Priming Effekte: Wie unabhängig sind wir in unseren Entscheidungen?
Werbung und Produktpräsentation im Supermarkt nutzen den Priming- Effekt schon lange: Durch äußere Reize wird unser Gehirn und daraufhin unser Verhalten beeinflusst. Die Eiswerbung im Kino ist nur ein Beispiel dafür. Wir alle werden viel öfter vor - beeinflusst als wir glauben. Von Daniela Remus
Credits
Autorin und Sprecherin dieser Folge: Daniela Remus
Regie: Christiane Klenz
Technik: Stefan Oberle
Redaktion: Susanne Poelchau
Im Interview:
Prof. Hans-Peter Erb, Sozialpsychologe, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
Prof. Andreas Glöckner, Sozialpsychologe, Universität Köln
Dr. Katrin Rothmaler, Sozialpsychologin, Universität Leipzig
Wie wir ticken - Euer Psychologie Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der neue Psychologie Podcast von SWR2 Wissen und Bayern 2 Radiowissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnach nimmt Euch "Wie wir ticken" mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek und freitags überall, wo ihr sonst eure Podcasts hört.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN
Kennen Sie das? Sie stehen in einem Mode-Laden und überall hängen rote Preisschilder. Dazu die Plakate: „Nur noch heute, super Rabatt Aktion!” Irgendwie fühle ich mich davon angezogen, fast jedes Mal, ich kann es auch nicht richtig erklären. Ich gehe hinein und gucke durch die Regale und Kleiderständer, ganz unverbindlich, denke ich wenigstens. „Kann das sein, kostet der Pulli jetzt wirklich nur noch die Hälfte? Und diese sommerlich gemusterte Bluse aus Leinen, die ist ja auch noch heruntergesetzt, meine Güte, was für ein Schnäppchen..” Eine Verkäuferin kommt dazu, nickt und sagt, „da haben Sie aber Glück, dass die noch da ist. Eine ganz außerordentliche Qualität und das zu dem Preis. Nur noch heute.” Es ist schon später Nachmittag, ich muss also schnell sein, will ich mir das Schnäppchen sichern. Also kaufe ich!
MUSIK 2 De-Phazz – Nia en bun om 0’33)
ERZÄHLERIN
Zuhause bin ich irgendwie ernüchtert. „Eigentlich trage ich doch keine bunten Blusen, und Pullis habe ich auch schon genug. Ich ärgere mich über mich selbst: Warum falle ich immer wieder auf diese Rabattaktionen herein?” Warum kann ich mich nicht gegen das Gefühl wehren, das sei eine super Gelegenheit?
MUSIKENDE
ERZÄHLERIN
Mir ist schon klar, dass ich nicht die einzige Person bin, der das passiert, aber trotzdem wundert es mich. In anderen Situationen nehme ich mir doch auch die Zeit abzuwägen, sorgfältig zu entscheiden. Was führt zu meinem Verhalten? Lasse ich mich von den Rabatten beeinflussen? Mir fallen Berichte ein, dass Menschen, die im Kino eine Eiswerbung sehen, in der Pause häufiger Eis kaufen als ohne Eiswerbung. In der Psychologie heißt dieser Effekt Priming. Die Eiswerbung weckt bzw. stärkt das Bedürfnis ein Eis zu essen. Wirkt der etwa auch bei mir, der Priming Effekt, wenn ich bei einer Rabatt Aktion zuschlage? Um dieses Phänomen zu verstehen, habe ich recherchiert und mich mit Psychologinnen und Psychologen verabredet. Damit sie mir erklären könne, warum ich mich so verhalte und was das eigentlich ist, Priming.
TAKE 1 (O-Ton Erb) L: 0, 20
Priming ist ein Begriff aus der Gedächtnispsychologie ursprünglich und auf deutsch würde man vielleicht als Bahnung übersetzen. Es gibt alte Publikationen, wo das noch so genannt wird, aber heute haben wir diesen englischsprachigen Begriff.
MUSIK 3 De-Phazz – Mr. Minky 0’26)
ERZÄHLERIN
Erklärt der Sozialpsychologe Hans-Peter Erb, als ich ihn in seinem Büro in der Helmut-Schmidt Universität in Hamburg treffe. Er forscht seit vielen Jahren zu diesem Phänomen, weil es ihn fasziniert, wie das Gehirn äußere Einflüsse aufnimmt, verarbeitet und wie es darauf reagiert. Das klingt sehr theoretisch, ist es aber nicht, wie ich im Gespräch mit ihm erfahre.
TAKE 2 (O-Ton Erb) L: 0, 35
Das kann man sehr leicht demonstrieren. Wenn ich z.B. sage Butter, dann sagen Sie… D.R. Brot. E: Wunderbar es hat geklappt, ich hätte 10 Euro gewettet! Das klappt nicht immer, aber sehr häufig. Wenn man sagt, Werkzeug, dann kriegt man Hammer und wenn man Stuhl sagt kriegt man Tisch usw. Das bedeutet nichts anderes, als dass bestimmte Begriffe im Gedächtnis nah beieinander liegen …und wenn sie nah beieinander liegen, dann sind sie irgendwie verknüpft miteinander. Und wenn das eine aktiviert wird, dann wird das andere gleich mit aktiviert. So ist das bei Butter und Brot, bei Tisch und Stuhl.
MUSIK 4 De-Phazz – Mr. Minky 0’02)
ERZÄHLERIN
Priming ist also, nüchtern ausgedrückt, ein Reiz-Reaktions-Schema. Wir nehmen einen Reiz wahr, wie in meinem Fall eben das Wort Butter, und unser Gehirn hat sofort verwandte Begriffe dafür parat. Bei mir war es Brot, bei anderen Menschen kann es der Butterpreis sein. Mein Gehirn hat also auf den gegebenen Begriff mit einer dazu passenden Assoziation reagiert. Diese Verknüpfung wird aber nicht nur sprachlich durch Wörter oder Begriffe ausgelöst. Auch Geräusche, Gerüche, Bilder oder der Geschmack bestimmter Nahrungsmittel können Erinnerungen, Assoziationen oder Stimmungen auslösen, erklärt der Sozialpsychologe. Am eindrücklichsten beschrieben hat das der französische Schriftsteller Marcel Proust.
MUSIK 5 Snorri Hallgrimsson – Avant-dernières pensées: I. Idylle 0’42)
ERZÄHLERIN
In der weltberühmten Madeleine-Szene. Der Autor des Romans beschreibt, wie er ein Stück Madeleine, das in Tee getunkt ist, in den Mund nimmt und sich durch diesen Geschmack spontan in seine Kindheit zurückversetzt fühlt. Unwillkürlich steigen Erinnerungen in ihm auf und auch das wohlige Gefühl, das er damals in seiner Kindheit empfand, wenn er ein solches Gebäckstück aß.
MUSIKENDE
ERZÄHLERIN
Duft und Geschmack der Madeleine funktionieren in dem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit also als Priming Effekt. Die Madeleine weckt Erinnerungen, die damit verknüpft sind. Welche Assoziationen ein solcher Priming Effekt hervorruft, kann allerdings von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein. Sie hängen von den Vorerfahrungen ab. Wenn ich beispielsweise klassische Musik höre, dann denke ich unwillkürlich an die Sonntage meiner Kindheit zurück. An diese ganz besondere Stimmung, wenn meine Eltern entspannt und ruhig im Wohnzimmer saßen, Musik hörten und einen Tee dazu tranken. Andere Menschen, die diese Erfahrung so nicht gemacht haben, denken bei klassischer Musik vielleicht eher an den Musikunterricht in der Schule.
MUSIK 6 John Lennon – Imagine 0’54)
ERZÄHLERIN
Und noch ein Beispiel: Bei Imagine von John Lennon fällt mir sofort die erste Party ein, die ich besuchen durfte. Mit 14, in der Turnhalle der Schule, mit Engtanz und ersten Verliebtheiten.
MUSIKENDE (Imagine)
ERZÄHLERIN
Ob Gerüche, Bilder, Geräusche, einzelne Satzfetzen oder Wörter, alles kann also ein sogenannter Prime sein. Ein Reiz, der mein Denken, meine Erinnerung und manchmal sogar mein Handeln beeinflusst.
TAKE 3 (O-Ton Erb) L: 0, 30
Im Grunde werden ja ständig irgendwelche Konzepte geprimt bei uns. Sie sehen hier ein Buch liegen, dann ruft das bei Ihnen etwas auf, was mit dem Buch verwandt ist, dagegen können Sie gar nichts tun. Jetzt könnte ich natürlich auch gemein sein und Ihnen bestimmte Primes geben, so nennt man diese Stimuli, mit deren Hilfe man andere aufrufen kann, Primes geben und dann erwarten, dass bei ihnen bestimmte Inhalte aufgerufen werden.
MUSIK 7 Henrik Schwarz – Gymnopédie No.3 0‘54)
ERZÄHLERIN
Im Alltag sind wir solchen Reizen durchgehend ausgesetzt, sagt Hans-Peter Erb. Ob wir mit anderen Menschen reden, ob wir Filme anschauen oder Nachrichten hören. Manche dieser Priming Effekte nehmen wir bewußt wahr, die meisten aber wohl nicht. Ein Prime, der mir schon lange bewußt ist: Ein Krankenwagen mit Sirene fährt laut an mir vorbei. Sofort denke ich darüber nach, wie krank oder schwer verletzt derjenige ist, der damit in ein Krankenhaus gebracht wird, ob die Zeit reichen wird, damit dieser Mensch gerettet werden kann. Diese Situation ist bestimmt schon X-Mal passiert, aber in meinem Kopf läuft trotzdem jedes Mal dasselbe Muster ab. All das sind Priming Effekte, sagt Hans-Peter Erb. Und die können sogar unsere Stimmung beeinflussen.
TAKE 4 (O-Ton Erb) L: 0,30
Könnte ihnen z.B. Urlaub sagen, dann denken Sie hoffentlich an einen schönen Urlaub zurück im letzten Sommer oder so. Dann könnte sich etwa Ihre Laune verändern, dass sie gut draufkommen, weil ich Urlaub gesagt haben. Sie können schlecht draufkommen, wenn ich sage, Wurzelbehandlung vielleicht? Da könnte ich damit auch Ihre Stimmung beeinflussen, das funktioniert.
ERZÄHLERIN
Um zu überprüfen, ob das stimmt, empfiehlt er mir, mich selbst zu beobachten und einzelne Situationen bewußt wahrzunehmen. Und so habe ich nach dem Besuch bei Hans-Peter Erb bemerkt, dass nicht nur ein Gespräch über den nächsten Urlaub meine Stimmung hebt, sondern auch das Lob meiner neuen Frisur oder der zufällige Blick auf Spielzeug, das meine Kinder bei ihrem Auszug bei uns gelassen haben. Dass alle Menschen durch Priming beeinflusst werden, konnte auch in psychologischen Testreihen und Untersuchungen festgestellt werden, erklärt Andreas Glöckner, Sozialpsychologe an der Universität Köln.
TAKE 5 (O-Ton Glöckner) L. 0, 25
Der Hintergrund dazu ist die Idee, dass das Gedächtnis nicht so funktioniert wie eine Bibliothek, also dass es so ist, man kann einzelnen Wissensinhalte rausziehen, wie ein Buch, sondern es funktioniert eher wie ein Netzwerk …Sie ziehen also an einem Ende des Netzes und viele Dinge, die damit zusammenhängen, folgen dann mit.
MUSIK 8 Manuel Scuzzo: Fliegen 0’53)
ERZÄHLERIN
Da das Gehirn wie ein Netzwerk funktioniert, kann es gar nicht anders, als bei einem Reiz, an ähnliche Begriffe oder Situationen zu denken. Seit ich mich für diese Sendung mit dem Priming Effekt beschäftige, fällt mir das im Alltag ständig auf: Egal was ich im Laufe eines Tages mache, ob ich dusche, aus dem Fenster gucke, arbeite, Interviews führe oder Fahrrad fahre, permanent werden meine Gedanken angestoßen, umher zu schweifen. Ob ich vom Regen naß werde, mit der Kollegin Mittag esse oder mich auf den Kinobesuch am Abend freue. Aber trotzdem merke ich nicht immer, wie und wovon meine Stimmung oder meine Gedanken angestoßen werden. Viele Impulse sind unterschwellig.
MUSIKENDE
ERZÄHLERIN
So ist es vermutlich auch den Studienteilnehmern gegangen, die an einem der berühmtesten Experimente zum Thema Priming teilgenommen haben. In den 1990er Jahren sollten sie in den USA aus Wörtern wie „Bingo”, „alleine” oder „weise” Sätze bilden. Diese Begriffe waren speziell ausgewählt worden, um Gedanken über das Alter und Altersstereotype anzuregen. Denn die Netzwerkarbeit des Gehirns fördert nicht nur Erinnerungen zutage oder beeinflusst Entscheidungen, sondern prägt auch das soziale Miteinander, zum Beispiel durch das Aufrufen von Stereotypen und Vorurteilen.
MUSIK 9 Manuel Scuzzo: Traum 0’36)
Als die Studienteilnehmer ihre Aufgaben beendet hatten, liefen sie einen langen Flur entlang, um das Labor zu verlassen. Was sie nicht wussten: Dieser Weg gehörte zum Experiment dazu. Dabei wurde nämlich ihre Gehgeschwindigkeit gemessen. Und tatsächlich soll das Tempo von denen die durch die Aufgaben dazu angeregt worden waren, über das Alter nachzudenken, deutlich langsamer gewesen sein, als bei der Kontrollgruppe, die diese Aufgabe nicht erhalten hatte.
MUSIK 10 Gold Panda – New Days 0’20)
ERZÄHLERIN
Seither haben Psychologen und Psychologinnen in verschiedenen Experimenten untersucht, ob es tatsächlich so einfach ist, Menschen in ihrem Verhalten zu beeinflussen. Aber nur die wenigsten der aufsehenerregenden Experimente ließen sich in den folgenden Jahren replizieren.
TAKE 6 (O-Ton Glöckner) L: 0, 25
Das war in der Tat eine große Problematik, in den 2010er Jahren gab es eine große Initiative, an der wir auch mitgewirkt haben, in der eine Vielzahl von Studien noch einmal durchgeführt wurden, um zu überprüfen, ob dasselbe Ergebnis nochmal rauskommt, unter idealen Bedingungen.
ERZÄHLERIN
Aber: Nur ein Drittel der Studienergebnisse ließ sich durch diese Initiative bestätigen, zwei Drittel nicht. Sozialpsychologe Andreas Glöckner erklärt mir das so: Die aktuellen wissenschaftlichen Standards, , sind heute höher als vor 30 oder 20 Jahren. Das erkläre zumindest einen erheblichen Teil dieser Abweichungen. Aber eben nicht alles.
TAKE 7 (O-Ton Rothmaler) L: 0,30
Ich muss zugeben, vor ein paar Jahren hatte ich so einen Moment, wo ich dachte, ach das ergibt doch alles keinen Sinn, wenn sich das alles nicht replizieren lässt, und die eine Studie sagt das, die andere das, was machen wir denn hier eigentlich alle? Dann hatte ich eine ganz tolle Betreuerin, die gesagt hat, du musst dir das große Bild angucken, the big picture. Es ist nicht die eine Studie, sondern es sind viele, viele, viele Studien und wenn man auf alle Studien guckt, …dann ergibt sich schon ein großes Bild davon.
ERZÄHLERIN
Erklärt die Sozialpsychologin Katrin Rothmaler von der Universität Leipzig. Wenn man sich also die Mehrzahl aller Studien anschaue, die zum Thema Priming erstellt worden sind, dann seien die Erkenntnisse eben doch eindeutig: Es gibt Priming Effekte! Auch wenn sie vielleicht nicht immer so spektakulär ausfallen, wie bei der beschriebenen Alters-Studie. Und noch etwas gibt die Psychologin zu bedenken: Menschliche Reaktionen und Verhaltensweisen lassen sich, selbst bei identischer Versuchsanordnung, nicht immer eins zu eins miteinander vergleichen. Denn jeder Mensch reagiert anders. Der kulturelle Hintergrund spielt dabei eine Rolle, Geschlecht und Alter, aber auch Bildung oder Kindheitserfahrungen.
TAKE 8 (O-Ton Erb) L. 0, 35
Das steht fest, dass Leute unterschiedlich beeinflusst werden, das lässt sich pauschal nicht unbedingt sagen, die sind leichter beeinflussbar als die, da würde man darauf gucken, was ist der Einflußeffekt? Und auf manche Effekte sprechen manche Leute besser an als andere. Manchmal gibt es einen Unterschied zwischen Männern und Frauen, wie sie beeinflusst werden können auf welche Art und Weise, z.B. in sozialen Situationen sind Frauen leichter beeinflussbar, weil ihnen das wichtiger ist, die sozialen Beziehungen, so im Durchschnitt gibt es eine Tendenz…
MUSIK 11 Gold Panda – New Days 0’30)
ERZÄHLERIN
Priming Effekten ist also jeder Mensch ausgesetzt, sagt Hans Peter Erb, aber zu welchem Denken, Urteilen oder Verhalten sie führen, das kann stark voneinander abweichen. Was aber sicher ist: Die Gehirne aller Menschen lassen sich durch Priming aktivieren. Und das ist nicht nur negativ, sondern zu einem gewissen Grad sogar hilfreich im Alltag, erklärt Andreas Glöckner.
TAKE 9 (O-Ton Glöckner) L: 0, 35
Das hilft ihnen immens weiter. Sonst müssten sie bewußt alle Informationen extern sammeln. Das heißt, im Internet stundenlang nach Informationen suchen, selber nochmal drüber nachdenken, was sie noch alles darüber wissen, das dann alles vielleicht im Computer mit einem komplizierten Modell zusammenrechnen. Und dann hätten sie für jede Entscheidung vielleicht drei Stunden gebraucht, um die zu fällen. Aber im täglichen Leben treffen sie einfach Tausende von Entscheidungen jeden Tag und das System hilft ihnen, sehr schnell recht gute Entscheidungen zu treffen.
ERZÄHLERIN
Priming Effekte beeinflussen mich also nicht nur, sondern sie helfen mir auch ganz konkret, mich im täglichen Angebot möglicher Entscheidungen und Handlungen schnell zu orientieren. Zum Beispiel wenn ich im Supermarkt vor einem Regal stehe und entscheiden muss, welchen Jogurt ich kaufen möchte, welche Zahnpasta oder wenn ich überlege, welches Shampoo besonders pflegend ist, sagt Hans-Peter Erb:
TAKE 10 (O-Ton Erb) L: 0, 35
In dem Augenblick laufen bestimmte Automatismen ab, was ja auch garnicht schlecht ist. Wenn ich z.B. beeinflusst worden bin, bestimmte Zahnpasta zu kaufen, die 2 Euro kostet, (Lachen)wie hoch hätte die Anstrengung denn sein müssen, damit ich jetzt nicht eine beeinflusste Entscheidung treffe sondern irgendwie eine rationale Entscheidung? Dann steh ich vor dem Regal für eine halbe Stunde und les die Packungsbeilagen, völliger Blödsinn, das hat auch eine gewisse Rationalität, dass wir uns auch davon leiten lassen…
MUSIK 12 Gold Panda – Joni’s Room 0’41)
ERZÄHLERIN
Für unser Gehirn ist der Priming Effekt so etwas wie eine Energiesparlampe. Ich muss nicht bei jeder Entscheidung, gerade wenn sie nicht existentiell ist, grundlegend und neu darüber nachdenken, sondern nehme sozusagen die Abkürzung über den Priming Effekt. Das kann Werbung sein, die ich zur besonderen Pflegekraft dieses Shampoos gesehen habe, aber auch die Meinung einer Freundin, die mich neulich auf eine bestimmte Marke hingewiesen hat.
TAKE 11 (O-Ton Glöckner) L. 0, 35
Dieser Grundaufbau des Gehirns und des Gedächtnisses hat sehr viele Vorteile evolutionärer Art, …die Idee dabei ist, dass Sie durch so eine Vernetzung von Informationen in der Lage sind, sehr, sehr schnell sehr, sehr viele Informationen zu verarbeiten, ihre Erfahrung dabei zu berücksichtigen und auch die einkommende Situation. Das heißt: Wenn irgendwas das Konzept Tiger aktiviert hat oder Löwe, dann haben Sie eine ganze Reihe von Dingen, die damit zusammenhängen, vielleicht auch eine gewissen Fluchtreaktion die damit zusammenhängt und dann vorbereitet wird.
MUSIK 13 Megalomaniac 0’36)
ERZÄHLERIN
Evolutionsbiologisch betrachtet ist dieses schnelle Reiz-Reaktions-Schema des Gehirns vermutlich sehr vorteilhaft gewesen. Wahrscheinlich ein Aspekt, warum unsere Spezies so lange überlebt hat. Und auch heute noch hilft uns der Priming Effekt ganz konkret, das tägliche Leben zu bewältigen. Das leuchtet mir unmittelbar ein. Dennoch beschleicht mich ein mulmiges Gefühl. Wenn es stimmt, dass ich mir der meisten Reize und Einflüsse gar nicht bewußt bin, denen ich ausgesetzt bin, dann frage ich mich doch, inwieweit ich eigentlich die Herrin in meinem Kopf bin. Oder gleiche ich eher einer Flipperkugel, die von Reizen und Anregungen durch den Alltag getrieben wird? Bin ich doch kein autonomes Individuum, frei und selbstbestimmt? Wie unabhängig bin ich in meinen Entscheidungen?
TAKE 12 (O-Ton Glöckner) L. 0, 15
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich gegen solche Beeinflussungen zu wehren. Das fängt damit an, dass man sich solcher Beeinflussungen bewußt ist, der Mechanismen bewußt ist…
ERZÄHLERIN
Sagt Andreas Glöckner von der Universität Köln. Jeder Mensch kann sich diesen Effekten entziehen. Allein schon weil kein Prime langlebig ist. Wir müssen uns Priming wie den Kegel einer eingeschalteten Taschenlampe vorstellen, der nur für eine kurze Zeit ein bestimmtes Thema beleuchtet, erklärt die Psychologin Katrin Rothmaler:
TAKE 13 (O-Ton Rothmaler) L. 0, 30
Es gibt bestimmte Prozesse, da kann sich niemand gegen wehren, wenn auf der Straße jemand sagt, huch und guckt irgendwohin, dann gucken alle dahin. Das kann man fast nicht unterdrücken. Gleichzeitig kann ich mich ja total gut fokussieren auf meine Arbeit, obwohl vielleicht um mich drumrum total viel passiert. Ich denke, in diesem Bereich bewegen wir uns. …welche Reize ich wie weiterverarbeite, was ich damit mache, wie ich drauf reagiere, das habe ich dann trotzdem immer noch in der Hand.
ERZÄHLERIN
Und zwar wie? Ich denke an die Frage, die ich am Anfang gestellt habe: Wie kann ich mich gegen den Reiz wehren, bei roten Preisschildern und vermeintlichem Zeitdruck, Kleidung zu kaufen, die ich nicht brauche und in den meisten Fällen später auch kaum anziehe.
TAKE 14 (O-Ton Rothmaler) L: 0, 25
Dieses Priming findet superschnell statt und auf einer ganz tiefen, basalen Ebene. Die Entscheidung, die ich dann treffe, also die Kaufentscheidung, die liegt ganz hinten, und dazwischen sind ja tausend Prozesse, die ich noch steuern kann und wo ich jederzeit noch eingreifen könnte.
ERZÄHLERIN
Aber genau das ist nicht immer so einfach wie es klingt. Denn um bei mir selbst als Beispiel zu bleiben: klar weiß ich, dass Rabattaktionen genau das bewirken sollen: Menschen wie mich zum Kaufen zu überreden. Durch rote Preisschilder, enorme Preissenkungen. Ich weiß es, kann mich diesen Reizen dennoch nicht immer entziehen. Andreas Glöckner gibt mir ein paar praktische Tipps:
TAKE 15 (O-Ton Glöckner) L: 0, 30
Wenn Sie Verkäufer betrachten, die versuchen, sie unter Zeitdruck zu setzen, genau aus dem Grund, Sei müssen jetzt entscheiden… Eine simple Strategie ist einfach, sich dem Druck nicht auszusetzen, weil der oft den Hintergrund hat bzw. haben kann, dass man genau diese Beeinflussung erreichen möchte. Also Abstand gewinnen, das ist, wenn man den Mechanismus verstanden hat, eine sehr, sehr simple Möglichkeit.
MUSIK 14 De-Phazz – Fellini Score 1’23)
ERZÄHLERIN
Denn: Priming ist ein kurzer Anreiz, keine andauernde Beeinflussung. Es ist also ausgesprochen sinnvoll, den Laden erstmal zu verlassen und sich selbst zu fragen: Brauche ich dieses Teil tatsächlich? Ist der Preis für mich in Ordnung? Schon wenige Minuten später kann der Priming-Effekt verflogen sein und mir ist völlig klar, eine bunte Leinenbluse möchte ich nicht kaufen! Also ganz banal: Sich Zeit nehmen, sich fragen, bin das wirklich Ich, die das will? Mein Eindruck nach meinen Recherchen ist: Schon allein zu wissen, dass es Priming Effekte gibt und wie unser Gehirn auf sie reagiert, verändert etwas. Und schützt öfter mal vor Verhalten und Handlungen, die wir in Ruhe betrachtet, nicht wollen oder richtig finden.
Ich zum Beispiel werde beim nächsten Schlussverkauf auf jeden Fall erstmal den Laden verlassen, wenn ich ein tolles Schnäppchen kaufen möchte. Damit in meinem Kleiderschrank tatsächlich nur noch die Sachen liegen, die ich auch gerne anziehe, in denen ich mich wohl fühle.
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