Magie ist ein schillernder Begriff, der sich nicht leicht fassen lässt. Letztlich aber geht es darum, das Schicksal zu beeinflussen mit Praktiken und Ritualen, die modernen Vorstellungen irrational erscheinen. Dennoch zieht sich Magie als kulturgeschichtliches Phänomen wie ein roter Faden bis heute durch alle Epochen und Kulturen der Menschheit. Von Thomas Grasberger
Credits
Autor dieser Folge: Thomas Grasberger
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Christian Baumann, Hemma Michel, Carsten Fabian
Technik: Robin Auld
Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:
Josefine Biedinger, Kuratorin und Archäologin am Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale
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Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:
Die Sonderausstellung „Magie – das Schicksal zwingen“ ist im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) noch bis zum 13. Oktober 2024 zu sehen.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Erzähler
Er war die große Liebe ihres Lebens. Eines Tages jedoch verließ er die junge Frau – für eine andere. Und dafür sollte er büßen, der untreue Liebhaber. Schmerzen sollte er erleiden – so lange, bis er zu der Verlassenen zurückkehrte.
Erzählerin
Doch wie sollte das gehen? Sein Herz hatte ja längst anders entschieden. Das ahnte auch die enttäuschte Frau. Daher wählte sie eine spezielle Methode, einen magischen Liebeszauber. Sie nahm sich einen 30 Zentimeter großen Block aus Pflaumenholz und fing an zu schnitzen. Schon bald waren die Umrisse eines Menschen erkennbar; zwar nur grob, aber um künstlerische Details ging es ja nicht. Kaum war die Puppe fertig, schlug ihr die liebeskranke Frau eiserne Nägel ins Holz. Vier in den Schädel, und einen mitten ins Herz hinein. Der schmerzhafte Liebeszauber konnte nun wirken.
Erzähler
Glaubt man den Quellen, so hat die Rachepuppe ihr Ziel nicht erreicht. Der Ex kehrte nie wieder zu seiner früheren Geliebten zurück. Dass die Holzpuppe dennoch zu einem wertvollen Objekt für die Wissenschaft wurde, hat mit ihrem Herstellungsdatum und ihrer Herkunft zu tun. Das Nadelpüppchen war nämlich kein Jahrtausende altes Relikt, wie wir es aus Mesopotamien, Ägypten oder dem alten Rom kennen. Es war erst in den 1950er Jahren entstanden, im nördlichen Saarland. Und 2024 landete es auf einem Ausstellungsplakat im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle an der Saale. Der Titel der Schau: „Magie – Das Schicksal zwingen“
Musik: Mystic tendency (c) 0‘28
Erzählerin
Magie ist ein schillernder Begriff, der sich nicht leicht fassen lässt. Um ihn ranken sich zahlreiche Geschichten von übernatürlichen Kräften und rituellen Handlungen, von geheimnisvollen Sprüchen und Gegenständen, mit denen sich angeblich handfeste Wirkungen erzielen lassen.
Erzähler
So weit, so rätselhaft. Wer sich wissenschaftlich mit dem Thema befasst, um Licht ins Halbdunkel der magischen Welt mit ihren Voodoo-Püppchen, Hexenfläschchen und Nachgeburtstöpfen zu bringen, braucht eine genaue Definition des Begriffs. Die studierte Archäologin Josefine Biedinger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Landesmuseum Halle. In der Sonderausstellung, sagt Biedinger, werde Magie verstanden als eine erlernbare Fähigkeit,
ZSP 1 Bied was 0,17
Die von jedem aufgenommen werden kann. Die sich von Religion zum Beispiel insofern unterscheidet, dass man keine Götter braucht, die man auf seine Seite ziehen muss, durch Opfer zum Beispiel oder beten, sondern dass es etwas ist, das man selber ausführen kann, um eben sein Schicksal selbst zu bestimmen.
Erzählerin
Sein Leben in die eigene Hand nehmen, um die persönliche Zukunft positiv zu gestalten – dieses Anliegen erscheint durchaus plausibel. Die Wahl der Mittel hingegen aus heutiger Sicht eher nicht. Und doch gab es zu allen Zeiten magische Bemühungen, sagt Josefine Biedinger, weil Menschen stets Hoffnungen und Ängste haben.
ZSP 2 Bied warum 0,20
Jeder wollte schon immer sein Hab und Gut schützen, sein Haus schützen, seine Familie schützen. Und weil die Menschen eben so viele Sorgen hatten oder Wünsche und die sich nicht immer durch ihre eigenen Taten herbeiführen ließen, hat man eben versucht, sich auf andere Mittel zu berufen, um das dann auch wirklich herbeizuführen.
Musik: Lydian 0‘38
Erzähler
Die Mittel der Magie! Sie gehorchen oft eigenen Gesetzen, die von den Naturgesetzen abweichen. Magische Urformen finden wir vermutlich schon in der Steinzeit, sagt die Archäologin Biedinger. Bereits damals trugen Menschen Amulette aus fossilen Muscheln oder nutzten Farben, um Zeichen an die Wände ihrer Höhlen zu malen. Magie als kulturgeschichtliches Phänomen zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Menschheitsgeschichte.
ZSP 3 Bied Quellen 0,28
Die ersten schriftführenden Kulturen in Mesopotamien und Ägypten haben alle Belege von Magie. Wir haben diverse griechische Geschichtsschreiber, die eben über Magie in allen Formen reden. Wir haben römische Geschichtsschreiber, die sich teilweise auch lustig drüber machen. Also zum Beispiel bei der Zukunftsschau sagen, ja, das ist natürlich alles Humbug. Also die Kritiker hat es auch immer gegeben. Insofern in jeder Kultur, zu der wir Schrift haben, haben wir auch irgendeine Erwähnung von Magie, in welcher Form auch immer.
Musik: Ancient world 0‘55
Erzählerin
Gewisse Grundmuster dieses globalen Phänomens kehren immer wieder. Zum Beispiel die Vorstellung, dass eine Puppe einen bestimmten Menschen repräsentiere. Was ich ihr antue, etwa mit Nadeln, wirke sich dann auch auf den realen Menschen aus. Wie im Kleinen, so im Großen! Dieses Denken in Analogien ist gepaart mit der Vorstellung von Ursache und Wirkung. Denn Mikrokosmos und Makrokosmos, so die Annahme, beeinflussen sich gegenseitig.
Erzähler
Vor diesem Hintergrund erscheint es auch plausibel, wenn man eine grüne Eidechse blendet und in ein Glas sperrt, in der Hoffnung, die Selbstheilungskräfte des Tieres würden bald auf den Menschen überspringen, der sein Augenleiden kurieren will.
Erzählerin
Die magische Methode funktioniert immer. Wenn man dran glaubt. Sollte sie tatsächlich mal nicht funktionieren, dann hat eben der Magier beim Ritual was falsch gemacht. Zum Beispiel den Zauberspruch nicht richtig aufgesagt. Das magische System an sich aber wird nicht in Frage gestellt. Allenfalls die angestrebten Ziele. Denn seit jeher werden zwei Formen von Magie unterschieden.
ZSP 4 Bied zwei Formen 0,20
Die sogenannte weiße Magie, die eben dazu da ist, anderen Leuten zu helfen, sich selber zu helfen, Krankheiten zu heilen oder sich selber zu schützen. Da fallen eben auch Amulette rein, die Unheil abwenden sollen. Das andere ist die schwarze Magie, die eben dazu da ist, anderen Leuten seinen Willen aufzuzwingen, anderen Leuten zu schaden, Rache zu üben, solche Dinge.
Musik: School of wizards 0‘38
Erzähler
Zur schwarzen, also bösen Magie wird übrigens auch der Liebeszauber gerechnet, weil er das Opfer manipulieren und um seinen freien Willen bringen will. Die magische Trennlinie zwischen schwarz und weiß lässt sich freilich nicht immer scharf ziehen. Auch wenn es seit alters versucht wird. Im 18. Jahrhundert vor Christus zum Beispiel, im Codex Hammurabi. Diese berühmten Sammlungen von Rechtssprüchen aus dem antiken Mesopotamien regelten alle möglichen Aspekte des Lebens. Auch Zauberei und magische Praktiken.
Erzählerin
Wenn etwa jemandem vorgeworfen wurde, er habe sich schwarz-magischer Methoden bedient, um einem anderen zu schaden. Der Beschuldigte wurde vor Gericht gestellt und musste in einen Fluss springen. Ging er unter und ertrank, dann war er schuldig. Das Haus des ertrunkenen Schwarzmagiers bekam sein Kontrahent. Ging aber der Beschuldigte nicht unter, dann galt er als unschuldig. Und sein Ankläger wurde hingerichtet.
Erzähler
Mit heutigen Rechtsvorstellungen ist dieses Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Der Zweck des Verfahrens aber wird deutlich, sagt Josefine Biedinger: Zauberei und verbotene schwarz-magische Praktiken sollten verhindert werden.
ZSP 5 Bied alltäglich 0,22
Wo aber auch gleichzeitig klar wird, dass andere Formen von Magie erlaubt sind. Also dass Magie einfach etwas sehr Alltägliches war für den Menschen. Wir kennen aus dem mesopotamischen Raum zum Beispiel auch ein Hexenabwehrritual, das benutzt wurde, um den Fluch einer Hexe von sich abzuwenden. Also auch da wieder der Schutz vor schwarzer Magie. Also diese Angst war sehr reell für die Leute, die zu dem Zeitpunkt gelebt haben.
Musik: Historic secrets 0‘48
Erzählerin
Und keineswegs nur damals. Denn Ängste gibt es zu allen Zeiten, in allen Kulturen. Zum Beispiel die Angst vor Wiedergängern, die – auf unnatürliche Weise ums Leben gekommen – weiter als Untote auf der Welt herumspuken. Oder die Angst vorm bösen Blick. Als „Fenster der Seele“, sagt man, sei das menschliche Auge besonders empfänglich für missgünstige, unheilbringende, neidvolle Blicke. Die gelte es abzuwehren, etwa mit vulgären Gesten wie der Ficus-Geste, bei der der Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt wird.
Erzähler
Vor bösen Blicken schützen angeblich auch die Darstellungen von Augen. Schon die alten Ägypter malten sie auf den Bug ihrer Schiffe, damit diese wieder heil in den Hafen zurückkehrten. Solche Augen sind heutzutage noch an modernen Kreuzfahrtschiffen zu sehen. Auch „Magie-to-go“ war stets sehr beliebt: Objekte, die man sich um den Hals hängt, damit sie vor bösen Blicken schützen – Augenamulette etwa oder Phallus-Amulette.
ZSP 6 Bied Talisman 0,21
Das Amulett schützt mich vor Dingen, der Talisman dagegen soll mir Glück bringen. Also das eine wehrt etwas ab und das andere führt etwas herbei. Die können beide aus allem Möglichen hergestellt sein. Das kann zum Beispiel auch eine Hasenpfote sein. Es muss eine Bedeutung haben für mich als Person. Und diese Bedeutung kann natürlich daher kommen, dass ich denke, dass das Material irgendwie besonders ist. Das muss aber nicht so sein.
Erzählerin
Manchen Gegenständen wird besondere Schutzkraft nachgesagt. Dem Georgs-Taler zum Beispiel, der bei Soldaten sehr gefragt war. Denn so eine Münze mit dem Abbild des heiligen Georg soll einst im Dreißigjährigen Krieg einem sächsischen Offizier das Leben gerettet haben: die tödliche Gewehrkugel war in der Münze steckengeblieben.
Erzähler
Der perfekte Glücksbringer fürs Schlachtengetümmel also. Genau in die andere Richtung sollten die Täfelchen aus Blei wirken, die in der römischen Antike gern zum Einsatz kamen. Gegner aller Art, sei es im Sport, vor Gericht oder im Geschäftsleben, wurden mit solchen Täfelchen verflucht.
Musik: Archaic power 0‘40
Erzählerin
Zum Beispiel ein gewisser Artemios, der als Wagenlenker der blauen Circus-Partei in Rom um 400 nach Christus lebte. Mit herkömmlichen Methoden war dem erfolgreichen Rennfahrer der Sieg offenbar nicht streitig zu machen. Deshalb rief ein missgünstiger Rivale die Göttinnen und Dämonen gegen Artemios an,
Zitator:
„dass er kopflos, fußlos, kraftlos ist mit den Pferden der Blauen.“
Erzähler
Auch Bayern kommt in der Magie-Ausstellung von Halle nicht zu kurz. Am Beispiel von Wetterkerzen, wie sie heutzutage noch in den Devotionalien-Läden bayerischer Wallfahrtsorte zum Kauf angeboten werden. Solche geweihten Kerzen sollen vor Sturm, Hagel und Blitzschlag schützen. Obwohl Blitzableiter und Elementarversicherung längst erfunden sind.
Musik: Perchten-Tanz 0‘43
Erzählerin
Ebenfalls aus Bayern, nämlich dem oberbayerischen Kirchseeon, stammen Bilder von zeitgenössischen Perchtenmasken. Mit solchen Holzmasken ziehen junge Männer bei traditionellen Perchtenläufen durch die Straßen, um lärmend die bösen Geister des Winters zu vertreiben. Eine Tradition heidnischen Ursprungs, die lange Zeit von der Kirche verboten war.
Erzähler
Denn solche frei vagabundierenden magischen Praktiken, die potenziell jeder ausüben kann, benötigen keinen festen Glauben an eine Religion. Sie brauchen auch keine Götter und keine Priester. Was Kirchenoberen natürlich nicht gefallen kann. Andererseits sind Magie und Religion immer schon eng miteinander verbunden gewesen, sagt Josefine Biedinger.
ZSP 7 Bied Magiegötter 0,20
Man kann gerade in den alten Kulturen Magie nicht hundertprozentig von Religion trennen, weil es in den frühen Wüstenkulturen, die Magie praktiziert haben, spezifische Götter gab. Also die Hekate bei den Griechen, den Tod bei den Ägyptern, die Mesopotamier hatten gleich mehrere Magiegötter. Also es gab immer jemanden, der irgendwie dafür zuständig war.
Musik: Archaic secrets 1‘00
Erzählerin
Letztlich kommt keine Religion ohne Magie aus. Die Wunder zum Beispiel, die in der katholischen Kirche als ein Kriterium für Heiligsprechung gelten, haben durchaus magische Qualitäten. Offiziell als Wunder anerkannt werden sie aber erst nach sorgfältiger Prüfung durch höchste kirchliche Stellen. Alles andere gilt als Aberglauben und Zauberei.
Erzähler
Der „Magus“, der „Wissende“ war einst gleichbedeutend mit einem Priester der zoroastrischen Religion im alten Persien. Das Wort Magie wanderte dann durch die Jahrhunderte und wandelte sich. Auch im Neuen Testament ist von einem Magier namens Simon die Rede, der die Menschen mit Zauberei beeindruckte. Wegen seiner Lehren und Praktiken wird Simon oft als erster Häretiker des Christentums bezeichnet.
Erzählerin
Auch Kirchenväter wie Tertullian, Hieronymus und Augustinus setzten sich kritisch mit Magie auseinander und verurteilten ihre Praktiken. Weil die sich aber nicht völlig ausmerzen ließen, wurden sie mitunter ins Glaubenssystem integriert. Vor allem in der Volksreligion der einfachen Leute gab es kein strenges „Entweder oder“, sagt Josefine Biedinger.
ZSP 8 Bied Religion 0,35
Wir haben zum Beispiel diese schöne Münze in der Ausstellung, die auf der einen Seite eine christliche Darstellung hat, nämlich ein Herz mit durchbohrten Händen und Füßen, also mit den Jesus-Malen und auf der anderen Seite aber das Sator-Arepo-Quadrat, also etwas, was im magischen Kontext benutzt wird, wo offensichtlich sich jemand gedacht hat, okay, er geht auf Nummer Sicher und nimmt einfach beides.
Musik: Historic secrets (b) 0‘37
Zitator
„SATOR AREPO TENET OPERA ROTAS“
Erzähler
Seine magische Wirkung entfaltet dieser Sator-Arepo-Spruch, weil er ein Satzpalindrom ist. Man kann ihn vorwärts oder rückwärts lesen, von oben nach unten oder umgekehrt – der Satz lautet immer gleich. Schon in der römischen Antike kam das den Menschen magisch vor. Und so wurde Sator-Arepo zur Schutzformel, die vor Übel aller Art bewahren sollte.
Erzählerin
Dass dieser Satz nicht einfach zu übersetzen ist, macht ihn noch geheimnisvoller. Manche sehen in Arepo einen Eigennamen, andere lesen den Spruch im Sinne von „Der Schöpfer hält die Werke in Gang". Oder sinngemäß „Man erntet, was man sät“.
Erzähler
Andere Zauberformeln wie „Hokuspokus“ oder „Abrakadabra“ sind längst sprichwörtlich geworden. Als magisch klingendes Kauderwelsch, das oft auch zur inneren Anwendung gebracht wurde. Nämlich auf sogenannten Schluckzettelchen. Auf die hat man Zaubersprüche geschrieben, danach wurden sie zusammengefaltet und von einem Hilfesuchenden verschluckt.
ZSP 9 Bied Schluckzettelchen 0,21
Die Kirche hat das natürlich nicht gerne gesehen, konnte es aber auch nicht einstellen. Und da sieht man die Christianisierung sehr schön, dass es dann eben kein Verbot von Schluckzettelchen gibt, sondern die haben dann einfach ihre eigenen hergestellt mit einem Marienbild drauf. Und dann hat man statt den heidnischen Zaubersprüchen stattdessen die Gottesmutter verschluckt und das hat dann genauso gut verholfen. Also es war dieselbe Tradition, bloß mit neuer Farbe.
Musik: White whereever you look 0‘27
Erzählerin
Die Menschen früherer Zeiten waren nicht dümmer als wir heute. Sie hatten nur andere Möglichkeiten, Herangehensweisen und Weltanschauungen, um Lösungen für ihre Probleme zu finden. So waren magische Rituale und Praktiken für sie wichtige und durchaus praktische Mittel im Kampf gegen Krankheiten.
ZSP 10 Bied Medizin 0,21
Das ganze Medizinische ist ja an einem bestimmten Zeitpunkt auch immer irgendwie mit Magie behaftet, dass sie sagen, ah, okay, jetzt haben mich eben die Götter geheilt und dabei war es eben irgendeine Salbe. Das ist ja schon bis zu einem gewissen Grad fast schon Wissenschaft gewesen. Man musste wissen, wie man diese Salben zusammen mischt, ohne dass man Leute vergiftet oder eine andere Wirkung erzielt. Es war bloß einfach ein magischer Gedanke dahinter.
Erzähler
Nicht umsonst wurden Magie und Zauberei seit der Antike als „Kunst“ bezeichnet – Kunst im Sinne von Wissenschaft. Auch wenn die „Wissenschaftlichkeit“ dieser „ars magica“ aus heutiger Perspektive zweifelhaft erscheinen mag.
Erzählerin
Ein berühmtes Beispiel für einen Gelehrten des frühen 16. Jahrhunderts ist Doktor Johann Georg Faust, der in Deutschland viel Aufsehen erregte als Magier, Alchemist, Astrologe und Heiler. Abenteuerliche Legenden rankten sich um diesen Doktor, der schließlich Eingang fand in die große Literatur. Johann Wolfgang von Goethe schuf zu Beginn des 19. Jahrhunderts in „Faust“ eine Figur, die in ihrem Streben nach Wissen auch einen Pakt mit dem Teufel nicht scheute.
Musik: Deserted and destroyed 0‘40
Zitator:
Drum hab ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis würde kund.
Erzählerin
Seit Ende des 15. Jahrhunderts wurden magische Praktiken rigide bekämpft. Bei den sogenannten Hexenverfolgungen, die ihren Höhepunkt zwischen 1570 und 1630 erlebten, wurden in Europa schätzungsweise 40.000 bis 60.000 Menschen hingerichtet. Vor allem Frauen. Es ist ein trauriges Kapitel europäischer Geschichte, sagt Josefine Biedinger.
ZSP 11 Bied Hexen 0,28
Dass man eben alles verfolgt hat, was irgendwie anders ist, vor dem man irgendwie Angst haben kann. Zum Beispiel Wissen, was einem sich selber nicht erschlossen hat. Also letzten Endes ist ja ganz viel von dem, was wir heute unter Magie verstehen, nichts anderes gewesen als sehr altes Wissen. Also zum Beispiel Kräutermedizin, das, was wir jetzt als magische Kräuter bezeichnen, das ist im letzten Ende einfach nur in irgendwelchen diversen Salben benutzt worden. Und das hat man dann natürlich alles verfolgt, einfach weil man es nicht verstanden hat und weil man es auch nicht konkurrierend wollte zum eigenen Glauben.
Musik: Ti-Roro drums solo 0‘28
Erzähler
Wenn heute von Magie die Rede ist, lässt das Wort Voodoo meist nicht lange auf sich warten. Obwohl man die Voodoo-Religion in Haiti keineswegs auf Magie reduzieren kann, gibt es in ihr Untergruppen, die angeblich heute noch magische Rituale einsetzen. Wie zum Beispiel die Bizango-Geheimgesellschaft. Im großen Eingangsbereich des Landesmuseums von Halle steht eine Installation mit modernen Kunstwerken aus Haiti. Zu sehen sind sieben lebensgroße Bizango-Figuren, eingesperrt in einem Käfig. Jede einzelne hat ihre ganz bestimmte Funktion im magischen Ritual.
ZSP 12 Bied Bizango 0,24
Diese Geheimgesellschaft zum Beispiel benutzt angeblich, weil das ist alles nicht belegt, diese Figuren, also die Bizango-Armee wird das genannt, um diverse Geister auf ihre Seite zu ziehen, um eben für Sicherheit auf den Straßen zu sorgen. Das ist eigentlich der Hintergrundgedanke, dass da, wo zum Beispiel die Polizei nicht durchgreift und nicht für Sicherheit sorgt, dass man da Magie benutzt, um das dann selber durchzusetzen.
Erzählerin
Solche Rituale mögen uns in modernen Industrie-Gesellschaften seltsam vorkommen. Aber sind wir selbst völlig frei von magischem Denken?
Musik: "A Kind of Magic" 0‘25
Erzählerin
Nicht nur in Popsongs wie „A Kind of Magic“ von Queen oder in Harry-Potter-Verfilmungen spielt Magie heute eine Rolle. Auch im Alltag bleibt das Phänomen lebendig. Seit Jahrzehnten befragen Meinungsforscher Menschen zum Thema Aberglauben. Die Ergebnisse sind recht konstant. Auch in unserer durch Technik und Wissenschaft geprägten Zeit haben Magie und Aberglaube ihre Anziehungskraft nicht verloren. 2021 gaben immerhin 30 Prozent der Befragten an, hin und wieder abergläubisch zu sein. Frauen mit 39 Prozent deutlich häufiger als Männer, bei denen es nur 21 Prozent waren.
Erzähler
So sah jede und jeder Zweite in einem vierblättrigen Kleeblatt einen Glücksbringer, klopfte auf Holz oder trug einen Glückspfennig bei sich. Und immerhin 39 Prozent jener, die hin und wieder abergläubisch sind, glauben, dass die Zahl 13 Unglück bringt. Auch der Blick ins Horoskop der Tageszeitung gehört für viele zum morgendlichen Frühstücksritual.
Erzählerin
Nachfrage gibt es also selbst in unseren Zeiten noch zuhauf. Was dann mitunter kommerzielle Anbieter „magischer“ Dienstleistungen auf den Plan ruft. Vor allem im Internet.
ZSP 13 Bied heute 0,23
Es werden Liebeszauber angeboten, es werden Schadenszauber angeboten, es werden Glückszauber angeboten, Geldsegen zum Beispiel. Es gibt diverse Urteile auch, tatsächlich moderne, in denen Geldmacher in Anführungszeichen verurteilt wurden, weil sie eben Leuten das Geld aus der Tasche gezogen haben mit magischen Versprechen. Also es ist schon noch ein aktuelles Thema, dass die Leute weiterhin beschäftigt.
Musik: Cosmetic wonder 0‘39
Erzähler
Um einiges billiger als der Internet-Zauber sind vermutlich die Vorhängeschlösser, die manche Paare an Brücken oder Zäunen befestigen, um den geliebten Partner an sich zu binden. Möglichst für immer, weshalb auch der Schlüssel zum Schloss weggeworfen wird. Bleibt zu hoffen, dass diese Art von Magie wirkt. Immerhin würde man sich so eine schmerzhafte Trennung ersparen. Und eine Rachepuppe, die mit Nadeln durchbohrt wird, müsste man dann auch nicht basteln.
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