Von Gummibaum bis Yuccapalme - Die Geschichte der Zimmerpflanze
In Burgen, Schlössern und auch Bauernstuben gab es sie nicht: Die Zimmerpflanze. Sie musste erst erfunden werden. Erst im 16. Jahrhundert startete ihre rasante Mode-Geschichte vom Statussymbol in der europäischen High Society bis zur Ware neben der Supermarktkasse und zum Istagram-Star. Von Anja Mösing
Credits
Autorin dieser Folge: Anja Mösing
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Christian Baumann
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
Prof. Dr. Patricia Rahemipour, Institut für Museumsforschung Staatliche Museen zu Berlin;
Dr. Andreas Gröger, Biologe, Botanischer Garten München
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Literaturtipp:
Kathrin Grotz u. Patricia Rahemipour: „Geliebt, gegossen, vergessen. Phänomen Zimmerpflanze“, Katalog und Essayband zur Ausstellung Botanisches Museum Berlin 2019.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK C1178870 008 „La valse des monstres“, ZEIT: 00:49, mit ATMO 1(Archiv) Schritte im Kies
ERZÄHLER
Gummibäume, Orchideen, Yuccapalmen – die gesund und kräftig sprießende Verwandte der eigenen, oft kümmernden Zimmerpflanzen: In Botanischen Gärten kann man sie besuchen. Hier werden sie artgerecht gepflegt und wachsen fast so, wie es in freier Natur ihre Art wäre.
ATMO 2 öffnen einer Gewächshaustür (Archiv) weiter über ATMO 3 Palmenhaus
In vielen Büros, in Wohnungen, sogar in Treppenhäusern steht ein Topf mit einem Benjamini. Seine Zweige mit den vielen dunkelgrün-glänzenden, esslöffelgroßen Blättern reichen den Besitzern gern mal bis zur Schulter. Birkenfeige sagen einige zu dieser Zimmerpflanze; Botaniker nennen sie lateinisch: Ficus Benjamini.
MUSIK ENDE
ZSP 1 Gröger
Also hier unser Exemplar ist wahrscheinlich so zehn Meter hoch, das werden richtig große Bäume. Es haben nicht nur kleine Pflanzen Eingang in die Zimmerpflanzen-Kultur gefunden, sondern auch größere.
Weiter über ATMO 3 Palmenhaus
ERZÄHLER
Andreas Gröger ist promovierter Biologe und stellvertretender Leiter des Botanischen Gartens in München-Nymphenburg. Im 21 Meter hohen Palmenhaus aus Glas und Eisen ist die Luft feucht und es hat 20 Grad. Hier wachsen tropische Pflanzen, die es gern warm haben:
ZSP 2 Gröger
Und wenn sie die hier anschauen, unsere Birkenfeige, fällt ihnen auf, dass die aus vielen Dutzenden von einzelnen Stämmen besteht, so ein Geflecht von Stämmen entsteht. Das deutet ein bisschen darauf hin, was die biologische Eigenart der Birkenfeige ist: die gehört zu den Baumwürgern. In freier Natur würde sie im Regenwald oben an irgendeiner Astgabel keimen, schickt dann so ganz unschuldig kleine fadenförmige Wurzeln nach unten. Und wenn die den Urwaldboden erreicht, dann umspinnt sie ihren Träger mit einem Gewirr von solchen Wurzeln und erstickt letztendlich ihren Trägerbaum, der dann abstirbt. Und anstelle vom Trägerbaum steht dann dieser Schlot aus zusammengeflochtenen Stämmen der Birkenfeige.
ERZÄHLER
Andreas Gröger kennt nicht nur erstaunliche Eigenheiten von Tropenpflanzen, er hat auch dazu geforscht, wie wir Menschen uns die Tropen in unsere Wohnzimmer geholt haben. Den Benjamini plötzlich mit ganz anderen Augen zu sehen, findet er gut!
ZSP 3 Gröger
Das heißt aber nicht, dass sie deswegen Angst vor einer Birkenfeige haben müssen. Wenn es der Birkenfeige bei ihnen gut geht, dann wird sie auch ab und zu mal so fadenförmige Wurzeln entwickeln. Aber dann freuen Sie sich darüber!
ERZÄHLER
Angesichts dieses tropischen Riesen fast absurd, ihn im Topf zu halten. Wann sind wir Menschen nur auf die Idee verfallen, uns draußen in der Natur Pflanzen auszugraben und in einen Topf zu setzen, um sie mit nach drinnen ins Zimmer zu nehmen?
ZSP 4A Gröger
Also, wenn man geschichtlich zurückschaut: Schnittblumen haben sich die Leute immer, haben sich Römer auch schon in die Wohnung geholt! Aber Zimmerpflanzen, das ist ein relativ modernes Phänomen.
ZSP 4B Rahemipour
Die Geschichte der Zimmerpflanzen ist nämlich sehr-sehr eng verbunden auch mit der Geschichte des Wohnens insgesamt.
ERZÄHLER
Professorin Patricia Rahemipour ist Historikerin und Direktorin des Instituts für Museumsforschung in Berlin. Dort hat sie für das Botanische Museum im Jahr 2019 eine Ausstellung zum Phänomen Zimmerpflanze kuratiert.
MUSIK C1178870 016 „Le compteur”; ZEIT: 00:55
ZSP 5 Rahemipour
Ich würde sagen, wir fangen vielleicht erst mal mit einer kleinen Definition an, was wir eigentlich unter Zimmerpflanzen verstehen: Zimmerpflanzen sind tatsächlich Pflanzen, die ganzjährig eingetopft in einer Wohnung stehen.
ZSP 5B Gröger
Also generell ist Zimmer nicht draußen! Im Zimmer herrschen andere Bedingungen als draußen in freier Natur.
ZSP 5C Rahemipour
Also Zimmerpflanzen brauchen Licht. Das ist eine sehr simple Tatsache, die ist für uns auch relativ leicht zu lösen. Aber für mittelalterliche Wohnverhältnisse war das überhaupt nicht so trivial, weil Fenster: Es gab nur sehr-sehr kleine, um die Kälte nicht in die Häuser hineinzulassen. Und die waren mit Tierhäuten abgedeckt. Das heißt, man hatte im Prinzip überhaupt kein Licht in den Zimmern, so wie wir das kennen.
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Fenster mit Glas zu verschließen war sehr kostspielig und die ersten Fenstergläser waren noch sehr dick, ähnlich den Böden von Weinflaschen und gar nicht durchsichtig, sondern grünstichig. Bis es klares Fensterglas gab, das genügend Sonnenlicht hindurch ließ und zwar für einen Preis, den sich zumindest reichere Privathaushalte leisten konnten: Das hat sehr lange gedauert und den Einzug der Pflanzen in die Wohnumgebung verzögert.
ZSP 6A Rahemipour
Und der zweite Aspekt ist die Frage nach dem Klima in diesen Räumen. Die Zimmer waren ja früher relativ kalt. Viele Zimmerpflanzen sind aber Importe aus wärmeren Klimazonen. Das heißt, sie haben auch erst dann wirklich in die Wohnstuben Einzug gehalten, als die Temperaturen stimmten. Das war erst relativ spät in der Geschichte des Wohnens überhaupt der Fall.
ZSP 6B Gröger
Also hier, nördlich der Alpen, hat man geschlossene Räume gehabt mit dem Kachelofen oder offenem Feuer in einer Ecke, also punktuelle Hitze. Dann kalte Ecken, richtig kalte Zimmer. Das packen extrem wenige Pflanzen: Da war höchstens mal ein Rosmarin-Stöckchen oder Myrthen-Pflänzchen am Fensterbrett gestanden. Das war also das Maximum, was man so hatte.
ZSP 6C Rahemipour
Ein anderer Aspekt: Zimmerpflanzen pflegen sich ja nicht selber. Also wenn ich mir angucke, wie in einem mittelalterlichen Kontext die Menschen gelebt haben und wie wenig Freizeit sie hatten: Man hatte auch gar keine Zeit, sich um so etwas zu kümmern! Und wenn man jetzt alles zusammennimmt, also sagt okay, wir brauchen Licht, wir brauchen ne Heizung und wir brauchen den Zugang zu Wasser, weil das war natürlich nicht überall gleichermaßen verfügbar. Dann kann man sagen: So Mitte des 19. Jahrhunderts sind sie zunächst einmal in die repräsentativen Zimmer eingezogen.
ERZÄHLER
Zuvor standen eingetopfte Pflanzen schon in Orangerien. Gebäuden für kostbare Pflanzen, wie sie seit dem Barock in hohen Adelskreisen zur standesgemäßen Ausstattung ihrer Schlösser gehörten. Orangerien waren reich verglast und damit heller als Wohngebäude. Pflanzen aus den subtropischen Gebieten konnten hier in großen Kübeln untergebracht werden. Zitrusbäumchen mit ihrem schönen Duft waren aber nur im weitesten Sinn die ersten Zimmerpflanzen, meint Gröger:
ZSP 7A Gröger
Heißt ja nicht umsonst Orangerien! Da ging es um die Nutzpflanzen erstmal: Orangen, Zitronen waren begehrte, exotische Früchte, die heutzutage selbstverständlich im Supermarktregal liegen. Aber die damals hier nördlich der Alpen kultiviert werden mussten für die Aristokratie. Und dann war halt vielleicht auch noch eine Ananas dabei. Das war natürlich die Krönung schlechthin, eine Ananasfrucht zu haben.
ZSP 7B Rahemipour
Absolut, absolut. Also mein Lieblingsbeispiel ist immer die Ananas! Die ersten Ananasfrüchte, die in Europa weiterverkauft wurden, waren so teuer wie eine Kutsche. Und das war das mehrfache Jahresgehalt eines einfachen Bauern.
ZSP 7C Gröger
Also am Anfang der Zimmerpflanze stand die Nutzpflanze: Der Zitronenbaum oder die Ananaspflanze. Und dann kamen Schmuckpflanzen dazu, wie zum Beispiel die Kamelien oder die Agaven und so weiter.
MUSIK C1178870 017 „Movement introductif“ ZEIT:00:37
ERZÄHLER
Kamelien mit ihren prächtig rotgefüllten Blüten waren lange Zeit begehrte Modepflanzen der europäischen High Society. Mitte des 18. Jahrhunderts kamen die ersten Pflanzen aus Asien, wo sie in freier Natur bis zu 11 Meter groß werden. Die immergrünen Kameliensträucher vertrugen das Klima in den kühlen aber frostfreien Orangerien Europas gut. Zu besonderen Anlässen holte man sie in ihren Töpfen in die repräsentativen Schlossräume. Blühend natürlich!
MUSIK ENDE
ZSP 8A Gröger
Blumenschmuck! Natürlich! Bei den Kamelien, das ist so ein klasse Beispiel: Im Winter, im Januar, Februar, ist die Zeit der Kamelienblüte. Im Winter mit Blumenpracht zu protzen, das war natürlich eine Aussage!
ZSP 8B Rahemipour
Das war natürlich Prestige, das war Macht. Man wollte zeigen, dass man sich was leisten kann. In der Zeit, als man begann, mit Zimmerpflanzen sich zu umgeben, war das wesentlicher Aspekt. Das ist heute ganz weit in den Hintergrund gerückt. Aber zu Beginn der Zierpflanzen in den Zimmern war das sicherlich ein wichtiger Aspekt.
ERZÄHLER
Mitte des 19. Jahrhunderts erlaubten neu entwickelte Konstruktionen aus Glas und Eisen lichtdurchflutete Anbauten ans Haus - So genannte Wintergärten. Entfernt erinnerten diese Zimmer an Orangerien: Auch in ihnen spielten exotische Pflanzen die Hauptrolle. Im Wintergarten empfing man nun Gäste zum Tee an zierlichen Tischen, stickte oder las in einer Zeitung. Eine Konsequenz des Industriezeitalters, sagt Andreas Gröger:
ZSP 9 Gröger
Plötzlich ist die Bürgerschicht finanziell erstarkt. Nicht nur mehr die Fürsten und Herzöge und Könige, auch das Bürgertum, das plötzlich viel Geld hatte und repräsentieren wollte. Und die haben repräsentiert mit einem Musiksalon, mit einer Bibliothek und eben auch mit speziellen Pflanzensammlungen: Eine Kakteensammlung zu haben oder eine Orchideensammlung, das war natürlich schon ziemliches Prestige.
ERZÄHLER
Mit den Orchideen verlor die naturbegeisterte und repräsentationssüchtige High Society Europas den Kopf. Die Blüten der Orchidee stellten alles in den Schatten, was man in Europa kannte: an langen Rispen hingen ihre Blüten wie bunte Schmetterlinge. Exotik pur!
ZSP 10A Gröger
Genau! Im neunzehnten Jahrhundert, vor allem in England, da gab es einen richtigen Orchideen-Hype. Da gab es einzelne Gärtnereien, die haben manchmal bis zu 20 Pflanzenjäger gleichzeitig losgeschickt, um in den Tropen Orchideen zu sammeln, die dann auf Auktionen recht teuer versteigert worden sind.
ZSP 10B Rahemipour
Das führte so weit, dass man sogar aus Silber Broschen hergestellt hat, die die Form von Orchideenblüten hatten. Weil einige Menschen sich eben nicht das Original leisten konnten. Sondern da war es billiger, eine silberne Brosche zu erwerben als eine Blüte.
ZSP 10C Gröger
Es waren tatsächlich die Gärtnereien, die damit einen kommerziellen Gewinn machen wollten. Es war ein richtiger Goldrausch auf neue Orchideen damals. Es hieß damals, England, das ist das große Orchideen-Grab. Weil viele Orchideen dahin kamen. Dann kamen sie in Privatsammlungen, wo sie wenige Wochen überlebt haben und dann eingegangen sind.
ERZÄHLER
Gröger räumt ein, dass Orchideenkultur wirklich kompliziert ist. Allein schon, weil es über 30.000 Arten mit unterschiedlichen Ansprüchen gibt. Aber wie hemmungslos aus den damaligen Kolonien immer neuer Nachschub geholt wurde, ist heute unvorstellbar. Dass lebende Pflanzen überhaupt wochenlange Seereisen von fernen Kontinenten nach Europa überlebten, ermöglichte eine Erfindung von Nathaniel Ward Mitte des 19. Jahrhunderts: Die Wardschen Kisten.
ZSP 11 Rahemipour
Das sind Kisten, die hermetisch abgeschlossen sind mit Glasfenstern und in denen am Boden Erde ist. Und in die Erde sind die lebenden Pflanzen eingepflanzt worden und zu Beginn der Reise zugemacht. Und durch die Verdunstung des Wassers, das die Pflanzen selber abgeben, sammelt sich dann Kondenswasser an den Fenstergläsern, läuft wieder nach unten in das Substrat hinein und bewässert sozusagen als hermetisch abgeschlossenes System die Pflanzen, die in dieser Kiste sind.
MUSIK C1178870 008 „La valse des monstres“, ZEIT: 00:38
ERZÄHLER
Kostbar waren Zimmerpflanzen zu Beginn, weil sie tatsächlich am weit entfernten Ursprungsort ausgegraben wurden, oder bei Aufsitzerpflanzen, so genannten Epiphyten zu denen auch Orchideen gehören, einfach von den Urwaldbäumen abgenommen, dann eingetopft, verschifft und erst in Europa verkauft wurden: Entweder direkt an einen reichen privaten Pflanzenliebhaber, oder an eine Gärtnerei, die versuchte, die exotischen Pflanzen zu vermehren.
MUSIK ENDE
ZSP 12 Gröger
Ganz banal! Die Geschichte der Zimmerpflanzen ist eine lange Geschichte des Sammelns und des Züchtens.
ERZÄHLER
Und sie dreht sich vor allem um Tropenpflanzen, weil die mit ihrer Blüten- und Blattvielfalt nicht nur schmückende Qualitäten besitzen. Vor allem sind Tropenpflanzen an ein Klima angepasst, in dem permanentes Wachstum möglich ist. Pflanzen Nordeuropas eignen sich nicht fürs Zimmer, sie können bei gleichbleibenden Zimmertemperaturen nicht überleben, sie brauchen einen Winter. Tropische Pflanzen sind ideal, sie ziehen sich nicht monatelang zurück. Aus welchen Weltregionen überhaupt neue Zimmerpflanzen kamen, bestimmten zunächst Schiffrouten:
ZSP 13 Gröger
Wenn Sie sich anschauen, so geschichtlich, wo die meisten Zimmerpflanzen herkamen in der Anfangszeit, dann stammen viele aus Südafrika, eben grad wegen diesen günstigen Schiffsverbindungen. Oder aus der direkten Umgebung von Rio de Janeiro stammen viele entscheidende wichtige Zimmerpflanzen!
ERZÄHLER
Das Usambaraveilchen mit seinen Samtblättern, der Philodendron, der Weihnachtskaktus, das flammende Käthchen: Lauter Pflanzen, die gut erhalten in Europa ankamen. Natürlich ging es ihren reichen exzentrischen Besitzern in Europa dann auch darum, diese Kostbarkeiten am Leben zu erhalten. Wieviel Wasser braucht das neue Prachtstück und wie oft? Will es in sandiger oder in lehmiger Erde eingetopft sein, oder nur in einem Körbchen hängen und ab und zu gebadet werden wie die schöne Orchidee? Nur wenige grundsätzliche Bücher gab es zur Stubengärtnerei und die konnten nicht aktuell bleiben, weil immer Neues eingeführt wurde. Das bedeutete, man musste direkt mit den großen Spezialitäten-Gärtnereien Kontakt halten.
ZSP 14 Gröger
Und die hatten dann Gärtner mit viel Know-how, die wussten dann über die Sammler in welchen Bedingungen im natürlichen Lebensraum Pflanzen wachsen. Es war echt was für Spezialisten, nicht für das allgemeine, breite Publikum. Ende des neunzehnten Jahrhunderts gab es die Verbreitung im Bürgertum. Aber die Arbeiterschaft, die hat den maximal ein Blumensträußchen auf dem Tisch stehen aber keine Zimmerpflanzen.
ATMO 4 Kakteenhaus mit Schritten unter Erzählertext
ERZÄHLER
Unter den Zimmerpflanzen war der Kaktus eine frühe Modepflanze, die in Haushalte aller Schichten einzog. Auch auf Gemälden tauchten Kakteen schon Mitte des 19. Jahrhunderts auf, bei Carl Spitzweg zum Beispiel. Kakteen passten perfekt zur Temperatur damaliger Wohnräume: Denn im Winter haben es ein Kaktus bei uns gern kühl, im Sommer gefällt es ihm am sonnigen Fenster. Wirklich eine gute Zimmerpflanze für Anfänger, meint Gröger. Unter den artgerecht gepflegten Verwandten im großen Kakteenhaus des Botanischen Gartens in München sind einige Kakteen viele Meter hoch:
ZSP 15 Gröger
Kakteen-Kreuzung geht ganz einfach, hat man auch schon vor 150 Jahren gemacht. Und deswegen gibt es viele Kaktushybriden auch auf dem Markt. Die Kakteen sind natürlich das Sinnbild für Wüstenklimate. Aber das darf man nicht vergessen: Es gibt auch Kakteen in Regenwaldgebieten. Die leben dort nämlich im Kronendach. Denken Sie mal an den Osterkaktus oder Weihnachtskaktus oder die verschiedenen Blattkakteen, die sind alle epiphytische Kakteen, die im Kronendach leben! Die können zwar schon mit Wasserarmut umgehen, weil sie oben im Kronendach auch begrenzt Zugang zu Wasserreserven haben, aber sie vertragen durchaus Luftfeuchte!
MUSIK Z9386414 002 „Mein kleiner grüner Kaktus“; ZEIT: 00:53
ERZÄHLER
Im Zimmer wirkt ein Kaktus oft wie eine kleine lebende Skulptur. Das gefiel noch in den 1920er Jahren, der Zeit der Weimarer Republik, den Bauhaus-Architekten um Walter Gropius, erklärt Historikerin Rahemipour:
ZSP 16 Rahemipour
Da war ja ein unglaublich minimalistischer Lebensstil forciert, und da mussten die Zimmerpflanzen auch zu passen. Also es gibt ein Foto, auf dem Gropius einen Kaktus irgendwo stehen hat. Ansonsten wurde sogar in Pamphleten formuliert: Zimmerpflanzen passen nicht zu unserem Stil. Also bitte keine Zimmerpflanzen. Das war natürlich in der Zeit eine avantgardistische Mode und auch spezielle Menschen, die ihre Bauhauseinrichtungen pflegten. Aber die Mode der Zimmerpflanzen sollte sich eben auch danach richten.
MUSIK ENDE
ERZÄHLER
Nicht nur Kakteen auch andere Zimmerpflanzen tauchen in den 1920er 1930er Jahren immer mehr in einfachen Wohnungen auf. Auch im Kleinbürgertum und bei den Bauern gehörten sie zur Ausstattung der repräsentativen guten Stube. Die waren meist recht kühl und nur zu besonderen Anlässen geheizt. Pflanzen wurden in diesen Kreisen aber selten teuer gekauft:
ZSP 17 Gröger
Tauschbörsen von Stecklingen gibt's jede Menge und ist bei Pflanzenliebhabern gang und gäbe, schon immer gewesen und auch heute noch. Klassiker ist zum Beispiel die Grünlilie. Die Grünlilie können sie fast nicht kaufen! Weil die sich so leicht daheim vermehrt, dass die einfach so untereinander privat weitergegeben wird und deswegen eine kommerzielle Vermehrung uninteressant ist.
ERZÄHLER
In das Geschäft mit Zimmerpflanzen stiegen in den 1930er 1940er Jahren immer mehr Gärtnereien ein. Sie mussten klug auswählen, welche Pflanzen sich nicht ganz so leicht von Laien vermehren ließ, damit die Gärtnerei am Gewinn beteiligt blieb. Und auf der anderen Seite durfte die Pflanzen nicht zu kompliziert sein, damit die Gärtnerei es selbst einigermaßen hinbekam, mit der massenhaften Vermehrung. So richtig los ging es für die Branche erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 50er 60er-Jahren.
ZSP 18 Rahemipour
Das heißt: mit Erfindung der Heizung der Zentralheizung
zogen dann nach und nach Pflanzen ein, die heute auch noch sehr bekannt sind und sehr beliebt: Die Monstera zum Beispiel, oder Sukkulenten zogen in die Wohnzimmer ein, um dann dort zu leben.
ERZÄHLER
Monstera Deliciosa, das Fensterblatt mit seinen herzförmigen, gern mal DIN A 4 großen Blättern und den dekorativen Einschnitten darin, den Fenstern, bekam nun auch in der breiten Bevölkerung ihren großen Auftritt. Erschwingliche Möbel für Zimmerpflanzen kamen auf den Markt: Gestelle mit nierenförmigen bunten Podesten, auf denen ein ganzes Arrangement tropischer Pflanzen Platz hatte. Dazu Stäbe, an denen herabhängende Pflanzen aufgehängt werden konnten und an denen rankende Pflanzen wie die Monstera Halt fanden.
ZSP 19 Rahemipour
Mit Beginn der 60er-Jahre hat sich sogar die Architektur ein wenig nach den Zimmerpflanzen gerichtet. Plötzlich wurde etwas erfunden, so ein Zimmerpflanzen-Fenster: Ein Fenster, das sehr groß war, eine sehr breite Fensterbank hatte, wo dann alle Zimmerpflanzen Platz drauf fanden.
ERZÄHLER
Zimmerpflanzen wie Gummibaum, Alpenveilchen oder Azalee wurden ab den 1950er Jahren für jedermann erschwinglich und ein beliebtes Mitbringsel zu Festen aller Art. Gärtnereien boomten! Neue mit Erdöl und Erdgas betriebene Heizanlagen erleichterten das Erwärmen immer größerer Treibhäuser. Der Zimmerpflanzenhandel wurde ein Riesengeschäft und ist es bis heute: knapp 1,5 Milliarden Euro wurden im Jahr 2023 in Deutschland allein für Zimmerpflanzen ausgegeben. Und das sind nur 17 Prozent vom gesamten Markt für Blumen und Pflanzen in Deutschland.
ZSP 20 Rahemipour
Das heißt der Zierpflanzenmarkt als solcher war noch viel-viel größer. Also mit Pflanzen kann man einfach richtig reich werden.
MUSIK C1178870 003 „Frida“
ERZÄHLER
Und die Gärtnereien verstehen es, Zimmerpflanzen auf den Markt zu bringen, die zum jeweilig modernen Wohnstil passen - auch Ende des 20. Jahrhunderts:
MUSIK ENDE
ZSP 21 Rahemipour
Es gab vermehrt WGs, die Menschen ziehen öfter um, ziehen auch mal ins Ausland. Und auch hier hat sich die Mode der Zimmerpflanzen ein wenig angepasst als robuste Arten, wie zum Beispiel Ficus Benjamini und so weiter plötzlich in Mode gekommen sind. Die haben es wirklich toleriert, dass man alle zwei Jahre mal das Zimmer gewechselt hat und dann nur das Bäumchen mitgenommen hat.
ERZÄHLER
Die Yucca-Palme war so ein extrem robustes Mode-Gewächs der 1980er 1990er Jahre. Gern wurde sie so eingetopft, dass ein handliches Stück Stamm aus der Erde wuchs, der jederzeit wieder eingekürzt werden konnte, falls mal was schiefging mit dem Gießen. Oft waren es nun Hydrokultur-Kübel, in denen Zimmerpflanzen gezogen wurden: gefüllt mit kleinen braunen Kügelchen aus Ton, angereichert mit Nährflüssigkeit. Heute werden Pflanzenmoden in noch viel kürzerer Taktung eingeläutet als zu Beginn. Influencerinnen und Influencer auf Youtube oder Instagram zeigen sich gern mit ihren tropischen Pflanzensammlungen.
MUSIK C1178870 008 „La valse des monstres“, ZEIT: 00:51
ZSP 22 A Rahemipour
Und weil ich vorhin schon mal von der Ananas gesprochen habe. Es gibt gerade eine Neuzüchtung, wo eine Ananaspflanze im Prinzip die Frucht halb ausbildet, die dann quasi wie so eine Medaille auf der Pflanze selber sitzt. Sie ist wirklich ästhetisch sehr schön. Sie passt eben zu einer Wohnzimmereinrichtung.
ZSP 22 B Gröger
Man muss sich immer klarmachen: auch heutzutage bei Zimmerpflanzen geht es immer um was Neues! Die Gärtnereien versuchen immer, etwas Neues auf den Markt zu bringen: nicht den Gummibaum, den schon jeder kennt, Birkenfeige. Sind so Modewellen auch bei den Zimmerpflanzen. Es war schon immer so und es ist auch immer noch so.
MUSIK ENDE
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