Charakter und Bestechlichkeit - Die Psychologie der Korruption
Wer lässt sich besonders gerne bestechen? Und wie reden sich diejenigen heraus, die der Bestechung überführt werden? Autorin: Daniela Remus (BR 2016)
Credits
Autorin dieser Folge: Daniela Remus
Regie: Christiane Klenz
Es sprachen: Christiane Roßbach, Peter Veit
Technik: Christiane Voitz
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Jamie Lee Campbell, PsychologinNils Köbis, Sozialpsychologe, Freie Universität Amsterdam;
Edda Müller, Politologin, Transparency International, Berlin;
Tanja Rabl, Wirtschaftswissenschaftlerin, Technische Universität Kaiserslautern;
Stephanie Thiel, Kriminologin, Universität Gießen
Diese hörenswerten Folgen von radioWissen könnten Sie auch interessieren:
Macht - Philosophische Überlegungen
JETZT ANHÖREN
Droge Macht - Wenn Menschen nach oben kommen
JETZT ANHÖREN
Schlechtes Gewissen, gutes Gewissen - Was die Moral mit uns macht
JETZT ANHÖREN
Im Grunde gut? - Das Menschenbild im Wandel
JETZT ANHÖREN
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
RadioWissen finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | RadioWissen
JETZT ENTDECKEN
Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Atmo Autobahn MUSIK What have we done to each other
Erzählerin:
Ein Krimischreiber hätte sich die Szene nicht besser ausdenken können: Im Schutz des Dämmerlichts treffen sich auf einem Autobahnparkplatz zwei Män¬ner. Sie sind verabredet, um Be¬stechungs¬gelder aus¬zu¬tauschen. Der eine ist 48 Jahre alt, Prokurist der Berliner Flug¬hafen¬ge¬sell¬schaft, der andere ein 46-jähriger Mitarbeiter des Gebäude¬tech¬nik¬aus¬rüsters Imtech. Von ihm bekommt der Prokurist 150.000 Euro, damit die Flug¬¬¬hafengesellschaft auf die Nachzahlungsforderungen von Imtech in Höhe von 60 Millionen Euro eingeht.
Zitator:
„Ich habe 150.000 Euro angenommen – drei Bündel mit 500-Euro-Scheinen in einem Briefumschlag. Dafür habe ich aber keine konkreten Handlungen versprochen, nur Wohlwollen bei der Prüfung der Imtech- Nachforderungen.”
Erzählerin:
Gesteht der Beschuldigte bereits am ersten Prozesstag im August 2016 und ergänzt:
Zitator:
„Es war falsch.”
Erzählerin:
Zu einem derart unumwundenen Geständnis kommt es aber eher selten, wenn jemandem der Prozess wegen Bestechung und Be¬stech¬lich¬¬keit gemacht wird. Viel häufiger tun die Angeklagten so, als handele es sich um eine Art von Kavaliersdelikt. Und glauben, dass sie damit vor Gericht durchkommen. Denn das unterscheidet diese Straftat Korruption von Diebstahl oder Unterschlagung: Die Täter fühlen sich nur in den seltensten Fällen schuldig und kriminell.
Zitator:
„Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.
Musik aus
Ob Bestechung oder Bestechlichkeit im internationalen Ge¬schäfts¬verkehr oder im eigenen Land, ob Käuflichkeit in der Politik oder der Versuch, durch Schmiergelder Vorteile zu erlangen - Korruption ver¬ur¬sacht nicht nur materielle Schäden, sondern untergräbt auch das Fundament einer Gesellschaft.”
Erzählerin:
So definiert die Nichtregierungsorganisation Transparency International den Begriff Korruption. Strafrechtlich kann Korruption mit mehreren Jahren Haft belangt werden.
Allerdings nennt der Gesetzgeber keine Summe, ab wann das Delikt ein Straftatbestand ist - außerdem ist entscheidend, ob es sich um Amtsmissbrauch handelt, ob man sich einen großen Wettbewerbsvorteil erschleicht oder wie hoch dabei die Steuerhinterziehung ist. Insgesamt wird ein ganzes Bündel von Gesetzen in Anschlag gebracht, um die Schwere der Tat zu ermitteln. Transparency International kämpft seit 1993 weltweit gegen dieses aus¬ge¬prägte Phänomen. Ein Verhalten, das nicht nur illegal ist, sondern auch dem globalen Wirtschaftssystem einen massiven Schaden zufügt. Jährlich gehen etwa 1,5 Billionen Euro durch Schmiergeldzahlungen und Bestechung verloren, also 50% des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Womit das weltweite Wirtschaftswachstum um etwa zwei Prozent geschmälert wird, so der Internationale Währungsfond IWF. Für Deutschland sind es rund 250 Milliarden Euro.
MUSIK Clue one
Erzählerin:
Korruption ist nicht gleich Korruption: Ist das Schenken einer Kiste Wein schon ein Bestechungsversuch? Und die Urlaubs¬ein¬ladung ein Ausdruck von echter Freundschaft? Die Grenzziehung macht das Ganze so schwierig: Wo genau beginnt Korruption? Das untersuchen Wissenschaftler erst seit wenigen Jahren. Dabei stehen die psychologischen Recht¬fer¬tigungs¬stra¬tegien der Be¬teilig¬ten im Fokus. Forscher skiz¬zieren drei Bereiche, in denen korrupt ge¬han¬delt wird: Die sichtbarste Korr¬uption ist die so¬g¬e¬nann¬¬te situa¬tive Korruption. Sie ist auch am ein¬fachsten zu beschreiben und damit auch zu bekämpfen. Darüber hinaus un¬terscheiden Wissenschaftler die strukturelle Korruption und die Netz¬werkkorruption, sagt die Kriminologin Dr. Stefanie Thiel von der Universität Gießen:
Musik aus
Take 4 (O-Ton Thiel)
Also große Korruption, das findet auf einer höheren sozialen Ebene statt, das kann auch in den politischen Sektor hineinreichen, da ist die Wirtschaft dran beteiligt, das kann bis hin zu ganzen Netzwerken gehen, das ist eher Korruption unter Mächtigen.
Erzählerin:
Die situative Korrup¬tion ist vor allem in Staaten verbreitet, in de¬nen es ein starkes Gefälle zwis¬chen Arm und Reich gibt, in denen staat¬liche Strukturen schwach aus-geprägt sind. Beispiele sind Indien, Nigeria oder Brasilien. Dort sind Schmier¬geld-zahlungen an der Tagesordnung: Jeder muss zah¬len, um seinen Pass ver¬län¬gert zu bekommen, eine ärztliche Be¬handlung zu erhalten oder nach dem Überfahren einer roter Ampel nicht im Ge¬fän¬g¬nis zu landen. Diese Art von Korruption ist deshalb gefährlich, weil sie das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat nachhaltig zerstört. Bei uns dagegen spielt diese Art von Kor¬rup¬tion so gut wie gar keine Rolle. Auch das ist ein Grund, warum Deutsch¬land beim Kor¬rup¬¬¬tions¬¬wahr¬neh¬mungs¬¬index von Transparency Inter¬national seit Jahren so gut abschneidet, obwohl Schmiergelder und Käuf¬lichkeiten auch bei uns gang und gäbe sind.
MUSIK Sugar storm
Erzählerin:
Wie zum Beispiel in der sogenannten Adlon Affäre:
Zitator:
2001 übernachtete der damalige Präsident der Deutschen Bundesbank, Ernst Welteke, mit Familie im Berliner Luxushotel Adlon. Bezahlt wurde der viertägige Silvesteraufenthalt von der Dresdner Bank. Als der Spiegel die Zahlung 2004 öffentlich machte, legte Welteke sein Amt nieder. Er begründete das damit, dass der Aufenthalt zu „Kritik und Miss¬ver¬¬ständnissen” geführt habe. Er habe die Einladung als eine Art von Honorar verstanden, nicht als Geschenk, rechtfertigte sich der Banker, schließlich habe er in Berlin Interviews gegeben, Presse- und Fototermine wahrgenommen.
Musik aus
Erzählerin:
Die Ermittlungen wegen Vorteilsnahme wurden gegen Zahlung von 25.000 Euro eingestellt.
Take 5 (O-Ton Köbis)
Was wir in unserer Forschung gezeigt haben ist, dass wenn es um Korruption geht, die meisten Leute es als unakzeptabel und unmoralisch ansehen, aber es trotzdem relativ viele Leute gibt, die in unserem Ex¬pe¬ri¬ment bereit sind, korrupt zu handeln …
Erzählerin:
Sagt Dr. Nils Köbis, Sozialpsychologe an der Freien Universität in Am¬ster¬dam. Dieser Spagat zwischen Einstellung und Handlung ist möglich, weil sich die Täter etwas vormachen und selbst belügen. Das betrifft ihr Verhalten, ihre Motive und die Folgen ihrer Handlungen. Auf diesen Widerspruch ist auch die Psychologin und Wirt¬schafts¬-wis¬sen¬schaft¬lerin Prof. Tanja Rabl von der Technischen Universität Kaisers¬lautern bei ihren Experimenten gestoßen:
MUSIK Sugar storm
Take 6 (O-Ton Rabl)
Das Planspiel war so angekündigt, dass es um Entscheidungsverhalten in Unternehmen geht, das heißt, im Vorfeld wussten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht, dass es um Korruption geht.
Zitator:
Die Teilnehmer des spieltheoretischen Experiments, mussten dafür in die Rolle eines Entscheidungsträgers in einem Unternehmen schlüpfen.
Musik aus
Sie waren dann Marketing- oder Vertriebsleiter und sollten entscheiden, wieviel Geld sie in welche Maßnahmen und Leistungen stecken wollten: Werbung, Verkaufsförderung, Produktverbesserung etc. Und gerieten im Laufe des Experiments dann in Situationen, in denen die Versuchung bestand, korrupt zu handeln.
MUSIK Sugar storm
Take 7 (O-Ton Rabl)
…uns war es ja wichtig zu erkennen, ob in den Situationen, wo solche Angebote eine Rol¬le spielen, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch erkennen, ob es sich um Korruption handelt, oder nicht und wie sie sich ent¬spre¬chend verhalten.
Erzählerin:
Eine erste überraschende Erkenntnis dieser Experimente: Viele Teilnehmer waren sich nicht bewusst, so sagten sie zumindest, etwas Unrechtes getan zu haben, als sie Korruptionsangebote an¬genommen oder unterbreitet hatten.
Musik aus
Vielmehr stellten sie ihr Handeln in einen anderen Zusammenhang und damit in einem positiven Licht dar, so Tanja Rabl.
MUSIK Strange activities
Erzählerin:
Bei Diebstahl und anderen kriminellen Delikten, die zu einer persön¬li¬chen Be-reicherung führen, sind die Grenzen der Legalität klar.
Bei Ko¬r¬ruption dagegen tun sich die Handelnden damit deutlich schwerer, zeigen die Forschungen in Kaiserslautern und Amsterdam. Das liegt zum einen daran, dass alle, die sich direkt an der Korruption beteiligen, zufrieden sind – der Bestochene, weil er Geld erhält oder in den Genuss geldwerter Privilegien kommt, und der Bestechende, weil er dadurch ein Ziel erreichen kann. Und es liegt an der Natur der sozialen Beziehungen: Kor¬rup¬tion ist keine Straftat, die sich ein Einzelner im stillen Kämmerchen aus¬denkt, sondern immer auf die Interaktion mit anderen an¬ge¬wiesen. Die Grenzen zwischen Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Käuflichkeit können verwischen, und in einem Beziehungsgeflecht zum Teil des sozialen Lebens werden.
Musik aus
Take 9 (O-Ton Rabl)
Was wir da gesehen haben, ist, dass es verschiedenste Recht¬ferti¬gungs¬stra¬tegien gibt, dass man eben den Schaden leugnet oder dass man leug¬net, dass es Opfer gab, oder dass man auch die Verantwortung leugnet, und da haben wir gesehen, dass vor allem Strategien zum Ein¬satz kommen, wo es eben darum geht, diese positive Absicht, die hinter kor¬ruptem Handeln steht, hervorzuheben.
Musik Rara avis
Erzählerin:
Auch die Tatsache, dass es bei der Korruption keine sichtbaren Opfer gibt, trägt entscheidend mit dazu bei, dass sich viele nicht als Straftäter fühlen, so der Sozialpsychologe Nils Köbis von der Freien Universität Amsterdam:
Take 10 (O-Ton Köbis)
Was wir z.B. in Experimenten herausgefunden haben, ist, dass die Wahr-scheinlichkeit, dass Menschen korrupt handeln, deutlich höher ist, wenn sie nicht alleine davon profitieren, sondern auch noch andere mit pro¬¬fitieren. Und so können sie sehr viel einfacher das Ganze recht¬fer¬tigen, indem sie sagen, na gut ich hab das jetzt nicht nur für mich gemacht, ich hab das auch für die andere Person gemacht. ((Das Besondere an der Korruption ist, dass es sehr häufig eine Art von beidseitigem
Profit gibt.)) Ganz vielen Menschen nehmen Korruption als eine Win-Win Situation wahr, blenden dabei aber aus, dass es eine Win-Win-Loose Situation ist. Denn es gibt stets ein Opfer der Korruption.
Musik aus
Erzählerin:
Aber das liegt nicht schwerverletzt am Boden, sondern bekommt beispielsweise als konkurrierendes Unternehmen nicht den Zuschlag für den Auftrag. Oder das Opfer ist die Allgemeinheit, weil etwa ein überteuertes oder gar unsinniges Projekt umgesetzt wird - und und und. In jedem Fall gilt: Schaden und Geschädigte bleiben abstrakt für den Täter und können so leichter verdrängt werden.
Take 11 (O-Ton Thiel)
Man spricht von Korruption als einem opferlosen Delikt, das ist natürlich nicht opferlos, aber man sieht das Opfer in dem Moment ja nicht. Das Opfer ist die Allgemeinheit, ich selber bin als Bestechende oder als Bestechlicher selber auch Teil der Allgemeinheit, aber in dem Moment sehe ich die Zusammenhänge nicht, weil sie sich nicht so offensichtlich erschließen.
Erzählerin:
Deshalb reden sich viele die Korruption schön.
Atmo Geldzählen MUSIK Zippo‘s
Erzählerin:
Anfällig für Bestechung zu sein, ist keine angeborene Charakter¬eigen¬schaft. Fast jeder ist potentiell korrupt und kann sich unter bestimmten Um¬stän¬den korrupt verhalten. In Deutschland, wo sie kein situatives Alltags¬ph䬬no¬men ist, tritt Korruption netzwerkartig in der Wirtschaft auf. Daher ist Be¬stechung in der Regel ein Delikt der Entscheidungsträger, d.h. der höheren Beamten oder Angestellten, der Ma¬nager, Aufsichtsrats¬vorsit¬zen¬den, Bosse.
Denn es geht dabei meis¬tens um Aufträge, um Erfolg, um Profit, um Geld und Macht. Wie der typische korrupte Akteur aussieht, erklärt Tanja Rabl:
Musik aus
Take 13 (O-Ton Rabl)
Was natürlich nicht überrascht, weil gerade in den Positionen, die anfällig sind für korruptes Handeln, nämlich die, mit viel Ent¬scheidungs¬spiel¬raum, nach wie vor Männer überrepräsentiert sind, dass die sehr kar¬riereorientiert sind, sehr ehrgeizig sind, dass das oftmals Aufsteiger sind, die sehr statusbewusst sind, die die viele Aus- und Fortbildungen ab¬solviert haben, aber die auch diese sehr ausgeprägten Recht¬ferti¬gungs¬tendenzen haben.
MUSIK Yolanda
Erzählerin:
Und offenbar hat sich an diesen beiden grundsätzlichen Einschätzungen we¬nig geändert.)) Heut¬zu¬ta¬ge gilt Korruption zwar als eine Straftat. Und wer in den Ruf gerät, korrupt zu sein, kann mit wenig Ver¬ständnis rechnen, wie das Beispiel des ehe¬ma¬ligen Bundespräsidenten Christian Wulff deutlich gezeigt hat.
Ganz anders aber ist die Bewertung von Korruption häufig dann, wenn es um kon-krete eigene Interessen geht. So hat z.B. im Jahr 2005 eine Untersuchung der Unter¬nehmens¬beratung Ernst & Young er¬geben, dass jeder vierte deutsche Angestellte Korruption in Ordnung findet, wenn dadurch die Wirtschaftskraft des eigenen Unternehmens ge¬stärkt wird. Dr. Jamie Lee Campbell hat festgestellt, dass es häufig die Organisationen selbst sind, die das Arbeitsklima so beeinflussen, dass die Mit¬arbeiter korruptes Verhalten als durchaus üblich und sogar notwendig be-trachten:
Musik aus
Take 14 (O-Ton Campbell)
Was ich herausgefunden habe, dass die Wahrnehmung ist, dass man mit der Organisation im Krieg ist. Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt, und dadurch wird jedes Projekt, jeder Auftrag, der herangezogen wird, ist wichtig, damit die Organisation weiterleben kann und dadurch sind dann auch die Arbeitsplätze sicher und dementsprechend ist das ein großer Druck. Und dass Korruption dadurch dann auch ein legitimes Mittel werden kann, um dieses Problem zu lösen. Dass man den Krieg gegen andere gewinnt.
MUSIK A rocket debris cloud drifts
Erzählerin:
In Unternehmen, denen Korruption nachgewiesen werden konnte, wie etwa Siemens in Deutschland oder dem Energiekonzern Enron in den USA, herrschte häufig eine Unternehmenskultur, so die Psychologin, die die Mitarbeiter auf vielen Ebenen unter Druck setzt.
Musik aus
Take 15 (O-Ton Campbell)
Man macht das ja jetzt nicht nur für sich, sondern auch für die Kollegen, weil die ja sonst auch ihren Job verlieren können und selbst, wenn man sich nicht sehr mit dem Unternehmen oder der Organisation identifiziert, kann es sein, weil die anderen einfach so einen Druck machen, dass man auch aus den Gründen mitmacht.
MUSIK Procedural
Erzählerin:
Der Absturz von Enron
Zitator/Sprecher:
Der weltgrößte Energiekonzern Enron beschäftigte auf dem Höhepunkt seines Erfolgs mehr als 22.000 Mitarbeiter. Für sich selbst warb der Kon¬zern, der vielen als Inbegriff eines innovativen Unternehmens galt, mit dem Spruch, er sei die großartigste Firma der Welt! 2001 kam heraus, dass jahrelang im großen Stil Bilanzen gefälscht und reihen¬weise US-Po¬litiker geschmiert worden waren. Als Konsequenz musste die Firma In¬solvenz anmelden, zahlreiche Mitarbeiter verloren die Jobs und auch ihre Betriebsrenten.
Musik aus
Erzählerin:
Eine Unternehmenskultur der absoluten Gewinnmaximierung ist durch¬aus verbreitet. Und auch wenn viele Un¬ter¬neh¬men heut¬zu¬tage in ihrer Selbstdarstellung auf Ver-haltens¬codices, so¬ge¬nannte Codes of Conduct oder Codes of Ethics verweisen, in denen von Nach¬ha¬ltigkeit, Trans¬pa¬renz und Verantwortung die Rede ist, so gibt es auf der infor¬mellen Or¬ga¬nisationsebene doch häufig Maßnahmen, die einem solchen Ver¬hal¬tens¬kodex diametral entgegengesetzt sind.
Take 17 (O-Ton Campbell)
Die Frage ist halt, wie ist das mit dem Belohnungs- und Sanktionssystem ver-bunden? Inwiefern kann ich auch belohnt werden, wenn ich einen Auf¬trag nicht bekommen habe, obwohl ich ethisch gehandelt habe, und ihn deswegen nicht bekommen habe oder inwiefern werde ich belohnt, wenn ich einen Auftrag bekommen habe, wo es ganz klar ist, dass das mit Korruption vonstatten gegangen ist. Das wirkt halt auch auf die an¬de¬ren Mitarbeiter.
Erzählerin:
In vielen Branchen und Unternehmen ist es für neue Mit¬ar¬beiter nicht auf den ersten Blick erkennbar, welche Unternehmenskultur, neben der offiziellen Selbst¬dar¬stellung, vorherrscht. Manchmal rutschen Mitarbeiter Schritt für Schritt hinein in ein Geflecht aus Betrug, Lüge und Bestechung.
Take 18 (O-Ton Köbis)
Das ist dieser graduelle Prozess in dem eine gewisse Handlung, von der man gesagt hätte, dass man sie niemals machen würde, am Ende oder nach einiger Zeit als akzeptabel angenommen wird.
Erzählerin:
Sagt der Sozialpsychologe Nils Köbis von der Freien Universität Amsterdam.
Take 19 (O-Ton Köbis)
Jetzt kann es allerdings sein, dass am Anfang das Ganze nicht nach einem Briefumschlag mit Geld aussieht, sondern dass es vielleicht erstmal eine nette Einladung zum Abendessen ist. Auf die nette Ein¬ladung zum Abendessen folgt dann vielleicht die Einladung ein The¬a¬ter¬¬event oder ein Sportevent zu besuchen. Dann wiederum kann es sein, dass man zu einem Urlaub eingeladen wird und auf einmal erhöht sich die Größe der Korruption schrittweise und jeder Schritt fühlt sich als ein-zelner überhaupt nicht verwerflich an.
Akzent Geldzählgeräusch
MUSIK Diamond
Take 20 (O-Ton Campbell)
Kognitive Dissonanz bedeutet, ich habe eine Einstellung und einen Wert, das wäre, ich bin ein ethisch und rechtschaffener Mensch. Mein Verhalten ist aber, dass ich was ganz anderes mach, ich unterstütze Korruption in meiner Organisation. Und um die zu überbrücken, brauche ich eine Strategie, die nennt sich Rationalisierung. Das sind sehr starke Strategien, die helfen, dass man seinen Wert und sein Selbstbild aufrecht erhalten kann und trotzdem weiter kriminell unterwegs sein kann.
Erzählerin:
Entscheidend für diese kognitive Dissonanz ist auch, dass ein Verhalten in verschiedenen Situationen unterschiedlich bewertet wird. Was ein Mensch im Privatleben als unethisch und falsch verurteilt, kann er in Arbeitszusammenhängen durchaus akzeptabel finden, erklärt der Sozialpsychologe Köbis:
Musik aus
Take 21 (O-Ton Köbis)
Und was wir dort gefunden haben, dass die Personen, die sich nicht korrupt verhalten, ein sogenanntes moralisches Framing benutzen, das heißt, ihre Verhalten unter moralischen Gesichtspunkten sehen. Sie sagen, ich hab das nicht gemacht, Korruption ist unmoralisch. Die Per¬so¬nen, die wiederum in dem Spiel korrupt gehandelt haben, sagen, ich hab das gemacht, weil es clever war, weil das smart war. Und so zeigt sich, bei der Korruption, dass selektiv ausgesucht wird, ob man das Verhalten eher als clever und smart ansieht, oder eher unter einem moralischen Gesichtspunkt sieht.
Erzählerin:
Und je verbreiteter Bestechung und Be¬stech¬lich¬keit als Teil der Unternehmenskultur sind, desto leichter fällt eine solche Beurteilung, sagt auch die Wirtschaftswissenschaftlerin und Psychologin Tanja Rabl von der Technischen Universität in Kaiserslautern:
Take 22 (O-Ton Rabl)
Da haben wir gesehen, dass drei Faktoren ganz wichtig sind, nämlich einmal, wie ist die persönliche Einstellung der Person zu Korruption, dann natürlich auch, wie sind die Normen der anderen, wie steht mein Umfeld, wie stehen Personen, die mir wichtig sind, das können Kollegen sein, das kann Familie sein, das können Freunde sein, wie stehen die eigentlich zu Korruption? Und der dritte Faktor war dann eben noch, wie viel Kontrolle glaub ich noch über mein korruptes Handeln zu haben , wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass ich das Ganze risikolos durchführen kann?
Erzählerin:
Diese Faktoren führen dazu, dass Schmiergeldzahlungen auch bei uns noch immer ver¬breitet sind, allem Wissen um Kriminalität, um Ungerechtigkeit und wirtschaftl¬i-chen Scha¬den zum Trotz. Denn nicht nur in einzelnen Unternehmen herrscht mit-unter eine tolerierende Haltung gegenüber Korruption, weil sie an¬geb¬lich nötig ist, um an Aufträge zu kommen oder um Arbeitsplätze zu erhalten. Auch auf staatlich-ge¬sell-schaf¬tlicher Ebene erschüttern immer wieder Bestechungs-Skandale, in die Politiker oder angesehene Persönlichkeiten verwickelt sind, die Öffentlichkeit. Grundsätzlich könnte der Staat jedenfalls Be¬stechung und Be¬stech¬lichkeit deutliche effektiver ver-folgen und eindämmen, erläutert die Kriminologin Thiel von der Universität Gießen.
Trotzdem gehe in Deutschland der Trend weg von staatlicher Kontrolle hin zu betrieblicher Selbstkontrolle. Das sei das falsche Signal:
Take 24 (O-Ton Thiel)
Da hat sich der Staat auch aus vielen Kontrollfunktionen zurückgezogen und das hat natürlich auch der Korruption Tür und Tor geöffnet.
MUSIK Zippo‘s
Erzählerin:
Diejenigen, die die psychologischen Strategien der korrupt Handelnden un¬ter¬suchen, sehen v.a. in den sozialen Normen, eine große Chance, um Korruption zu bekämpfen und zu vermeiden. Wenn Korruption nämlich tatsächlich geächtet ist, wenn keine Belohnungen oder Beförderungen und andere Vorteile daraus erwachsen, dann lässt sich die Aufteilung in strategisch cleveres Arbeitsverhalten und moralisch integeres Privatleben nicht aufrechterhalten. Dann würden die Gelegen¬heiten, Situationen und Zufälle, die entscheidend sind für ein korruptes Verhalten, einfach entfallen.
Musik aus
Create your
podcast in
minutes
It is Free