende Serum befand sich 1.000 Meilen entfernt in Anchorage. Straßen gab es nicht, in einem Flugzeug wäre das Benzin gefroren. Schlittenhunde waren die letzte Rettung für die Menschen von Nome. Das ganze Land, die ganze Welt verfolgte die Berichterstattung im Radio über den Verlauf des Rennens. Das Unternehmen gelang, trotz schlechten Wetters und widriger Umstände. Am 2. Februar 1925 kam die letzte Staffel mit Leithund Balto an der Spitze in Nome an. Balto ist bis heute ein amerikanischer Held, und im Central Park in New York erinnert ein Denkmal an ihn mit der Inschrift:
HUNDEGEBELL & MUSIK
ZITATOR:
"Gewidmet dem unbeugsamen Geist der Schlittenhunde, der diese über rauhe Eisflächen, tückische Gewässer und durch arktische Schneestürme trug, um dem gepeinigten Nome im Winter 1925 durch ein Gegengift zu helfen. Ausdauer - Treue - Intelligenz."
ERZÄHLERIN:
Schlittenhundrennen sind bis heute der Nationalsport Alaskas. Wenn das Iditarod stattfindet, das über weite Strecken der Route des Serum-Rennens folgt, sitzt die Bevölkerung vor den Bildschirmen und fiebert mit. Das Iditarod gilt als das längste und härteste Schlittenhundrennen der Welt, über 1800 Kilometer durch kaum berührte Natur. Erfolgreiche Musher - das ist der Fachausdruck für Schlittenhundführer - sind Hochleistungssportler und Perfektionisten in der Betreuung ihrer Hunde, Akrobaten auf den Schlittenkufen, die während des Rennens nächtelang kein Auge schließen und, wenn‘s sein muss, stehend auf den Kufen schlafen.
MUSIK ENDE
Der Lohn der Mühe sind Ruhm und ein hohes Preisgeld, das einen Ehrgeiz beflügelt, der das Leistungsvermögen der Hunde oft genug überstrapaziert.
MUSIK
Jürgen Stolz, der bayerische Musher aus Penzing, betreibt den Sport als Hobby und hat nicht die Möglichkeit und auch nicht den Ehrgeiz, in diese Dimensionen vorzustoßen.
MUSIK C1480480036 ENDE
13 O-TON STOLZ 11/9:09
Das ist halt ganz was anderes. Das ist halt dann ein Fulltime-Job. Die sind ja nur am Trainieren, die trainieren ja fast das ganze Jahr durch. Die sind im Sommer teilweise am Gletscher und fahren da Kreuzfahrtgäste und sind beim Lachsfischen, damit sie Geld verdienen. Das ist eine ganz andere Hausnummer.
ERZÄHLERIN:
In Europa ist das höchste der Gefühle der Alpentrail in Italien, der sich über 300 Kilometer erstreckt. Den hat Jürgen Stolz auch schon gewonnen. Aber es macht seiner Meinung nach Sinn, sich auf Sprintrennen zu konzentrieren.
14 O-TON STOLZ 9:40
Letztes Jahr sind wir den Alpentrail gefahren und waren danach auf einer Sprint-Europaschaft und haben da eins auf den Deckel bekommen, weil die Hunde einfach noch zu müde waren. Sie haben nicht gewusst, wie lange fährt der jetzt mit uns, fährt der wieder 60 Kilometer oder fährt der jetzt nur 18. Und da hat der Hund sich immer ein Päuschen im Hinterkopf gehalten und hat nicht hundert Prozent Vollgas gegeben, und da sind wir dann bloß sechster geworden. Das möchte ich wiedergutmachen. Meiner Meinung nach zählt man am meisten im Sprint, gerade auf Weltmeisterschaften. Da hat man den besten Namen, da ist die meiste Konkurrenz.
ERZÄHLERIN:
Wer den Schlittenhundsport aktiv betreiben will, braucht viel Zeit, Platz und Geld. So mancher hat sich da schon überschätzt. Die Hunde leiden, wenn sie zu wenig Bewegung und Zuwendung bekommen, sie leiden, wenn sie weiterverkauft werden. Bei Jürgen Stolz genießen alte Hunde ein behagliches Rentnerdasein auf dem großen, sicher umzäunten Grundstück, und die Aktiven freuen sich, wenn der langweilige Sommer endlich vorbei ist und die Rennsaison beginnt.
15 O-TON STOLZ 11. 43
Das ist das Größte für die Hunde, das ist unglaublich. Die flippen total aus, die Hunde. Die springen in die Seile, die springen einen Meter hoch, obwohl sie angebunden sind vorne und hinten, also am Schlitten schon. Das ist ihr Leben.
HUNDEGEBELL
ERZÄHLERIN:
Ein liebevoll betreuter Wettkampfhund ist besser dran als ein unausgelasteter Familienhusky, der seinen Bewegungsdrang nicht ausleben kann.
16 O-TON STOLZ 13.29
Wenn du mit dem Hund nichts machst, ist der Sibirian Husky der voll falsche Hund.
MUSIK
ERZÄHLERIN:
Bleibt nur zu hoffen, dass sich der organisierte Schlittenhundsport seiner Verantwortung gegenüber diesen liebenswerten Tieren bewusst bleiben.
17 O-TON STOLZ 10.34
Wir müssen uns alle denken, wir arbeiten ja nicht mit Motoren oder mit Maschinen, die man dann wegwerfen kann. Es sind Hunde, es sind Lebewesen. Es sind meine Freunde, ohne die ich nicht leben kann.
MUSIK ENDE
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