Denken in Schubladen ist im Volk Gottes offenbar ein altes Problem: Johannes fastet, also ist er „besessen“. Jesus isst und trinkt, also ist er „ein Fresser und Säufer“!
Das ist bis heute so. Ein paar Beispiele aus meiner Erfahrung: Wer ein Priesterhemd trägt, ist für die einen ein Klerikalfaschist. Wenn ihn zu viel Spitze am Gewand an Männerballett erinnert, ist er für die anderen antiklerikal. Wer glaubt, dass Gott einige als Priester in das sakramentale Gegenüber zur Gemeinde ruft, ist für die einen ein Fundamentalist. Wenn er sagt, dass vor allem Priester das Ansehen des sakramentalen Priestertums versaut haben, ist er für die anderen ein Nestbeschmutzer. Wer die Heilige Messe so feiert, wie sie im Messbuch steht, ist für die einen ein Traditionalist. Wenn er sie meistens auf Deutsch feiert, macht ihn das für die anderen zum Modernisten.
Natürlich hat es Leibverächter und Partylöwen in der Kirche immer gegeben. Aber nicht jeder, der fastet, ist schon ein Leibverächter, und nicht jeder, der Feste feiert, ein haltloser Geselle.
„Woran merke ich“, fragte mich neulich eine junge Frau, „ob ich in der Mitte bin?“ Daran, dass ich mit beiden Straßengräben im Gespräch bleibe. Daran, dass ich die Wahrheit Jesu Christi suche, um die es beiden Seiten noch gehen mag. Und daran, dass ich die Sorge der jeweils einen Seite um die Einseitigkeit der jeweils anderen zumindest verstehe.
In der Mitte der Straße geht die Weisheit, die Christus ist. Ihre Taten geben ihr Recht. Sie fastet und feiert, wenn es jeweils Zeit ist, und zieht jene an, die keine Angst davor haben, nur wenige zu sein.
Fra' Georg Lengerke
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