Vordenkerin eines entfesselten Kapitalismus - Ayn Rand
Ayn Rand war eine Schriftstellerin und Philosophin, die von Russland in die USA floh. Dort entwickelte sie ihre Thesen eines radikalen, entfesselten Kapitalismus: Ein Staat müsse sich auf eine Minimalversion reduzieren lassen. Von Daniela Remus (BR 2019)
Credits
Autorin dieser Folge: Daniela Remus
Regie: Axel Wostry
Es sprachen: Thomas Albus, Diana Gaul, Johannes Hitzelberger
Technik: Regina Staerke
Redaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:
Prof. Alexander Dietz, Wirtschaftsethiker, Hochschule Hannover;
Dr. Christian Wildhagen, Politikwissenschaftler, Hamburg
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Sprecherin:
2007 stürzt die Welt in eine globale Finanzkrise. 2008 folgt der Zusammenbruch wichtiger US-Großbanken, mit Folgen weltweit. In Deutschland wünschen sich die Menschen, dass der Staat den Finanzsektor dauerhaft stärker kontrolliert. Auch in den USA interveniert die Regierung, aber viele US-Bürger halten diese Einmischung für grund¬verkehrt. Und davon profitieren auch die Erben der russisch-amerikanischen Schriftstellerin Ayn Rand.
Atmo 1 (Geldgeklingel in Kasse)
Sprecher:
Denn die Verkäufe ihres Hauptwerks mit dem Titel Atlas Shrugged, auf Deutsch Der Streik schnellen in diesen Jahren der Finanzkrise deutlich nach oben. Obwohl das Buch ohnehin schon zu den US-amerikanischen Bestsellern gehört. Darin beschreibt Ayn Rand den Zusammenbruch eines Staates, weil die kapitalistischen Unternehmer nicht länger bereit sind, die Früchte ihres Denkens und ihrer Arbeit mit dem trägen Teil der Gesellschaft zu teilen.
Zitatorin:
„Wir sind im Streik, wir, die Verstandesmenschen. Wir streiken gegen Selbstaufopferung. Wir streiken gegen den Glauben an unverdiente Belohnungen und unbelohnte Pflichten. Wir streiken gegen das Dogma, das Streben nach eigenem Glück sei böse.” (S. 1090)
Musik (Tusch oder ähnlich als Trenner)
Take 2 (O-Ton Dietz) L: 0, 13
Sie ist eine der wichtigsten Stichwortgeberinnen im 20. Jahrhundert für die Politik der USA, sie hat sich klar für einen Minimalstaat ausgesprochen, für ein marktwirtschaftliches System in einem radikalliberalen Sinne.
Sprecherin:
Alexander Dietz, Wirtschaftsethiker an der Hochschule Hannover.
Take 3 (O-Ton Wildhagen) L: 0, 10
Rationalität ist ein Ausgangspunkt, dann das Eigennutzstreben, auch die menschliche Selbstliebe, der Mensch handelt ausschließlich zu seinem eigenen Nutzen, es gibt keine altruistischen Motive.
Sprecherin:
Christian Wildhagen, Politikwissenschaftler, Hamburg.
Musik (Tusch oder ähnlich als Trenner)
Sprecherin:
In den USA sind die Schriften von Ayn Rand Schullektüre und fester Bestandteil der Kultur. So gaben die Teilnehmer einer repräsentativen Studie auf die Frage, welches Buch sie am stärksten beeinflusst habe, an, neben der Bibel sei das Atlas Shrugged von Ayn Rand gewesen. Der Ökonom Alan Greenspan, fast zwei Jahrzehnte lang Vorsitzender der US-Notenbank, huldigt den libertären Ideen Rands bis heute genauso wie die Schauspielerin Angelina Jolie oder die Tea Party Bewegung. Ayn Rand und ihr Einfluss auf die amerikanische Kultur ist in Europa wenig bekannt. In den USA aber ist sie die Ikone des freien Marktes, die begeisternde Vordenkerin eines entfesselten Kapitalismus.
Musik (russisch-jüdisch früh es 20.Jahrhundert)
Sprecher:
1905 wird Ayn Rand als Alissa Sinonwjewna Rosenbaum geboren. Ihr Vater ist Apotheker, die Familie lebt in St. Petersburg ein bürgerliches und wohlhabendes Leben. Die Familie ist zwar jüdisch, der Glaube spielt aber im täglichen Leben keine große Rolle. Ayn Rand ist gerade 12 Jahre alt …
Musik (die Internationale) hinterlegen
Sprecher:
… als Im Februar 1917 Arbeiteraufstände die russische Zarenherrschaft endgültig beenden. In der Folge enteignen die Bolschewiken auch Familie Rosenbaum, die verarmt auf die Krim flieht und erst Jahre später zurückkehrt nach St. Petersburg, das jetzt Petrograd heißt. 1921 beginnt Ayn Rand dort Geschichte und Philosophie zu studieren. Aber sie lehnt das kommunistische Regime ab, hofft gemeinsam mit ihrer Familie, dass die Monarchie treuen Kräfte vielleicht doch noch einmal den Umsturz rückgängig machen können. Als sie Ende 1925 ein befristetes Ausreisevisum erhält, um Verwandte in den USA zu besuchen, nimmt Ayn Rand das zum Anlass, Russland für immer zu verlassen.
Atmo (Schiffshupen, Hafenatmo) darüber
Sprecherin:
Anfang 1926 ist sie vier Wochen mit dem Schiff unterwegs, dann erreicht sie Manhattan.
Atmo (Schiffshupen, Hafenatmo) darüber
((Take 4 (O-Ton Wildhagen) L: 0, 17
Dann fiel diese negative Erfahrung auf etwas ganz Positives in den USA, das freiheitliche Denken, die Ankunft in New York, das muss überwältigend gewesen sein da die Skyscraper zu sehen, aus Europa kommend, weil man diese Form der Gebäude gar nicht kannte, das hat sie glaube ich ganz stark geprägt und in etwas ganz anderes geworfen, eigentlich in das Gegenteil dessen, was sie erlebt hat. ))
Sprecherin:
Kaum angekommen in der Neuen Welt ändert die 21Jährige ihren Namen: Aus Alissa Rosenbaum wird Ayn Rand. Nach kurzem Aufenthalt bei ihren Verwandten geht sie zielstrebig in den Westen, nach Hollywood. Dort versucht sie sich in den 20er und 30er Jahren als Drehbuchautorin. Sie heiratet einen Schauspieler und schafft schließlich 1943 mit ihrem zweiten Roman den langersehnten Durchbruch: The Fountainhead, heißt das Buch. Zu deutsch: Der ewige Quell oder die Urquelle. Der Hamburger Politikwissenschaftler Christian Wildhagen, der wissenschaftlich zu Ayn Rand gearbeitet hat, erklärt den Aufbau des Romans:
Take 5 (O-Ton Wildhagen) L: 0, 30
Das gesamte Plot (…) ist schon sehr russisch angelegt, mit der Komplexität des Plots mit der Anzahl von Akteuren an Handlungen, die Handlungsstränge sind miteinander sehr verwoben. Das finden wir bei Dostojewski, bei Turgenjew oder Tolstoi (…) das ist schon sehr russisch. Dass dann durch diese Heldenfiguren, die sie kreiert, fast schon cineastisch anzulegen, das mag sich entwickelt haben durch die Zeit als Drehbuchautorin in Hollywood. Es entstehen ja bei jeder Lektüre Bilder, aber bei ihr in einer ganz anderen Form, weil man den Film quasi schon sieht.
Sprecher:
The Fountainhead wird trotz der russischen Komplexität des Stoffs in Hollywood verfilmt. Ayn Rand schreibt sogar das Drehbuch. 1949 kommt die Geschichte in die Kinos, der damalige Superstar Gary Cooper spielt die Hauptrolle.
Musik (schnulzig 40er Jahre oder Titelmusik) hinterlegen unter Sprecher
Sprecher:
Hauptperson ist der talentierte Architekt Howard Roark, der sich weigert, Kompromisse zu machen, um an lukrative Aufträge zu kommen. Deshalb muss er die Uni ohne Abschluss verlassen, und in einem Steinbruch arbeiten, um zu überleben. Als er schließlich doch die Chance erhält, als Architekt ein Projekt zu planen und der Auftraggeber seine Pläne nicht umsetzt, sprengt Roark das Haus in die Luft. Im Gerichtsprozess beruft er sich auf seine schöpferische Kraft. Er wird freigesprochen. Howard Roark ist jetzt gesellschaftlich akzeptiert, wird ein gefeierter Stararchitekt und heiratet seine große Liebe.
Musik (schnulzig 40er Jahre oder Titelmusik) Ende
Sprecherin:
Den Roman, so Christian Wildhagen, hat Ayn Rand Anfang der 40er Jahre nicht nur als Plädoyer für die Freiheit des Individuums geschrieben, sondern auch als Kritik an der US-amerikanischen Innenpolitik: Präsident Roosevelt hatte den New Deal beschlossen, mit starken Kontrollen für die Wirtschaft, was Ayn Rand als sozialistisch kategorisch ablehnte. Ihre Idee eines funktionierenden Wirtschaftssystems knüpft an die Ideen des Libertarismus des 18. und 19. Jahrhunderts an: Der Staat müsse sich auf ein Minimum wie äußere und innere Sicherheit beschränken. Politik und Wirtschaft gehörten getrennt. Höchstes Gut sei nicht die Gemeinschaft, sondern das einzelne Individuum. Dessen Freiheit dürfe nicht durch Wohlfahrtsansprüche der Gesellschaft begrenzt werden. Solidarität, staatliche Unterstützung für Arme, Alte und Schwache durch Steuererhebungen seien unzumutbare Eingriffe in die Freiheit der Individuen. Das kapitalistische Wirtschaftssystem müsse sich frei entfalten können, ohne jegliche Intervention des Staates. Typisierte Personen wie die Hauptfigur Howard Roark im Roman The Fountainhead zeigen, worauf es Ayn Rand im Kern ankommt: Auf individuelle Autonomie, Selbstverwirklichung und Egoismus, erklärt der Wirtschaftsethiker Alexander Dietz von der Hochschule Hannover:
Take 6 (O-Ton Dietz) L: 0, 20
Alle ihre Romanhelden sind groß, schön, stark, gesund und die anderen Menschen leben auf Kosten von denen letztendlich mit. Und man muss eben aufpassen, dass man den Starken nicht zu viele Kosten aufbürdet, sonst sind sie eben irgendwann nicht mehr so leistungsfähig und so hilfsbereit und dann ist es für alle schlechter.
Sprecher:
Das Personentableau in Rands Romanen ist zweigeeilt. Sie zeigt menschliche Stereotype: Einerseits gibt es die Helden, die wie der Architekt Howard Roark starke und selbstbewusste Individuen sind. Diese Personen bezeichnet Ayn Rand als Schöpfer, im amerikanischen Original creator. Die Gegenspieler dieser edlen Helden sind angepasste Jasager. Also Menschen, die keine eigenen Ideen haben, die sich bequem an das halten, was ihnen vorgegeben wird. Ayn Rand bezeichnet sie als Parasiten oder Trittbrettfahrer, im Original parasite oder second-hander. Diese Menschen haben den Altruismus zur Moral erhoben und beuten damit seit Jahrhunderten die starken und schöpferischen Menschen aus, so Rand:
Take 7 (O-Ton Dietz) L. 0, 18
Sie weist jede Einschränkung individueller Freiheitsrechte zugunsten des Gemeinwohls zurück und sie fordert, dass der einzelne Mensch seine Identität und sein Selbstwertgefühl an seinem individuellen Verstand und seiner individuellen Leistung und nicht an der Zugehörigkeit zu irgendwelchen Kollektiven festmachen sollte.
Sprecherin:
Denn: Der Mensch sei nicht etwa ein soziales oder gar politisches Wesen, sondern ein Egoist, sagt Ayn Rand. Und das sei kein Makel, wie die meisten Menschen annehmen, sondern eine zutreffende und realistische Beschreibung. Die vorherrschende christlich geprägte Moralvorstellung von Nächstenliebe und Altruismus sei in Wirklichkeit zutiefst unmoralisch, weil beide gar nicht existierten.
Die Norm, altruistisch zu sein, mitfühlend und hilfsbereit, sei ein moralischer Mythos, der in eine Sackgasse führe. Und im extremsten Fall in den Kommunismus bolsche¬wis¬ti¬scher Prägung. Deshalb gelte es, diesen Mythos mithilfe der Vernunft zu entlarven und zu überwinden. Wenn jeder an sich selbst denke und die eigenen Interessen verfolge, dann sei an alle gedacht, so Rand. Denn erstens entspreche der Altruismus nicht der menschlichen Natur und zweitens verhindere das altruistische Dogma, die eigene Individualität zu entfalten. Rands Anhänger behaupten deshalb bis heute: „Altruism is evil” – Altruismus ist böse!
Take 8 (O-Ton Wildhagen) L: 0, 28
Soziale Gedanken hat sie in gar keiner Form, (…) außer bei denen, die sie ablehnt. Sie hat eine ganz dualistische Figurenstruktur in ihren Romanen, die einfach zu erkennen ist. Da gibt es die Altruisten, die Kollektivisten, eigentlich man könnte auch sagen, die Kommunisten, also all das, was sie in Russland erfahren hat, das findet sich in jedem Werk. Und dann die Helden, die rationalen Egoisten, die Individualisten, die, wie sie die nennt, die „creators”, die anderen sind die „Secondhander”, die Trittbrettfahrer, die aus zweiter Hand leben, von den Schöpfern.
Sprecher:
Der Mensch ist nach Ayn Rand ein Egoist, so der Politikwissenschaftler Christian Wildhagen. Denn Eigennutz und das Verfolgen egoistischer Interessen seien durch und durch rational. Nur durch die menschliche Vernunft sei es möglich, Erfindungen, Erkenntnisse oder Dinge zu produzieren. Exemplarisch sagt das die Hauptfigur in ihrem Hauptwerk Atlas Shrugged:
Zitator:
„Ihr schreckt nicht vor der Selbsterniedrigung zurück, mit dem Begriff Mensch den Schwächling, den Narren, den Lumpen, den Lügner, den Versager, den Feigling und den Betrüger zu meinen, aber den Heros, den Denker, den Produzenten, den Erfinder, den Starken, den Zielbewussten, den Reinen aus der Menschheit auszuschließen – als wäre Fühlen menschlich, Denken aber nicht, als wäre Versagen menschlich, Erfolg aber nicht, als wäre Unredlichkeit menschlich, Tugendhaftigkeit aber nicht.“ (S. 1132)
Sprecher:
Jeder Mensch habe demnach die Möglichkeit, zwischen zwei Lebensformen zu wählen: Als Schöpfer unabhängig, frei und rational zu sein, oder als Parasit von den Ideen der anderen zu leben. Diejenigen, die sich nichts trauten, die nur das umsetzten, was andere von ihnen erwarten, die sogenannten Trittbrettfahrer, behinderten die egoistischen Individuen und nutzten sie sogar aus. Egoismus bedeutet in Rands Theorie also nicht das, was wir um¬gangs¬sprachlich heute darunter verstehen. Es geht um die Entfaltung der individuellen kognitiven Fähigkeiten, nicht darum, andere zu übervorteilen oder auszubooten, sagt Alexander Dietz, der eingehend zu ihrer Wirtschaftstheorie gearbeitet hat:
Take 9 (O-Ton Dietz) L: 0, 16
Grundsätzlich spielt das Kognitive in ihrem Menschenbild eine ganz besonders große Rolle. Also man kann sagen, bei Rand haben wir eine einseitige Fokussierung auf die kognitiven Fähigkeiten des Menschen. Die Denkfähigkeit und die Angewiesenheit auf das Denken machen den Menschen aus für Rand.
Sprecherin:
Der Vernunftbegriff ist reduziert auf die technisch-rationale Seite der Vernunft, die Ayn Rand als ein Werkzeug ansieht, um konkrete Zwecke zu erreichen. In Rands Kosmos vor allem, um Produkte für den Markt und die Konsumenten herzustellen.
((Take 10 (O-Ton Dietz) L:0, 10
Vernunft bedeutet rationaler Egoismus und damit meint sie ein positives Verständnis von gesundem Eigennutz bzw. Eigeninteresse. ))
Musik (als Trenner)
Sprecherin:
Mit dem Erscheinen des Romans Fountainhead steigt Ayn Rand zur herausragenden Stichwortgeberin der Marktradikalen und Libertären in den USA auf. Als Heldin dieser Kapitalismusverfechter ist sie ein gern gesehener Gast in Talk-Shows, hält Vorträge und Radioansprachen. Ein enger Kreis von Anhängern schart sich um die erfolgreiche Schriftstellerin, der sich ironischerweise das Kollektiv nennt. Regelmäßig treffen sich diese Rand-Adepten und hören ihrer Ikone zu, wie sie aus ihren Werken liest oder diskutieren politische Entwicklungen. Als Erken¬nungs¬zeichen dient diesem sektiererischen Kreis ein goldenes Dollarzeichen als Anstecknadel.
Musik (Tusch oder ähnlich)
Sprecher:
Mit einem ihrer Anhänger, dem 25 Jahre jüngeren Nathaniel Branden geht Ayn Rand eine Liebesaffäre ein. Die jeweiligen Ehepartner wissen davon und akzeptieren die Beziehung. Branden gründet gemeinsam mit seiner Ehefrau ein Institut, um Rands Philosophie unter die Leute zu bringen. Als die gefeierte Schriftstellerin aber Ende der 1960er Jahre herausfindet, dass sie nicht die einzige Geliebte ist, verbannt sie den Liebhaber und zerschlägt das Institut. Fortan gelten Branden und seine Vertrauten als Abtrünnige. Der unversöhnliche Dualismus, der die Romane von Ayn Rand charakterisiert, gut und böse, richtig und falsch, Helden und Parasiten, ist auch ein fester Bestandteil ihres realen Lebens: Wer nicht zum engsten Kreis der Bewunderer gehört, der ist gegen sie und wird verachtet.
Take 11 (O-Ton Wildhagen) L: 0, 20
Mit dem Bruch von Nathaniel Branden war klar, es gibt eine andere Schule und daraus hat sich mehr entwickelt. Und der reine Kern, der sich heutzutage unter dem Ayn Rand Institute subsumiert und die auch die Schriften verwalten, die reine Lehre, also keine Interpretationen zulässt außer dem, was Ayn Rand kommuniziert hat, das ist von vornherein so angelegt und das widerspricht eigentlich komplett dem Denken.
Sprecherin:
Die Atlas Society von Branden und Co gegründet und das Ayn Rand Institute verbreiten bis heute die Lehren von Ayn Rand. Denn die akademischen Philosophen an den Universitäten haben ihre Theorie nie als Philosophie akzeptiert. Zu wenig systematisch, zu viele Argumentationslücken. Der Verbreitung von Rands Ideen schadet das aber nicht, ganz im Gegenteil. Umweht von dem Mythos der verkannten Wahrheit werben ihre Anhänger bis heute um den akademischen Nachwuchs, die politische und wirtschaftliche Elite und umgarnen millionenschwere Unternehmer. In Deutschland lädt das Ayn-Rand-Institute mit der Seite Entdecke Ayn Rand dazu ein, sich mit der Schriftstellerin und ihrer Philosophie des Objek¬tivismus auseinanderzusetzen.
Take 12 (O-Ton aus Interview ARI) L. 0, 30
My philosophy objectivism holds that 1. reality exists as an objective absolute. Facts are Facts, independent of man´s feelings, hopes, wishes or fears .
2. Reason the faculty which identifies and integrates the material provided by man´s senses is man´s only means of perceiving reality, his only source of knowledge, his only guide to action and his basic means of survival.
Sprecher:
Fakten sind Fakten sagt Ayn Rand in dieser Aufnahme von 1962 und diese Erkenntnis sei das elementare Zentrum ihrer Philosophie. Deshalb sei der Name ‚Objektivismus‘ zutreffend. Vernunft ist das Werkzeug, um diese Fakten zu erkennen, aber auch die einzige Quelle um überhaupt zu Erkenntnissen zu gelangen; zu wissen, was getan werden muss und letztendlich der einzige Weg, um zu überleben.
Musik (als Trenner)
Sprecherin:
1957 veröffentlicht Ayn Rand ihren zweiten großen Roman. 14 Jahre lang hat sie an ihrem intellektuellen Vermächtnis gearbeitet, Atlas Shrugged gilt als ihr Hauptwerk. In den USA erreicht sie damit endgültig Kultstatus, monatelang steht das über 1.000 Seiten starke Buch auf den Bestseller-Listen.
Take 13 (O-Ton Wildhagen) L: 0, 30
Sie war so eine Art Popstar würde man heute sagen und was ihr Verdienst ist, die Philosophie, die schon da war in den USA, der Libertarismus hat ja eine alte Tradition (…) das hat sie so formatiert zusammen mit ihrem russischen Background und dem nihilistischen Moment in ihrer Philosophie, so formatiert, dass es in einem Roman verpackt allgemein zugänglich und gut verständlich ist, (…) diese Form der Literatur, den Roman zu wählen und nicht ein philosophisches Sachbuch zu schreiben, das hat den Erfolg ihres Denkens nach sich gezogen.
Sprecherin:
In Atlas Shrugged, auf Deutsch aktuell unter dem Titel Der Streik erschienen, fragt Ayn Rand, was passiert, wenn die rationalen Egoisten, also die unabhängigen Denker, die Unternehmer, Kapitalisten und Helden, streiken? Dann bräche das ganze System, auf dem die kapitalistischen freien Gesellschaften ruhen, zusammen:
Zitator:
„Wir sind die Ursache all der Werte, nach denen es euch gelüstet, wir, die wir den Prozess des Denkens vollziehen, das heißt Identitäten definieren und Kausalzusammenhänge entdecken. ((Wir haben euch gelehrt zu wissen, zu sprechen, zu produzieren, zu begehren und zu lieben.)) Ihr, die ihr die Vernunft fahren lasst – würden wir sie nicht erhalten, wärt ihr nicht in der Lage, eure Wünsche zu erfüllen oder auch nur zu verspüren.” S. 1119
Sprecher:
Diese Worte schmettert die Hauptperson John Galt den Trittbrettfahrern entgegen. Er erklärt, warum die Kapitalisten genug davon haben, für die anderen aufzukommen. John Galt hat den Streik der Unternehmer ins Leben gerufen, weil er sich von der falschen Moral der Gesellschaft nicht länger knebeln lassen will. Wenn die Leistungsträger von der Gesellschaft gezwungen würden, nicht mehr Herr ihrer eigenen Ideen und Taten zu sein, und das alles unter dem Dogma des Altruismus, dann müssten sie sich verweigern. Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Altruismus seien Irrwege, erklärt John Galt als Sprachrohr Ayn Rands pathetisch.
Take 14 (O-Ton Dietz) L: 0, 30
Gutes Leben bedeutet für Rand, man sollte nie für andere leben und das auch nie von anderen verlangen. Rand wollte mit ihrem Kampf für den Egoismus im Sinne von Eigeninteresse, den Gedanken zum Ausdruck bringen, dass es nicht verwerflich, sondern natürlich und wünschenswert ist, wenn jeder Mensch nach seinem Glück strebt. Das jeder Mensch ein Recht darauf hat, Nutznießer seiner Handlungen zu sein und nicht zum Nutzen anderer instrumentalisiert zu werden. ((Dass ein gesundes Verhältnis zu anderen Menschen ein gesundes Verhältnis zu sich selbst voraussetzt. Und dass der Wunsch nach Selbstaufopferung pathologische lebensfeindliche Züge aufweist.))
Sprecherin:
Dass nicht alle Menschen in der Lage sind, ein vernunftgeleitetes unabhängiges Leben zu führen, hat Ayn Rand komplett ausgeblendet. In ihrer dualistischen Gegenüberstellung von Parasiten und Egoisten, von Trittbrettfahrern und Individualisten, hat sie unterschlagen, dass es Alte, Kranke und Kinder gibt, die darauf angewiesen sind, dass andere für sie da sind, die unterstützen, finanzieren und helfen.
Musik (als Trenner)
Sprecher:
Zweifel an den eigenen Erkenntnissen scheint Ayn Rand keine gehabt zu haben. Zumindest sind keine überliefert. Sie erlebte sich als Star, der es geschafft hat, den amerikanischen Traum in Reinkultur zu leben. Von der russischen Immigrantin zur Millionärin und Vorzeige-Intellektuellen der radikalen Marktliberalen. Als Philosophin in einer Reihe mit den ganz großen der Geschichte, wie sie in einem Interview sagte:
Take 15 (O-Ton Wildhagen) L. 0, 10
Drei Philosophen gibt es, auf die man sich berufen kann: Aristoteles, Thomas von Aquin, Ayn Rand, drei A´s!
Sprecherin:
((Ayn Rand mischte sich mit ihren Anhängern auch in die amerikanische Politik ein. Ronald Reagan beispielsweise war ihr zu lasch, er vertrat nach ihrer Meinung keinen echten Kapitalismus. Gleichzeitig hat die Atheistin es aber auch ihren Anhängern, den konservativen Amerikanern, nicht nur leichtgemacht, sie zu verehren und zu bewundern: Denn sie verurteilte weder Abtreibungen noch Homosexualität.)) 1974 erkrankte die Kettenraucherin an Lungenkrebs. Und ließ sich, obwohl sie zeitlebens gegen den Wohlfahrtsstaat gewettert hatte, auf Kosten der staatlichen Krankenversicherung operieren. Allerdings anonym – unter falschem Namen. Sie lebte dadurch noch bis 1982. Ihre Anhänger schmückten den Sarg bei ihrer Beerdigung mit einem imposanten Blumengebinde in Form des Dollarzeichens. Und bis heute gilt sie den Neoliberalen in den USA als Ikone des freien Marktes und Hüterin der einzig wahren Freiheit.
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