Maria und Marta sind in der Geschichte der Spiritualität Personifikationen zweier Haltungen: der Kontemplation und der Aktion. Diese sind allerdings nie isoliert voneinander realisierbar. Es braucht die Aktion des kontemplativen und die Kontemplation des aktiven Menschen. Deshalb lehren Meister der christlichen Spiritualität wie Ignatius von Loyola die Haltung des „contemplativus in actione“.
Es gibt einen Akt, der zwischen beiden Haltungen des Menschen und damit auch zwischen den beiden Schwestern liegt: das Aufhören.
Soweit ich sehe, wird in allen europäischen Sprachen das deutsche Verb ‚aufhören‘ immer nur mit Synonymen für ‚beenden‘ übersetzt. Aber ‚aufhören‘ ist mehr. Aufhören meint, dass jemand etwas hört und aufgrund dessen, was er hört, seine Tätigkeit beendet. Wer aufhört, der wird aus einer Tätigkeit gewissermaßen herausgerufen. Bei Wildtieren kann man das schön beobachten: Ein Reh äst auf einer Weide und hört abrupt damit auf, wenn es mich kommen hört. All sein Hören gehört in dem Moment mir.
Marta muss lernen, aufzuhören, um zu hören, was der Gast ihr zu sagen hat: darüber, was eigentlich zu tun ist, darüber, wie er sich an ihr freut, und darüber, wer sie für ihn und er für sie ist.
Auch der kontemplative Mensch muss zuweilen aufhören. Nämlich dann, wenn eine ihn angehende unmittelbare Not eines Menschen an ihn herantritt. Mit ihr tritt Christus an ihn heran, weil er will, dass seine Liebe im Dasein des Einen für den Anderen Fleisch wird.
Während ich schreibe, klingelt der Wecker meines Telefons zum Angelus. Ich muss aufhören.
Fra' Georg Lengerke
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