Heißgeliebt über Jahrtausende - Die Kulturgeschichte der Eiscreme
Wer denkt, Eiscreme verführt die Menschen erst seit der Erfindung der Tiefkühltruhe, der irrt. Schon vor 5000 Jahren sollen die alten Chinesen daran genascht haben. Seither erscheint die Eiscreme in stets neuem Gewand und ist weltweit heißgeliebt - ob als Eis am Stiel, Konfekt oder im Becher mit Sahne. Von Susanne Hofmann
Credits
Autorin dieser Folge: Susanne Hofmann
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Susanne Schroeder, Jerzy May
Technik: Simone Lobenhofer
Redaktion: Iska Schreglmann
Im Interview:
PD Dr. Heiner Stahl, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Universität Siegen
Dr. Fritz Treiber, Molekularbiologe Universität Graz, dort auch Koordinator für Ernährung, Gesundheit und Konsum
Giorgio Ballabeni, Eismacher in München
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
1. ZUSPIELUNG (Eisdiele - Aufnahme 25 Eisdiele)
0:29 Ich hätte gern einmal Mango-Maracuja, einmal Pistazie
0:55 Rote Früchte und Pistazie bitte.
2:01 Ich hätte gerne Schokolade und Rose
Was bekomme ich? Rote Früchte, Schokolade und Pistazien
ERZÄHLERIN
Aus den Edelstahlbehältnissen in der großen Vitrine leuchten sie einem entgegen: zwei Dutzend Eissorten, Sorbet und Milcheis - Pistazie, Schokolade, Vanille, Himbeere, Melone ... Davor hat sich eine Schlange gebildet, bis hinaus auf den Gehweg in der Münchner Maxvorstadt. Und in einem Nebenraum, in der Werkstatt des Eismachers Giorgio Ballabeni [spricht man wie geschrieben], hat sich eine Handvoll Gourmets und Hobbyköche versammelt. Sie wollen das Geheimnis der Eiscreme lüften.
2. ZUSPIELUNG Aufnahme 15 0:30
„Das war immer was Besonderes, also von klein auf. Eine Kugel hat damals 25 Pfennige gekostet. Und dann gab es damals nur fünf Eissorten. Und dann ist man davorgestanden, hat sich die Nase plattgedrückt und hat dann seine Lieblingseissorte dann gern bekommen. Herrlich“
2b) Aufnahme 5 Minidialog
0:12 „Wir haben zuhause eine Eismaschine und machen gerne selber Eis. Und meine Frau mag sehr gerne Schokoladeneis und die meisten Schokoladeneis, die haben jetzt Stückchen drin. Und das verstehen wir nicht. Wir wollen also einen Schokoladeneis ohne Stückchen selber machen. (0:30) Was ich halt so gerne mag, ist Schokoladeneis mit Sahne. Und das ist dann so ein zarter Schmelz im Mund, und wenn ich Stückchen drinnen hab, dann passt das nicht. - Und das mit Stückchen drin, das ist vielleicht eine amerikanische Eigenart, also mit irgendwelchen Keksen oder sowas. Deshalb nix mit einem richtig guten Eis zu tun.“
MUSIK: „Morgenstrahlen“ – (0:15)
ERZÄHLERIN
Richtig gutes Eis – wie man das selbst macht, wollen sie von ihm lernen: dem Eismacher Giorgio Ballabeni, geboren in Padua und mit seiner Eisdiele seit Jahrzehnten eine der ersten Adressen für Eisgenuss in München.
3. ZUSPIELUNG Ballabeni 4) 1.10
„Man braucht 3 Faktoren um eine perfekte Eis – Technologie, Tesoro, den Wert von den Rohstoff und Talent, 3 T.
ERZÄHLERIN
In der Mitte des kleinen hellen Raumes: Eine große Arbeitsfläche, darauf blitzen große Edelstahltöpfe. Griffbereit: Küchenwaage und Mixer. In die Arbeitsfläche eingelassen: mehrere Eis-Behälter. Hier entsteht in den nächsten drei Stunden frisches Schokoladen-, Pistazien-, Cappuccino- und Vanilleeis sowie Himbeer- und Zitronensorbet.
4. ZUSPIELUNG 10) 0.2 Szene: Ballabeni –
„Als erster Schritt ist Wasser, wir wiegen Wasser…“ - Atmo liegenlassen
ERZÄHLERIN
Der Maestro hantiert mit dem Saft von erntefrischen Zitronen aus Sizilien, verschiedenen Arten von Zucker und fügt einige Tropfen ätherisches Zitronenöl hinzu. Alles wird in einem großen Chromtopf aufgekocht und dann mit dem Mixer zu einer homogenen Masse verrührt.
MUSIK: „Morgenstrahlen“ – (0:12)
Auch wenn wir Eis mit Italien assoziieren und die meisten Eisdielen hierzulande traditionell in italienischer Hand sind – erfunden wurde die Eiscreme nicht jenseits der Alpen, sondern
MUSIK: „China“ – (0:15)
ERZÄHLERIN
in China und das wohl schon vor rund 4.000 Jahren. Dass hier die Anfänge der eisgekühlten Süßspeise liegen, sagt auch der Molekularbiologe Fritz Treiber von der Universität Graz. Er führt seine Studentinnen und Studenten regelmäßig durch die Weltgeschichte der Ess- und Tischkultur.
5. ZUSPIELUNG Fritz Treiber 0:50
„Und da ist natürlich Eis auch ein Thema, … 1:56 Das ist immer schwierig, man braucht ja Quellen dazu, wo jemand was notiert hat, was da gegessen wurde, und die noch vorhanden sind, die stammen aus China. Wo eben Eis oder Schnee dann vermischt wurde mit Honig und Früchten. Und das war wirklich nur eine Speise für also für Könige, für Kaiser, beziehungsweise dann für wirklich gehobene Schichten, weil natürlich Eis selten oder weit hertransportiert hat müssen, und ja, das war wirklich eine Speise für Leute, die damals schon viel Geld gehabt haben.“
ERZÄHLERIN
Die Chinesen legten Höhlenkeller zum Konservieren von Lebensmitteln an. Darin bewahrten sie große Eisblöcke auf, die sie im Winter aus zugefrorenen Seen oder Flüssen gehauen hatten. Diese Eishöhlen fungierten als riesige Kühlschränke. Als besondere Köstlichkeit galt in ihnen, einige Jahrhunderte später, eisgekühlter Brei aus zerkochtem Reis, Gewürzen und Milch. Wenig später begannen auch die Menschen weiter westlich, sich für eine frühe Form von Eiscreme zu erwärmen, sagt Fritz Treiber von der Universität Graz:
6. ZUSPIELUNG Fritz Treiber 5.35
„Es ist überliefert, so im fünften vorchristlichen Jahrhundert, dass im Perserreich auch schon Eis gegessen wurde, da waren es dann Kombinationen mit Rosenwasser, mit Safran und Obst. Ja, also sehr, sehr exklusiv auch. Aber natürlich auch wohlschmeckend. Und es ging dann weiter – Alexander der Große soll sich auch am Eis erfreut haben. In Griechenland der Antike wurde Eis gegessen, und auch bei den Römern stand es auf der Speisekarte.“
MUSIK: „Awakening“ – (1:05)
ERZÄHLERIN
Hippokrates, der berühmte Arzt des Altertums und Verfechter der Säftelehre, lobte Gefrorenes als Wohltat für den Körper – es belebe die Säfte, befand er. Gut 500 Jahre später, kurz nach Christi Geburt, herrschte in Rom Kaiser Nero. Er soll sich von Staffelläufern Schnee von den Bergen gebracht haben lassen. Eine Butte mit der eiskalten Fracht wurde immer weitergegeben, so dass Nero im heißen Rom seinen Gästen exklusiv erfrischendes Eis, damals wohl eine Sorbet-artige Speise, servieren lassen konnte. Vermutlich wurde das Eis kleingestoßen und als körnige Masse vermischt mit Früchten und Honig gereicht. Eine Art frühe Granita, wie man sie heute noch in Italien bekommt. Mit dem Ende des Römischen Reichs verlieren sich vorerst die Spuren der Eiskultur im Westen.
7. ZUSPIELUNG Fritz Treiber 8:00
„Und erst viel, viel später ja, da sind wir schon in der Renaissance, ist man dann draufgekommen: Man gibt noch a Milch, Fett, Rahm dazu und dann Früchte und rührt das Ganze auf. Und dann kommt so was, was wir jetzt als Eis kennen, so was Cremeartiges, das man dann löffeln kann. Aber bis dorthin war das ein langwieriger Prozess, weil es auch keinen Kühlschrank gegeben hat, das darf man nicht vergessen, und kein Gefrierfach. Das heißt, da ist man immer angewiesen auf Eisblöcke, die man im Winter gesammelt hat, irgendwo in einen großen Keller gegeben hat und dann von dort des Eis dann verarbeitet hat, und somit war es immer ein rares Gut und natürlich nur einer gewissen Herrschaftsschicht, Adelsschicht oder sehr sehr reichen Bürgertum vorbehalten.“
MUSIK: „Morgenstrahlen“ – (0:25)
ERZÄHLERIN
Ganz anders heute, wo man Eis in jedem Supermarkt und an jeder Straßenecke bekommt. Der Kurs von Giorgio Ballabeni für angehende Eismacherinnen und Eismacher ist allerdings eine durchaus exklusive Veranstaltung. Schließlich teilt der Meister hier seine Rezepte, an denen er Jahrzehnte lang gefeilt hat. Nach einer Stunde bekommen die Teilnehmer eine erste Kostprobe vom frisch zubereiteten Zitronensorbet:
8. ZUSPIELUNG 3.55
„Ausgesprochen lecker, das Zitronensorbet hat genau die richtige Säure, dass es noch nach Zitrone schmeckt, aber eben nicht bitter, sondern total erfrischend, …
ERZÄHLERIN
Weniger freigiebig gingen die Köche im Europa der Renaissance mit den Rezepten ihrer Eiskreationen um. Sie waren ein wohlgehütetes Geheimnis. Eisgenuss blieb der gehobenen Küche vorbehalten. Im 16. Jahrhundert erfuhr die Eiscreme in Italien eine wichtige Weiterentwicklung – erstmals verwendeten die Italiener Milch als Zutat. Und in Rom machte ein Arzt eine bahnbrechende Entdeckung: Blasius Villafranca bemerkte, dass sich Wasser abkühlen ließ, indem man Salpeter oder Salz beimengte. Diesen Effekt nutzte man ab sofort für die Herstellung von Eis. Wie sie funktioniert, erklärt der Historiker Dr. Heiner Stahl vom Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Siegen. Er forscht zu Sinnes- und Geschmacksgeschichte und zur Geschichte der Eiscreme:
9. ZUSPIELUNG 16:13 Stahl
„Also stellen Sie sich vor, Sie haben einen Holzzuber, einen relativ großen. Und da tun Sie Wasser rein, da tun Sie gehacktstücktes Natureis rein und Salz. Es heißt also es ist eine Salz-Wasser-Eis-Lösung, … und das rühren sie im Kreise, dass das sozusagen in Bewegung ist, … dann stellen Sie in die Mitte einen Messingbüchse, und in diese Messingbüchse haben Sie das hineingetan, was Sie gefrieren lassen wollen. … das haben Sie vorher aufgekocht, und diese noch warme Masse kommt dann in diese Messingbüchse, und dann wird es physikalisch: Nämlich die Hitze wird durch das Metall abgeleitet nach außen, … wird in dieser Salzwasserlauge gespeichert, und an der Innenseite von dieser Büchse gefriert dann diese Masse.“
ERZÄHLERIN
Es findet also ein Wärmeaustausch statt, die Kälte gelangt nach und nach in die Eiscreme. Diese entsteht ganz langsam dadurch, dass das Gefrorene ständig von der Innenwand des Gefäßes abgeschabt und in die weniger kalte Masse untergemischt wird, bis die gesamte Creme allmählich von Kälte durchdrungen ist. Seit Villafrancas Entdeckung ist nun also – auf den ersten Blick paradox – Salz die wichtigste Zutat im Herstellungsprozess der Süßspeise Eis.
Die Kühlmethode mittels Salz ermöglichte es den Florentiner Konditoren, das weltweit erste Speiseeis von fester Konsistenz herzustellen. Bis heute funktionieren Eismaschinen übrigens nach dem gleichen Prinzip mit einem doppelwandigen Gefäß: In das äußere Gefäß kommt Kühlflüssigkeit, im inneren entsteht durch Abkühlung und ständiges Rühren das Speiseeis.
MUSIK: „Nahe Ferne“ – (1:55)
ERZÄHLERIN
Von Italien aus gelangten die Eis-Rezepte nach Frankreich – eine Art Mitgift von Katharina von Medici aus Florenz, die 1533 den späteren König von Frankreich heiratete. Sie wollte, so heißt es, den Franzosen die Überlegenheit der Esskultur ihres Landes vor Augen und Gaumen führen. Französische Konditoren entwickelten daraus die Eisbombe, eine besonders raffinierte Kreation, die aus mehreren Schichten von Eiscreme unterschiedlicher Geschmacksrichtungen bestand. Eines der ersten erhaltenen Rezepte für Eiscreme stammt aus einem französischen Kochbuch aus dem Jahr 1682 – es trägt den poetischen Namen „Schnee von Orangenblüten“:
ZITATOR
„Nimm süße Sahne und gib hinein zwei Handvoll feinen Zucker und nimm die Blütenblätter von Orangenblüten und hacke sie klein und gib sie in die Sahne… und fülle alles in einen Topf und gib den Topf in einen Weinkeller; und du musst Eis klein hacken, es mit Salz vermischen und daraus ein Bett auf dem Boden des Weinkühlers machen, bevor du den Topf hineinstellst. … Und du musst weiterhin eine Lage Eis vermischt mit einer Handvoll Salz hineingeben und dies wiederholen, bis der Weinkühler gefüllt und der Topf bedeckt ist und du musst das Ganze an den kühlsten Ort stellen, den du finden kannst und du musst es ab und an schütteln, damit es nicht zu einem harten Eisblock friert. Es wird etwa zwei Stunden dauern“
ERZÄHLERIN
Dieses Rezept zeigt, warum Eis noch bis ins 18. Jahrhundert eine höchst exklusive Speise war, die selbst an einer fürstlichen Tafel nur selten gereicht wurde. Der Historiker Heiner Stahl von der Universität Siegen:
10. ZUSPIELUNG Stahl 5.00
„Das Besondere am Eis oder Gefrorenen ist meiner Ansicht nach, dass es vor allem so viel Zeit in Anspruch nimmt, das herzustellen. Das heißt also, in einem ganz normalen täglichen Ablauf an so einem Fürstenhof kostet es viel zu viel Zeit, Gefrorenes herzustellen. … Dieser Zeitaufwand ist natürlich viel einfacher auszugleichen, wenn man das von einem Konditor einkauft, der in einer Residenzstadt seine eigene Konditorei betreibt
ERZÄHLERIN
Konditoren oder Zuckerbäcker, aber auch Lebküchner zählten zu den ersten professionellen Eismachern der frühen Neuzeit, so Heiner Stahl:
11. ZUSPIELUNG Stahl 6:21
„Wer mit diesen ganzen Backwaren oder Konditoreiwaren zu tun hat, der sammelt im Laufe des Berufslebens natürlich Kenntnisse und wendet die halt an. Und ob man da jetzt Brezeln macht, irgendwelche Kringel oder Baisé oder halt Gefrorenes, ist alles eine Frage des Wissens, des Übens, des Zeithabens und vor allem auch der Aufträge.“
ERZÄHLERIN
Unter den Konditoren oder Zuckerbäckern im 18. Jahrhundert finden sich laut den Recherchen von Heiner Stahl auch viele Frauen. Seine Erklärung: Der Beruf gehörte keiner Zunft an, bot also eine Nische. Frauen wuchsen oft in das Gewerbe hinein und führten dann auch die Geschäfte. Das zeigen Rechnungen und Schriftverkehr mit Behörden. Es ist anzunehmen, dass die Konditoren in ihren Werkstätten die Kunst des Eismachens immer weiter verfeinerten:
12. ZUSPIELUNG Stahl 10:57
„Die Werkstatt ist dann quasi ein Laboratorium, wo man neue Sachen erfindet oder kombiniert oder wo man ausprobiert, entweder anhand von einem Kochbuch, was jemand anderes geschrieben hat, oder weil man selber vielleicht an einem Fürstenhof oder einem Bürgerhaushalt selber gelernt hat und sein Wissen mitgenommen hat oder in einem Restaurant oder einen Gasthof schon gearbeitet hat.“
MUSIK: „innovative beginning“ – (0:25)
ERZÄHLERIN
Von Italien aus eroberte die Eiscreme ganz Europa, später auch Amerika. Italienische Eisverkäufer gehörten in London genauso wie in Übersee im 18. Jahrhundert zum Stadtbild. Sie boten ihre Eiscreme aus gekühlten Behältern auf der Straße an und machten sie so auch einfachen Leuten zugänglich. In den USA wurde der Eisgenuss also zu einem demokratischen Vergnügen. Lange konnte Eis aber nur in kleinen Mengen und in einem aufwändigen Prozess zubereitet werden.
MUSIK aus
ERZÄHLERIN
Das änderte sich 1843, als Nancy Johnson aus Philadelphia ein Gefriergerät patentieren ließ: Eine Art großer Eimer für die Salzlake, in dem sich ein verschließbarer zylindrischer Behälter für die Eismasse befand. Der Clou: Die Eismasse wurde mechanisch per Handkurbel gerührt. Wenige Jahre später machte eine Weiterentwicklung ihrer Maschine eine effizientere Kühlung möglich – nun konnte man große Mengen Eiscreme mit feiner Konsistenz herstellen. In den USA etablierte sich auch der erste erfolgreiche Großproduzent von Eiscreme: Jacob Fussell [Aussprache englisch], ein Milchhändler aus Baltimore, ließ seinen Sahneüberschuss zu Eiscreme verarbeiten. Er war mit seinem Produkt so erfolgreich, dass er dem Molkerei-Business den Rücken kehrte, um sich ganz auf die Herstellung von Speiseeis zu konzentrieren. Er eröffnete die ersten Eisfabriken unter anderem in Washington, Boston und New York.
Die Industrialisierung der Eisproduktion bewirkte zunächst einmal einen Qualitätssprung: Die Grundmasse konnte schneller und stärker gekühlt werden, und damit erreichte man, dass die Eiskristalle sehr fein blieben. Und durch den Zusatz von Gelatine und Milchpulver erhielt industriell hergestellte Eiscreme eine besonders sämige Konsistenz.
Parallel zur Massenproduktion in den USA gedieh in Deutschland um 1900 die Eismanufaktur in kleinen Werkstätten in der Nähe von zentralen Marktplätzen, sagt der Historiker Heiner Stahl. Eis „to go“ war also damals schon Mode.
14. ZUSPIELUNG Stahl 39:37
„Was die Porzellanschale um 1830 war es dann um 1900 eine Eiswaffel Und dann gibt es kleine Zinnlöffelchen, … Und dann müssen sich das ungefähr so vorstellen: Sie haben eine Straßenecke, wo so eine Person mit einem Eiswagen steht. Da gehen Leute hin, kaufen sich Eis, lassen die Zinnlöffelchen fallen. Die Zinnlöffel kosten relativ viel Geld. Und dann sagen Sie zu den Kids, die rumspringen und rumlungern, wenn ihr mir 30 von diesen Löffelchen bringt, kriegt ihr noch mal eine Extrakugel. Diese 30 Löffel… werden dann ein bisschen ausgewaschen und dann wieder den anderen Leuten angeboten. Es ist also unter hygienischen Aspekten eine riesige Sauerei.“
ERZÄHLERIN
Außerdem ist das Eis, das damals feilgeboten wurde, alles andere als natürlich, so der Eisforscher.
15. ZUSPIELUNG Stahl 37.08
„Um 1900 habe ich Lebensmittelaromen, habe ich Lebensmittelfarbstoffe, da habe ich verschiedene chemische Zusatzstoffe, um das Ganze schneller gefrieren zu lassen und ums länger gefroren zu halten. Diese Eismasse um 1900 ist gestreckt, sie ist chemisch, sie ist übersüßt. Sie hat eigentlich gar nichts mehr mit dem zu tun, wie man um 100 Jahre vorher das Eis gemacht hat.“
ERZÄHLERIN
Der richtige Durchbruch von Eis kam noch später, weit nach dem zweiten Weltkrieg, als sich ein gewisser Wohlstand verbreitete und Kühlschränke in die Haushalte einzogen. Nun konnte man Eis nicht nur in Eisdielen schlecken, sondern auch im Supermarkt einkaufen und dann nach und nach zuhause als Nachspeise verzehren. Beim Eis entstand eine Hierarchie – es gab, in der gehobenen Preisklasse, aus natürlichen Zutaten hergestelltes Eis, und günstigere Sorten von minderer Qualität, die mit Zusatzstoffen und künstlichen Aromen versetzt waren. Alle fanden ihre Abnehmer – denn Eis hat einen ganz eigenen Reiz, erklärt der Molekularbiologe Fritz Treiber von der Universität Graz:
16. ZUSPIELUNG Treiber 9:35
„Beim Eis der eigentliche Effekt ist ja, wir überlisten unser Gehirn beziehungsweise auch unsre Geschmackssensoren. Wenn wir ein normales Creme-Eis nehmen, nehmen wir das in den Mund oder schlecken einmal ein Stück herunter, und … am Anfang schmeckt man ganz kurz noch nichts. Dann, durch die Wärme im Mund, schmilzt das Eis, die Aromen werden auf einen Sitz frei, der Zucker kommt auf die Zunge. Da sind die Geschmackssensoren - süß. Die geben sofort den Reiz weiter, die anderen Aroma-Moleküle gehen dann über das retronasale Riechen, das heißt im Mundraum so hinten, den Rachen rauf zur Nase, dort werden dann die Rezeptoren für die verschiedenen Aromen eben angeregt, und im Gehirn wird dann schnell zusammengebaut… und dann kommt der Geschmack zustande - ... Ja und in der Kombination mit Zucker, das ist ja regt unser Hirn an als Belohnung und natürlich dann das Fett, also zum Beispiel Milch oder mit Sahne, dann haben wir das Fett auch noch dabei, auch das löst Belohnungssignale im Hirn aus. Und das ist dann auch ideal, dass man davon noch einmal mehr isst.“
MUSIK: „Morgenstrahlen“ – (0:25)
ERZÄHLERIN
Diesen Effekt kennen auch die Eisfans im Kurs von Giorgio Ballabeni. Sie sind inzwischen bei ihrer fünften Sorte angekommen, immer streng nach Rezept. Bis aufs Gramm genau wird jede Zutat abgewogen. Das Ergebnis soll schließlich harmonisch, cremig und aromatisch sein. Zucker, erklärt der Eismacher, braucht es nicht nur für die Süße, sondern mindestens genauso:
17. ZUSPIELUNG Aufnahme 11 - 0.10 Italiener über Zucker
„für die Weichheit, also Gefrierschutz-Wirkung. Also jede Zucker hat eine bestimmte Wert in Süße-Intensität und Weichheit-Potenzial. Deswegen muss beide kenne um die perfekte Texture, also wenn perfekt ist die Texture ist cremig und schön, wenn nicht perfekt ist o lala.
ERZÄHLERIN
Nach drei Stunden Intensivkurs inklusive Verkostung lautet die Erkenntnis bei den Eiskurs-Teilnehmerinnen und -teilnehmern: Geschmack, Konsistenz und Temperatur auf den Punkt zu treffen, ist fast schon eine Wissenschaft für sich:
MUSIK: „Morgenstrahlen“ – (1:10)
18 . ZUSPIELUNG Aufnahme 22 2:08
„nicht, wie man sich den Italiener vorstellt, einfach nach Lust und Laune, sondern das ist ganz genau berechnet hier, gewogen und überlegt, dass das dann ja konstant besonderen Geschmack macht.
„Wenn man was Warmes kocht, dann kann man immer wieder dazwischen probieren, ob es passt oder nicht. Aber durch dieses Einfrieren verändert sich der Geschmack, insbesondere die Empfindung für Süße, so stark, dass ich hier nicht vorher schmecken kann … wie es später wird. Darum muss ich hier exakt nach diesem Rezept vorgehen, und dann passt es.“
„Und - je mehr Zeit man sich lässt, je mehr Aufwand man macht, desto besser ist das Ergebnis. Die Hoffnung, dass man jetzt schnell sich ein Eis macht für eine halbe Stunde, und dann hat man ein wunderbares Eis, die ist halt ein bisschen zunichte gemacht. Aber ist eigentlich bei allen Sachen so, das gute Dinge bisschen brauchen.“
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