Was hätten wir in der Zeit unserer Vorfahren getan? „Wir wären nicht wie sie am Tod der Propheten schuldig geworden“, lässt Jesus die Schriftgelehrten und Pharisäer sagen. Wir hätten Widerstand geleistet. Wir wären auf der richtigen Seite gewesen.
Je sicherer sich Menschen dessen sind, umso dünner scheint mir die Decke der Zivilisation zu sein. Ein junger katholischer Politiker erklärte mir neulich, das Lebensrecht ungeborener Menschen sei religiöse Ansichtssache. Leute, die angeblich gegen jede Diskriminierung sind, hören an einem bestimmten Punkt einfach auf zu denken. Auf einem Seminar über das christliche Menschenbild erinnere ich die Teilnehmer daran, dass keinem Menschen aufgrund seiner Herkunft, Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung die Würde oder das Recht auf Leben abgesprochen werden dürfe. Soweit zustimmendes Nicken. Das gelte übrigens auch für das Alter vom ersten bis zum letzten Augenblick des Lebens – egal, wo sich dieser Mensch befinde und ob er gesund sei oder nicht. Da war es mit der Einigkeit vorbei, und ein Teilnehmer sagte unter dem Nicken anderer, darüber wolle er nicht urteilen.
Ist das besser als zu sagen, man hätte von den Deportationen und den Lagern nichts gewusst?
Es mag Ausnahmen gegeben haben. Aber in der Schuldgeschichte der Welt sind wir „Söhne von Prophetenmördern“. Und wir sind gefährdet wie sie. Anstatt uns auf dem Richterstuhl der Geschichte über das Leben unserer Vorfahren zu erheben, sollten wir angesichts ihres gebrochenen Lebens vor allem eins tun: uns bekehren.
Fra' Georg Lengerke
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