Lion Feuchtwanger - Ein Schicksal, drei Bibliotheken
Bibliotheken haben bekanntlich keine Füße. Aber - Lion Feuchtwanger, der Meister des historischen Romans, musste schnell sein, auf der Flucht vor den Nazis. So baute er in seinem Leben drei Bibliotheken auf, mit jeweils mehr als 10.000 Büchern: In Berlin, im französischen und amerikanischen Exil. Diese Bibliotheken waren weit mehr als nur Bücher in Regalen - sie waren das immobile alter ego Lion Feuchtwangers. Von Michael Zametzer
Credits
Autor dieser Folge: Michael Zametzer
Regie: Kirsten Böttcher
Es sprachen: Udo Wachtveitl, Christopher Mann
Technik: Stefan Oberle
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Dr. Julia Schneidawind, Ludwig-Maximilians-Universität München
Dr. Heike Specht, Schriftstellerin, International Feuchtwanger Society
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Website der Ad hoc-AG „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“ an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften HIER gehts zur Website
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Zitator (Lion Feuchtwanger):
Wie gefällt Ihnen mein Haus, Herr X? Lebt es sich angenehm darin? hat der silbergraue Teppichbelag der oberen Räume bei der Plünderung durch die SA- Leute sehr gelitten?
Sprecher:
Im Jahr 1933 besetzen und enteignen die Nazis das Haus von Lion Feuchtwanger in Berlin…
Zitator (Lion Feuchtwanger):
Was fangen Sie wohl mit den beiden Räumen an, die meine Bibliothek enthielten? Bücher, habe ich mir sagen lassen, sind nicht sehr beliebt in dem Reich, in dem sie leben, Herr X. Und wer sich damit befasst, gerät leicht in Unannehmlichkeiten.
Sprecher:
Die Bibliothek umfasst über 30.000 Bücher. Erstausgaben, deutsche Klassiker, Jüdische Literatur. Das Arbeitswerkzeug des Schriftstellers, des Bestsellerautors Lion Feuchtwanger…
Zitator (Lion Feuchtwanger)
Kommt es Ihnen nicht doch manchmal merkwürdig vor, dass sie in meinem Haus sitzen? Ihr Führer gilt sonst nicht als Freund der jüdischen Literatur.
Musik 2: The ship – 1:02 Min
Sprecher:
Drei Bibliotheken hat Lion Feuchtwanger in seinem Leben aufgebaut. Die Erste in Berlin. Und noch zwei im Exil. Im französischen Sanary-Sur-Mer, und schließlich in Pacific Palisades, einer Villenkolonie nahe Los Angeles. Er, der Münchner Jude, der Weltschriftsteller, berühmt für seine historischen Romane, für Jud Süß, Erfolg, die Josephus-Trilogie, wird die USA nie mehr verlassen. Er bleibt staatenlos. Und die Bibliotheken erzählen vom Leben des deutschen, des bayerischen, des jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger.
1 ZSP Julia Schneidawind
Es sollte auch eine Bibliothek der deutschen Sprache werden…
Sprecher:
Julia Schneidawind hat für die Ad hoc-Arbeitsgruppe „Judentum in Bayern in Geschichte und Gegenwart“ an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gearbeitet und forscht nun am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Für ihre Doktorarbeit hat sie die Schicksale von Privatbibliotheken deutsch-jüdischer Schriftsteller untersucht: Franz Rosenzweig, Jakob Wassermann, Karl Wolfskehl, Stefan Zweig und – Lion Feuchtwanger. Dessen letzte Bibliothek, in Pacific Palisades bei Los Angeles, hat für sie einen besonderen Stellenwert.
2 ZSP Julia Schneidawind
Er hatte ja ganze Abteilungen, die sich wirklich deutschsprachigen Literaten und Schriftstellerinnen gewidmet haben, und es war ihm auch ein Anliegen, das zu zeigen. Und es waren zum einen die Exil-Schriftsteller, -Schriftstellerinnen, aber auch eben jene, die es nicht ins Exil geschafft haben. Und dafür stellt der Ort auf jeden Fall auch einen ja, wie wir heute sagen, eine Memorial Library dar.
Sprecher:
Aber egal, ob in Berlin, im französischen oder amerikanischen Exil - Natürlich war jede dieser drei Bibliotheken Feuchtwangers auch ein repräsentativer Ort. Besucher sollten nicht nur seltene Erstausgaben bewundern, sondern auch das intellektuelle Koordinatensystem erspüren können, in dem sich der Erfolgsschriftsteller bewegte. Die Bibliotheken waren aber noch mehr. Sie waren Feuchtwangers immobiles Alter Ego. Und als ihr Besitzer schnell sein musste, um zu entkommen, blieben Sie am Ort und waren den Nazis ausgeliefert. So erzählen diese Bibliotheken zunehmend auch von einem Menschen in der Fremde, der immer wieder versucht, mit Büchern eine Verbindung zum verlorenen Zuhause herzustellen.
MUSIK 3: Möw‘, Du…“ (Drehorgel) - 30 Sek
Sprecher:
Lion Feuchtwanger kommt aus einem bürgerlichen Münchner Haus. Der Vater, Sigmund Feuchtwanger ist erfolgreicher Margarinefabrikant. Er stammt aus einer alten fränkisch-jüdischen Familie. Lion, ältestes von neun Kindern, wächst im Münchner St. Anna-Viertel auf. Die Familie gehört zum orthodoxen Münchner Judentum, lebt die strengen jüdischen Traditionen, aber…
3 ZSP Heike Specht
Die Feuchtwangers waren eben eine besondere Mischung für die damalige Zeit. Bayerisch-Barock würde ich fast sagen, und jüdisch-orthodox. Das ging ganz gut zusammen.
Sprecher:
Die Schriftstellerin Heike Specht hat sich intensiv mit dem Leben der weitverzweigten Familie Feuchtwanger beschäftigt, mit ihren Traditionen und ihrem jüdischen Selbstverständnis. Ein Selbstbewusstsein, dass sich auch in der stattlichen Bibliothek des Elternhauses widerspiegelt. Julia Schneidawind.
4 ZSP Julia Schneidawind
Das ist, denke ich, charakteristisch für diese Sammlungen um die Jahrhundertwende und des frühen 20. Jahrhunderts, dass diese Sammlungen natürlich seit der Jugend meistens wachsen, wenn man aus einem bildungsbürgerlichen Elternhaus kommt. Und natürlich spielen dann auch Antiquariate eine große Rolle. Und so wachsen sozusagen diese Sammlungen über die Generationen und kriegen natürlich immer einen sehr eigenen Zuschnitt über die Interessen, die man eben persönlich dann auch hat.
Sprecher:
Die Bibliothek von Vater Sigmund bietet einen Schatz an jüdischer und weltlicher Literatur und ist bei bibliophilen Menschen über die Grenzen Münchens hinaus bekannt. In den Regalen stehen Bibelinterpretationen ebenso wie die Märchen von Wilhelm Hauff und Werke der Deutschen Klassik, aber auch moderne Literatur von Wedekind bis Hauptmann. Prägender Lesestoff für den jungen Lion.
5 ZSP Julia Schneidawind
Also gerade in den Jugendjahren Feuchtwangers, vermute ich, da hat er auch sehr stark auf die Bibliothek seines Vaters zurückgegriffen. Er hatte eine unglaublich einzigartige Sammlung, die heute komplett in Vergessenheit geraten ist und auch leider verschollen.
MUSIK 4: König Waldemar’s Nigun – 32 Sek
Sprecher:
Seine Schulzeit in München, auf dem konservativen Wilhelmsgymnasium, beschreibt Lion Feuchtwanger nicht gerade überschwänglich positiv. Und zuhause wartet dann noch ein Privatlehrer mit den Studien von Talmud und Bibel. Aber – er beginnt früh zu schreiben, gewinnt schon als Gymnasiast einen Wettbewerb, studiert nach dem Abitur Geschichte, Philosophie und Deutsche Philologie, promoviert brillant über Heinrich Heines „Rabbi von Bacherach“.
(Musik aus)
Eine akademische Laufbahn, eine Professur aber ist ihm – als Juden – de facto verwehrt. Er gründet eine Zeitschrift, schreibt Artikel, Theaterkritiken und lebt das Leben der Schwabinger Bohème. Feuchtwanger macht mit ersten Veröffentlichungen von sich reden, hält sich aber auch als Nachhilfelehrer finanziell über Wasser. Julia Schneidawind.
6 ZSP Julia Schneidewind
Da gibt es Anekdoten darüber, dass er aufgrund seiner, ja, nicht Abneigung zum Glücksspiel häufig seine Bibliothek verspielte und dann die Bücher sozusagen abgeben musste.
Sprecher:
Wobei die ersten Bücherbestände Feuchtwangers wohl schwer den Namen „Bibliothek“ verdienen mögen. Den Luxus einer eigenen, großen, repräsentativen Bibliothek wird er sich erst Jahre später erfüllen können. Noch aber, in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, ist das Geld knapp, und die Lust Lions am Leben groß. 1912 heiratet er Martha Löffler, die aus einer wohlsituierten, jüdischen Familie in München stammt. Das Paar schwimmt im Zeitgeist, im Leben der Bohème. Dann
der Schicksalsschlag: Die einzige Tochter, Elisabeth, stirbt schon im Alter von zwei Monaten.
MUSIK 5: Means of escape – siehe vorn – 45 Sek
Sprecher:
Das Paar macht eine ausgedehnte Reise, nach Südfrankreich, nach Italien und Nordafrika. Im August 1914 – sie sind gerade in der französischen Kolonie Tunesien – bricht der Weltkrieg über Europa herein. Feuchtwanger verfällt nicht in patriotisches Hurra-Geschrei wie viele seiner schreibenden Kollegen, entzieht sich aber auch nicht der Einberufung. Seine labile Gesundheit erspart ihm den Fronteinsatz. Die Entfesselung von Hass, Krieg und nationalistischem Rausch in Europa aber werden aus Lion Feuchtwanger einen politischen Schriftsteller machen.
MUSIK 6: Hypnose - 43 Sek
Sprecher:
Die ersten Jahre der Weimarer Republik werden zu den ersten Erfolgsjahren für Feuchtwanger. Nicht mehr nur seine Theaterkritiken, sondern auch seine Bühnenstücke werden gedruckt und – gespielt. Ein Stück aber findet bei den Verlagen gar keinen Anklang: Die Geschichte des Juden Joseph Süß Oppenheimer am Hof des Württembergischen Herzogs. In „Jud Süß“ behandelt Feuchtwanger die zentralen Fragen der Assimilation von Juden in Deutschland. Von Marta kommt der Vorschlag, den Stoff doch als historischen Roman umzusetzen.
7 ZSP Heike Specht
Also sie hat ihn auf diese Spur gesetzt und das hat dann funktioniert und wurde ja dann wirklich schon in den Zwanzigern ein Weltbestseller, was ja überhaupt erst quasi das Fundament gelegt hat, dann auch für seinen Lebensstil in Deutschland noch und dann aber vor allem im Exil.
Musik 7: Hypnose – siehe oben – 33 Sek
Sprecher:
„Jud Süß“ wird ein Welterfolg, der sich schon im ersten Jahr 100.000mal verkauft. In Großbritannien und den USA erscheint der Roman ab 1926 auf Englisch unter dem Titel „Power“, später folgen Übersetzungen in 15 weitere Sprachen. Bittere Ironie der Geschichte: Der Roman liefert später die Vorlage für den wohl schlimmsten antisemitischen Propagandafilm der Nazis.
MUSIK aus
Sprecher:
In den frühen 1920er Jahren wächst auch die Freundschaft zu Bertolt Brecht. Der bedingungslose Erneuerer des Theaters findet in Lion Feuchtwanger, dem Erfinder des dramatischen historischen Romans, einen streitfreudigen Partner.
MUSIK 8: Tresor unser – 43 Sek
Sprecher:
1925 wird den Feuchtwangers dann München zu klein – und das Klima zu nationalistisch. Das heiße Pflaster der Weimarer Jahre liegt ohnehin nicht an der Isar, sondern an der Spree. In Berlin leben auch viele jüdische Intellektuelle, Schriftsteller, Filmemacher, Schauspieler. Wenn München Anfang des 20. Jahrhunderts noch leuchtete, so pulsiert Berlin nun im Takt der modernen Zeit.
MUSIK weg, Atmo tickende Standuhr
Sprecher:
Lebenslanges, intensives Lesen ist zentral für die Arbeit Lion Feuchtwangers. Dementsprechend richtet er ab 1932 im neuen Berliner Domizil, einer Villa am Grunewald, eine umfangreiche Bibliothek ein. In den Regalen seines Arbeitszimmers stehen dann etwa 300 Bücher, die er für das aktuelle Romanprojekt benötigt. Also eine Art Handapparat, das Handwerkszeug des Autors. Insgesamt wird die neue Sammlung über 10.000 Bücher umfassen. Eine Bibliothek zum Arbeiten, mit einigen wertvollen Bänden.
8 ZSP Julia Schneidawind:
Lion Feuchtwanger war jetzt kein klassisch bibliophiler Sammler, aber er hat sich durchaus auch Erstausgaben gegönnt. Also da war er manchmal schon interessiert, gerade dann, wenn diese Werke auch Bezug zu seinen eigenen Arbeiten hatten.
Sprecher:
1930 erscheint der Roman „Erfolg“. Er macht seinem Titel alle Ehre und beschert Feuchtwanger Ruhm und Geld. Der Schlüsselroman zeichnet ein karikaturenhaftes Bild vom gesellschaftspolitischen Klima der zwanziger Jahre in München. Das Personentableau verweist dabei direkt auf die Akteure jener Zeit, die den Nährboden des deutschen Faschismus mit gedüngt haben. Die Schriftstellerin Heike Specht:
9 ZSP Heike Specht:
Genau dieser Blick ins Innere, dieses gnadenlose Wahrnehmen, wie die nichtjüdische Gesellschaft, die Mehrheitsgesellschaft tickt. Das ist tatsächlich prophetisch.
MUSIK 9: Der Drache – 46 Sek
Sprecher:
Von der Machtübernahme der Nazis erfahren die Feuchtwangers in den Vereinigten Staaten, wo sie seit 1932 auf einer langen Vortrags- und Lesereise unterwegs sind. Und – sie stehen ganz oben auf der Feindesliste der Nazis. Am 10. Mai 1933 brennen Feuchtwangers Bücher auf dem Berliner Opernplatz. Sein Name steht auf der ersten Ausbürgerungsliste und – die gleichgeschaltete Universität in München erkennt ihm den Doktortitel ab.
Sprecher:
Und zuhause, in der Berliner Villa, bleibt kein Buch neben dem anderen stehen. Julia Schneidawind:
10 ZSP Julia Schneidawind
Die Bibliothek Lion Feuchtwangers in Berlin wurde tatsächlich schon 1933 von den NS-Behörden geplündert. Und das hängt natürlich auch damit zusammen, dass Lion Feuchtwanger von Beginn ein sehr starker Kritiker des Regimes war und auch das öffentlich gemacht hat. Und das war auch der Grund, warum gerade diese Bibliothek schon 33 eben geplündert wurde in seiner Villa in Berlin. Während andere Bibliotheken erst später dann tatsächlich das Interesse der NS-Behörden auf sich gelenkt hatten, war es eben dieses Beispiel für sehr frühe Plünderung. Und wir wissen heute tatsächlich nicht, was mit den einzelnen Büchern passiert ist. Es gibt auch wieder nur Anekdoten darüber, dass die Bücher verschleudert wurden, also dass die Nazis das irgendwie versucht haben, zu Geld zu machen. Aber Anhaltspunkte dafür haben wir leider nicht.
Sprecher:
Weil sie nicht nach Deutschland zurückkönnen, wählen Lion und Marta ein Exil in Frankreich, den malerischen Küstenort Sanary-sur-Mer an der Cote d’Azur. Dort stranden viele deutsche und österreichische Intellektuelle auf ihrer Flucht vor den Nazis: Hermann Kesten, Bertolt Brecht, die Brüder Mann, Arnold Zweig. Lion Feuchtwanger beginnt sofort mit dem Aufbau einer neuen, der zweiten Bibliothek.
11 ZSP Julia Schneidawind:
Lion Feuchtwanger hat dann sozusagen da auch Sammlungen gekauft, aber natürlich auch auf antiquarische Bestände zurückgegriffen. Es gibt diese eine Aufzeichnung in seinem Tagebuch, da schreibt er von einem Besuch von einem Herrn Spier. Ich konnte leider nicht genau rekonstruieren, um welchen Herrn Spier es sich handelt, der ihm die Bibliothek anbietet, und er notiert in das Tagebuch Bibliothek von Spier gekauft. Das ist ein Beispiel dafür.
Sprecher:
Diese zweite Bibliothek wächst in den folgenden Jahren auf über 20.000 Exemplare an. Sie ist vor allem eine Arbeitsbibliothek.
MUSIK 10: About something – 36 Sek
Sprecher:
Mit der Besetzung Frankreichs 1940 zieht sich auch für die deutsche Exilgemeinde die Schlinge nun zu. Lion Feuchtwanger kommt in das Lager Les Milles und später nach Saint Nicola bei Nimes. Marta, die selbst zeitweilig interniert war, gelingt es, mithilfe eines jungen Diplomaten der amerikanischen Botschaft, ihren Mann aus dem Lager zu holen – mit dem Auto, wie sie in den 1950er Jahren im Interview erzählt. Dabei bedient sie sich einer List:
12 ZSP Archiv: Marta Feuchtwanger
Und dann gab ich ihm einen Zettel mit, da stand nur darauf: frag nicht, sag nix, steig ein. Und daraufhin ist mein Mann in das Auto eingestiegen. Und da gab ihm der Konsul einen Mantel und ein Tuch. Und da, wenn die Wachen in angehalten hatten, bei der Rückfahrt, hat er immer gesagt, das ist meine Schwiegermutter.
Sprecher:
Nach einer abenteuerlichen Flucht über Spanien und Portugal erreichen die Feuchtwangers schließlich die Vereinigten Staaten.
Musik 11: The ship – siehe oben – 34 Sek
Sprecher:
Und die Bibiliothek in Sanary-Sur-Mer? Julia Schneidawind hat den Weg der Bücher rekonstruiert. Lion Feuchtwanger kann seine Mitarbeiterin Lola Sernau noch beauftragen, die Bücher aus der Villa in Frankreich zu holen und zum Verschiffen in Kisten zu verpacken. Allerdings werden die Kisten über Jahre im Hafen von Lissabon feststecken.
13 ZSP Julia Schneidawind
Es gab da Probleme mit dem Zoll und anderer bürokratischer Natur, und natürlich war das mit sehr hohen Kosten verbunden. Und der Zustand war nicht ganz so großartig. Und das ist tatsächlich heute aber auch der einzige Anhaltspunkt. Wir haben keine Listen, wir wissen nicht genau, welche Bücher tatsächlich damals in diese in diesen Kisten waren.
Musik 12: once more unto the breach – 1:11 Min
Sprecher:
Nach wenigen Monaten in New York zieht das Paar 1941 nach Kalifornien und findet schließlich 1943 in Pacific Palisades ein neues Zuhause - ein kleiner Küstenort außerhalb von Los Angeles. Das Anwesen ist eine hochherrschaftliche Villa mit Meerblick, später „Villa Aurora“ genannt. Und – letztendlich kommen auch die Bücher aus Frankreich dort an. Sie werden zur Grundlage einer neuen, der dritten Bibliothek. Hermann Kesten, enger Freund Lion Feuchtwangers, äußert sich bewundernd über Feuchtwangers Lebensstil, der ganz den Geschlechterrollen der Zeit entspricht.
Zitator:
So sollten Schriftsteller wohnen, mit zwanzig Zimmern, mit 11tausend Büchern, einem hügeligen Park mit zwei acres, einer Sekretärin und einer Frau, die kocht, gärtnert, bäckt, chauffiert und dem großen Dichter aufs Ergebenste dient, was für ein Leben.
MUSIK aus
Sprecher:
Das Leben ist für die Exilanten unterschiedlich schwer zu meistern in den Staaten. Marta und Lion aber leben begünstigt. Von den Erlösen des eben erst veröffentlichten Romans „Die Brüder Lautensack“ können sie das Haus finanzieren. Und im Zentrum des Anwesens steht eine neue - die dritte Bibliothek Feuchtwangers. Ein weiterer Neuanfang. Das Projekt Bibliothek hilft ihm über die Frustration von Verlust und Neubeginn hinweg:
14 ZSP Julia Schneidawind
Also wir können bei der Sammlung in Los Angeles tatsächlich auch von einer Rekonstruktion sprechen. Er hat auf die Netzwerke zurückgegriffen, die er früher kannte, also auch sehr viele Antiquare. Jüdische Antiquare, die auch im Exil lebten, konnten ihm dann auch wieder Bücher vermitteln. Und er hat sehr viele hiesige Antiquariate besucht. Aber auch über Kataloge, die er ständig auch aus Europa noch zugeschickt bekam, hat er versucht, diese Sammlung erneut aufzubauen.
Sprecher:
Grundlage für die neue Bibliothek sind aber die Bestände aus Sanary-Sur-Mer, oder wenigstens, die Bücher, die es in die Staaten geschafft haben. Eine Gedulds- und Zerreißprobe für den Schriftsteller, denn erst 1941 soll er – nach vielen Verzögerungen – seinen Schatz zumindest teilweise wieder in die Regale stellen können. Ludwig Marcuse, Freund und Nachbar der Feuchtwangers, schreibt in seinen Memoiren unter dem Titel „Mein zwanzigstes Jahrhundert“:
Zitator (Marcuse):
Abermals Wände aus Büchern, ein drittes Mal in einer Casa auf einem abgelegenen Hügel über der pazifischen Küste. Das war ein gewaltiges Mausoleum aus den Werken der Dichter: Ich ging immer zu ihm, wenn die Bibliothek meiner Universität versagte.
MUSIK 13: A fool’s paradise – 26 Sek
Sprecher:
Martha Feuchtwanger macht derweil Promotion für ihren Mann, fungiert als geschickte Agentin. Als charmante Gastgeberin und legendäre Köchin macht sie das Exil zu einem Anziehungspunkt inmitten dieser Emigrantenkolonie. Und das Zentrum dieses intellektuellen Clubs ist die prächtige Bibliothek.
Musik aus
Sprecher:
Nach dem Krieg löst sich die Exilgemeinde am Pazifik langsam auf. Brecht, Thomas Mann, Döblin und Werfel kehren nach Europa zurück. Lion und Marta Feuchtwanger bleiben. Wegen des angenehmen Klimas, wie der Schriftsteller in einem Interview erzählt. Aber wohl vor allem, weil er stets fürchten muss, als Staatenloser nicht mehr in die USA zurückkehren zu dürfen, sollte er einmal ausreisen.
MUSIK 14: The Ship – siehe vorn – 42 Sek
Sprecher:
Lion Feuchtwanger stirbt am 21. Dezember 1958. Seine Frau Marta überlebt ihn um fast 30 Jahre. Sie überträgt schon ein Jahr nach seinem Tod die Villa samt Bibliothek der University of Southern California, behält aber das Wohnrecht. Sie wird, bis zu ihrem Tod im Jahr 1987, zur Hüterin von Feuchtwangers Vermächtnis.
15 ZSP Marta Feuchtwanger:
Da ich ja auch immer Führungen mache in der Bibliothek. Das sind sehr viele Inkunabeln und auch noch Manuskripte, handgeschriebene, zum Beispiel eine von Papst Innozenz dem Dritten und ganz einzigartige Ausgaben. Nach meinem Tod bleibt es aber genauso, wie es jetzt ist.
Sprecher:
Der Großteil der Bibliothek, etwa 20.000 Bände, befindet sich bis heute in der Villa Aurora, das mondäne Anwesen ist eine Künstlerresidenz für Stipendiaten aus aller Welt. Der Rest der Bücher ist Teil der „Lion Feuchtwanger memorial library“ an der „University of southern California“ im nahen Los Angeles.
MUSIK 15: As ballad – 1:06 Min
Sprecherin:
Eines verbindet die drei Bibliotheken, die Lion Feuchtwanger im Laufe seines Lebens aufgebaut hat: Sie waren nicht nur Werkstätten für den Schriftsteller, sondern auch Ankerplätze eines Menschen im Exil.
16 ZSP Archiv: Lion Feuchtwanger
Im Übrigen bin ich deutscher Schriftsteller und suche mich immer zu umgeben mit deutschen Dingen, mit deutschen Büchern und dergleichen. Wenn ich deutsche Bücher lese, dann habe ich das Gefühl, ich unterhalte mich mit dem Autor.
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