In einer halbleeren Kirche sind die ersten Bänke oft leer. Vielleicht sitzen Kinder dort oder einige alte Frauen, die näher bei der Muttergottes oder dichter am Redner sitzen möchten, weil sie dort besser hören.
Im Gleichnis Jesu ist es andersherum. Ganz vorne im Tempel steht der Pharisäer. Er rühmt sich seiner Gesetzestreue und seines Engagements. Ganz hinten kauert der Zöllner, traut sich nicht aufzuschauen und bittet Gott um Gnade.
Das Gleichnis Jesu erzählt von einer Welt, in der die vorderen Plätze im Tempel die der Angesehenen sind, die ein Recht auf einen Platz in der Nähe des Heiligen beanspruchen. Hinten auf der Armesünderbank jedoch sitzen die, deren Status in der Gemeinde prekär ist.
Das war bei uns vor 100 Jahren auch noch so. Aber vielerorts kehrt es sich um: Nach vorne trauen sich die Kinder, die alte Frau, die nicht mehr lange Zeit hat, solche, die etwas durcheinander fromm sind, und einige, denen es egal ist, von den anderen für Streber gehalten zu werden. Hinten sitzen mitunter dann die, die nicht für simpel, unkritisch oder bigott gehalten werden wollen und sich lieber eine gewisse Distanz zum Ganzen bewahren. Die, die entweder von ihrer Gerechtigkeit überzeugt oder auf ihre Durchschnittlichkeit ganz stolz sind und sich denken: „Danke, dass ich nicht so bin wie die Frömmler da vorne.“
Wir leben am Anfang einer Zeit, in der die „Angesehenen“ nicht mehr vorne in der Kirche gesehen werden wollen, und in der sich die Kleinen, die „Armen im Geiste“ und die nach Gottes Erbarmen Durstigen nach vorne trauen. Das sollte uns nicht traurig machen. Mir scheint, dass dieser Platztausch ein wirklich gutes Zeichen ist. Bleibt nur noch die Frage, wo wir sitzen wollen…
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