Stanley Kubrick gilt als Meisterregisseur, der mit Titeln wie ?2001 ? Odyssee im Weltraum?, ?Uhrwerk Orange? und ?Shining? Werke für die Ewigkeit geschaffen hat. Der New Yorker, Jahrgang 1928, schaffte es von den Hollywood-Studios nahezu unbegrenzte kreative Kontrolle zu erhalten, Er galt als Pedant, aber auch als Visionär, der Genrekonventionen sprengte, und mit einem kühlen Blick auf die Menschlichkeit unser Scheitern und unsere Sehnsüchte auf die Leinwand brachte. Von Florian Kummert
Credits
Autor dieser Folge: Florian Kummert
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Hemma Michel, Thomas Loibl, Jerzy May
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Andrea Bräu
Im Interview:
Sedat Aslan, Filmwissenschaftler und Kubrick-Experte;
Christiane Harlan, Ehefrau von Stanley Kubrick (Archivinterview v. F. Kummert für BR, frei verwendbar);
Jan Harlan, Schwager und Assistent von Stanley Kubrick (Archivinterview v. F. Kummert für BR, frei verwendbar)
Literaturtipp:
Alison Castle (ed.): The Stanley Kubrick Archives (Taschen);
Andreas Kilb/Rainer Rother u.a.: Stanley Kubrick (Bertz Verlag);
Georg Seeßlen/Fernand Jung: Stanley Kubrick und seine Filme (Schüren Verlag)
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK 1: R. Strauss, Also sprach Zarathustra - CD480830 001 – 1:31 Min
SPRECHERIN
Es gibt Momente der Filmgeschichte, in denen Musik und Bilder magisch verschmelzen, zu einem Gesamtkunstwerk, das weit mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Dann entstehen Gänsehaut-Momente, die das Publikum in ihrem Bann ziehen und sich in die Erinnerung einbrennen.
MUSIK Also sprach Zarathustra kurz frei
SPRECHER
Der Auftakt von „2001 - Odyssee im Weltraum“ gehört dazu. Eine astronomische Konstellation baut sich auf, Mond, Erde und Sonne liegen wie aufgereiht hintereinander, erhaben, majestätisch. Und auf der Tonspur „Also sprach Zarathustra“, das Richard Strauss bereits 1896 komponiert hat. Weltraum und Strauss - seit „2001 - Odyssee im Weltraum“ für immer untrennbar verbunden.
MUSIK Also sprach Zarathustra, kurz frei
SPRECHERIN
Ein Geniestreich von Regisseur Stanley Kubrick. Wie nur wenige andere hatte er ein Gespür dafür, die perfekt passende Musik für seine Bilder zu finden. So entstand ein einzigartiges Erlebnis für alle Sinne. „2001 - Odyssee im Weltraum“ - ein Meilenstein der Filmgeschichte.
MUSIK 2: Schieflage - Z8031324110 – 18 Sek
SPRECHER
Das Publikum bei der Weltpremiere war allerdings ganz anderer Meinung. Stanley Kubrick erlebte einen Höllenabend, wie sich seine Frau, Christiane Kubrick, erinnert.
OTON Christiane Kubrick
Er wurde zur Sau gemacht und gleich so grantig und fies und voller Schadenfreude. Es war sehr - ohh - eine furchtbare Lehre für Stanley. Und alle gleich: ja, da werden nur die Menschen, die Drogen nehmen, hingehen.
SPRECHER
Dabei machte das Studio MGM auf den Filmplakaten selbst Werbung mit dem Slogan „Der ultimative Trip“. Viele sahen sich „2001“ mehrfach hintereinander im Kino an, ganz vorne in der ersten Reihe, ganz nah dran am psychedelischen Bilderrausch. Ältere Zuschauerinnen und Zuschauer konnten mit dem Film meist nichts anfangen. Das jüngere Publikum aber machte „2001“ zu einem Kassenerfolg, und schickte Stanley Kubrick tonnenweise Fanpost. Er schuf einen popkulturellen Mythos, der unzählige Interpretationsmöglichkeiten eröffnete. Denn in seinem Science-Fiction-Epos über die Evolution und Herkunft unserer Intelligenz hielt sich Kubrick an das Motto „Erklär nie etwas, was du selbst nicht verstehst.“
OTON Jan Harlan 1
Ich werde manchmal gefragt, ob es irgendetwas gibt wovor Kubrick Angst gehabt
hätte, und halb ernst antworte ich dann: in einen Raum zu gehen mit
lauter Fremden, die sich da auf ihn stürzen und nach der Bedeutung von 2001
fragen. Diese Gespräche, die scheute er sehr. Er wollte nie nach
seinen Filmen gefragt werden.
SPRECHERIN
Sagt Jan Harlan, Schwager von Stanley und der jüngere Bruder von Christiane Kubrick. Jahrzehntelang arbeitete er als Assistent des öffentlichkeitsscheuen Regisseurs, der nur äußerst selten Interviews gab und seine Filme auch nie erklären oder interpretieren wollte.
Bis zu seinem Tod 1999 hat Stanley Kubrick nur 13 Spielfilme gedreht. Viele davon sind aber einzigartige Meisterwerke, die von jeder Generation immer wieder neu rezipiert und verehrt werden:
MUSIK 3: Fanfare for 2001 – CD730140001 - 16 Sek
SPRECHER
2001 - Odyssee im Weltraum
SPRECHERIN
A Clockwork Orange
SPRECHER
Dr. Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben
SPRECHERIN
Shining
SPRECHER
Full Metal Jacket
SPRECHERIN
Eyes Wide Shut
OTON Sedat Aslan 1
Ich denke, das Wichtigste ist, dass man die Filme immer wieder neu entdecken kann, immer wieder anders lesen kann, sich auch mit steigendem Lebensalter der Blick auf die Filme, die Perspektive von einem selbst da drauf verändert. Und dass die Filme so reich sind an Gedanken, an Ideen, aber eben auch an ästhetischen Verfahren, die von einem großen Geist da hineingeflossen sein müssen, dass man eigentlich ihrer nicht überdrüssig wird.
SPRECHERIN
Sagt der Filmwissenschaftler und Kubrick-Experte Sedat Aslan. Ihn fasziniert, dass der heute so hochverehrte Kubrick von der zeitgenössischen Filmkritik oft heftig verrissen wurde. So nannte Pauline Kael, die Grande Dame des US-Film-Feuilletons, „2001“ einen Film von „monumentaler Ideenlosigkeit“.
OTON Sedat Aslan 2
Eines der Merkmale, die Kubrick-Filme auszeichnen, ist, dass sie eben auch sich einer vorschnellen Beurteilung entziehen. Also ich denke mal, dass das zusammenhängt mit der Abkehr von einem klassischen Erzählkino. Das sind Filme, die den Zuschauer herausfordern, die ihn auch mal ratlos zurücklassen. Die sind ein ästhetisches Erleben, die nicht mit einer Gebrauchsanleitung daherkommen, sondern eben dich auch überfordern sollen.
SPRECHER
Mit Kubrick zu drehen, war für das gesamte Team eine enorme Herausforderung. Der Perfektionist nahm sich Zeit. Viel Zeit. Die Arbeit an „Eyes Wide Shut“ erstreckte sich über 400 Drehtage und hat einen Eintrag im „Guinness Buch der Rekorde“ als „längste durchgehende Dreharbeiten“. Viele Einstellungen ließ Kubrick wiederholen, immer und immer wieder, bis zu 127 Mal.
MUSIK 4: Die diebische Elster CD502890 002 – 30 Sek
SPRECHER
Für die einen war er ein Meister der Präzision, der an jedem Detail bis zur Perfektion arbeitete. Für andere war er ein Pedant, der seine Crew an die Grenzen brachte, und manchmal darüber hinaus. Jan Harlans Dokumentarfilm „Stanley Kubrick - A Life in Pictures“ beginnt mit Zeitungsausschnitten, die Kubrick mal freundlich, mal weniger freundlich beschreiben.
SPRECHERIN
Genial. Rätselhaft. Kontrovers. Obsessiv.
SPRECHER
Megalomane. Eigenbrötler. Kontrollfreak.
MUSIK Rossini hoch und weg
OTON Jan Harlan 2
Er war eine ganz, ganz starke Persönlichkeit. Dem konnte sich niemand entziehen. Das war ein Mann, wenn er ins Zimmer kam, dann ging das Licht an. Ein enormes Talent, ein richtiger Künstler. Es war aber gleichzeitig ein sehr schwieriger Mann. Also war keineswegs alles ganz einfach. Aber das ist nun mal so bei Künstlern, die immer wieder was Neues beginnen und immer wieder völlig andere Türen aufreißen, thematisch und aber auch in der Darstellung.
Musik 5: Hypnose – Z8047362104 – 46 Sek
SPRECHERIN
Geboren wird Stanley Kubrick am 26. Juli 1928, im New Yorker Stadtteil Bronx. Sein Vater bringt dem Jungen früh das Schachspielen bei, das ein Leben lang zu Kubricks Passion bleiben wird. Eine weitere Leidenschaft erwächst aus dem Geschenk, das Stanley zu seinem 13. Geburtstag erhält: eine Fotokamera. Die Begeisterung für die Schule und vor allem die Hausaufgaben hält sich in Grenzen, viel lieber streunt Stanley durch Manhattan und die Bronx, um besondere Momente mit der Kamera festzuhalten.
SPRECHER
Am Todestag von Präsident Franklin D. Roosevelt gelingt ihm im Juni 1945 eine besondere Aufnahme: der traurige Blick eines Zeitungsverkäufers auf die Schlagzeilen, die ihn in seinem Kiosk umrahmen. Er verkauft das Bild ans „Look Magazine“, eine großformatige Zeitschrift, die vor allem mit ihren Fotostrecken eine breite Leserschaft anzieht. 16 Jahre jung ist Stanley Kubrick damals, und wird nach der High School festangestellter Fotograf bei Look. Ab 1950 dreht er erste kurze Dokumentarfilme und widmet sich immer mehr dem Filmemachen. Sedat Aslan über Kubricks erste Gehversuche in der Branche:
OTON Sedat Aslan 3
Er hat sehr viele kinematografische Kompetenzen entwickelt, aus der Fotografie heraus, später dann im Film, hat sich selber Filmkameras angeschafft, 16 Millimeter-Kameras, und ist dann immer weiter durch die Beschäftigung damit zu so einem Art Wunderkind avanciert, der dann auch selbstfinanzierte Filme gedreht hat, von denen er später dann Abstand genommen hat, weil er natürlich zu dem Zeitpunkt noch nicht die Meisterschaft aufweisen konnte wie in seinem späteren Werk.
MUSIK 6: Debris Field – C1568780 106 – 1:10 Min
SPRECHERIN
Bei seinen ersten Filmen führt er nicht nur Regie, sondern ist sein eigener Kameramann, Drehbuchautor und Editor, er kümmert sich um die Nachvertonung und um die Finanzen. Bald wird Hollywoodstar Kirk Douglas auf Kubricks Talent aufmerksam und übernimmt die Hauptrolle im Kriegsfilm „Wege zum Ruhm“, der 1957 bei München in den Bavaria-Filmstudios und rund um Schloss Schleißheim gedreht wird.
SPRECHER
In der letzten Szene von „Wege zum Ruhm“ tritt eine junge deutsche Kriegsgefangene auf. Sie wird auf eine Bühne gezerrt, soll vor den johlenden französischen Soldaten zur Belustigung singen. Doch je länger sie singt, desto mehr verstummen die Männer, und sie beginnen mitzusummen, mit Tränen in den Augen. Aus Feindschaft wird hier ein gemeinsames Gefühl der Humanität und der Trauer über die schier ausweglose Situation an der Front im Ersten Weltkrieg. Für die Schauspielerin, die Deutsche Christiane Harlan, und ihren Regisseur, Stanley Kubrick, wird es Liebe auf den ersten Blick. Nach Ende der Dreharbeiten heiraten sie und ziehen nach England.
SPRECHERIN
„Wege zum Ruhm“ verhilft Stanley Kubrick zum Durchbruch. Trotz mancher Differenzen ist vor allem Hauptdarsteller Kirk Douglas beeindruckt, der im Hollywood der 1950er und 60er Jahre auch als Produzent großen Einfluss ausübt.
OTON Sedat Aslan 4
Kirk Douglas hat diesen Wunderknaben geschätzt und hat auch gesehen, dass er so eine Produktion stemmen kann. Da gibt es eine Anekdote, in der ein Schauspieler nach dem 25. Take sagt, jetzt habe ich genug, und jetzt sollten wir Mittagessen gehen und Kubrick dann sagt, er möchte noch einen Take haben und dann dieser Schauspieler unglaublich wütend wird und einen rasenden Monolog hält und Kubrick ihn aussprechen lässt und dann, als er fertig war mit seiner Tirade, sagt: „Alright, now let’s do another take“. Und das hat Kirk Douglas sehr beeindruckt, dass er gesehen hat, dass dieser junge, autodidaktische Filmemacher ebenso ein Set stemmen kann.
Musik 7: Spartacus – C1538240104 – 51 Sek
SPRECHERIN
Kirk Douglas feuert bei seinem Großprojekt „Spartacus“ kurz nach Drehstart den ursprünglichen Regisseur, wegen künstlerischer Differenzen. Dann bietet er den frei gewordenen Regiestuhl Stanley Kubrick an. Der akzeptiert, und leitet als 31jähriger plötzlich eine millionenschwere Produktion über den Sklavenaufstand im Römischen Reich, mit Tausenden von Komparsen und Stars wie Laurence Olivier, Peter Ustinov, Tony Curtis und Jean Simmons. „Spartacus“ katapultiert Kubrick in die Liste der Top-Regisseure Hollywoods. Doch er hat kein Mitspracherecht über die finale Fassung des Films und schwört sich, nie wieder ein Projekt anzunehmen, bei dem er nicht die volle künstlerische Kontrolle hat.
MUSIK 8: LOLITA YA YA (aus Soundtrack Lolita) - Z9383702 006 – 54 Sek
SPRECHERIN
Aufrechte Helden mit Identifikationspotential - so wie noch bei „Spartacus“ - verschwinden aus Kubricks Werk. Stattdessen zeigt er eine oft kalt wirkende Welt, die auf das ewige Scheitern der Menschheit blickt. Und er scheut nicht vor riskanten Stoffen zurück.
SPRECHER
1962 wagt sich Kubrick an die Verfilmung des Skandalromans „Lolita“ von Vladimir Nabokov, weicht dabei erheblich von der Buchvorlage ab und macht daraus eine mit bissigem Humor durchtränkte Geschichte über Abhängigkeit und Täuschung. Der Brite Peter Sellers schlüpft in eine prägnante Nebenrolle, wechselt darin Dialekte und Verkleidungen und begeistert Kubrick so sehr, dass er mit ihm 1964 auch den nächsten Film realisiert, die Atomkriegs-Satire „Dr. Seltsam - oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben“.
SPRECHERIN
Hier ist Sellers in gleich drei Rollen zu sehen: als US-Präsident, als britischer Adjutant bei den amerikanischen Streitkräften und als titelgebender Wissenschaftler Dr. Seltsam mit Nazivergangenheit und widerspenstiger Hand, die ständig mit dem Hitlergruß salutieren will. Kubrick greift das Gefühl der Unsicherheit und Paranoia mitten im Kalten Krieg auf, mischt Logik und Wahnsinn zu einer - wie er es nannte - „Albtraumkomödie“. Ein durchgedrehter amerikanischer Militär gibt den Befehl zum atomaren Angriff auf die Sowjetunion und setzt so eine absurde wie unumkehrbare Kettenreaktion in Gang.
MUSIK 9: WE’LL MEET AGAIN von Vera Lynn - C1483520 125 – 26 Sek
SPRECHERIN
Am Ende überziehen Atompilze den Planeten, erblühen pittoresk zu den Klängen von Vera Lynns „We’ll Meet Again“. Ursprünglich als Trost-Lied für Soldaten und ihre Liebsten im Zweiten Weltkrieg geschrieben, nutzt es Stanley Kubrick als Untermalung für ein höllisches Finale.
OTON Sedat Aslan 5
In seinem früheren Werk hat er schon klassisch komponierte, orchestrale Musik verwendet. Erst ab einem gewissen Punkt ging er dazu über, klassische Musik oder Popmusik zu verwenden, die auch immer stärker kontrapunktisch eingesetzt wurde oder wo es um Musik geht, die eher eine Dissonanz darstellt als eine Vermählung, was man aus dem „classical cinema“ kennt, wo quasi jede Emotion durch die Musik auch unterstrichen, vielleicht sogar vorgegeben werden soll. Das wird ja in seinen Filmen komplett aufgehoben.
MUSIK 10: An der schönen blauen Donau – M0005012 015 –
19 Sek
SPRECHER
Musik wirkt bei Kubrick oft wie eine eigene dominante Figur. In „2001 - Odyssee im Weltraum“ schneidet er zu den Klängen des Johann Strauß-Walzers „An der schönen blauen Donau“ die Reise eines Raumschiffs zu einer sich drehenden Raumstation.
MUSIK 11: Ligeti, Atmosphères - Z9383689 001 – 31 Sek
SPRECHER
Die dissonanten Klänge des Ungarn György Ligeti nutzt Kubrick in 2001 für die halluzinogenen Bilder bei der Reise durch das Sternentor.
Nachdem die Finanzierung eines lange bis ins Detail vorbereiteten, monumentalen Projekts über Napoleon scheitert, verfilmt Kubrick Anthony Burgess’ dystopischen Roman „Uhrwerk Orange“. Es wird sein kontroversester und umstrittenster Film.
MUSIK 12: Title Music Clockwork Orange – CD502890 001 - 55 sek
SPRECHERIN
„A Clockwork Orange“ folgt den Gewalttaten von Alex und seiner Jugendbande. In weißen Hemden, Hosen und Hosenträgern, dunklen Springerstiefeln, mit Stöcken in der Hand und Melonenhut auf dem Kopf ziehen sie durch ein von brutalistischen Betonbauten geprägtes London. Tagsüber schwänzt Alex die Schule, geht in den Plattenladen und hat Sex mit Zufallsbekanntschaften. Nachts vertreibt er sich die Zeit mit Diebstahl, Vergewaltigung und sogar Mord, ehe er glückselig nach Hause kommt. Schließlich wird Alex von der eigenen Gang hintergangen und verhaftet. Im Gefängnis nutzt ihn die Regierung als Versuchskaninchen: mit einer neuartigen Therapie soll Alex so umkonditioniert werden, dass er körperliche und sexuelle Gewalt nicht mehr erträgt.
OTON Malcolm McDowell 1
The thing is when it first came out, it was futuristic. People were mesmerized by the look and also the violence.
VOICEOVER:
Als der Film 1972 in die Kinos kam, war das Publikum wie hypnotisiert vom futuristischen Stil, aber auch von der Gewalt.
SPRECHERIN
Erinnert sich Hauptdarsteller Malcolm McDowell, dessen Look im Film einen großen Einfluss auf die Populärkultur der 1970er Jahre hatte, vor allem auf die Punk- und die spätere Skinhead-Szene.
Die verstörende Wirkung hat „Uhrwerk Orange“ bis heute behalten. Nicht wegen der Gewaltdarstellung, sondern weil der Film auf eine moralische Stellungnahme verzichtet. Alex vertraut sich als Erzähler dem Publikum an, ist Charmeur und Monster zugleich, übt Gewalt aus und wird selbst Opfer staatlicher Gewalt, in einer zunehmend entmenschlichten Welt. Am Ende scheitert seine Therapie und er wird wieder in seine Gewalttätigkeit entlassen.
OTON Malcolm McDowell 2
„Today’s audiences, they see the humor, … but at least he has the choice.“
VOICEOVER
„Das Publikum heute versteht den dunklen Humor, der im Film steckt, aber auch die immer noch relevante politische Ebene. Deshalb entdeckt jede Generation „A Clockwork Orange“ für sich aufs Neue. Letztlich geht es um die Freiheit selbst bestimmen zu können. Wir mögen uns für den Weg des Guten oder des Bösen entscheiden, aber wir haben die freie Wahl.“
MUSIK 13:Title Music Clockwork Orange – siehe oben - 1:12 Min
SPRECHERIN
Für Kubrick wird der Film Segen und Fluch zugleich. Ein massiver Erfolg, der über Monate hinweg die Kinosäle füllt. Aber es kommt in Großbritannien auch zu Gewalttaten, die angeblich von „Uhrwerk Orange“ inspiriert sind. In der Regenbogenpresse hagelt es schwere Vorwürfe, der Film und sein Regisseur würden zu Mord und Totschlag anstiften. Kubrick erhält Hassbriefe, auch Todesdrohungen. Er hat Angst um seine Frau und Kinder, immer wieder tauchen Leute vor dem Anwesen der Kubricks auf.
SPRECHER
Stanley Kubrick zieht die Reißleine. Nach 61 Wochen lässt er - mit dem Einverständnis von Warner Brothers - den Film aus den britischen Kinos nehmen. Bis zu Kubricks Tod gilt „A Clockwork Orange“ in Großbritannien als „verbotener Film“, wird nicht auf der Leinwand oder im Fernsehen gezeigt und ist nur unter dem Ladentisch als illegal importierte Videokassette zu beziehen. So wächst der Mythos um den Film und seine Wirkung.
MUSIK Title Music Clockwork Orange hoch und weg
SPRECHER
Gerade das populäre Hollywood-Kino nimmt das Publikum gerne an die Hand. Gut und Böse sind klar gekennzeichnet. Filme als moralischer Kompass, oft mit Happy End. Nicht so das Kino des Stanley Kubrick, obwohl es auch von großen Hollywood-Studios finanziert wurde. Kubrick blickt distanziert und kühl auf unseren menschlichen Daseinskampf, legt den Finger in Wunden, fordert heraus, verstört. Und schafft so Kunstwerke, die lange nachhallen. Doch für neue Projekte lässt sich der Meister jahrelang Zeit. Mit jedem Film wechselt er die Genres, deren Konventionen er zerlegt und mit dem „Kubrick-Touch“ neu zusammenfügt.
MUSIK 14: Sarabande (Main Title Barry Lyndon) - M0017386 209 – 24 Sek
SPRECHERIN
1975 der Historienfilm „Barry Lyndon“. Um die realistischen Lichtstimmungen des 18. Jahrhunderts auf die Leinwand zu zaubern, dreht Kubrick viele Szenen nur bei Kerzenlicht, verwendet dabei die lichtstärksten Objektive der Welt, die die Firma Zeiss eigentlich für den Einsatz bei der NASA entwickelt hat.
MUSIK 15: Main Title (Shining) - Z8024896 103 – 24 Sek
SPRECHER
1980 der Horrorfilm „Shining“, nach der Romanvorlage von Stephen King. Kubrick entfaltet das Grauen nicht genretypisch in finsterer Nacht, sondern bei Tageslicht. In den Räumen eines einsamen Hotels in den verschneiten Rocky Mountains verfällt Jack Nicholson als Autor immer mehr dem Wahnsinn und wird zur tödlichen Bedrohung für seine Frau und seinen Sohn.
MUSIK 16: Ruins (aus Full Metal Jacket) - C1067670 011 – 28 Sek
SPRECHERIN
1987 der Vietnam-Kriegsfilm „Full Metal Jacket“, den Kubrick in zwei Hälften teilt: erst die gnadenlose Ausbildung von Rekruten, ihre Erniedrigung und Entmenschlichung hin zu Killermaschinen. Dann ein harter Schnitt zum Kriegseinsatz in Vietnam, wo eine Einheit von US-Soldaten in den Hinterhalt einer vietnamesischen Heckenschützin gerät.
MUSIK 17: Walzer Nr. 2 - C1055840 102 – 20 Sek
SPRECHER
Es vergehen weitere 12 Jahre, bis zu Stanley Kubricks letztem Film, dem Erotik- und Beziehungsdrama „Eyes Wide Shut“, eine ins New York der Gegenwart verlegte Version von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“. In den Hauptrollen: Nicole Kidman und Tom Cruise, damals auch im wahren Leben verheiratet.
(Ab hier Walzer aushallen lassen)
Im März 1999, eine Woche, nachdem Stanley Kubrick die finale Schnittfassung von „Eyes Wide Shut“ fertig gestellt hat, stirbt er an einem Herzinfarkt, im Alter von 70 Jahren. Den finanziellen Erfolg von „Eyes Wide Shut“, die wie immer zwiespältigen Kritiken bei der Premiere so wie die im Lauf der Jahre immer wohlwollender werdende Neubewertung: all das erlebt Stanley Kubrick nicht mehr.
Musik 18: William Tell overture – CD502890006 – 1:07 Min.
SPRECHERIN
Doch sein einzigartiges und vielschichtiges Gesamtkunstwerk bleibt so präsent und lebendig wie bei nur wenigen anderen Filmemachern. Er wird analysiert, diskutiert, zitiert. Filme wie „2001 - Odyssee im Weltraum“ und „Uhrwerk Orange“ zeigen keine Altersmüdigkeit und haben über ein halbes Jahrhundert nach ihrem Erscheinen nichts von ihrer Relevanz verloren. Das ist für Filmwissenschaftler Sedat Aslan das große Vermächtnis von Stanley Kubrick:
OTON Sedat Aslan 6
„Diese Filme bieten so viel Stoff zur Diskussion und haben technisch, aber auch inhaltlich so viel zu Filmgeschichte beigetragen, dass es einen nicht ermüdet darüber zu sprechen. Und diese Filme sind geblieben, und die werden auch noch bleiben. Da ist also was da, was immer noch zu uns spricht. Ich glaube, das sind Filme, die auch noch in 100, 200 Jahren zu uns sprechen werden. Und das kann ich nicht über viele Regisseure der Filmgeschichte sagen.“
Musik aus. / STOPP
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