Nach der dritten Leidensankündigung Jesu bitten ihn zwei Brüder (bei Matthäus ist es ihre Mutter), in der Vollendung der Welt die Plätze an seiner Seite zu bekommen. Jesus verweist sie auf den Weg dorthin, der erst noch mit ihm zu gehen sei, auf den „Kelch“ des Leidens und die „Taufe“ des Eintauchens in den Tod.
Die beiden Jünger sind für ihr Temperament bekannt: Sie haben über das Ziel den Weg vergessen, über den Himmel die sterbliche Erde und über die vollendete Herrlichkeit das tägliche Leben, das vollendet werden soll. Aber es gibt auch das Vergessen andersherum: Die Pharisäer zum Beispiel vergessen über das Bemühen um ihre Gerechtigkeit vor Gott die Gerechtigkeit Gottes vor ihnen. Immer, wenn Menschen das eine für alles halten (nur der Himmel oder nur die Erde, nur die eigene oder nur die Gerechtigkeit Gottes), ruft ihnen Jesus die jeweils andere Seite in Erinnerung. So kommen sie in die Mitte – dorthin, wo er ist.
So geht es auch vielen Christen heute: Die einen verdrängen oder vergessen über den Himmel die Erde, die anderen (häufiger) über die Erde den Himmel. Die einen vergessen über Christus die Armen, die anderen über die Armen Christus. Die einen vergessen über die Gerechtigkeit die Barmherzigkeit, die anderen über die Barmherzigkeit die Gerechtigkeit. Die einen über die Heiligkeit in der Kirche die Verbrechen in ihr und die anderen über die Verbrechen in der Kirche die Heiligkeit in ihr.
Die Reihe wäre verlängerbar. Und bei jedem Spannungsfeld erkenne ich bei mir eine Schlagseite. In der Fastenzeit nehme ich mir vor, jeweils mehr in die Mitte zu kommen – dorthin, wo ER ist.
Fra' Georg Lengerke
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