Mir kommt eine Slapstick-Szene in den Sinn: Ein Blinder erzählt einem anderen Blinden, er wisse genau, wo man hinmüsse, wo das ist und wie man da hinkommt. Ohne groß zu fackeln, nimmt er den anderen selbstbewusst am Arm, schreitet mutig aus und beide fallen – Platsch! – in die Grube. Vielleicht hat Jesus die Szene nicht so ausgeschmückt. Aber jedenfalls hat er Humor. Den brauchen wir auch. Denn diese Szene handelt von uns.
Ihr seid die Blinden, sagt Jesus, die besser im Korrigieren als im Korrigiertwerden, besser im Bescheidsagen als im Bescheidgesagtbekommen sind. Ihr habt ein äußerst sensibles Empfinden für den Splitter im Auge Eures Nächsten. Aber Ihr kommt nicht auf den Gedanken, dass Ihr einen Balken im Auge habt, der Euch die Sicht verbaut – den Ihr jedoch für die Messlatte der Welt haltet.
Während ich schreibe, kommen hier bei uns im Libanon neue, zum Teil sehr schwer behinderte Gäste an. Wieder beginnt ein Rollentausch. Die Volontäre sagen ihnen: Für die nächsten Tage gehst Du voran. Du zeigst mir Deinen Blick auf die Welt. Zu zeigst mir den Weg und ich gehe mit (außer in die Küche und mit beiden Händen in den Nudelsalat).
Wenn wir „alles lernen“ und, wie Jesus sagt, „wie der Meister werden“ wollen, dann brauchen wir Freunde, Weggefährten, Begleiter, die wir fragen: „Stimmst Du mit meiner Wahrnehmung meiner Lebenssituation, meiner Einschätzung der Lage, meiner Gewichtung der Dinge überein?“ Wo das der Fall ist, spricht einiges dafür, dass wir mit dem, was wir sehen, der Realität etwas näher gekommen sind.
Fra' Georg Lengerke
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