Operation Overlord - Die Landung der Alliierten
Der D-Day, der Decision Day wurde als Tag der Entscheidung von den Alliierten genauso wie von Nazi-Deutschland erwartet, über zwei Jahre hatten sich vor allem Briten und Amerikaner auf eine der größten Militäroperationen der Geschichte intensiv vorbereitet. Als die Alliierten dann am 6.Juni 1944 in der Normandie tatsächlich an Land gingen, geschah dies unter hohen Verlusten. Heute gilt die Invasion nicht mehr als die Entscheidungsschlacht, als die sie die Zeitgenossen sehen wollten, aber als Tag von hoher symbolischer Bedeutung, wenn es um die Nachkriegsordnung in West-Europa ging. Von Steffi Illinger
Credits
Autorin dieser Folge: Steffi Illinger
Regie: Silke Wolfrum
Es sprachen: Christoph Jablonka, Christian Baumann
Technik: Marcus Huber
Redaktion: Andrea Bräu
Im Interview:
Dr. Peter Lieb, Militärhistoriker, Potsdam
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER
Es ist eine der wichtigsten Wettervorhersagen der Geschichte: drei Wetterdienste arbeiten an den Prognosen, um eine ideale Wetterkonstellation über dem Nordatlantik und dem Ärmelkanal zu ermitteln: Sonnenaufgang bei Ebbe, der Himmel möglichst nicht wolkenverhangen und nicht zu viel auflandiger Wind. Denn Fallschirmspringer und Bombenflieger brauchen gute Sicht, die Böden müssen trocken sein, damit schweres Kriegsgerät nicht im Matsch versinkt, für die Landungstruppen soll die See ruhig sein und der Wasserstand niedrig, damit die vom Gegner errichteten Strandhindernisse zu sehen sind.
GERÄUSCH – WIND-WELLEN-WASSER, STÜRMISCH
SPRECHER
Doch Anfang Juni 1944 herrscht über dem Nordatlantik ein Tiefdruckgebiet, es ist ungewöhnlich kalt und stürmisch für die Jahreszeit. Ungünstig – denn die Strategen wünschen sich optimale meteorologische Bedingungen für eine der größten Militäraktionen der Menschheitsgeschichte: der Invasion und Befreiung Westeuropas von der Naziherrschaft. An der südenglischen Küste haben die Alliierten ein gigantisches Truppenaufgebot zusammengezogen – sie warteten auf den D-Day – den Decision-Day, den Tag der Entscheidung:
GERÄUSCH – WIND – WELLEN -WASSER-STÜRMISCH
SPRECHER
Der Militärhistoriker Dr. Peter Lieb beschäftigt sich mit der Invasion seit seiner Studienzeit, als er während eines Auslandsemesters den berüchtigten Omaha Beach mit seinen endlosen Reihen von Kriegsgräbern besucht hat.
O-Ton 1: Dr. Peter Lieb 0´45“
1/ [00:02:51] Der Name D-Day bedeutet Decision-Day, also Entscheidungstag.
Und in der Tat ist für die damaligen Beteiligten, sowohl auf alliierter als auch auf deutscher Seite - dieser Tag wird als der Entscheidungstag des Krieges gesehen, ist ein Tag für die Alliierten, der mit großen, sehr, sehr großen militärischen Risiken behaftet zu sein scheint. Und sie glauben, wenn sie jetzt die Landung nicht schaffen sollten, würde es Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis sie wieder erneut versuchen könnten, in Westeuropa zu landen…((Auf der anderen Seite haben die Deutschen, da insbesondere die nationalsozialistischen Machthaber und auch die NS Propaganda, haben diesen D-Day oder diese alliierte Landung in Westeuropa zu einer Entscheidungsschlacht des Krieges hochstilisiert.))
SPRECHER
Eigentlich haben die Deutschen bereits im Mai 44 mit einem Angriff auf die von ihnen besetzte nordfranzösische Küste gerechnet, und auch auf der anderen Seite des Ärmelkanals wurde von den Alliierten die Invasion für Mai angesetzt und wieder verschoben – man war mit den militärischen Vorbereitungen noch nicht weit genug.
Zudem widersprechen sich die Wetterprognosen der amerikanischen und britischen Dienste, die gewünschte Fünftage-Vorhersage grenzt im Hinblick auf die damaligen Möglichkeiten an Kaffeesatzleserei.
MUSIK The revolutionary army (LC 10347) 0’05
O-Ton 2: Dr. Peter Lieb
2 / [00:10:35] …das Wetter spielt in der Tat eine ganz wichtige Rolle an diesem D-Day. Und zwar, weil die Deutschen andere Informationen haben als die Alliierten. Die Alliierten wissen, das sich am 6. Juni so ein kleines Wetterloch auftut. Vorher und nachher ist eine Schlechtwetterfront vorhergesagt und für den 6. Juni gibt es ein kleines Fenster …. Die Deutschen hingegen, ihre Wettervorhersage sagt, 6.Juni schlechtes Wetter. Da werden die Alliierten nicht angreifen, da können sie ihre Luftwaffe nicht einsetzen. Da ist hoher Seegang, da können sie ihre Landungsboote nur mit Schwierigkeiten einsetzen.
Sprecher
Ein fataler Irrtum.
Die Planung und Durchführung der Operation Overlord, also der Landung, liegt bei General Dwight D. Eisenhower, dem Oberbefehlshaber über die alliierten Truppen, über Streitkräfte aus Großbritannien, Amerika, Kanada, und weiteren Staaten sowie von Exil-Armeen aus Frankreich und Polen.
MUSIK The revolutionary army 0’05
Nach einer zweiten durchwachten Nacht und Unmengen von Kaffee und Nikotin ringt sich General Eisenhower schließlich zu einer Entscheidung durch, er befiehlt die Invasion:
Archiv 1:
„Soldiers, Sailors, and Airmen of the Allied Expeditionary Force! You are about to embark upon the Great Crusade, toward which we have striven these many months. The eyes of the world are upon you.
…The tide has turned! The free men of the world are marching together to Victory!
I have full confidence in your courage, devotion to duty and skill in battle. We will accept nothing less than full Victory!“
OVERVOICE-SPRECHER:
Soldaten auf See wie in der Luft, ihr seid dabei, euch für einen großen Kreuzzug einzuschiffen. Die Augen der Welt sind auf euch gerichtet. …Das Blatt hat sich gewendet! Freie Männer von überall auf der Welt marschieren gemeinsam dem Sieg entgegen. Ich habe volles Vertrauen in Euren Mut, euer Pflichtgefühl und eure Kampfesfähigkeit. Wir akzeptieren nur einen vollständigen Sieg.
MUSIK From the Halls of Montezuma 0’20
SPRECHER
Im Morgengrauen des 6.Juni überquert eine gewaltige Armada den Ärmelkanal: 1213 Kriegsschiffe und 4124 Landungsboote stechen in See.
Der „längste“ Tag der Geschichte hat begonnen.
O-Ton 3: Dr. Peter Lieb
1/ [00:01:30] …Also der D-Day hat eine herausgehobene politische Bedeutung, …Was er weniger hat, ist, …dass lange Zeit behauptet wurde, der D-Day, wäre eine Entscheidungsschlacht des Zweiten Weltkrieges gewesen oder wäre ein Wendepunkt des Zweiten Weltkrieges gewesen. Das kann man also nicht mehr sagen. Das zu diesem Zeitpunkt war eigentlich jetzt in der Rückschau gesehen, der Zweite Weltkrieg für das Deutsche Reich bereits verloren. Für die Zeitgenossen hat sich das durchaus anders dargestellt. Da war nicht so ganz klar, ob die Deutschen vielleicht noch Chancen haben, den Krieg zu gewinnen. Das haben die Deutschen geglaubt, das haben die Alliierten geglaubt. … (02:18)
SPRECHER
…und im Vorfeld lange um die richtige Strategie bei der Befreiung Europas gerungen: Bereits Ende 1941 war die Entscheidung zwischen Briten und Amerikanern gefallen – Germany first! Zuerst sollte das nationalsozialistische Deutschland besiegt werden, bevor sich die Amerikaner den weiteren weltweiten Kriegsschauplätzen zuwenden wollten. Fast zweieinhalb Jahre haben die Vorbereitungen für eine amphibische Landung ungeheuren Ausmaßes gedauert, also einer Landung der Marinetruppen an einer feindlich besetzten Küste, nur von der Seeseite aus und ohne schützende Häfen, von denen sich aus Truppenbewegungen und Kriegsmaterial organisieren lassen.
MUSIK Etoll Horrific (LC-30312) 0’08
Eine militärische Großoperation, bei der sich die westlichen Verbündeten immer wieder zusammenraufen müssen: auf zahlreichen Konferenzen ringen Briten und Amerikaner um die richtige Strategie: die Amerikaner möchten schnell in Westeuropa einmarschieren – doch eine erste Operation, um den Hafen von Dieppe zu besetzen, scheitert 1942 kläglich. Die Briten fühlen sich bestätigt:
O-Ton 4: Dr. Peter Lieb
1 / 06:12 … die Briten sagen Nein, … Die deutsche Wehrmacht ist viel zu stark. Die Deutschen haben noch nach wie vor eine starke Luftwaffe und wir müssen erst mal Zeit gewinnen und versuchen, die Deutschen an der Peripherie zu treffen. Und das wäre das Mittelmeer. Da haben die Briten natürlich auch eigene politische und wirtschaftliche Interessen, Sicherung der Seewege nach Indien. …Und zunächst setzen sich auch die Briten durch, in dieser Diskussion, führen den Amerikanern vor Augen, dass eine Landung 1942 in Europa nicht möglich ist. Und so kommt es zur ersten großen amphibischen Landung des Krieges durch die Alliierten im November 1942 in Nordafrika, in Marokko und in Algerien. Als Folge davon mussten sich die Deutschen dann einige Monate später aus Nordafrika zurückziehen und die Alliierten landen in Süditalien im Juli 1943. …
SPRECHER
Auch auf der anderen Seite des Ärmelkanals wird der Angriff der Alliierten an der französischen Westküste erwartet: Hitler hat bereits im Herbst 1943 eine Weisung herausgegeben, dass sich von nun an alle Verteidigungsbemühungen verstärkt auf den Westen fokussieren sollen.
MUSIK Etoll Horrific (LC-30312) 0’10
ZITAT / Overvoice-Sprecher:
Die Gefahr im Osten ist geblieben, aber eine größere im Westen zeichnet sich ab: die angelsächsische Landung!
O-Ton 5: Dr. Peter Lieb
((Ein erster symbolischer Akt ist, dass der bekannteste deutsche Militär des Zweiten Weltkriegs, der Generalfeldmarschall Rommel, …dass dieser populärste deutsche General im Herbst 1943 in den Westen geschickt wird, um dort die Maßnahmen zu treffen für die Verteidigung. Und damit zeigt das NS-Regime der deutschen Bevölkerung und auch den eigenen Soldaten, schaut her, unser bester Mann ist jetzt im Westen und wird dafür sorgen, dass wir dort erfolgreich die Alliierten abwehren können.)) Jetzt gibt es allerdings ein Problem: Die Deutschen haben bereits seit Ende 1941 begonnen, Befestigungsanlagen entlang der Küste zu errichten, den sogenannten Atlantikwall. Aber dort ist in den ganzen Jahren nicht viel geschehen. Das sind nur vorbereitete Stellungen, aber nur vereinzelte Bunkeranlagen. Und als jetzt Rommel nach Frankreich kommt und oder in den Westen, auch in den Niederlanden und in Belgien, beginnt er massiv diesen Atlantikwall zu verstärken.
MUSIK Neutral undergroove 0’37
SPRECHER
Doch das beste Bunkersystem nützt nichts, wenn es an Nachschub fehlt. Die deutsche Armee ist durch den mehrjährigen Mehrfrontenkrieg aufgebraucht. Nun sollen mangelhaft ausgebildete Soldaten die Küste im Westen verteidigen, Jugendliche in Uniform und zwangsrekrutierte Osteuropäer aus den annektierten Gebieten. Auch fehlt es an Munition – und zahlreiche sich überlagernde Hierarchieebenen in Wehrmacht und Waffen-SS verhindern schnelle Einsätze. Und im entscheidenden Moment schätzen die Deutschen nicht nur die Wetterlage falsch ein:
Archiv 2
„03:24…Der Angriff gegen die Küsten Europas, seit langem der Gegenstand von gespanntesten Hoffnungen und Erwartungen der Völker hat Gestalt begonnen. Die Briten und Amerikaner haben es an Versuchen, auf anderem Wege zu diesem Ziel zu kommen, nicht fehlen lassen…12:27 bisher hat der Feind die Tiefe der Befestigungen an keiner Stelle zu durchstoßen vermocht…13:01…das, was der Gegner zum gegenwärtigen Zeitpunkt braucht, sind geschützte Landeplätze für weitere Anlandungen, deshalb zielt er ja auf die Flussmündungen…“
SPRECHER
So ein militärpolitischer Kommentar vom 30.Mai 1944. Tatsächlich erwartet die deutsche Seite die Invasion viel weiter nördlich, an der engsten Stelle des Ärmelkanals, bei Calais oder der Flussmündung der Seine.
Selbst als das Inferno dann wirklich losbricht, glaubt die deutsche Wehrmacht anfangs noch an ein Täuschungsmanöver.
GERÄUSCH – FLIEGER / ALARM - LUFTKRIEG
SPRECHER
Dabei hatte Operation Overlord schon lange vor dem eigentlichen Tag der Invasion begonnen:
O-Ton 6: Dr. Peter Lieb
1/ 12:40 Die Voraussetzung für das Gelingen einer jeden amphibischen Landung ist die Luftherrschaft und die Alliierten…führen den Luftkrieg in zwei Dimensionen. Erstens den Luftkrieg über dem Deutschen Reich, wo es ihnen gelingt, zur Jahreswende 43/ 44 die Luftherrschaft zu gewinnen und die deutsche Jagdwaffe praktisch auszuschalten.
GERÄUSCH – FLIEGER / ALARM - LUFTKRIEG
SPRECHER
Aber auch Nordfrankreich überziehen die Alliierten mit einem massiven Bombardement – zerstören Seine-Brücken und Eisenbahnknotenpunkte, um die Nachschubwege für die deutsche Wehrmacht auszuschalten.
O-Ton 7: Dr. Peter Lieb
1/ 13:28... Und das Ganze führt zu großen Verlusten unter der französischen Zivilbevölkerung. Und es gibt große Diskussionen auf der alliierten Seite. Inwieweit ist das Ganze militärisch gerechtfertigt, diese Bombardierungen? Man will ja schließlich die Franzosen befreien und gleichzeitig bombardiert man sie. …Man muss sich immer vor Augen halten, dass Frankreich nach Deutschland dasjenige Land im Zweiten Weltkrieg ist,… wo das am meisten bombardiert worden ist. Es sterben 60.000 Franzosen …und die gerade im Frühjahr 1944, als dieser Luftkrieg über Frankreich intensiviert wird, …droht die Stimmung in der französischen Bevölkerung zu kippen, … (16:56 Und noch dazu kommt dann der General de Gaulle, der die französische Gegenregierung in London gebildet hat und die auch sagt Leute, hört auf zu bombardieren. Meine französischen Landsleute stellen sich sonst gegen euch. Und das Ganze wird dann auch im kurz vor dem D-Day ja auch diese Bombardierungen etwas zurückgefahren, so ab April, Mai aber im Zuge des D-Day selbst in den kommenden Wochen in der Normandie selbst erreichen die ja noch mal eine neue Intensität diese Bombardierungen.)
GERÄUSCH – FLIEGER / ALARM - LUFTKRIEG
MUSIK Inpending invasion A 1’05
SPRECHER
Auch der eigentliche D-Day beginnt nicht auf offener See oder an der Küste. 0 Uhr 18, nördlich von Caen: Bereits um kurz nach Mitternacht landen die ersten alliierte Fallschirmspringer im Hinterland, nahe der normannischen Dörfer und Städte. Ihre Mission: Wichtige strategische Punkte unter ihre Kontrolle bringen, Brücken besetzen, die Zugänge zu den Landungsstränden sichern. In mehreren Wellen regnen 18.000 Soldaten vom Himmel herab, doch vielfach misslingen Punkt-Landungen: über Quadratkilometer verstreut irren die Soldaten durchs Gelände. Auch Bombardements misslingen, die tiefliegende Wolkendecke verhindert die Sicht – teils kehren die Bomber voll beladen nach England zurück oder verfehlen ihr Ziel. Wieder trifft es die Zivilbevölkerung. Über den Rundfunk wendet sich General Eisenhower auch an die Franzosen:
Archiv 3
“People of Western Europe! The landing was made this morning on the coast of France by troops of the allied expeditionary force. This landing is part of the concerted united nations plan for the liberation of Europe,… To members of resistance movements, whether led by nationals or by outside leaders, I say: Follow the instructions you have received. To patriots who are not members of organized resistance groups, I say: Continue your passive resistance, but do not needlessly endanger your lives. Wait until I give you the signal to rise and strike the enemy.“
OVERVOICE-SPRECHER:
Die Landung durch die alliierten Expeditionsstreitkräfte an der französischen Küste ist erfolgt. Diese Landung ist Teil eines konzertierten Plans der Vereinten Nationen zur Befreiung Europas. Mitgliedern der Resistance, ob angeführt von Führern in und außerhalb Frankreichs, sage ich: Folgt den Instruktionen, die ihr erhaltet. Patrioten, die nicht Mitglieder organisierter Widerstandsgruppen sind, sage ich, setzen Sie Ihren passiven Widerstand fort, aber gefährden Sie nicht Ihr Leben. Warten Sie, bis ich Ihnen das Signal gebe, sich zu erheben und den Feind anzugreifen.
MUSIK Analog hypno session (LC 51263) 0’45
SPRECHER
Ab dem Morgengrauen, um 5 Uhr 30, nehmen 28 Schlachtschiffe der Alliierten fünf normannische Strände unter Beschuss: Der am härtesten umkämpfte Landeabschnitt ist der Omaha Beach. Ein schmaler, langegezogener Strandstreifen, dahinter eine 30 Meter hohe Steilküste – und auf dieser sitzen etwa 500 Wehrmachtssoldaten, verschanzt in ihren Bunkeranlagen. Am Strand haben sie Hindernisse aufgebaut, die sogenannten Tschechenigel, Panzersperren aus vernieteten Stahlpfosten. Hier sollen die amerikanischen GIs an Land gehen – und von Anfang an ist klar: Viele werden diesen Moment nicht überleben.
O-Ton 8: Dr. Peter Lieb
2 / [00:05:52] …dass dann die Landungsklappen runter gehen von den Booten und dann schießt ein deutsches MG rein und praktisch die ganze Besatzung kann da sofort innerhalb von wenigen Sekunden getötet werden. …Dies, das passiert auch besonders am Omaha Beach, also an einem der fünf alliierten Landungsabschnitten …auch selbst an den anderen Landungsabschnitten, wo es vergleichsweise ruhig rund läuft für die Alliierten. Beispielsweise am Juno Beach, wo die Kanadier landen. Selbst dort, in der ersten Welle, haben die Verluste von über 50 %.
SPRECHER
Auch den alliierten Militärstrategen ist bewusst, dass sie die Soldaten der ersten Welle auf eine Höllenfahrt schicken: sie rechnen mit bis zu 10.000 Toten an diesem Tag. Der Militärhistoriker Dr. Peter Lieb:
O-Ton 9: Dr. Peter Lieb
2 / [00:09:09]…. Aber, und das muss man auch sagen, das zeigt dann doch auch dabei die Alliierten sind Demokratien, wo das Menschenleben doch deutlich mehr zählt als in einer Diktatur. Die Soldaten sollten die bestmögliche Ausbildung kriegen…, für dieses schwierige Unternehmen. …monatelang üben die Alliierten immer wieder diese Landungsabläufe an der südenglischen Küste. Es ist alles ganz minutiös geplant, mit Artilleriebeschuss aus der Luft, von der See her und auch mit Luft Bombardements, …das es aber da zu hohen Verlustraten kommen würde, das war jedem militärischen Planer bewusst, aber anders wäre die Landung da gar nicht möglich gewesen in Westeuropa und damit die Befreiung.
Ev. GERÄUSCH – von Militärflugzeugen und Bombardierungen
SPRECHER
In einem der Landungsboote, die auf den Omaha-Beach zusteuern, sitzt der Kriegsfotograf Robert Capa, um ihn herum sich übergebende Soldaten – sie sind seekrank von der stürmischen Überfahrt. Und haben vermutlich Todesangst. Seine insgesamt 11 erhalten Fotos von der Landung sind ikonisch, sie haben das Bild von der Invasion bis heute geprägt:
Ev. GERÄUSCH – FOTOKLICKEN, MEHRMALS, kombiniert mit Geräuschen von Militärflugzeugen und Bombardierungen
Unscharf - ein Soldat, schwimmend in den Fluten des Atlantiks, die Augen weit aufgerissen
FOTOKLICKEN
Soldaten watend durchs knietiefe Wasser, vorbei an zerstörten Panzern… Auch der Fotograf Robert Capa watet mit. In seinen Erinnerungen schreibt er:
MUSIK Traumatic drone 1’13
ZITAT 1/ Overvoice-Sprecher: Robert Capa
Das Wasser war kalt und der Strand noch mehr als hundert Meter entfernt. Die Kugeln rissen Löcher in das Wasser um mich herum und ich machte mich auf den Weg zum nächsten Stahlhindernis. Zur gleichen Zeit traf dort ein Soldat ein, und für ein paar Minuten teilten wir uns die Deckung.
FOTOKLICKEN
SPRECHER
Blickrichtung Strand: aufsteigender Rauch von Gewehrsalven, zwischen umherirrenden Soldaten unscharf liegende Körper, tot, verwundet …
ZITAT 2/ Overvoice-Sprecher: Robert Capa
Erschöpft vom Wasser und von der Angst lagen wir flach auf einem kleinen Streifen nassen Sandes zwischen Meer und Stacheldraht. Solange wir flach dalagen, bot uns die Neigung des Strandes einen gewissen Schutz vor den Maschinengewehrkugeln, aber die Flut drängte uns gegen den Stacheldraht und die Gewehrsalven.
SPRECHER
Als Robert Capa selbst an Land geht, zittern seine Hände so stark, dass er zunächst kaum den Film in seine Kamera einlegen kann.
ZITAT 3/ Overvoice-Sprecher: Robert Capa
Ich hielt einen Moment inne … und dann wurde mir schlecht. Die leere Kamera zitterte in meinen Händen. Es war eine neue Art von Angst, die meinen Körper von den Zehen bis zu den Haaren erschütterte und mein Gesicht verzerrte.
MUSIK Etoll Horrific 0’07
SPRECHER
Robert Capa überlebt das Gemetzel, weil er sich zu Sanitätern auf ein Boot flüchten kann. Doch die Amerikaner müssen befürchten, dass der Einsatz am Omaha-Beach für sie in einem Debakel endet, sie erwägen sogar einen Abbruch – erst um 15 Uhr 30 haben sie alle deutschen Widerstandsnester erobert. Die Gegenwehr ist gebrochen, Omaha-Beach und die vier weiteren Strände sind unter alliierter Kontrolle – für den Preis von geschätzt 4000 Toten und Verwundeten.
MUSIKAKZENT Metal whooshes 0’04
Am Ende dieses längsten Tages können Amerikaner, Briten, Kanadier rund 154.000 Soldaten an Land bringen, sie haben Brückenköpfe gebildet, bereits einen Tag später legen sie die sogenannten Mullberrys an, zwei künstlich auf hoher See errichtete Häfen, mittels denen der Nachschub gelingt. Doch die Landung ist erst ein Anfang: Es folgen langwieriger Kämpfe, die Wehrmacht leistet verbissen Widerstand. Besonders das unübersichtliche Gelände bereitet den Alliierten Schwierigkeiten – die Bocage, Weideland durchzogen von Hecken und typisch für die Normandie. Eine Zäsur setzt erst die Befreiung von Paris Ende August 1944.
MUSIK Feeling the Heat 0’45
SPRECHER
Heute ist die Invasion in der Normandie allgegenwärtig – auf zahlreichen Soldatenfriedhöfen hinter den Landungsstränden genauso wie in rund 30 Museen. Früher waren es vor allem die Veteranen, die zur Traumabewältigung hierher zurückkamen, heute ist der Gedenktourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Normandie. Zu den Gedenkfeierlichkeiten an runden Jahrestagen reisen führende Politiker aus aller Welt an, 2004 war mit Gerhard Schröder erstmals auch ein deutscher Kanzler dabei:
O-Ton 9: Dr. Peter Lieb
3 / [00:08:08] …Der D-Day ist der Fixpunkt für das alliierte Gedenken,… besonders auch im Kalten Krieg, um einen Gegenpunkt zu setzen gegen die Sowjetunion, die den Großen Vaterländischen Krieg feiert, … und sich die Sowjetunion zum alleinigen Sieger sozusagen über Nazideutschland, über Hitlerdeutschland stilisiert. Und dem wollen die Alliierten etwas entgegensetzen. Zu Recht. Also …Nazideutschland ist nicht allein von der Sowjetunion besiegt worden, die von einer alliierten Koalition besiegt worden aus Sowjetunion, Amerikanern, Briten und vielen anderen Ländern. Und so zu sagen ist …das Gedenken an die Day auch ein Gegenpunkt zur der sowjetischen Gedenkkultur und hat auch wegen in der heutigen Zeit, Ukrainekrieg usw. natürlich wieder eine neue Dimension.
MUSIK Feeling the Heat 0’25
SPRECHER
Ein symbolisch aufgeladener Tag – damals wie heute.
Von den Zeitgenossen erwartet als Tag der Entscheidung – heute Gedenktag für das Ringen der freiheitlich-demokratischen Welt gegen eine mörderische Diktatur.
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