Eifersüchtiger Ehemann? Extrem anhängliche Freundin? Immer häufiger werden Beziehungen als toxisch bezeichnet. Alles nur Küchenpsychologie? Oder hilft es uns negative Beziehungen zu reflektieren und emotionalen Missbrauch öffentlich zu machen? Autorin: Johanne Burkhardt
Credits
Autorin dieser Folge: Johanne Burkhardt
Regie:
Es sprachen:
Technik:
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Thies Hansen, Soziologe, Autor und Paarbereater
Umut Özdemir, Psychotherapeut, Nensy Le, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Psychologie der LMU München
Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN:
Es ist eine der ältesten Geschichten der Welt. Zwei Menschen treffen sich, verlieben sich ineinander. Tauschen Zärtlichkeiten und Versprechungen aus. Im Bauch Schmetterlinge, auf der Nase die rosarote Brille.
Alex kennt seinen Schwarm schon lange. Viele Jahre waren sie „einfach gute Freunde“. Bis an einem gemeinsamen Abend mehr daraus wird.
O-TON 01: (Alex)
Das ist entstanden, als wir uns irgendwie getroffen haben und dann sie zu mir gemeint hat, dass sie schon immer Augen hatte für mich. Und sich auch eine Zukunft mit mir vorstellen könnte. Und irgendwie war das bei mir auch schon immer so der Fall. Und dann ist da an einem Abend, was draus entstanden. Ein bisschen was getrunken gehabt und dann haben wir halt wild rumgeknutscht und uns irgendwie halbwegs Versprechungen gemacht. Ja, große Liebe.
SPRECHERIN:
Für Alex, der in Wahrheit anders heißt, beginnt diese Liebesgeschichte als er 26 ist. Er arbeitet damals als gelernter Koch in einem schwäbischen Restaurant. Den Namen seines Schwarms möchte er im Radio lieber auch nicht hören. Nennen wir sie also Clara. Auch sie arbeitet in dem Restaurant. Aus Freunden und Kollegen werden Liebende.
O-TON 02: (Alex)
Auf jeden Fall war dann erstmal ein sehr sehr großes Gefühl von Sicherheit da, was mir vermittelt wurde. Ich habe von ihr wirklich Bestätigung bekommen, auch viele Komplimente und alles Mögliche. Diese Kleinigkeiten, diese kleinen Aufmerksamkeiten.
SPRECHERIN:
Doch eine feste Beziehung möchte Clara erst einmal lieber nicht eingehen. Und auch das Gefühl der Sicherheit ist nur von kurzer Dauer. Nach zwei Wochen wendet sich das Blatt: Gegen Alex.
O-TON 03: (Alex)
Und dann ist plötzlich von heut auf morgen so eine richtige Abneigung gegenüber mir entstanden. Danach war es dann wirklich, also wie ausgewechselt. Sie hat mich gar nicht mehr beachtet. Mich konstant wirklich ignoriert auch. Wenn ich sie nur angesprochen hab, hat sie nur die Augen verdreht. Also ich war auf einmal abstoßend. Das hat sie mir wirklich gezeigt, dass ich abstoßend bin für sie.
Musik
SPRECHERIN:
Hier könnte die Geschichte von Alex’ und Claras Beziehung zuende sein. Doch es ist, wenn man so will, gerade erst der Anfang. Denn das zwischen den Beiden wird noch zwei Jahre weiterlaufen. Es wird nicht nur eine unglückliche Beziehung, sondern eine toxische. Über toxische Beziehungen könnte Alex, wie er es selbst vor dem Interview mit Radio Wissen gesagt hat, ein ganzes Buch schreiben.
Toxisch… im Sinne von bösartig, schädlich, zermürbend, giftig. Das Adjektiv hat sich längst fest im Sprachgebrauch eingebürgert. Dabei stammt das Wort toxisch eigentlich vom altgriechischen τόξον (= toxon) und kann mit Bogen oder Pfeil übersetzt werden. Von Gift ist also erst einmal keine Spur. Doch die Berliner Soziologin und Influencerin Katharina Wohlrab stellt fest:
Zitat
„Hatte Eros, der Gott der Liebe in der griechischen Mythologie, nicht auch immer Pfeil und Bogen dabei? Vielleicht wurde damals schon, zumindest in den Mythen, die toxischen Aspekte der Liebe mitgedacht.“
Doch werden mit toxisch längst nicht mehr nur Liebesbeziehungen beschrieben. Auch von toxischen Freunden und Familien hört man immer häufiger.
O-TON 04: (Hansen)
Also man kann da ja zunächst erst mal feststellen, dass sich im Diskurs da was verschiebt. Und auch da wäre: die Frage Was liegen da drunter für gesellschaftliche Umwälzungen?
SPRECHERIN:
Der Soziologe und Paarberater Thies Hansen glaubt nicht, dass nur weil mehr über toxische Beziehungen gesprochen wird, es auch mehr toxische Beziehungen gibt. Im Gegenteil:
O-TON 05: (Hansen)
Also es könnte ja sein, dass die ganze Aufmerksamkeit für toxische Beziehungen oder was damit gemeint ist, Ausdruck davon ist, dass es im Großen und Ganzen weniger toxische Beziehungen heute gibt als früher, weil es überhaupt ein Bewusstsein dafür gibt. Und vielleicht auch, weil es wichtiger geworden ist, heutzutage eine nicht toxische Beziehung zu führen.
SPRECHERIN:
Noch vor wenigen Generationen waren Partnerschaften vordergründig Zweckgemeinschaften. Nicht umsonst sprechen Soziologinnen und Soziologen von „Ein Acker heiratet den anderen“. Doch in den letzten Jahrzehnten habe die romantische Liebe massiv an Bedeutung gewonnen, so Hansen. Und auch wie diese genau aussehen soll, wird immer mehr reflektiert.
O-TON 06: (Hansen)
Also es verschiebt sich was, die Beziehungswerte verschieben sich. Dadurch rückt die Aufmerksamkeit mehr auf Phänomene, die bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch als völlig normal gegolten haben. Also beispielsweise in unserer Großelterngeneration, würde ich sagen, ist so was so was wie emotionaler Missbrauch, emotionale Abhängigkeit völlig alltäglich gewesen.
SPRECHERIN:
Unsere Vorstellungen von dem, was in Beziehungen - ob romantisch, platonisch oder familiär - akzeptabel ist, verändert sich. Lange Zeit wurden vor allem psychische Formen der Gewalt übersehen. Das liegt auch daran, dass sie schwerer zu entlarven sind, als eine Ohrfeige, oder ein zu fest gepackter Arm. Doch das Bewusstsein wächst. Auch, weil unser Wissen über gelingende Beziehungen gewachsen ist, sagt der Soziologe Thies Hansen. Selbsthilfeliteratur und Beziehungsratgeber etwa gehören zu den meistgekauften Sachbüchern.
O-TON 07: (Hansen)
Also das, was vielleicht zuvor ein Expertinnenwissen war, beispielsweise Psychologinnen etc. vorbehalten, ist heute sehr, sehr viel mehr im Alltagsbewusstsein angekommen.
SPRECHERIN:
Doch Laien sind eben keine Experten. Wir wissen zwar mehr über gelingende Beziehungen als noch vor einigen Jahrzehnten - was aber nicht bedeutet, dass wir so ganz genau wissen, was eine toxischen Beziehung wirklich ausmacht. Man kann auf jeden Fall festhalten: Eine allgemein gültige oder gar wissenschaftliche Definition des Begriffs gibt es nicht.
O-TON 08: (Özdemir)
Die Gesellschaft hat vermutlich einen Begriff gebraucht, um dysfunktionale Beziehungen zu beschreiben. Hierbei ergibt sich aber auch direkt ein Problem, dass wir keine allgemeingültige Definition von toxischer Beziehung haben. Also ich weiß gar nicht, ob eine andere Person genau das darunter versteht, was ich darunter verstehe. Dann kann es auch passieren, dass wir - wir würden es in der Psychotherapie Plausibilitätsfalle nennen, dass wir da hineintappen. Also dass ich diese fehlende Info, also die Definition, einfach auch fülle mit dem, was ich darunter verstehe und im schlimmsten Fall völlig aneinander vorbei rede.
SPRECHERIN:
Der Psychotherapeut und Dozent Umut Özdemir berät in seiner Berliner Praxis Menschen speziell zu Sexual- und Paarthemen. Auch solche, die - nach ihrer eigenen Aussage - in einer toxischen Beziehung stecken.
O-TON 09: (Özdemir)
Ich frage erst mal nach was oder anhand welcher Beispiele und Faktoren, die ihre Beziehung als toxisch kennzeichnen oder definieren. Damit ich quasi ein Bild davon habe, worum es tatsächlich geht. Es sind unterschiedliche Antworten. Manchmal ist es ein "Ich werde im Streit angeschrien, von einer anderen Person“ bis hin zu tatsächlich körperlicher Gewalt, das kam auch schon vor.
SPRECHERIN:
Zieht man das Internet zu Rate, was eine toxische Beziehung ausmacht, scheint die Antwort eindeutig. Da werden z.B. Listen ausgespuckt, die Merkmale einer toxischen Beziehung aufzählen. Was dabei auffällt: Es werden vor allem psychische Komponenten genannt: Manipulation, extreme Liebesbekundungen - auch Love Bombing genannt. Stimmungsumschwünge, Herabsetzung, Kritik, Kontrolle.
Musik
SPRECHERIN:
Nachdem Clara Alex für ein paar Tage die Kalte Schulter gezeigt hat, startet sie auf der Arbeit wieder einen Annäherungsversuch.
O-TON 10: (Alex)
Plötzlich von jetzt auf nachher stellt sie mir einen Kaffee hin. Weil sie ganz genau weiß, wie ich meinen Kaffee mache. Von jetzt auf nachher läuft sie vorbei, streichelt mir die Schulter. So kleine Aufmerksamkeiten kamen wirklich von jetzt auf nachher wieder. Also beim ersten Mal hab ich mich gefreut. Hab gedacht, okay, vielleicht ist es jetzt besser geworden.
SPRECHERIN:
Stattdessen ist es der Anfang eines Teufelskreises. Denn das Glück ist wieder nur von kurzer Dauer.
O-TON 11: (Alex)
Das Ganze lief eigentlich die ganze Zeit immer wieder im selben Kreislauf. Also es war wirklich totale Love Bombing Phase. Dann gab es immer irgendein Ereignis, wo ich als verrückt hingestellt wurde. Dann totale Kälte. Ablehnung. Abneigung. Dann Kontaktabbruch, beziehungsweise Abstand. Und dann wieder von vorne. Über fast zwei Jahre.
SPRECHERIN:
Alex wird zum Spielball für Claras Launen.
O-TON 12: (Alex)
Das hat mein Selbstwertgefühl also komplett bis in die Grundfeste erschüttert. Das hat dazu geführt, dass ich mich auf 60 Kilo runter gehungert habe. Ich habe gar nichts mehr gegessen und war dann wirklich spindeldürr. Was sie mir damals auch unterschwellig oft dann gesagt hat, dass ich zu dünn und zu schwach sei. Wenn ich irgendwas hochheben musste „Ja dafür hat er doch eh keine Kraft“. Da ist es mir direkt bis ins Knochenmark gefahren. Ich habe mich in der Zeit auch total abgeschottet. Ich bin gar nicht mehr rausgegangen.
Musik (kurz frei stehen lassen)
SPRECHERIN:
Auch in sozialen Medien und Podcasts teilen immer mehr Menschen ihre persönlichen Erfahrungen mit toxischen Beziehungen.
ATMO „STORYTIME“
Also Leute ich war in einer toxischen Beziehung. Hab die Beziehung beendet - natürlich sehr traumarisierend, natürlich sehr scheiße, war danach am Boden zerstört, bin danach in Therapie gegangen, was ganz oft passiert, weil wenn ein Narzisst mit dir fertig ist, denkst du du bist die Verrückte dabei wurdest du verrückt gemacht.
SPRECHERIN:
Stichwort Narzist: Was viele dieser „Story-Times“, die man zum Beispiel auf You Tube oder auf TikTok findet, gemeinsam haben: Zu einer toxischen Beziehung gehört scheinbar meist ein narzisstisches Gegenüber. Mal als Ursache für den Beziehungsstatus „toxisch“, mal als Begleitsymptom. Auch in Ratgebern zu toxischen Beziehungen taucht oft bereits im Klappentext das Schlagwort Narzissmus auf.
Worin die Autorinnen und Autoren dieser Selbsthilfebücher zunächst recht haben: Mit einem Narzissten oder einer Narzisstin eine Beziehung führen ist tendenziell ziemlich schwierig. Sagt die Psychologin Nensy Le von der LMU München.
O-TON 13: (Le)
Also zum Beispiel ist es so, dass Paare mit mindestens einer narzisstischen oder einer stark narzisstischen Person häufiger streiten. Die Person ist oftmals weniger empathisch. Nach so einem Konflikt ist es zum Beispiel oft so, dass dann als Gegenreaktion Rache eine größere Rolle spielt. Die Personen sind auch tendenziell eher aggressiv oder verhalten sich eher aggressiv, sind weniger warm.
SPRECHERIN:
Doch ab hier wird es knifflig. Denn es gibt nicht „den Narzisten“ sondern eine ganz große Bandbreite von durchaus gesundem, normalem Narzissmus bis hin zu stark ausgeprägtem, pathologisch relevanten Narzissmus.
O-TON 14: (Le)
Das heißt aber auch im Umkehrschluss, dass jeder und jede von uns auf dieser Welt, auf diesen Nazissmuswert irgendwo zu verorten ist.
SPRECHERIN:
Und somit ist es ein Leichtes, das angeblich toxische Gegenüber als Narzisten oder Narzistin abzustempeln.
SPRECHERIN:
Doch vielleicht steckt hinter der vermeintlichen Erklärung „Er war Narzisst, deswegen war unsere Beziehung toxisch“ auch, dass man so die Schuld beim Gegenüber abladen kann, beobachtet der Soziologe und Paarberater Thies Hansen.
O-TON 16: (Hansen)
Vielleicht können wir, um uns dem Phänomen toxische Beziehung zu nähern, die Feststellung treffen: Toxisch sind immer die anderen. Ich bin in einer toxischen Beziehung, mein Partner ist schuld und Schuld ist ja auch immer das Gegenteil von Verantwortung. Und deshalb muss ich mich nicht mehr weiter damit auseinandersetzen. Und an der Stelle kann man vielleicht die Frage stellen, inwieweit diese Labels genutzt werden, um sich selbst mit seinen eigenen Beziehungen auseinander zu setzen und daran zu arbeiten, oder ob es mehr darum geht, da einfach ein Etikett drauf zu kleben und mit dem Finger auf andere zu zeigen, eine Schuldzuweisung zu machen und dadurch nicht selber die Verantwortung für das eigene Liebesleben zu übernehmen.
SPRECHERIN:
In einer Studie der US-amerikanischen Psychologin Dr. Diane Follingstad zu Gewalt in der Partnerschaft gaben alle Befragten an, dass sie selbst nur halb so oft psychische Gewalt in ihren Beziehungen ausgeübt hätten, wie ihre Partner. Natürlich kann die Stichprobe verzerrt gewesen sein, so dass eher Opfer von psychischer Gewalt teilgenommen haben. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass man sich selbst eben nur schlecht oder ungern an die Male erinnert, in denen man selbst zu weit gegangen ist. Da ist es leichter, die Schuld beim anderen zu suchen.
Die Psychologin Nensy Le hat sich intensiv mit verschiedenen Formen von Gewalt in Partnerschaften beschäftigt. Sie kommt zu dem Schluss:
O-TON 17: (Le)
Es gibt common „couple violence“. Also in dem Fall sind beide Partner oder Partnerinnen gewaltvoll oder aggressiv, ohne aber dass dann weitergehendes Motiv dahinter steht. Man will nicht bestimmen, sondern das ergibt sich aus der Situation heraus irgendwie, weil man zum Beispiel keine anderen guten Strategien hat. Und diese Beziehungsgewaltform ist tatsächlich die häufigste, die wir antreffen, wenn wir das mal rundum betrachten.
SPRECHERIN:
Das heißt keinesfalls, dass es nicht auch Beziehungen gibt, in denen Gewalt - ob psychisch oder physisch nur von einer Person ausgeht. Vor allem körperliche Gewalt geht in Beziehungen zwischen einem Mann und einer Frau in der großen Mehrheit der Fälle vom Mann aus. Bei psychischer Gewalt ist das anders: In den meisten Fällen geht sie von beiden Parteien gleichermaßen aus. Das Geschlecht spielt dabei keine besondere Rolle. Die Forschung zeigt auch: der Anteil an Beziehungen, in den toxisches Verhalten vorkommt ist groß.
O-TON 18: (Le)
Also es schwankt ja durchaus von Studie zu Studie, aber bis zu 80- 90 % sind da ja nicht ungewöhnlich. Was natürlich zeigt, dass psychische Gewalt und psychisch aggressives Verhalten auf jeden Fall ein ernstzunehmendes Thema ist, weil es sehr häufig auftritt. Es zeigt aber auch gleichzeitig, dass ein gewisses Maß an aggressivem Verhalten in gewisser Weise auch ein bisschen normal ist
SPRECHERIN:
Die meisten wissen wahrscheinlich ganz genau, was sie sagen müssten, um einen geliebten Menschen zu verletzen. Häufig tun wir es auch, ohne uns darüber wirklich im Klaren zu sein. Ein kleiner Griff zum Handy des anderen… nur mal kurz WhatsApp checken. Nanu, wem hat er denn da geschrieben? Ein klarer Eingriff in die Privatsphäre. Und ein Haken auf der Checkliste der toxischen Beziehung.
Doch ein Verhalten allein trifft keine Aussage darüber, ob die Beziehung toxisch ist, sagt der Paar- und Sexualberater Umut Özdemir.
O-TON 19: (Özdemir)
Oder auch bei so Sachen wie Love Bombing ist ja durchaus die Frage: Warum macht die das denn? Könnte da auch nicht dahinter stecken: Ich flirte, mache Komplimente, ich leg mich ins Zeug, weil ich die Person super interessant finde. Und dann stelle ich fest die Person findet mich gut. Ich find die Person auch gut, aber was, wenn ich verlassen werde und mein Herz gebrochen wird? Und dann erstarrt man vor Angst quasi und macht vielleicht nichts mehr. Das kann ja auch der Fall sein.
Musikakzent, kurz
SPERCHERIN:
Wo ist also der Kipppunkt? Im „toxischen“ Verhalten allein findet man ihn nicht. Er liegt vielmehr in dem, was daraus folgt. Im Schaden, den das Verhalten anrichtet. Daraus folgt ein kleinster gemeinsame Nenner: Eine toxische Beziehung ist eine Beziehung, die nicht gut tut. Das ist, natürlich von Mensch zu Mensch, ja gar von Beziehung zu Beziehung unterschiedlich. Doch zu erkennen, wann eine Beziehung nicht gut tut, ist nicht immer ganz leicht. Da kann die Einschätzung anderer kann hilfreich sein, sagt Umut Özdemir.
O-TON 20: (Özdemir)
Wenn zwei, drei Freund*innen unabhängig voneinander sagen: Boah, das klingt nicht gesund oder gut, was da läuft. Würde ich dem vertrauen. Gleichzeitig kann es aber auch sein, dass man durchaus so einen Eindruck hat und sich denkt: Oh, ich weiß nicht. Wenn man vorher eine andere Beziehung hat und die damit vergleicht oder sagt: Ich merke, dass ich öfter unglücklich bin, als ich glücklich bin. Dann sind das ganz gute Momente, dass man einen Schritt zurück macht und das man sagt: Wenn mir das ne Freundin erzählen würde oder ein Freund, was würde ich denen eigentlich raten? Das fällt uns ganz oft leichter, weil wir ganz oft gütiger sind zu anderen als zu uns selbst.
SPRECHERIN:
Zu erkennen, dass uns eine Beziehung nicht gut tut, ist das eine. Eine Konsequenz daraus zu ziehen das andere. Denn Betroffene erklären eine Beziehung vor allem dann als toxisch, wenn sie schon vorbei ist. Doch das impliziert, dass eine toxische Beziehung es nicht Wert ist, daran zu arbeiten. Ein Fehler, findet die Psychologin Nensy Le von der LMU München. Denn wo ein Gift ist, ist auch ein Gegengift.
O-TON 21: (Le)
Das sind ja oft Muster. Die Muster sind schwer zu durchbrechen, man kann sie aber durchbrechen.
O-TON 22: (Özdemir)
Das Erste, was man machen kann, das Gespräch zu suchen in einem ruhigen Moment. Und auch zu sagen: ich merke, das kostet mich viel Kraft. Ich merke, ich bin sehr oft unglücklich. Ich merke dass die Art, wie wir miteinander umgehen, die verletzt mich, die tut mir weh. Können wir daran was ändern? Und im allerbesten Falle sagt ja die andere Person, dass sie das auch so sieht und da sie etwas verändern möchte. Wenn die Person das gar nicht so sieht, würde mich das schon stutzig machen und ich würde berichten wollen, wie es mir da geht.
SPRECHERIN:
Sagt der Paartherapeut Umut Özdemir.
O-TON 23: (Özdemir)
Man kann eine Paartherapie aufsuchen, man kann aber auch gucken, ob man selber Regeln aufstellt für die Art und Weise, wie man streitet. Also, jetzt wieder so ein überzogenes Beispiel. Aber vielleicht ist ja auch eine Regel: wir beschimpfen nicht die andere Person oder aber auch, was durchaus viele Paare machen: Wir vereinbaren ein Stoppsignal oder ein Codewort, wo wir den Streit unterbrechen und 15 Minuten Pause in getrennten Räumen machen, weil wir vielleicht dann Gefahr laufen, in unserer Wut, in unserer Hitzigkeit wirklich fies zu werden.
Musik
SPRECHERIN:
Nur weil eine Beziehung toxisch ist, nicht gut tut, muss es also nicht gleich das Ende bedeuten.
Musik hoch
Doch manchmal kommt man dann eben doch zu dem Schluss: Egal was wir probieren, es funktioniert zwischen uns einfach nicht. Wir fallen immer wieder in dieselben alten Muster zurück. Alex hat das schon lange realisiert. Eigentlich.
O-TON 24: (Alex)
Ich hab's schon gecheckt, ich bin total emotional abhängig von ihr. Aber ich komme da irgendwie nicht raus. Dass irgendwas tief in mir drin sagt, dass es ohne sie gar nicht funktioniert. Dass ich nur von ihrem Zuspruch eigentlich leben kann.
SPRECHERIN:
Zwei Jahre leidet er unter dem ständigen Hin- und Her mit Clara. Mehrmals versucht er das Gespräch mit ihr. Doch alles wiederholt sich immer wieder aufs Neue. Bis seine Freunde es nicht länger mit ansehen können, wie Alex immer kleiner wird.
O-TON 25: (Alex)
Gott sei Dank kam einer von meinen Jungs zu mir und hat gesagt Ey! Morgen gehen wir ins Gym. Und Du kommst mit. Und ich soll nicht unterschätzen, was für ne mentale Kraft des auswirken kann. Also sportliche Betätigung.
SPRECHERIN:
Das Fitnessstudio holt Alex aus seiner Isolation. Er ist wieder mehr unter Freunden. Der Sport packt ihn. Er fühlt sich zum ersten Mal seit langem wieder mit sich und seinem Körper verbunden. Und er gewinnt ein Stück weit das Selbstvertrauen zurück, das er über die letzten Jahre verloren hat.
O-TON 26: (Alex)
Und war dann auch Manns genug zu sagen okay, das ist nichts mehr für mich. Ich habe das wirklich gemerkt. Es kann so nicht weitergehen.
SPRECHERIN:
Alex hat sich schließlich nach zwei Jahren von Clara getrennt. Und mit der Zeit hat er auch das Gift in einer anderen Beziehung entdeckt. In der Beziehung, die er zu sich selbst hatte. Die tat ihm nämlich auch nicht immer gut.
O-TON 27: (Alex)
Jetzt, wo es mir besser geht, ich davon Abstand habe bin ich auch ein bisschen froh, dass es mir vielleicht irgendwie passiert ist, weil ich weiß dadurch um einiges besser, was ich will und was ich nicht will. Und ich bin um einiges verantwortungsbewusster auch mir selbst gegenüber geworden.
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