Hexen - Die Geschichte von Angst, Folter und Mord
Für viele Menschen sind Hexen auch heute real. US-Forscher fanden bei einer Befragung in 95 Ländern heraus, dass mehr als 40 Prozent glauben, dass böse Hexen anderen schaden können. Im frühneuzeitlichen Europa fielen Schätzungen zufolge Zehntausende Frauen den Hexenverfolgungen zum Opfer. Autorin: Claudia Steiner
Credits
Autorin dieser Folge: Claudia Steiner
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Katja Amberger, Gudrun Skupin
Technik: Christine Frey
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Dr. Stefan Eisenhofer, Kurator im Museum Fünf Kontinente.
Gertrude Nkrumah, Historikerin und Gender-Forscherin an der University of Education in Winneba in Ghana.
Dr. Sarah Rafajlovic, Ethnologin, Ann-Christine Woehrl, Fotografin.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Sie fliegen auf Besen, tanzen um Feuer, haben feuerrote Haare und schwarze Katzen, Kontakt zu Geistern und sogar dem Teufel, dem sie den Hintern küssen, um sich dann mit ihm zu vermählen.
MUSIK kurz hochkommen lassen
Sie praktizieren magische Rituale, murmeln Zaubersprüche und können mit ihren übernatürlichen Kräften anderen schaden: Hexen.
MUSIK hochkommem
SPRECHERIN
Die meisten denken vermutlich sofort an Hexenverbrennungen im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Doch der Glaube an Hexerei und die Angst davor sind kein Phänomen der Vergangenheit. Für viele Menschen sind Hexen real – auch im 21. Jahrhundert.
MUSIK: Evil forest 0‘22
The dark lord 0‘52
SPRECHERIN
Ein Forschungsteam der American University in Washington befragte mehr als 140.000 Menschen in 95 Ländern. Demnach glauben mehr als 40 Prozent, dass Hexen anderen Leid zufügen können. Die Studie ergab, dass der Glaube an die dunkle Macht von Hexen vor allem in Ländern mit schwachen Institutionen, geringem sozialen Vertrauen und geringer Innovationskraft präsent ist. Besonders verbreitet ist der Hexenglaube zum Beispiel in Marokko, Tunesien, Tansania und Kamerun, Mittel- und Südamerika, dem Nahen Osten und Russland. Auch in Teilen Ghanas werden immer wieder Frauen als Hexen diffamiert, verstoßen, bedroht oder sogar getötet. Die Historikerin und Gender-Forscherin Gertrude Nkrumah unterrichtet an der University of Education in Winneba in Ghana (Aussprache bei "Hexen iXm6011_00003 Gertrude Nkrumah Historikerin und Genderforscherin Ghana" in „Wissen und Forschung“ 0.34 Sek).
O-TON 1 (Gertrude, 3, 3.34 The point …. about it, 4.48 Usually … chicken) – Overvoice
Was ich betonen möchte, ist, dass es solche Vorkommnisse nur in bestimmten Regionen Ghanas gibt. Die meisten Menschen in Ghana aber wissen darüber kaum etwas. / Normalerweise ist es so, wenn eine Person beschuldigt wird, über Hexenkräfte zu verfügen, dann wird die Person in ihr Dorf gebracht, wo mit besonderen Ritualen versucht wird herauszufinden, ob die Frau eine Hexe ist oder nicht, zum Beispiel indem man ein Huhn schlachtet.
MUSIK: Secret proofs red 0‘27
SPRECHERIN
Bei dem Ritual wird einem Huhn die Kehle durchschnitten. Die Art, wie der Vogel nach seinem Tod auf der Erde liegt, entscheidet dann darüber, ob es sich bei der beschuldigten Frau um eine Hexe handelt oder nicht. Manchmal findet auch eine Beschau der Eingeweide des Tieres statt. Die deutsch-französische Fotografin Ann-Christine Woehrl porträtierte in der abgeschiedenen Northern Region Frauen, die als Hexen bezichtigt werden. In ihrer Schau mit dem Titel „Witches in Exile“ – also Hexen im Exil – 2023/24 im Museum Fünf Kontinente in München porträtiert sie Frauen, die in sogenannten Witch Camps leben - das sind einfache Dörfer, in denen ausschließlich Frauen leben, die als Hexen stigmatisiert werden. Ann-Christine Woehrl:
O-TON 2 (2 Woehrl, 00.48)
Alle Frauen tragen natürlich das gleiche Schicksal, dass sie meist lebenslänglich aus ihren Dörfern, also Dorfgemeinschaften und Familien, ausgegrenzt wurden und Zuflucht in einem sogenannten Witch Camp gefunden haben. Und insofern ist natürlich das Schicksal, was sie da tragen, die sind da schon auch sehr gezeichnet davon.
SPRECHERIN
Manchmal haben die Frauen noch Kontakt zu ihren Familien, oft aber sind sie ganz auf sich alleine gestellt. Sie bestellen ein kleines Feld oder klauben auf Märkten Körner zusammen, die auf den Boden gefallen sind. Andere Menschen fürchten sich vor ihren vermeintlich bösen Kräften und meiden sie. Die Frauen selbst sehen sich nicht als Hexen, sagt Ann-Christine Woehrl:
O-TON 3 (2, Woehrl, 01:40)
Von den Frauen, die ich dort getroffen hat, hat keine von sich behauptet, dass sie eine Hexe sei, aber grundsätzlich das Phänomen haben sie nicht in Frage gestellt. Ich habe ganz konkret auch die Frage damals gestellt: Siehst du dich als Hexe? Und alle haben gesagt: Nein, ich wurde falsely accused. Aber ich glaube, um die Existenz von Witches, von Hexen, daran wird gar nicht gezweifelt, dass es die gibt, weil eben dieser Glaube so verankert ist.
MUSIK: Nocturnal research red. 0‘25
SPRECHERIN
Es gibt in Ghana auch den Glauben an Hexer, also Männer, denen magische Kräfte nachgesagt werden. Doch für Männer ist dieses Label meist nicht so gefährlich, sagt Gertrude Nkrumah:
O-TON 4 (3, Gertrude, ca 10.48, Mostly … protection) Overvoice
Meistens denken Menschen, dass auch Männer über Hexenkräfte verfügen können, aber sie glauben, sie nutzen es für Gutes, anders als Frauen. Meiner Ansicht nach ist das vor allem deshalb so, weil Frauen in einer verletzlicheren Position sind. Es ist leichter, sie zu beschuldigen, besonders wenn sie keinen Schutz haben.
SPRECHERIN
Oft treffen die Vorwürfe die Schwächsten der Gesellschaft. Je nach Land, Region und gesellschaftlicher Situation werden neben Frauen auch marginalisierte Gruppen wie Waisen, mittellose, junge Männer oder Menschen mit Albinismus an den Pranger gestellt. Doch wie kommt es, dass jemand als Hexer oder Hexe bezichtigt wird? Die Frauen in Ghana erzählen, dass manchmal Neid und Missgunst eine Rolle spielen. Teilweise werden die Frauen auch für Krankheiten, Epidemien, Unfälle, Dürren oder Todesfälle verantwortlich gemacht. Meist sind die Ankläger keine Unbekannten. Die Fotografin Christine Woehrl:
O-TON 5 (2, Woehrl, 5.05)
Oft sind es aber natürlich auch Familienmitglieder, die diese Frauen anklagen. (…) Also es ist ja oft auch ein Thema in der polygamen Gesellschaftsstruktur, dass natürlich eine Frau auch von einer Rivalin verstoßen wird oder sie eine Traumerscheinungen hat.
SPRECHERIN
Eine Frau aus dem Witch Camp erzählte Ann-Christine Woehrl zum Beispiel, dass die Zweitfrau ihres Mannes sie beschuldigt habe, für die Krankheit ihres Sohnes verantwortlich zu sein. Die erste Ehefrau wurde daraufhin als Hexe verstoßen und musste das Dorf verlassen. Die Zweitfrau aber stieg dadurch gesellschaftlich auf und wurde zur Hauptfrau.
MUSIK: Dark figures 0‘47
SPRECHERIN
In der ghanaischen Gesellschaft ist der Glaube an Hexen tief verankert. Die Frauen dienen als Sündenböcke für Probleme. Indem vermeintliche Hexen verstoßen und vertrieben werden, sollen Konflikte zum Beispiel im Dorf gelöst werden. Für die geächteten Außenseiterinnen können die Anschuldigungen fatale Folgen haben: 2020 machte in Ghana die Ermordung von Akua Denteh Schlagzeilen (Aussprache: https://www.youtube.com/watch?v=my8AQYLXyww Aussprache des Namens bei 00.10). Die als Hexe diffamierte 90-Jährige wurde auf der Straße erschlagen – eine Gruppe von Menschen beobachtete die Tat. Videos des Mordes landeten in den sozialen Medien. Dies veranlasste die Regierung dazu, gegen Hexenverfolgung und Hexenanklagen vorzugehen. Die beiden Haupttäterinnen wurden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Inzwischen gibt es Bestrebungen, die Verfolgung von Hexen als Straftatbestand zu etablieren, sagt Stefan Eisenhofer, Kurator der Ausstellung im Museum Fünf Kontinente. Doch der Weg der ghanaischen Regierung dahin ist nicht einfach:
O-TON 6 (4, Eisenhofer, 6.06)
Wenn die sagen, wir folgen vielen Menschen der eigenen Bevölkerung, für die Hexerei eine soziale Realität ist und die das als integralen Bestandteil auch vom Gerechtigkeitsempfinden und Strafverfolgung sehen, damit kicken sich die afrikanischen Staaten sozusagen aus der Weltengemeinschaft der anderen Staaten aus. Wenn sie dann aber Hexerei für nicht existent betrachten, dann hat man zum Teil aus der eigenen Bevölkerung Gegenwind, weil die sagen: Ja, ihr folgt wieder europäischen, kolonial-zeitlichen Vorgaben und tretet auf afrikanischem Kulturerbe mit Füßen herum.
MUSIK: Deserted and destroyed (reduziert) 0‘38
SPRECHERIN
Es gibt afrikanische Länder, in denen die Kolonialgesetzgebung weiter besteht, die Hexerei schlicht als nicht existent betrachtet. Doch Gesetze helfen wenig, wenn es um Angst geht. Erfolgreicher sind zum Beispiel Ansätze von Pfingstkirchen, in denen der Heilige Geist eine große Rolle spielt. Viele der christlichen Gemeinschaften akzeptieren den Glauben an Hexerei, an die Macht des Bösen und die Kräfte des Teufels. Der Ethnologe Stefan Eisenhofer.
O-TON 7 (Eisenhofer, 4, 16.02)
Und sowohl die Menschen, die sich verhext fühlen, können Zuflucht finden in dieser christlichen Gemeinschaft als auch diejenigen, denen Hexerei vorgeworfen wird, weil dann sozusagen die göttliche Kraft diese Mächte überstrahlt und ja, in den Griff bekommt und aufhebt und ins Positive wenden kann. Also den größten Erfolg haben sozusagen nicht die, die so mit einer europäischen Aufklärungsidee ‚Jetzt müssen die Menschen mal besser gebildet werden, dann erledigt sich das von alleine‘… So einfach ist es offenbar nicht. Oft haben diejenigen größeren Erfolg, die sich so irgendwie in vertrauteren Argumentationsmustern bewegen.
MUSIK: Foreboding fate 0‘45
SPRECHERIN
In einigen Ländern wie zum Beispiel Kamerun gilt Hexerei als Tatbestand im Strafgesetzbuch. Hexen, die von Hexenfindern identifiziert werden, drohen langjährige Gefängnisstrafen. In Ghana versuchen Menschenrechtsorganisationen die Bevölkerung mit drastischen Plakaten wach zu rütteln. Es sind Zeichnungen von Frauen, die verfolgt oder geschlagen werden. Die Botschaft lautet: „Auch Du könntest an der Stelle dieser Frau sein“ oder „Das könnte auch deine Mutter sein.“ Ab und an gelingt es durch Verhandlungen mit Dorfgemeinschaften, dass Frauen aus den Witch Camps wieder zu ihren Familien zurückkehren können. Doch manche müssen erneut in das Witch Camp flüchten, weil sie neuen Anschuldigungen oder Verfolgungen ausgesetzt sind. Stefan Eisenhofer betont, dass der Glaube an Hexen in vielen Regionen unabhängig vom Bildungsniveau verbreitet ist.
O-TON 8 (Eisenhofer, 4, 2.04)
Ein anderer wichtiger Punkt ist für mich: Das ist kein Phänomen irgendwelcher rückständiger Gebiete ist (…), sondern dass Hexenglauben auch für viele großstädtische, gebildete Menschen einfach soziale Realität ist. Und das betrifft auch Diaspora-Kreise. Wenn wir jetzt zum Beispiel diese Bilder hier sehen, dann ist es für uns in Mitteleuropa sozialisierte Menschen, erwirkt das ja eher Mitleid, Sympathie, Empathie. Aber es gibt eben auch Menschen, die den Bildern vielleicht skeptischer gegenüberstehen und denken: Na ja, so ganz von ungefähr werden die schon nicht in diesem Hexenlager sein. Und das ist tatsächlich (…) für mich als Ethnologe immer so eine Gratwanderung, weil ich halt vor allem auch vermeiden will, mit dem mitteleuropäischen, urbanen, deutschen Zeigefinger zu zeigen: Wir haben wieder die Weisheit mit Löffeln gefressen. Und jetzt bringen wir dann mal ein bisschen Bildung und unsere Werte und unsere Weltsicht in andere Weltenteile und dann wird alles gut.
MUSIK: Main title from The name oft he rose 1‘07
SPRECHERIN
In Europa dauerte es lange, bis Hetzjagden auf vermeintliche Hexen ein Ende fanden. In Deutschland zum Beispiel wurde 1775 die letzte angebliche Hexe umgebracht, in der Schweiz 1782. In den Jahrhunderten zuvor wurden infolge der Inquisition – der kirchlichen Verfolgung – aber auch durch Urteile weltlicher Schöffengerichte Zehntausende Menschen – überwiegend Frauen - qualvoll getötet. Sie starben durch Folter, bei Hexenprüfungen oder auf dem Scheiterhaufen.
MUSIK kurz hoch
SPRECHERIN
Die Kirche spielte in dem dunklen Kapitel der europäischen Geschichte eine wichtige Rolle: Der im 13. Jahrhundert lebende Kirchentheoretiker Thomas von Aquin ging davon aus, dass Hexerei wie die Tierverwandlung, Hexenflüge oder Unwetterzauber mit Hilfe des Teufels ausgeführt werden kann. Die römische Kurie ernannte Inquisitoren, die durch Bistümer zogen, um Hexenverfolgungen zu organisieren - so auch der Dominikanermönch Heinrich Kramer. Grundlage vieler Hexenprozesse war sein Werk, ein fast 700 Seiten umfassendes Buch mit dem Namen „Hexenhammer“. Das 1487 erschienene Buch diente als Anleitung zur Überführung und Verurteilung von vermeintlichen Hexen. Die Münchner Ethnologin Sarah Rafajlovic (Aussprache - "Hexen Sarah Rafajlovic iXm6127_00001" bei 0.28 Sek.):
O-TON 10 (Sarah Rafajlovic, 8.03 /11.37)
Der Hexenhammer liefert ein ganzes Spektrum an Dingen, wie man herausfinden kann, ob jemand eine Hexe ist. Da ist auch klar definiert, was Hexe bedeutet und Anweisungen für den Inquisitor sind vorhanden. / Er wurde alleine zwischen dem 16. und dem 17. Jahrhundert 16-mal neu aufgelegt. Das ist für eine Zeit, in der der Buchdruck und das Lesen noch gar nicht so verbreitet waren, richtig viel. Und das hat es auch ermöglicht, dass dieser Glaube zum Beispiel nach Nordamerika exportiert wurde und dass dort auch Hexenpogrome stattfinden konnten.
MUSIK: Dark activities 0‘20
Atmo Pesttrommel 0‘15
SPRECHERIN
Die Hexenverfolgung in Europa fiel in die sogenannte „kleine Eiszeit“, eine Kältewelle mit langen Wintern, schlechten Ernten und Hunger. Auch die Pest wütete. Ihren Höhepunkt erreichten die Hexenprozesse während des Dreißigjährigen Kriegs. Die Frauen dienten als Sündenböcke für Missernten, Schäden, Krankheiten und den Tod. Ihnen wurde vorgeworfen, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben und mit ihm zu buhlen. Überführt wurden sie unter anderem mit der sogenannten „peinlichen Befragung“, gemeint ist Folter, unter der die Beschuldigten Schadenzauber oder Tanzorgien mit dem Teufel gestanden und oft auch weitere Menschen als Hexen beschuldigten, die dann ebenfalls ermordet wurden. Manchmal dienten auch Muttermale dazu, um eine angebliche Hexe zu identifizieren – teilweise in Kombination mit der Nadelprobe, bei der in ein Muttermal gestochen wurde. Floss kein Blut, war die Verdächtige als Hexe entlarvt. Teilweise spielte aber auch nur die Form oder die Körperstelle, an der sich ein Muttermal befand, eine Rolle. Sarah Rafajlovic:
O-TON 11 (Sarah Rafajlovic, 10.05)
Das kann alles sein, das kann auch ein Leberfleck irgendwie in einer seltsamen Form am Rücken oder auf dem Hintern sein, was der Inquisitor quasi als solches definiert. Es gibt verschiedene Dinge, die durch den Hexenhammer als Zeichen einer Hexe gesehen wurden.
MUSIK: Howling moon 0‘42
SPRECHERIN
Eine andere Methode, um herauszufinden, ob es sich bei einer Frau um eine Hexe handelte, war die Wasserprobe. Dafür wurden die vermeintlichen Hexen in ein fließendes Gewässer geworfen, teilweise wurden Steine an sie gebunden. Gingen die Frauen unter, war ihre Seele rein, der Vorwurf falsch. Viele Frauen überlebten die Probe aber nicht und ertranken. Wenn die Frauen aber an der Oberfläche trieben, war für die Inquisitoren klar, dass sie mit übernatürlichen Mächten im Bunde standen – diese Frauen landeten auf dem Scheiterhaufen. Sarah Rafajlovic:
O-TON 12 (Sarah Rafajlovic, 8.50)
Man muss sich vorstellen, dass Frauen zu der Zeit mehrere Unterröcke auch anhatten, wo sich Luftpolster bilden konnten, was die logische, rationale Erklärung dafür ist, warum Frauen nicht untergegangen sind. Ich habe in meiner Forschung diese Wasserprobe auch in Südosteuropa gefunden, wo der Magieglaube ambivalent geprägt ist - also weder gut noch böse, sowohl schädlich als auch nützlich. Und da hat man diese Frauen an einem Seil ins Wasser geworfen und hat beide Frauen wieder rausgezogen und beide Frauen haben überlebt - mit dem Unterschied, dass diejenige, der der Hexereivorwurf gemacht wurde, der negativen Magie abschwören musste. Sie durfte aber weiterhin als Heilerin in die Gesellschaft tätig sein.
MUSIK: Healing process 0‘42
SPRECHERIN
Als die Schulmedizin in Serbien noch nicht etabliert war - hatten dort Heilerinnen die Funktion von Ärztinnen. Sie kannten sich mit Kräutern aus, wussten, welche Pflanzen bei verschiedenen Beschwerden helfen. Anders als in vielen europäischen Ländern schaffte es die orthodoxe Kirche nicht, die Heilerinnen als Hexen zu diffamieren, sagt Sarah Rafajlovic, die über Frauen, Magie und das Okkulte im post-sozialistischen Serbien promovierte.
O-TON 13 (1, Rafajlovic, 20.54)
Es gab nie ein so großes Erstarken der eigenen Kirche, dass diese Kirche das Bedürfnis gesehen hätte, das irgendwie (…) zu vertreiben. Im Gegenteil - die Regierung hat im 19. Jahrhundert proklamiert, dass Leute, die andere Leute als Hexen diffamieren, vor Gericht gestellt werden. (…) Und das hat dazu beigetragen, dass die traditionelle Magie immer noch vorhanden ist.
SPRECHERIN
Noch heute gibt es vor allem in ländlichen Regionen sogenannte Babas, denen magische Kräfte nachgesagt werden. Baba bedeutet Großmutter. Hilfesuchende finden die Frauen durch Mund zu Mund-Propaganda. Aufgesucht werden sie bei verschiedensten Problemen und Sorgen, sagt Sarah Rafajlovic:
O-TON 14 (1, Sarah, 21.50)
Auch wenn man glaubt, jemand hätte den bösen Blick über einen gebracht. (…) Der häufigste Grund sind Bettnässen bei Kindern zum Beispiel oder wenn ein Kind viel weint, oder wenn man Eheprobleme hat, dann ist das auch ein Anlaufpunkt oder auch Angst, also grundsätzlich Depressionen und Angstzustände.
SPRECHERIN
In serbischen Städten wiederum gibt es heutzutage Frauen, die sich selbst als Heilerinnen bezeichnen und die auf Basis der traditionellen Magie ein neues Magieverständnis entwickeln, oft angereichert durch esoterische Elemente. Einen ähnlichen Trend gibt es auch in Deutschland. Hier geben selbst ernannte Hexen zum Beispiel auf dem Videoportal TikTok ihr Wissen weiter. Sie posten kurze Clips mit Kerzen, Kristallen und Tarotkarten, erklären Rituale und Sprüche, die gegen Liebeskummer oder auch bei Geldproblemen helfen sollen. Die Frauen sehen sich als gute Hexen, die einen Missstand beheben und ein Problem zum Positiven wenden wollen.
MUSIK: Die kleine Hexe 0‘38
SPRECHERIN
Ende des 19. Jahrhunderts machte „Faust“ von Johann Wolfgang von Goethe die Walpurgisnacht populär. Faust und Mephisto machten sich in dem Werk auf den Weg zum Brocken und trafen unterwegs auf eine Hexe. Die Sagen rund um Hexen nutzt inzwischen der örtliche Tourismusverband. In der Nacht zum 1. Mai strömen viele Menschen – auch wenn sie nicht wirklich an Hexen glauben - auf den „Blocksberg“, den Brocken im Harz, um die Walpurgisnacht zu feiern. Mit Hilfe von gruseligen Masken und Feuern werden böse Geister vertrieben. Benannt ist die Walpurgisnacht übrigens nach der angelsächsischen Benediktinerin Walburga, die im 8. Jahrhundert nach Deutschland kam. Der 1. Mai ist der Tag ihrer Heiligsprechung – mit dem Hexenreigen hat die Ordensfrau nichts zu tun, vielmehr gilt sie als Schutzpatronin gegen schlechte Ernten, Seuchen und böse Geister.
MUSIK: Waldgebirge 0‘46
SPRECHERIN
Das Bild von Hexen war auch lange nach dem Ende der Hexenverfolgung in Europa noch lange negativ geprägt. In vielen Märchen der Gebrüder Grimm, die im 18. Jahrhundert entstanden sind, kommt eine böse Hexe vor. In „Brüderchen und Schwesterchen“ ist zum Beispiel die böse Stiefmutter eine Hexe. Im „Froschkönig“ verwandelt eine Hexe einen Prinzen in einen hässlichen Frosch. Und in „Hänsel und Gretel“ sperrt die Hexe im dunklen Wald Hänsel in einen Käfig ein, weil sie ihn mästen und verspeisen möchte. Sarah Rafajlovic:
O-TON 15 (1, Rafajlovic, 32.44)
Das fußt immer noch auf der inquisitorischen Hexen-Vorstellung. Das habe ich so auch in der Sagen- oder Märchenwelt in Südosteuropa gefunden. Da gibt es eine Hexe, in Russland heißt die Baba Jaga, in Südosteuropa ist es die Baba Roga, die im Wald in einem Haus wohnt, das auf Hühnerbeinen steht, umzäunt von Menschen-Gebeinen und die quasi auch verirrte Wanderer verspeist oder ihr Unwesen im Wald treibt.
MUSIK: Ein neuer Tag 0‘36
SPRECHERIN
Es hat einige Zeit gedauert, bis Hexen in Geschichten auch gut sein konnten. Mit der „Kleinen Hexe“ im Kinderbuch von Otfried Preußler hat der Leser eher Mitleid, denn sie wird mit ihren 127 Jahren von den anderen, viel älteren Hexen nicht für voll genommen und ausgeschlossen. Auch verbreitet sie keine böse, schwarze Magie, sondern hilft armen Frauen, die im Wald Klaubholz sammeln, rettet einen Ochsen vor dem Schlachter und lässt an Fastnacht zur Freude der Kinder Krapfen regnen. Sarah Rafajlovic:
O-TON NEU 16 (1, Sarah, 33.25)
Es hat sich riesig was verändert, wenn wir gerade Harry Potter anschauen und dann die Entwicklung (…) wie 80er und 90er-Jahre, (…) was so für ‚Coming of age‘ steht, (…) Übergang von der Kindheit und Pubertät, der auch so ein bisschen magisch konnotiert ist, (…) wo das Thema ganz gut passt. Aber das ist (…) nur dadurch möglich, dass dieses Bild romantisiert wurde und dann auch in den 70er und 80er-Jahren positiv umgedeutet wurde.
MUSIK: Dark vision 0‘39
SPRECHERIN
Der Glaube an Hexen, Zauberer und Zwischenwesen zieht sich durch alle Kulturkreise und Zeiten. Er prägt Sagen und Erzählungen, oft aber auch den Alltag vieler Menschen, für die Hexen real sind. Der Glaube an Hexen lässt sich nicht einfach verbieten. Denn selbst wenn es entsprechende Gesetze gibt - die Angst von dunklen Mächten ist in vielen Kulturen dennoch tief verwurzelt.
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