Genau vor 30 Jahren war ich als Flüchtlingshelfer mit den Maltesern in Budapest. Ich war 21 Jahre alt und begegnete Gleichaltrigen, deren Eltern in Karl-Marx-Stadt oder Jena nur wussten, dass ihre Kinder zum Urlaub an den Plattensee fuhren. In Wirklichkeit hatten viele schon entschieden, dass sie über die „grüne Grenze“ in den Westen „rübermachen“ würden. Nach menschlichem Ermessen ein Abschied für immer.
Bei der Frage nach meiner Berufung hatte mich das seitdem umgetrieben: Was für eine Stimme, was für eine Macht, was für eine Verheißung müsste das sein, auf deren Ruf hin ich – wie sie – alles stehen und liegen ließe und aufbräche, auch wenn das schlimmstenfalls den Eltern das Herz bräche?
An diesen Vorrang des Rufes in die Freiheit vor dem Willen der Eltern muss ich bei dem Wort Jesu über den Vorrang der Nachfolge Christi vor der Anhänglichkeit gegenüber den Eltern und natürlichen Verwandten denken.
Auch wenn die Kirche die natürliche Familie hochschätzt, muss sie sich und andere doch daran erinnern, dass Jesus der Heiligsprechung der natürlichen Verwandtschaft vehement widerspricht. Sie muss – hart gesagt – „entgötzt“ werden, damit wir die Mutter nicht länger mit der Welt und den Vater nicht länger mit Gott verwechseln. Und damit die Mensch gewordene Liebe Gottes selbst bei uns ankommen kann.
Wo wir einander mit Christus annehmen, werden wir einander auch lassen können. Wo wir einander aber um der Liebe Christi willen lassen, werden wir einander mehr sein, als wir es uns in der alten Anhänglichkeit je hätten träumen lassen.
Fra' Georg Lengerke
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