Der sogenannte Röhm-Putsch - Hitlers Mordserie im Sommer 1934
Obwohl es nie einen Putsch gegeben hat, hält sich der Begriff bis heute hartnäckig. In Wirklichkeit war der sogenannte Röhm-Putsch ein Massenmord, dem insgesamt 90 politische Gegner Hitlers zum Opfer gefallen sind. Befohlen hat ihn der Diktator selbst, der damit die Weichen für seine Alleinherrschaft gestellt hat. Von Thomas Grasberger
Credits
Autor dieser Folge: Thomas Grasberger
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Burchard Dabinnus, Irina Wanke, Friedrich Schloffer
Technik: Simon Lobenhofer
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Peter Longerich, Professor, Royal Holloway and Bedford New College Universität London; Direktor Research Centre for the Holocaust and Twentieth-Century History.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Erzähler
29. Juni 1934, Freitagnachmittag. Früher als geplant treffen die schwarzen Mercedes-Benz-Limousinen am Rheinhotel in Bad Godesberg ein. Der Reichskanzler Adolf Hitler hat seine Inspektionsreise durch Westdeutschland vorzeitig abgebrochen, um sich mit ranghohen Parteifunktionären zu treffen. Propagandaminister Goebbels wird per Flugzeug aus Berlin eingeflogen. Ebenso Sepp Dietrich, der Kommandeur der SS-Leibstandarte. Über den Rheinauen steht der Sommer, aber die Idylle ist trügerisch. Denn an jenem Freitag werden auf der Godesberger Hotelterrasse mörderische Pläne geschmiedet.
Musik hoch
Erzählerin
Hitler teilt seinen Vertrauten mit, dass er am Tag darauf gegen seinen alten Mitstreiter, den SA-Chef Ernst Röhm vorgehen wird. Und zwar „mit Blut“. Röhm und „seine Rebellen“ sollen zu spüren bekommen, „dass Auflehnung den Kopf kostet“.
Erzähler
Seit Tagen machen Gerüchte über einen anstehenden Putsch die Runde. Nun scheint sich die Lage zuzuspitzen. Noch in der Nacht, unmittelbar nach der Godesberger Besprechung, fliegt Hitler nach München, um weitere „Maßnahmen“ zu ergreifen.
Erzählerin
„Maßnahmen“, die nichts anderes bedeuten als blutige Schläge gegen politische Gegner. Musik hoch und aus
Von „Staatsnotwehr“ wird später die propagandistische Rede sein. Und von einem „Röhm-Putsch“, gegen den sich der „Führer“ zur Wehr setzen musste. Dieser Putsch-Begriff hält sich seither hartnäckig, sagt der Münchner Zeithistoriker und Geschichtsprofessor Peter Longerich. Seltsamerweise, denn...
ZSP 1 Long Begriff 0,32
Alle sind sich darüber einig, dass es nie einen Röhm-Putsch oder einen Versuch eines Röhm-Putsches gegeben hat. Auch die Nazis haben ja keine Belege dafür vorlegen können und trotzdem hat sich das gehalten, wird dann in Anführungszeichen gesetzt. Oder man spricht dann etwas verschämt von der Röhm-Affäre, was ja auch ein bisschen merkwürdig ist. Es ist einfach doch ein Massenmord gewesen, ein Massenmord, dem insgesamt 90 Personen zum Opfer gefallen sind. Befohlen durch den Diktator, durch den Chef, ausgeführt durch die SS mit Unterstützung der Wehrmacht und der Gestapo natürlich. Und so sollte man die Dinge auch beim Namen nennen.
Erzähler
„Hitler, Röhm und die Morde vom 30. Juni 1934“. So heißt Peter Longerichs 2024 erschienenes Buch, das ein Schlüsselereignis in der Geschichte des Dritten Reiches behandelt. Denn mit dem blutigen Rundumschlag, der einer ganze Reihe von verschiedenen Gegnern galt, hat Hitler die Weichen für seine Alleinherrschaft gestellt.
Musik 2: Biegler auf der Wache – 1:16 Min
Erzählerin
Im Hintergrund des politischen Massenmords steht eine schwere Krise des NS-Regimes. Gerade mal 17 Monate ist die sogenannte Machtergreifung her, in weiten Teilen der Bevölkerung aber herrschen bereits Ernüchterung und Unmut über das Regime. Selbst im nationalsozialistischen Block, der etwa 40 Prozent der Bevölkerung ausmacht, ist die anfängliche Euphorie verflogen. Die wirtschaftlichen Probleme lassen sich auf Dauer nicht hinter Paraden, Heil-Gebrüll und Fähnchen-Schwingerei verstecken.
Erzähler
Zwar sinkt die Arbeitslosigkeit, aber oft nur dank statistischer Tricks, während die Löhne der Arbeiter weiter auf dem Krisenstand von 1932 verharren. Auch der Mittelstand leidet unter der geringen Kaufkraft. Händler, Handwerker und Ladenbesitzer sind von der Hitler-Regierung enttäuscht, viele Bauern sauer über Reglementierungen. In bürgerlichen Kreisen ist man entsetzt über die Abschaffung von Meinungs- und Pressefreiheit. Und auch in den zwei großen christlichen Kirchen macht sich erhebliche Unruhe breit.
Musik 3: Typewriter - 13 Sek
Zitator
„Nicht nur notorische „Meckerer und Miesmacher“, sondern „gerade die treuesten Nationalsozialisten sehen der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung sorgenvoll entgegen“.
Erzählerin
Heißt es zum Beispiel in einem Bericht der Staatspolizei Kassel Anfang Juni 34. Für Hitler ist dieser Vertrauensverlust höchst beunruhigend, sagt Historiker Longerich.
ZSP 2 Long Gefahr 0,18
Und das war natürlich auch einer der Gründe, hier – wie man das so nennt –, ein Exempel zu statuieren, um dafür zu sorgen, dass sich diese Unzufriedenheit nicht irgendwie öffentlich vernehmbar machte. Und dass diese ganze Diktatur sich dann vielleicht innerlich allmählich aufgelöst hätte. Das war wohl die Gefahr, die man an der Spitze gesehen hat.
Erzähler
Denn Mitte 1934 gibt es durchaus noch mehrere Machtzentren. In Hitlers Koalitions-Regierung stellt die NSDAP anfangs nur den Reichskanzler und zwei Minister, gewinnt aber bald weitere Posten hinzu. Als parteiloser Vizekanzler fungiert jedoch der ultrakonservative Katholik Franz von Papen. Diese konservative Rechte hat Hitler 1933 an die Macht verholfen. In der irrigen Annahme, ihn kontrollieren und „in die Ecke drücken zu können.“
Erzählerin
Und auf der eher linken, antikapitalistischen Seite der NSDAP scharrt der revolutionäre Flügel der Partei mit den Stiefeln: die Sturmabteilung, kurz SA.
Musik 4: Erstes Schachspiel auf dem Schiff– 1:20 Min
Ihr prominentester Mann ist der Weltkriegs-Kompaniechef und ehemalige Freikorps-Offizier Ernst Röhm, eine Landsknecht-Natur mit mit einem derben, von Kampf und Krieg vernarbten Gesicht.
Erzähler
Der Münchner Eisenbahner-Sohn Röhm, ein verdienter alter Kämpfer der Partei und eine Schlüsselfigur im Hitler-Ludendorff-Putsch 1923, ist ein Duz-Freund Hitlers, verfolgt aber immer wieder Pläne, die von dessen Konzeption stark abweichen. Röhm will seine mächtige SA der Partei-Kontrolle entziehen. Im Dezember 1933 wird er jedoch von Hitler mit einem Ministerposten ohne Geschäftsbereich abgespeist.
Erzählerin
Röhm will aber mehr und spricht von einer zweiten Revolution. Nicht die Spießbürger, Karrieristen und Parteibürokraten sollen das Sagen haben, sondern seine politischen „Soldaten“. Schließlich findet er, waren es ja doch die paramilitärischen Kräfte der SA, die die Gegner grün und blau und tot schlugen und Hitler an die Macht brachten.
ZSP 3 Long SA 0,33
Also eine äußerst gewalttätige Truppe, die auch nach der sogenannten Machtergreifung 33 die Machtdurchsetzung der NSDAP natürlich besorgt hat mit den wilden Konzentrationslagern. Als Hilfspolizei, als immer bereitstehende, gewalttätige Truppe, die auch auf lokaler Ebene die Ziele der Nationalsozialisten durchsetzt. Und diese SA wollte natürlich belohnt werden, nachdem nun die Machtergreifung gelungen war. Im Wesentlichen ging es eigentlich darum, diese alten SA Haudegen irgendwie unterzubringen auf Versorgungsposten.
Musik 5: Erstes Schachspiel auf dem Schiff – siehe oben – 1:01 Min
Erzähler
Röhms Plan, die SA zum Milizheer umzugestalten und mit der Landesverteidigung zu betrauen, scheitert. Denn Hitler setzt bei der Wiederaufrüstung Deutschlands auf die alte Reichswehr. Die SA benötigt er nicht mehr. Was aber tun mit diesem anschwellenden Heer von Braunhemden?
ZSP 4 Long Riesenhaufen 0,23
Also die SA bestand 1933 hauptsächlich aus arbeitslosen jungen Männern. Sie ist dann ja sehr stark angewachsen, weil nun einmal hat man die Wehrverbände, die übrigen Wehrverbände aufgesogen. Und dann haben sich auch viele Männer der SA angeschlossen, weil sie hofften, damit schneller Arbeit zu bekommen. Also das war ein sehr schnell anwachsender Riesenhaufen von 400 000 Mann etwa 1933 auf schließlich mehr als vier Millionen.
Erzählerin
Röhms Forderung nach mehr Teilhabe der SA an der Macht, lehnt Hitler kategorisch ab. Schon im Juli 1933 hat er die Nationalsozialistische Revolution für beendet erklärt. Eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Musik aus
Erzähler
Genau das versuchen nun die nationalkonservativen Kräfte in der Regierungskoalition für sich zu nutzen. Ihre zentrale Figur ist Franz von Papen, ein weit rechts stehender Katholik, der einst der Zentrumspartei angehörte und nun parteiloser Vizekanzler unter Hitler ist.
ZSP 5 Long Papen 0,27
Und in seiner Vizekanzlei fand sich nun eine Gruppe von Rechtsintellektuellen, möchte ich das Mal nennen, zusammen, die die Vormachtstellung der NSDAP wieder zurückfahren wollten und im Grunde genommen darauf zielten, eine Rechtsdiktatur zu etablieren, ohne oder mit wenig Nationalsozialismus. Und der Papen war im Grunde die Galionsfigur. Der Papen hatte nicht vor, einen ernsthaften Konflikt, also einen Machtkampf mit Hitler zu führen, aber er wurde von dieser Gruppe praktisch nach vorne geschoben.
Erzählerin
Als Papen am 17. Juni 1934 eine Rede an der Universität Marburg hält, scheint er das Manuskript vorher nicht richtig gelesen zu haben. Es ist ihm offenbar von seinen Mitarbeitern untergeschoben worden. Autor dieses NS-kritischen Textes ist Papens Mitarbeiter Edgar Jung. Der 40-jährige Publizist wird anschließend sofort verhaftet, die Verbreitung des Textes gestoppt. Aber einige Exemplare der Marburger Rede geraten doch unters Volk und machen vor allem in bürgerlichen Kreisen schnell die Runde, sagt Historiker Longerich.
ZSP 6 Long Marburger Rede 0,24
Das war so eine Art Manifest. Also es war schon eine recht massive Beschwerdeschrift über diese Willkürherrschaft der Nationalsozialisten. Und vor allen Dingen, was natürlich im bürgerlichen Lager störte, war die Zerstörung des Rechtsstaates. Also man war natürlich auch antidemokratisch eingestellt, man wollte eine autoritäre Herrschaftsform, aber es sollten doch die Grundlagen des Rechtsstaates bewahrt werden. Das war immer so die große Sorge im bürgerlichen Lager.
Erzähler
Im Frühsommer 1934 setzen die konservativen Kräfte um Papen ihre Hoffnung auf den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Der schwer kranke 86-jährige hätte Hitler theoretisch wieder absetzen oder zumindest erheblich beschränken können.
ZSP 7 Long Hindenburg 0,21
Es stellte sich später aber heraus, dass Hindenburg überhaupt kein Interesse an solchen Plänen hatte. Er war einfach sehr zufrieden, dass er mit dem Hitler jemanden gefunden hatte, wie er meinte, der nun sozusagen das alles wieder in Ordnung bringen würde, die nationale Krise Deutschlands, die Wirtschaftskrise, die politische Krise.
Musik 6: About something – 59 Sek
Erzählerin
In der zweiten Juni-Hälfte 1934 kursierten Gerüchte über einen bevorstehenden Putsch der SA. Ob sie von der SS oder der Gestapo geschürt wurden, sei schwer zu sagen, meint Peter Longerich. Überhaupt stellt sich dem Historiker ein Überlieferungsproblem. Denn niemand hat damals Akten angelegt. Was wir wissen, stammt meist aus Nachkriegserzählungen oder Gerichtsprozessen, die in den 1950er Jahren geführt worden sind. Anekdoten, Rechtfertigungen und Lügen erschweren oft die historische Bewertung.
Erzähler
Klar ist allerdings, dass Hitler im Juni 1934 beschließt, zwei Fliegen mit einer Klappe zu (er)schlagen: die revolutionäre SA von Röhm und die ultrakonservativen Kreise um Papen.
ZSP 8 Long Entscheidung 0,21
Man kann in etwa sagen, dass er so eine Woche etwa vor dem 30. Juni entschlossen war, etwas zu unternehmen, aber es war noch nicht ganz klar, was.
Musik 7: The organ grinder – 55 Sek
Erzählerin
Die Entscheidung, mit Gewalt vorzugehen, trifft Hitler auf seiner Reise durch Westdeutschland. Am 28. Juni nutzt er die Hochzeitsfeier des Gauleiters in Essen, um seine Pläne mit Hermann Göring und dem loyalen SA-Gruppenführer Victor Lutze zu besprechen. An jenem Donnerstag gibt Hitler telefonisch die Anweisung, dass alle wichtigen SA-Leute am Samstag zu einer Führerbesprechung im oberbayerischen Bad Wiessee erscheinen sollen. Dort macht Ernst Röhm gerade Urlaub.
Erzähler
Ob Hitler wirklich an einen bevorstehenden Putsch glaubt? Ob er sich in einen Wutrausch gegen die vermeintlichen Verräter hineinsteigert? Oder ob es eiskaltes Machtkalkül ist, das ihn zuschlagen lässt? Das sei nicht zu beantworten und eigentlich auch zweitrangig, meint der Historiker Peter Longerich.
ATMO Propellerflugzeug / Musik aus
Erzählerin
Fest steht: Nach der Freitags-Besprechung auf der Godesberger Rheinterrasse fliegt Hitler noch in der Nacht zurück nach München. Frühmorgens wird ihm auf dem Flugplatz Oberwiesenfeld mitgeteilt, dass größere SA-Haufen randalierend durch die Stadt gezogen seien. War das der Beginn eines Putsches?
Erzähler
Hitler wartet nicht länger auf Verstärkung. Am 30. Juni 1934 fährt er zusammen mit Goebbels, Viktor Lutze, Otto Dietrich und einem kleinen SS- und Kripo-Kommando ins 60 Kilometer südlich von München gelegene Bad Wiessee. Am Ufer des Tegernsees hat sich Ernst Röhm in der Pension Hanselbauer einquartiert. Auch die anderen SA-Leute nächtigen hier. Als Hitler kurz vor sieben Uhr früh eintrifft, schlafen die Herren noch.
Erzählerin
Was dann geschieht, wird von der Goebbels-Propaganda dramatisch aufgebauscht und später oft unkritisch nacherzählt. Hitler sei mit der Hundepeitsche in der Hand in die Pension gestürmt und habe Röhm förmlich aus seinem Bett herausgerissen.
ZSP 9 Long Hanselbauer 0,33
Es gibt ja nun Zeugenaussagen aus den 50er Jahren, und es scheint so gewesen zu sein, dass das eigentlich sehr viel ruhiger abging. Also der Hitler hat nach einer dieser Aussagen an der Tür geklopft von dem Röhm, hat dann gesagt, er möchte mal rauskommen. Der Röhm hat noch einen Kaffee getrunken in der Pension Hanselbauer. Es scheint eher nicht so dramatisch abgelaufen zu sein. Dann ist da immer diese Geschichte, dass man den Heines dann mit einem jungen Geliebten im Bett vorgefunden hätte. Das sind alles Dinge, die eigentlich erst durch die Nationalsozialisten aufgebauscht worden sind, um eben einen Skandal aus dieser ganzen SA-Führung zu machen.
Erzähler
Dass Röhm und einige SA-Führer wie Edmund Heines homosexuell sind, war längst kein Geheimnis mehr und auch kein Aufreger. Aber jetzt ließ es sich propagandistisch gut ausschlachten. Nach dem Motto: Der Führer höchstpersönlich habe diesen moralischen Sumpf nun trockengelegt!
Musik 8: Search party – 1:26 Min
Erzählerin
Röhm und die anderen SA-Führer werden nach München ins Gefängnis Stadelheim gebracht. Eigenhändig schreibt Hitler eine Liste der Hinzurichtenden. „Sepp“ Dietrich, Chef der SS-Leibstandarte, lässt noch am selben Tag sechs SA-Führer durch seine Truppe erschießen.
Erzähler
Bei seinem alten Duz-Freund Röhm zögert Hitler zunächst. Aber schon am Tag darauf lässt er dem SA-Chef eine Pistole in die Zelle legen. Als Röhm sich weigert, Selbstmord zu begehen, wird er in seiner Zelle am 1. Juli 1934 auf Befehl Hitlers vom Kommandanten des Konzentrationslagers Dachau, dem SS-Obergruppenführer Theodor Eicke erschossen.
Erzählerin
Auch andernorts läuft die Mordmaschinerie an. In Berlin werden ebenfalls am 30. Juni 27 Personen getötet, darunter neun, die nichts mit der SA zu tun haben, aber politisch missliebig sind. Prominentestes Opfer ist Kurt von Schleicher, Hitlers Vorgänger als Reichskanzler. Auch Schleichers Frau und sein engster Vertrauter Generalmajor Ferdinand von Bredow werden erschossen. Ebenso Gregor Strasser, Hitlers früherer Widersacher vom antikapitalistischen Flügel der NSDAP.
Erzähler
Die meisten Morde, sagt Peter Longerich, sind von Anfang an von Hitler selbst gewollt gewesen. Nur einige erst im Nachhinein autorisiert worden. Ausgeführt werden sie von Angehörigen der Geheimen Staatspolizei und des Sicherheitsdienstes SD. Aber auch die allgemeine SS und die Leibstandarte sind beteiligt.
Erzählerin
Neben München und Berlin ist Schlesien der dritte regionale Schwerpunkt der Mordserie. Mit Breslau im Zentrum gilt es als eine SA-Hochburg, gegen die besonders hart vorgegangen wird. Doch auch anderswo gibt es Tote. Von den reichsweit 90 Opfern sind 50 SA-Führer. Die meisten Namen stehen von Anfang an auf Listen der SS. Es kommt aber auch zu spontanen, improvisierten Tötungen.
ZSP 10 Long Mafiamethoden 0,38
Bei den anderen Morden ist es so, dass die eigentlich so nach Mafia-Art zum großen Teil begangen wurden. Also die Opfer wurden in ihren Wohnungen ermordet oder sie wurden verschleppt, auf der Straße erschossen, die Leichen wurden liegengelassen. Und das begann in Berlin ja schon am 30. Juni. Also, das heißt, das beginnt schon, bevor man eigentlich gegen diese sogenannten SA-Revoluzzer vorgeht.
Erzähler
Während sich das Regime lange in Schweigen hüllt und offiziell nie mehr als ein Dutzend Opfer zugibt, gehen in der Bevölkerung bald Gerüchte um, es könnten Hunderte gewesen sein. In der Neuen Zürcher Zeitung, die auch in Deutschland zu lesen ist, stehen immer wieder Namen von Opfern. Edgar Jung zum Beispiel, der Papen-Mitarbeiter und Verfasser der Marburger Rede, der bereits seit zwei Wochen inhaftiert war. Oder Gustav von Kahr, der ehemalige bayerische Ministerpräsident, von dem sich Hitler beim Putschversuch 1923 verraten fühlte.
ZSP 11 Long Terrorherrschaft 0,25
Das hat natürlich große Unsicherheit und große Unruhe in die Bevölkerung getragen. Es lag sozusagen auch in den ersten Tagen danach so ein lähmender Schrecken über dem Land, und das war natürlich auch durchaus wohl von den Nationalsozialisten beabsichtigt. Das ist eben das, was man als Terrorherrschaft bezeichnet.
Musik 9: The horror of war – 1:23 Min
Erzählerin
Erst am 13. Juli rechtfertigt Hitler in einer Reichstagsrede ausführlich die sogenannte Niederschlagung des angeblichen „Röhm-Putsches“. Es sind wortreiche Lügen von der „Staatsnotwehr“! Dabei war den meisten längst klar: Der blutige Rundumschlag richtete sich gegen verschiedenste Gruppen.
Erzähler
Nicht zuletzt gegen die Rechtskonservativen aus dem Kreis um Papen. Dessen Pressechef Herbert von Bose ist in seinem Büro erschossen worden. Ebenso Erich Klausener, Leiter der katholischen Laienbewegung im Bistum Berlin. Auch der katholische Publizist Fritz Gerlich, einer der schärfsten Kritiker der Nazis, wird am 1. Juli 1934 im KZ Dachau ermordet.
Erzählerin
Franz von Papen zieht daraus übrigens keine Konsequenzen. Obwohl zwei seiner engsten Mitarbeiter ermordet wurden, bricht der Vizekanzler nicht mit Hitler. Papen wird später Gesandter in Wien.
Erzähler
Ein anderer konservativer Katholik, der längst die Seiten gewechselt hat, ist der Staatsrechtler Carl Schmitt. Als „Kronjurist des Dritten Reiches“, wie ihn Gegner spöttisch nennen, rechtfertigt er am 1. August 1934 Hitlers Mordserie in einem Artikel in der Deutschen Juristen-Zeitung:
Musik 10: Typewriter – siehe oben – 13 Sek
Zitator:
„Der Führer schützt das Recht“ vor „dem schlimmsten Missbrauch“, wenn er „im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht“ schaffe.
Musik aus
Erzählerin
Die konservativen Eliten Deutschlands sind Mitte 1934 weder bereit noch in der Lage, sich dem Diktator zu widersetzen. Und auch die SA ist geschwächt. Sie wird entwaffnet und von 4,5 Millionen auf 1,6 Millionen SA-Leute zurechtgestutzt. Erhalten geblieben ist zwar das erhebliche Gewaltpotenzial der SA, das sich insbesondere in „Aktionen“ gegen Juden zeigte. Aber als revolutionärer sogenannter „linker“ Flügel der NSDAP war sie nun endgültig entmachtet, sagt Peter Longerich.
ZSP 12 Long wesentliches Ergebnis 0,30
Wenn man diese Stimmungsberichte aus dem Jahre 34 liest, dann sieht man, dass es im bürgerlichen Lager doch noch ziemliche Befürchtungen gab, dass sich in der NSDAP ein linker Kurs durchsetzen könnte, also ein antikapitalistischer Kurs. Und dass man dort Einbußen erleiden würde, und das ist natürlich jetzt nach dem 30. Juni vorbei. Also man hat zwar jetzt eine terroristische Diktatur, aber man ist sich doch ziemlich sicher, dass sie nicht versuchen wird, sozusagen an die Eigentumsverhältnisse massiv heranzugehen. Ich glaube, das ist ein ganz wesentliches Ergebnis dieses Tages gewesen.
Erzähler
Gestärkt geht die Reichswehr aus den blutigen Ereignissen hervor. Vor allem aber profitiert die andere paramilitärische Nazi-Truppe von den Morden: Heinrich Himmlers Schutzstaffel, kurz SS.
ZSP 13 Long SS 0,18
Der große Gewinner war natürlich die SS, die ja nun auch die Gestapo kontrollierte, aber vor allen Dingen auch die SS als Organisation jetzt aus dem Unterstellungsverhältnis unter den SA-Chef rausgelöst wurde, eigenständig wurde und in verschiedene Richtungen dann expandieren konnte. Also es war der Machtzuwachs Himmlers.
Musik 11: The organ grinder – siehe oben – 1:08 Minuten
Erzählerin
Und natürlich Hitlers. Denn vor allem verändern die Mordaktionen den Charakter seiner Diktatur. Alle Nebenzentren der Macht sind nun beseitigt. Abweichende Meinungen in wichtigen Fragen gibt es keine mehr. Und Terror wird zum festen Bestandteil der Herrschaftspraxis. Hitlers Weg zur Alleinherrschaft ist frei. Er muss ihn nur noch gehen.
Erzähler
Als wenige Wochen später Paul von Hindenburg stirbt, übernimmt der Reichskanzler Hitler auch noch das Amt des Reichpräsidenten und den Oberbefehl über die Reichswehr. In einem nachträglichen Plebiszit spricht sich das Volk im August 1934 mit „überwältigender Mehrheit", wie es hieß, für die unumschränkte Macht des jetzt sogenannten „Führers und Reichskanzlers“ aus.
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