Wie konnte der Eindruck entstehen, dass Jesus das Gesetz des Mose aufhebt? Der Neutestamentler Klaus Berger verglich in einem Vortrag das Volk Gottes einmal mit einer weiten grünen Weide. Diese Weide umgibt ein Stacheldrahtzaun, der das Verlaufen der Herde und das Einbrechen feindlicher Mächte verhindern soll. Das Lebensgesetz des Volkes Gottes hat seine Kontur am Zaun. Klaus Berger meinte, Leute, die sich immer am Gesetz abarbeiten, glichen Kühen, die sich am Stacheldraht blutig kauen, anstatt in der Mitte der Wiese die Weide zu genießen.
Wo das Volk Gottes seine Lebensform von Gott her erkannt und lieb hat, da ist Gott in der Mitte und das Gesetz im Rücken. Das Gesetz spielt buchstäblich nur eine Rolle am Rand, weil es den Raum beschreibt, in dem es nicht um das Gesetz, sondern Gott um uns und uns um Gott geht.
In Jesus wird Gott, der die Mitte ist, ein Mensch. Und um der zerstreuten Menschheit willen verlässt die Mitte nun die Weide. Er geht in das feindliche Land, um die Menschen zu sammeln. Er bleibt die Mitte des Volkes Gottes – aber der Raum, das Gesetz, bekommt eine andere Kontur.
In der Zugehörigkeit zu Christus besteht die Erfüllung des Gesetzes nicht bloß im Bleiben innerhalb des Zaunes. Sie besteht darin, dass wir auf die Mitte hin und von der Mitte her leben, die Christus selbst ist. Von der Mitte her: indem wir mit ihm unsere Nächsten lieben. Zu der Mitte hin: indem wir mit unseren Nächsten ihn lieben, der die Mitte des Lebensgesetzes Gottes ist.
Fra' Georg Lengerke
view more