Joker als Held eines ernstgemeinten Sozialdramas
Zu Beginn vor der eigentlichen Handlung gibt es eine lange Animationssequenz - ein guter Einstieg: Joker tanzt dort mit sich selbst. Das ist lustig und überraschend, endet aber mit einer blutigroten Leinwand. Joker ist hier als Opfer gezeichnet, ein Opfer seiner Familie, der Umstände, der Gesellschaft. Ein trauriger Clown ...
Genauso hatte es Regisseur Todd Philipps in seinem ersten Teil unternommen. Er verwandelte die Comic-Figur, ein Inbegriff an anarchistisch-destruktiver Lust an Chaos und Zerstörung, falscher Gewissheiten und übertriebener Reichtümer, in den Helden eines ernstgemeinten Sozialdramas in der Tradition von Martin Scorseses „Taxi Driver“.
„Joker 2“ funktioniert zunächst als Gefängnisfilm und Musical
Die Fortsetzung beginnt in der Irrenanstalt „Arkham Asylum“, wo Arthur Fleck alias Joker, gespielt von Joaquim Phoenix, mit extrem magerer, verunstaltender Körpermaske, inhaftiert ist, und, drangsaliert von den brutalen Wachen, auf seinen Prozess wartet, während er mit seiner Persönlichkeitsspaltung zu kämpfen hat.
Diese erste Dreiviertelstunde des Films ist ganz gut. Auch als Gefängnisfilm funktioniert er. Und die Idee, ein Musical daraus zu machen, ohne zu dick aufzutragen, ist sogar hervorragend.
Wahnsinn zu zweit – mit Lee, gespielt von Lady Gaga
Doch dann gerät alles in diesem Film aus den Fugen: Joker meldet sich zur Gesangsgruppe im Knast. Dort trifft er ein Mädchen: Lee. Dies ist, so scheint es, zunächst die alte Geschichte von einem bestimmten Typ von Frauen, die sich in einen Massenmörder verlieben und ihn retten wollen. Oder, wie in diesem Fall, befreien.
Lee, gespielt von Lady Gaga, heizt den Joker in diesem schizophrenen Irren an. Bald ist uns Zuschauern klar: Diese Lee ist noch viel viel durchgeknallter, als der Joker.
Beide sehen im Knast einen alten Film: Das Musical „The Band Wagon“ von 1953 mit Fred Astaire. Durch den Song „That's Entertainment“, eines der programmatischsten Lieder Hollywoods, wird das Ganze natürlich auch ein abgründiger Kommentar zur Entertainment-Industrie – zumindest ist der so gemeint.
Wahnsinn zu zweit
Der Titel „Folie a deux“, der aus der Psychopathologie des 19. Jahrhunderts stammt, passt hier haargenau, denn er hat einen Doppelsinn: Dieser liegt darin, dass er einerseits Wahnsinn zu zweit bedeutet, von Lee und Joker nämlich, also auf zwei Wahnsinnige verweist. Zum anderen verweist er aber auch auf eine gespaltene Persönlichkeit.
Joker ist ein Held für alle Wutbürger und destruktiven Charaktere
Joker schwingt sich diesmal aber nicht dazu auf, das Volk aufzuwiegeln und die Macht zu erobern. Im Gegenteil scheint es der Regisseur absichtlich darauf anzulegen, das Publikum zu enttäuschen, indem er dessen Erwartungen durchkreuzt. Die Hauptfigur behauptet am Ende: „Joker gibt es nicht“.
Die Geschichte ist seicht, die Gedanken unzusammenhängend, die Haltung so reaktionär wie die Hauptfigur. Er ist ein Held für alle Wutbürger und destruktiven Charaktere.
Herausgekommen ist das Klischee eines Problemfilms
Der Musikeinsatz und der ganze Film sind ein einziger riesiger Zynismus: „That's life“ wird gesungen, und dazu laufen Bilder von Terror, von Gewalt, von Toten.
Dies ist der Versuch, Superheldenkino mit einem intellektuellen Film zu verbinden. Herausgekommen ist das Klischee eines Problemfilms. Das ist nicht witzig und es ist nicht klug.
Das Schlimmste was ein Clown tun kann, ist aber zu langweilen.
Trailer „Joker 2: Folie à Deux“, seit 3.10.2024 im Kino
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