Das Gleichnis vom verlorenen Schaf klingt, als wären alle einverstanden: Wird der Hirte nicht die neunundneunzig zurücklassen, um das eine zu suchen? Und wird er sich hinterher über das Gefundene nicht mehr freuen als über die neunundneunzig übrigen?
Leute mit dem Sinn eines Hirten werden das verstehen. Menschen mit einer Herdenmentalität wohl eher nicht. Die ärgert es, dass der Hirt die Neunundneunzig der Gefahr preisgibt um des Einen Willen. Die fragen, ob der eine Verlorene es wert ist, dass sie zurückbleiben? Ist ausgerechnet er es wert, dass der Hirt sogar sich selbst verloren gibt, um den Irrläufer in der Verlorenheit zu finden? Und ist die „größere Freude“ über den Wiedergefundenen nicht eine Beleidigung der Gebliebenen?
Viele Christen betonen, dass Gott alle Menschen liebt, besonders die Ausgegrenzten. Aber oft sind damit nur die unschuldigen Opfer und die übrigen für halbwegs anständig gehaltenen Menschen gemeint. Doch „die Verlorenen“ sind nicht nur die guten Armen, sondern die Bösen; diejenigen, mit denen viele von uns die Kommunikation bereits abgebrochen haben und die sie am liebsten selbst verloren geben würden. Wenn wir mal ehrlich sind, ist es schwer erträglich, dass der gute Hirt wirklich keinen verloren geben will.
Diejenigen, die nicht nur Schafe sind, sondern den Sinn ihres Hirten haben, werden mitsuchen mit ihm, werden sich, wenn es sein muss, mitverloren geben mit ihm und – wie er – für „einen von denen“ gehalten werden. Vor allem aber werden sie sich mitfreuen und teilnehmen an jener bleibenden Freude, die „die größere“ ist.
Fra' Georg Lengerke
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