Der Friede hält nicht lange an. Bei der erneuten Verfolgung Davids durch König Saul kommt es zu einer denkwürdigen Situation. Der König zieht sich in eine Höhle bei En-Gedi zurück, „um seine Notdurft zu verrichten“. David hockt hinten in der Höhle, wiedersteht dem Rat und der Versuchung, König Saul umzubringen, und schneidet stattdessen ein Stück von dessen Gewand ab.
Manche Kommentatoren dieser Szene halten sie für „derb“ oder „humoristisch“. Aber gerade die denkbar schamhafte Situation der Erniedrigung des wütenden Königs gibt diesem Moment doch seine Größe. David hat seinen todgefährlichen Feind in der Hand – und schenkt ihm das Leben.
Die meisten von uns werden diese Situation so nicht kennen. Aber Jesus sagt uns, dass schon unsere Gedanken und Vorstellungen eine Realität sind. Also: Kenne ich die Vorstellung, das ein Widersacher, in einem schwachen Moment angetroffen, so sehr bluten muss oder so sehr beschämt oder anders unschädlich gemacht wird, dass er aufhört mein Widersacher zu sein?
Aus zwei Gründen schont David den gewaltigen Saul: Erstens, weil Saul der Gesalbte Gottes ist. Wer an den Gesalbten Gottes Hand anlegt, legt Hand an Gott. Und zweitens, weil er um das Herz des Königs wirbt, dessen Freund und Diener er sein will – obwohl er weiß, dass er ihn einmal ersetzen soll.
Warum sollten wir unseren Widerpart schonen? Weil er der Bruder oder die Schwester ist, für die Christus gestorben ist – egal wie groß seine Schuld sein mag. Und weil Gott durch Machtverzicht um unser Herz wirbt und Mitwerbende braucht, wenn das Herz des Feindes gewonnen werden soll.
Fra' Georg Lengerke
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