Je länger ich mich mit dem Evangelium beschäftigte, umso kostbarer wird es mir und umso klarer werden mir die schrecklichen Missverständnisse, die es provozieren kann. So heute: Der Menschensohn „muss leiden“, als wäre von Gott so festgelegt. Wir sollen uns „verleugnen“, als sollten wir nicht wir selbst sein. Wir sollen unser Leben verlieren um seinetwillen, als wäre das irdische Leben nichts wert.
Je besser wir Jesus Christus und uns selbst kennen, umso besser werden wir verstehen, was gemeint ist und was nicht. Jesus muss nicht sterben, weil Gott das will, sondern weil die Menschen es wollen. Die Liebe Gottes aber muss das aushalten, denn sie will auch aus diesem Allerschrecklichsten das Wunder der Weltenrettung wirken.
Wir sollen nicht verleugnen, was wir sind, sondern was wir in dauernder Selbstreflexion zu sein meinen. Wer wir sind, erfahren wir in der Begegnung mit einem anderen Du. Aber um selbstvergessen beim Anderen zu sein, müssen wir uns auf ihn verlassen. Wer sich so auf das Du Gottes (in jedem Antlitz) verlässt, der entdeckt, wer er von Gott her ist. Erst wenn wir unsere Bilder von uns selbst verleugnen, werden wir uns selbst und einander im Angesicht Gottes finden.
Wer jedoch für die Liebe Gottes zu den Menschen lebt, für den ist nicht mehr das Leben, sondern das, wofür er lebt das höchste Gut. Wer weiß, wofür sich zu leben und zu sterben lohnt, dem wird sein Leben erst recht kostbar. Aber „wem nichts mehr wert ist als sein Leben, dem ist sein Leben nichts mehr wert.“ (Jörg Splett)
Fra' Georg Lengerke
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