Arbeitszeit - Von der Stechuhr zum Coworking Space
Mehr als ein Jahrhundert lang kämpften Gewerkschaften für geregelte Arbeitszeiten. Sie setzten den Acht-Stunden-Tag und die Fünf-Tage-Woche durch. Und heute? Sind alle flexibel. Und überarbeitet. Autorin: Maike Brzoska (BR 2021)
Credits
Autorin dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Anja Scheifinger
Es sprachen: Ariane Payer, Johannes Hitzelberger, Peter Lersch, Anna Greiter
Technik: Peter Preuß
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview:
Michael Schneider, Professor an der Universität Bonn;
Thomas Ertl, Professor an der Freien Universität Berlin;
Birgit Blättel-Mink, Professorin an der Universität Frankfurt am Main
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Musik Weird instructions unter folgendem: 0´58´´
ZITATOR
Berlin, den 15. November 1918. An den Vollzugsausschuss (..)
SPRECHERIN
Es ist nur eine Seite Papier, eng mit Schreibmaschine bedruckt. Aber es sollte das Leben von Millionen Menschen verändern.
ZITATOR
Die Verbände der Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben unter dem heutigen Tage vereinbart, dass das Höchstmass der täglichen regelmässigen Arbeitszeit für alle Betriebe auf 8 Stunden festgesetzt wird und Verdienstschmälerungen aus Anlass dieser Verkürzung der Arbeitszeit nicht stattfinden dürfen.
SPRECHERIN
Nur noch acht Stunden täglich arbeiten – und das bei vollem Lohnausgleich.
ZITATOR
Wir bitten den Vollzugsausschuss, diese Forderung bei den Friedensverhandlungen zu stellen und zu vertreten.
Musik Weird instructions hoch und weg
SPRECHERIN
Angehängt an das kurze Schreiben ist das sogenannte Stinnes-Legien-Abkommen. Es ist benannt nach seinen beiden Verhandlungsführern: dem Unternehmer Hugo Stinnes und dem Gewerkschafter Carl Legien. Aus Nächstenliebe haben die Arbeitgeber dem Achtstundentag aber nicht zugestimmt. Vielmehr fürchteten sie sich vor revolutionären Umbrüchen. Denn am Ende des Ersten Weltkrieges schien alles möglich zu sein, sagt der Politikwissenschaftler Michael Schneider. Er ist Professor an der Universität Bonn.
01 O-TON (Schneider)
Wenn in Deutschland von Räten die Rede war, von der Sozialisierungs-Forderung die Rede war, haben die Arbeitgeber befürchtet, das könnte womöglich ganz schlecht für sie ausgehen, für die deutsche Industrie, für die Eigentumsverhältnisse.
SPRECHERIN
Deshalb taten sie alles dafür, um den Besitzstand zu wahren und den Status Quo zu erhalten. Auch wenn sie dafür weitreichende Zugeständnisse machen mussten.
02 O-TON (Schneider)
Beide haben unter dem Druck für sich rausgeholt, was für sie von zentraler Bedeutung gewesen ist: den Achtstundentag auf der einen Seite und die Sicherung der Eigentumsverhältnisse auf der anderen Seite.
SPRECHERIN
Es war eine große Errungenschaft für die Arbeiterinnen und Arbeiter. Jahrzehntelang hatten sie dafür gekämpft. Nötig geworden war dieser Kampf, weil einige Jahrhunderte zuvor zwei Entwicklungen parallel stattfanden, welche die Art und Weise, wie Menschen arbeiten, grundlegend verändert hatten.
Musik Laiser Pointer unter: 0´13´´
SPRECHER
Von Uhren und Städten - Als Zeit zu Geld wurde.
Musik Laiser Pointer weg
SPRECHERIN
In früheren Zeiten hatten sich die Menschen nach dem Stand der Sonne gerichtet, um die Tageszeit zu bestimmen. Um das Jahr 1300 kommen die ersten mechanischen Uhren auf, sagt der Historiker Thomas Ertl. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin.
03 O-TON Ertl
Und nun ist es zum ersten Mal möglich, die Zeit über den Tag hinweg - genau - zu messen.
SPRECHERIN
Damit lässt sich auch die Zeit, die jemand arbeitet, exakt bestimmen. Parallel dazu beginnt eine andere Entwicklung: Immer mehr Menschen ziehen in die Städte.
04 O-TON Ertl
In der gleichen Zeit, seit dem hohen Mittelalter, befinden wir uns in einer wirtschaftlichen Expansionsphase. Es beginnt in Europa ein Prozess der Urbanisierung und der Diversifizierung im Arbeitsleben.
Musik: Dogged Pathology unter: 1´02´´
SPRECHERIN
Bis dahin hatten die Menschen das meiste, was zum Leben nötig war, in der Familie selbst hergestellt. Tagsüber ackerten sie auf dem Feld, abends erledigten sie noch Handarbeiten. Oft gab es Knechte und Mägde, die in der Familie mitarbeiteten und dafür Kost und Logis bekamen. In den Städten löst sich dieses traditionelle Gefüge langsam auf. Es entstehen Handwerksbetriebe. Die Aufträge kommen oft von den Städten selbst. Stadtmauern, Straßen, Abwasserkanäle – die Betriebe beschäftigen dafür bald Lehrlinge und Gesellen. Damit kommt eine neue Form der Arbeitsorganisation ins Spiel: die Lohnarbeit:
So selbstverständlich uns das heute erscheint, so neu war sie damals. Ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin bekommt eine vereinbarte Summe Geld für eine festgelegte Anzahl von Stunden.
Musik: Dogged Pathology weg
05 O-TON (Ertl)
Als technische Unterstützung hängen Uhren an Türmen, an Rathäusern. Auf die Art und Weise wird die Tageszeit normiert und ist für alle erkennbar.
SPRECHERIN
Das, was im Mittelalter ganz allmählich beginnt, breitet sich mit Beginn der Industrialisierung immer weiter aus.
Musik Laiser Pointer unter: 0´08´´
SPRECHER
Von Fabriken und Maschinen - Arbeitskraft als Massenware.
Musik Laiser Pointer weg
SPRECHERIN
In Bayern entstehen die ersten Fabriken ab den 1820er Jahren, zunächst in Nürnberg, wo mithilfe von Maschinen Textilien hergestellt werden. In Augsburg gründen sich bald Unternehmen, die Metall verarbeiten.
06 O-TON (Schneider)
Die hohen Investitionen in die Fabriken, in die Maschinen drängten natürlich die, die in die Maschinen investiert hatten, also die Unternehmer, möglichst lange Maschinenlaufzeiten herzustellen. Und dies wiederum bedeutete, dass man mit dem Beginn der Industrialisierung eine deutliche Verlängerung der Arbeitszeit hatte.
SPRECHERIN
So auch in einer Papierfabrik in Heilbronn. Deren Besitzer schreiben in einem Brief, dass dort regulär 12 Stunden am Tag gearbeitet werden. Weiter heißt es:
ZITATOR
Die Arbeiter verdienen sich noch weiteren Lohn durch extra Stunden, d.h. durch die Zeit, die sie mehr als 12 Stunden arbeiten. In der Regel sind sie sehr verlangend nach diesem Extra-Verdienst.
SPRECHERIN
Kein Wunder, denn der Tageslohn eines Arbeiters reicht gerade mal für einen einzigen Laib Brot. Der einer Arbeiterin nur für einen halben. Deshalb schuften die Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts 14 bis 16 Stunden am Tag – an sechs Tagen die Woche. Auch Kinderarbeit ist üblich. Hauptsache, die Maschinen sind ausgelastet.
07 O-TON (Schneider)
Schon dieses Wort der Bedienung der Maschine deutet ja darauf hin, wo die Priorität des Arbeitsmanagements lag, nämlich beim Maschineneinsatz.
Musik: Dogged Pathology unter: 0´34´´
SPRECHERIN
Dennoch ziehen immer Menschen vom Land in die Städte, um in den Fabriken Arbeit zu suchen. Grund sind unter anderem mehrere Missernten Mitte des 19. Jahrhunderts und ein starkes Wachstum der Bevölkerung. Die Zahl der Arbeiterinnen und Arbeiter wächst, bald setzen die Fabrikbesitzer Stechuhren ein. Die heißen damals passenderweise „Arbeiterkontrollapparate“. In Meyers Großem Konversationslexikon von 1897 heißt es:
ZITATOR 2
Um Arbeiter bezüglich des Anfangs und Endes, beziehungsweise der Dauer ihres Arbeitstages zu kontrollieren, sind Arbeiterkontrollapparate angegeben worden.
SPRECHERIN
Prekäre Arbeitsbedingungen, Hungersnöte, allgemeine politische Unzufriedenheit – das alles führt Ende der 1840er Jahre zu revolutionären Unruhen in Europa.
Musik Laiser Pointer C1589890129 unter: 0´13´´
SPRECHER
Kampf um den Achtstundentag.
Musik Laiser Pointer weg
SPRECHERIN
Die Arbeiterinnen und Arbeiter beginnen, sich zu verbünden. Ihr Ziel ist, gemeinsam bessere Bedingungen auszuhandeln.
08 O-TON (Schneider)
Die ersten Gewerkschaften sind 1848 im Umfeld der Revolution gegründet worden, das waren die Zigarrenarbeiter und die Buchdrucker. Die Verbände sind ganz schnell verboten worden in den 50er Jahren. Aber dann in den 1860er Jahren gab es einen Boom von Gewerkschaftsgründungen.
SPRECHERIN
Das waren anfangs noch sehr kleine, lokal tätige Arbeitervereine.
09 O-TON (Schneider)
Aber sie fingen an, kollektiv die Arbeitszeit zu regeln.
SPRECHERIN
Mit Erfolg. Die Arbeitszeit wird in den folgenden Jahren kürzer. Insgesamt verbessert sich die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter. Auch weil andere gesellschaftliche Gruppen ihre Forderungen mittragen. Viele Geistliche prangern die menschenunwürdigen Bedingungen an.
Hinzu kommen gesellschaftskritische Ideen wie die von Karl Marx und Friedrich Engels, die nicht nur das theoretisches Fundament für den Kampf der Arbeiterschaft legen, sondern bald selbst an der Spitze der Bewegung stehen. Auf der Internationalen Arbeiterassoziation von 1864 – der Ersten Internationale – sagt Marx in der Eröffnungsrede:
ZITATOR
Nach einem dreißigjährigen Kampf, der mit bewundernswürdiger Ausdauer geführt ward, gelang es der englischen Arbeiterklasse (...) die Zehnstundenbill durchzusetzen.
SPRECHERIN
Vereinzelt setzen sich auch Industrielle für die Arbeiterschaft ein. In Schottland beispielsweise Robert Owen, Inhaber einer Baumwollspinnerei. Von ihm soll die Formel stammen:
ZITATOR 2
Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung.
SPRECHERIN
Der Achtstundentag ist weltweit bald die zentrale Forderung der Gewerkschaften. Auf der Zweiten Internationale von 1889 beschließen Arbeitervertreter aus 20 Ländern gemeinsam dafür zu kämpfen.
10 O-TON Schneider
Und um diese Forderung zu vertreten, hat man sich gedacht, man nimmt den 1. Mai als internationalen Kampftag für das Ziel des Achtstundentages.
SPRECHERIN
Im Kaiserreich können die Arbeitervertreter ihre Forderung nicht durchsetzen. Vor allem Reichskanzler Otto von Bismarck ist dagegen. Das macht er 1885 im Reichstag deutlich:
ZITATOR
Wer empfindet nicht das Bedürfnis zu helfen, wenn er den Arbeiter gegen den Schluss des Arbeitstages müde und ruhebedürftig nach Hause kommen sieht. Aber die Spitze unserer Industrie ist die Exportindustrie. Lassen Sie die Exportindustrie konkurrenzunfähig werden mit dem Auslande und unsere ganze Industrie wird darunter leiden.
SPRECHERIN
Erst nach Ende des Ersten Weltkrieges ist es soweit. Mit dem Stinnes-Legien-Abkommen wird der Achtstundentag ab Januar 1919 Realität für Millionen Menschen – an sechs Tagen in der Woche wohlgemerkt. Dennoch ist es eine große Errungenschaft. Die allerdings bald schon wieder passé ist.
Musik Laiser Pointer unter: 0´09´´
SPRECHER
Der Kampf der Systeme - Wem gehört Vati am Samstag?
Musik Laiser Pointer weg
SPRECHERIN
1923 beschließt die Reichsregierung auf Druck der Arbeitgeber eine neue Arbeitszeitverordnung. Ohne eine Erhöhung der Produktivität könne das Deutsche Reich die Reparationsforderungen nicht erfüllen, argumentieren insbesondere Vertreter aus Metallindustrie und Kohlebergbau. Die neue Verordnung sieht viele Ausnahmen vom Achtstundentag vor, was die Arbeitgeber auch gerne ausnutzen.
M Simple but complex behavior unter: 0´33´´
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, spielt der Achtstundentag bald keine Rolle mehr. Die Reichsregierung will das Land für den Krieg rüsten. Die Arbeiterinnen und Arbeiter müssen zusätzliche Schichten einlegen. 1938 erlässt dann die Regierung ein neues Gesetz, das die Arbeitszeit auf 10 Stunden täglich ausweitet. Und selbst dieses Gesetz kippt sie ein Jahr später.
M Simple but complex behavior weg
12 O-TON (Schneider)
Das ist dann mit Beginn des Zweiten Weltkrieges außer Kraft gesetzt worden, weil man davon ausging, natürlich bei den Kriegsanstrengungen muss mehr gearbeitet werden können.
Musik: Dogged Pathology unter: 1´22´´
SPRECHERIN
Es sind die Alliierten, die nach dem Zweiten Weltkrieg dafür sorgen, dass die Bevölkerung durchschnaufen kann. Der Alliierte Kontrollrat setzt den Achtstundentag und die 48-Stunden-Woche wieder in Kraft. Gleichzeitig führt der Wiederaufbau dazu, dass die Wirtschaft in den 1950er und 60er Jahren boomt. Die Produktivität und die Wachstumsraten sind hoch, was sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmerseite zugute kommt. Es gibt einiges zu verteilen.
13 O-TON Schneider
War eine für gewerkschaftliche Arbeit überaus günstige Zeit.
SPRECHERIN
Wegen der guten wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch wegen des ständigen Vergleichs mit der DDR. Wo lebt es sich besser? Wer schafft bessere Bedingungen für die Menschen? Die soziale Marktwirtschaft will dem Arbeiter- und Bauernstaat in nichts nachstehen. Keiner der Staaten will den Ruf haben, seine Bürger zu schinden. Kein Wunder, dass sich in beiden deutschen Staaten die Arbeitszeit ähnlich entwickelt. In der DDR legt der Staat sie fest. Im Westen setzen die Gewerkschaften per Tarifvertrag immer mehr Forderungen durch. Bald kämpfen sie für die 40-Stunden-Woche. Besonders laut trommelt die IG Metall mit ihrem Slogan:
Musik: Dogged Pathology weg
ZITATOR (Kind wäre gut; vielleicht auch mit Megaphon-Akustik)
Samstags gehört Vati mir!
SPRECHERIN
Ludwig Erhard, damals Wirtschaftsminister, hält allerdings ganz und gar nichts davon.
ZITATOR
Ein Volk, das auf breitester Grundlage den Wohlstand mehren und auch in Arbeitnehmerhand die Vermögensbildung fördern will. Ein Volk, das, um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, ständig hohe Investitionen vornehmen muss. Ein solches Volk sollte sich nicht Überlegungen nach Verkürzung der Arbeitszeit hingeben.
SPRECHERIN
Dennoch arbeiten bald immer mehr Menschen nur noch 40 Stunden pro Woche. Den Samstag können viele Väter nun also tatsächlich mit ihren Kindern verbringen. Montags bis freitags betreuen aber in der Regel die Mütter den Nachwuchs.
Seit der Nachkriegszeit dominiert in Westdeutschland das sogenannte Ernährer-Modell, sagt die Industriesoziologin Birgit Blättel-Mink. Sie ist Professorin an der Universität Frankfurt am Main.
14 O-TON (Blättel-Mink)
Dass also sozusagen der männliche Part der Familie für das Familieneinkommen verantwortlich ist und die Frau für die Reproduktionsarbeit zuhause. Wir haben dann aber beobachtet ab den 1960er Jahren, dass Frauen zunehmend teilzeitbeschäftigt sind, das heißt Zuverdienerinnen sind.
SPRECHERIN
Im Schnitt sind Frauen also weniger erwerbstätig als die Männer. Gender Time Gap nennt die Wissenschaft das. Viele arbeiten im rasch wachsenden Dienstleistungssektor, zu dem die Teilzeit-Modelle gut passen. Seit den 1970er Jahren gibt es beispielsweise die sogenannte Kapovaz. Die Abkürzung steht für Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit. Das bedeutet: Arbeit auf Abruf. Ein Beispiel:
15 O-TON (Schneider)
Die Kassiererin an der Supermarktkasse, die, wenn der Bedarf besteht, morgens von neun bis elf Uhr arbeitet, dann kann sie nach Hause gehen, weil wenig Kunden erwartet werden. Dann soll sie von sechzehn bis achtzehn Uhr noch mal arbeiten.
SPRECHERIN
Vergütet wird dabei nur die Zeit an der Kasse. Solche Regelungen empfinden viele Menschen als Zumutung. Aber sie bietet auch Chancen, was Gewerkschaften lange Zeit nicht erkannt haben, sagt der Politikwissenschaftler Schneider.
16 O-TON (Schneider)
Mit einer Massenfreizeitgesellschaft, einer Massenkonsumgesellschaft, mit einer Neuverteilung – beginnenden Neuverteilung muss man ja in den 70ern sagen – von Hausarbeit, Familienpflichten und Arbeit änderte sich auch der Wunsch von vielen Arbeitnehmern in Richtung mehr Flexibilisierung des Arbeitszeiteinsatzes, um die unterschiedlichen Bedürfnisse in Übereinstimmung bringen zu können.
SPRECHERIN
Auf der einen Seite kämpfen Gewerkschaften nun also für die 35-Stunden-Woche, die sie zum Teil auch durchsetzen können. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr atypische Beschäftigungsverhältnisse mit flexiblen Regelungen. Aber selbst das neue Arbeitszeitgesetz von 1994 spiegelt diese Entwicklungen nicht wider. Es sieht weiterhin den Achtstundentag und die 48-Stunden-Woche vor. Eine Regelung, von der sich die Realität immer weiter entfernen wird.
Musik Laiser Pointer unter: 0´14´´
SPRECHER
Seit` an seit` im Coworking Space.
Musik Laiser Pointer weg
SPRECHERIN
Die neuen Möglichkeiten der Kommunikation verändern das Leben der Menschen in vieler Hinsicht. Auch die Art, wie sie arbeiten. In der Industrieproduktion sind immer weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nötig. Handgriffe sind zunehmend automatisiert. Stichwort Industrie 4.0.
17 O-TON (Blättel-Mink)
Es geht darum, durchgängig auch Wertschöpfungsketten sozusagen zu digitalisieren mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien einerseits und eben diesen neuen Formen von Robotik und künstlicher Intelligenz andererseits.
SPRECHERIN
Welche Auswirkungen das auf die Arbeitszeit hat, hängt dabei stark von der Branche ab.
18 O-TON (Blättel-Mink)
In manchen Branchen beobachten wir, dass Debatten geführt werden um eine verringerte Arbeitszeit, sagen wir mal 32-Stunden-Woche, da geht es auch um Fragen von Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir haben andererseits durch die Digitalisierung, durch die sogenannte Plattform-Ökonomie zunehmend Arbeitsverträge, die sehr wenig konkret sind.
Musik: Dogged Pathology unter: 0´58´´
SPRECHERIN
Zur Plattform-Ökonomie gehören Online-Marktplätze wie Ebay oder Amazon, aber auch Vergleichsportale und Sharing- oder Lieferdienste. Um die Plattform-Ökonomie am Laufen zu halten, braucht man jede Menge Programmiererinnen, die Webseiten optimieren. Außerdem Kuriere, die Pakete oder Essen ausliefern. Und auch Influencer, die ihren Followern Einblick in ihr Leben gewähren und nebenbei Werbung machen. Viele von ihnen arbeiten freiberuflich. Manche mieten einen Platz in einem sogenannten Coworking Space, das sind Gemeinschaftsbüro, die es vor allem in größeren Städten gibt. Wann sie dort arbeiten – und wie lange – ist ihnen überlassen. Das bietet gewisse Freiräume, bringt zum Teil aber auch neue prekäre Beschäftigungsverhältnisse hervor.
Musik: Dogged Pathology weg
19 O-TON (Blättel-Mink)
Denken Sie zum Beispiel an die E-Roller und die Solo-Selbständigen, die diese E-Roller in den Städten sammeln, aufladen müssen und wieder an bestimmte Stellen dann auch transportieren müssen. Sie tun das häufig auf eigene Kosten und werden dann sozusagen nach bestimmten Zielvereinbarungen bezahlt.
SPRECHERIN
Wie viel ein Fahrer, eine Fahrerin verdient, hängt davon ab, wie viel er oder sie schafft. Und das wiederum hängt ab vom Verkehr, vom Auto, vom eigenen Fahrstil und ob der Kunde zuhause ist. Der Auftragnehmer, die Auftragnehmerin ist für sich selbst verantwortlich. Jeder kämpft für sich allein. Wer nicht genug verdient, wer kein gutes Feedback bekommt, muss seine Art zu arbeiten optimieren. Sonst gehen die nächsten Aufträge an die Konkurrenz. Eine Absicherung gibt es nicht. Das ist die Schattenseite der selbstbestimmten Arbeit.
20 O-TON (Blättel-Mink)
Die Selbstausbeutung nimmt in dem Maße zu, könnte man jetzt etwas provokant sagen, wie die Fremdausbeutung, also die direkte Kontrolle durch den Arbeitgeber, zurückgenommen wird.
Musik: Dogged Pathology unter: 0´51´´
SPRECHERIN
Andererseits ist es nun auch möglich, seine Zeit stärker selbst zu gestalten. Die Kurierfahrerin holt mittags die Kinder von der Schule ab. Der Programmierer stellt zwischendurch die Waschmaschine an. Und die Influencerin probiert für sich Kochrezepte, die sie vielleicht auch ihren Followern vorstellen wird. Arbeit und Privates verschwimmen zunehmend. Die Corona-Pandemie hat dieser Art zu arbeiten einen weiteren Schub gegeben. Zuhause Mails beantworten und gleichzeitig die Kinder zum Lernen animieren. Oder Gemüse schnibbeln und nebenbei telefonisch Termine abstimmen. Wie viele Stunden man für was gebraucht hat, lässt sich am Ende des Tages gar nicht mehr genau sagen.
Musik: Dogged Pathology weg
21 O-TON (Ertl)
Ein Stück weit gehen jene Standardarbeitsverhältnisse, die nen großen Teil des 20. Jahrhunderts ausgefüllt haben, zu Ende und weichen einer Flexibilisierung, die in manchen Bereichen durchaus erinnert an die Verhältnisse vor 1800.
SPRECHERIN
Nur dass wir heute nicht mehr von „Heimarbeit“ sprechen, sondern im Home Office sind.
Musik Laiser Pointer unter: 0´13´´
SPRECHER
Die Zukunft.
Musik Laiser Pointer weg
Musik Weird instructions unter folgendem: 0´29´´
SPRECHERIN
Wie könnte es weitergehen? Machen wir künftig keinen Unterschied mehr zwischen Erwerbs- und Hausarbeit? Oder grenzen wir die Arbeitszeit wieder stärker ab – vielleicht nicht per Stechuhr, sondern mithilfe einer Smartwatch, die uns signalisiert, dass jetzt Zeit für vier Stunden Erholung ist. Oder auch für sechs oder acht Stunden. Viele Wissenschaftler in früheren Jahrhunderten sind davon ausgegangen, dass wir in Zukunft sehr viel weniger arbeiten.
23 O-TON (Ertl)
In der Mitte des 19. Jahrhunderts betrug die durchschnittliche Arbeitswoche 60 Stunden, heute beträgt sie durchschnittlich 30 Stunden. Ob sich aber in diese Richtung weiter entwickelt und hinführt zu einer Arbeitswoche von 15 Stunden, das kann wohl derzeit niemand prognostizieren.
Musik Weird instructions unter folgendem: 0´27´´
SPRECHERIN
Vielleicht spielt die konkrete Anzahl an Stunden aber auch immer weniger eine Rolle. Weil Arbeit und Privates sich kaum noch trennen lassen. Die Geschichte der Arbeitszeit wäre dann an ihr Ende gekommen oder müsste ein neues Kapitel aufschlagen.
Musik Weird instructions weg
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