Mitunter braucht es einen Perspektivenwechsel, um mehr oder klarer zu sehen. Der geschieht bereits dort, wo ich mich in jemandes Situation versetze, um ihn zu verstehen. Oder durch einen Ortswechsel: z.B. im Urlaub, beim Besteigen eines Berges – oder eben beim Klettern auf einen Baum. Zachäus sucht einen Perspektivenwechsel. Er ist klein, die Leute versperren ihm die Sicht und werden mit dem korrupten Kollaborateur vermutlich auch nicht besonders freundlich gewesen sein. Weil er aber Jesus sehen will, klettert er auf einen Maulbeerfeigenbaum.
Aber dann ist gar nicht mehr die Rede davon, dass Zachäus Jesus sieht. Es wird vielmehr gesagt, dass Zachäus von Jesus gesehen wurde. Wenn ich die Perspektive wechsle, kann das passieren: dass nicht nur ich mehr oder anderes sehe, sondern dass ich mehr oder anders gesehen werde. Erst in seinem Perspektivenwechsel kommt Zachäus zum Vorschein.
Nun ist irgendwann der Urlaub vorbei, die Bergtour zu Ende und der abendliche Kinderhunger größer als die Kletterfreude. Das Gesehenhaben und das Gesehenwordensein bleibt. Jesus ruft Zachäus, schnell hinabzusteigen. Wohin? Hinab. Auf die Erde. Dorthin, wo Gott Mensch geworden ist. In das alltägliche Leben, das nur deshalb nicht sein altes Leben ist, weil er Jesus sah und von ihm gesehen wurde. Er, der sich verloren hatte, kann nun, da er gefunden wurde, wieder der werden, den Jesus sah: der Sohn Abrahams, der Erbe der Verheißung an Israel, der nun nur noch eines will: Jesus Christus – und damit Gott und seiner Gerechtigkeit – in seinem Lebenshaus Raum und Stimme geben.
Fra' Georg Lengerke
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