Weil ich von Salomo oder an seiner Stelle lernen will, halte ich einen Moment inne. Was würde er mir antworten, wenn ich ihn fragte, wie es dazu kommen konnte, dass er, der weiseste aller Könige, die anderen Götter verehrt? Er würde sich nicht entschuldigen mit der Verführung der fremden Frauen. Das wäre unter seinem Niveau. Es scheint mir auch eher eine literarische Spitze gegen Salomos politisch motivierte Allianzen zu sein. Vielleicht hätte er in etwa so geantwortet: „Gott hat mein Herz weit gemacht. – Wie könnte ich dann die anderen Götter ausschließen?“
Es muss im Leben und Wachsen Salomos irgendwann einen Knacks gegeben haben, nach dem ihm die Verehrung des einen Gottes eine Verengung zu sein schien. So als könnten ihm die Kulte der Astarte und des Milkom etwas geben, was ihm in der Verehrung JHWHs abginge.
Es stimmt: Gott hatte Salomos Herz weit gemacht. Aber eben auch weise. Und zur Weisheit des geweiteten Herzens gehört die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Gott und den Götzen. Die Verdunkelung des weiten Herzens Salomos begann damit, der Stimme zu glauben, die sagt: Gott und die Götter sind eins.
Das ist eine meiner Lebensaufgaben: Die Stimme zu entlarven, die mir sagt, Gott und die Götzen seien eins; jene Lüge, die mir mittels der geschaffenen Dinge die Stillung meiner Sehnsucht verspricht: von der heutigen Serie über Geld, Macht, Sex bis hin zum transhumanistischen Versprechen ewiger Gesundheit und Jugend. Je weiter das Herz, umso wichtiger die Unterscheidung der Weisheit: „Das Unersättliche kann sich nur an das Unerschöpfliche wenden.“ (Paul Claudel)
Fra' Georg Lengerke
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