Ein gutes Ehepaar wünscht sich unbedingt ein Kind und als es dann endlich kommt, ist es ihnen auch egal, dass es nur so groß wie ein Daumen ist. Welche spannenden Abenteuer das winzige Männlein erlebt, erfahrt ihr in unserem heutigen Märchen.
Du wünschst dir, dass wir ein ganz bestimmtes Märchen vorlesen? Du hast Feedback zu diesem Podcast? Schreib uns gerne eine E-Mail an altemaerchen@julep.de
Daumesdick
Es war ein armer Bauersmann, der saß Abends beim Herd und schürte das Feuer, und die Frau saß und spann. Da sprach er "wes ist so traugi, dass wir keine Kinder haben! Es ist so still bei uns. In den andern Häusern gehts so laut und lustig zu." - "Ja," antwortete die Frau und seufzte, "wenns nur ein einziges wäre, und wenns auch nur ganz klein wäre, nur so groß, wie ein Daumen, so wollt ich schon zufrieden sein; wir hätten unser Kind doch von Herzen lieb." Nun geschah es, dass die Frau schwanger wurde und nach sieben Monaten ein Kind gebar, das zwar aussah wie ein Kind, aber nicht länger als ein Daumen war. Da sprachen sie "es ist, wie wir es uns gewünscht haben, und es soll unser liebes Kind sein," und nannten es nach seiner Gestalt Daumesdick. Sie ließen es dem Kind nicht an Nahrung fehlen, aber das Kind wurde nicht größer, sondern blieb genauso groß, wie es in der ersten Stunde war; doch schaute es verständig aus den Augen und zeigte sich bald als ein kluges und behendes Ding, dem alles glückte, was es anfing.
Der Bauer machte sich eines Tages fertig, um in den Wald zu gehen und Holz zu fällen; da sprach er so vor sich hin "nun wollt ich, dass einer da wäre, der mir den Wagen nach zieht." - "O Vater," rief Daumesdick, "den Wagen will ich schon bringen, verlasst euch drauf, er soll zur bestimmten Zeit im Walde sein." Da lachte der Mann und sprach "wie soll das zugehen, du bist doch viel zu klein, um das Pferd mit dem Zügel zu leiten." - "Das tut nichts zur Sache, Vater, wenn nur die Mutter es anspannen wird, ich setze mich dem Pferd ins Ohr und rufe ihm zu, wie es zu gehen hat." - "Nun," antwortete der Vater, "dann wollen wir es einmal versuchen." Als die Stunde kam, spannte die Mutter an und setzte den Daumesdick dem Pferd ins Ohr: da rief der Kleine, wie das Pferd gehen sollte, "jüh und joh! hott und har!" Da ging das Pferd ganz ordentlich genau wie bei einem Meister, und der Wagen fuhr den richtigen Weg in den Wald. Es trug sich zu, als er eben um eine Ecke bog, und der Kleine "har, har!" rief, dass zwei fremde Männer daher kamen. "Nein," sprach der eine, "was ist das? da fährt ein Wagen, und ein Fuhrmann ruft dem Pferde zu und ist doch nicht zu sehen." - "Das geht nicht mit rechten Dingen zu," sagte der andere, "wir wollen dem Karren folgen und sehen, wo er anhält." Der Wagen aber fuhr vollends in den Wald hinein und genau zudem Platz, an dem das Holz gehauen wurde. Als Daumesdick seinen Vater erblickte, rief er ihm zu "siehst du, Vater, da bin ich mit dem Wagen, jetzt hol mich herunter." Der Vater faßte das Pferd mit der linken und holte mit der rechten sein Söhnlein aus dem Ohr, das sich dann ganz froh auf einen Strohhalm niedersetzte. Als die beiden fremden Männer den Daumesdick erblickten, da wussten sie nicht, was sie vor Verwunderung sagen sollten. Da nahm der eine den andern zur Seite und sprach "hör, der kleine Kerl könnte unser Glück sein. Wir könnten ihn in einer großen Stadt für Geld zeigen: wir wollen ihn kaufen." Sie gingen zu dem Bauer und sprachen "verkauf uns den kleinen Mann, er solls gut bei uns haben." - "Nein," antwortete der Vater, "es ist mein Herzblatt für alles Geld und Gold in der Welt werde ich ihn nicht verkaufen." Daumesdick aber, als er von dem Handel hörte, kroch an den Rockfalten seines Vaters hinauf, stellte sich ihm auf die Schulter und sagte ihm ins Ohr "Vater, gib mich nur hin, ich will schon wieder zu euch zurück kommen." Da gab ihn der Vater für viel Geld den beiden Männern. "Wo willst du sitzen?" sprachen sie zu ihm. "Ach, setzt mich nur auf den Rand von eurem Hut, da kann ich ab und an spazieren und die Gegend betrachten und ich falle doch nicht herunter." Sie taten ihm den Gefallen, und als Daumesdick Abschied von seinem Vater genommen hatte, machten sie sich mit ihm fort. So gingen sie, bis zur Dämmerung. Dann sprach der Kleine "hebt mich einmal herunter, es ist nötig." - "Bleib nur droben," sprach der Mann, auf dessen Kopf er saß, "ich will mir nichts draus machen, die Vögel lassen mir auch manchmal was drauf fallen." - "Nein," sprach Daumesdick, "ich weiß doch auch, was sich gehört: hebt mich nur schnell herab." Der Mann nahm den Hut ab und setzte den Kleinen auf einen Acker am Weg, da sprang und kroch er zwischen den Schollen hin und her und schlüpfte dann auf einmal in ein Mausloch das er gesehen hatte. "Schönen Abend die Herren, geht nur ohne mich heim," rief er ihnen zu und lachte sie aus. Sie liefen herbei und stachen mit Stöcken in das Mausloch, aber das war eine vergebliche Mühe. Daumesdick kroch immer weiter zurück; und da es bald ganz dunkel wurde, so mussten sie mit Ärger im Bauch und mit einem leeren Geldbeutel wieder heim wandern.
Als Daumesdick merkte, dass sie fort waren, kroch er aus dem unterirdischen Gang wieder hervor. "Es ist hier auf dem Acker in der Finsternis so gefährlich," sprach er, "wie leicht bricht sicher einer hier Hals und Bein!" Zum Glück stieß er an ein leeres Schneckenhaus. "Gottlob," sagte er, "hier kann ich die Nacht sicher zubringen," und setzte sich hinein. Nicht lang, als er eben einschlafen wollte, so hörte er zwei Männer vorüber gehen. Davon sprach der eine "wie wir es nur anfangen, und den reichen Pfarrer um sein Geld und sein Silber zu bringen?" - "Das könnt ich dir sagen," rief Daumesdick dazwischen. "Was war das?" sprach der eine Dieb erschrocken, "ich hörte jemand sprechen." Sie blieben stehen und horchten, da sprach der Daumesdick wieder "nehmt mich mit, so will ich euch helfen." - "Ähm - Wo bist du denn?" - "Sucht nur hier auf der Erde und merkt, wo die Stimme herkommt," antwortete er. Da fanden ihn endlich die Diebe und hoben ihn in die Höhe. "Du kleiner Wicht, was willst du uns helfen!" sprachen sie. "Seht," antwortete er, "ich krieche zwischen den Eisenstäben in die Kammer des Pfarrers hinein und ich reiche euch heraus, was immer ihr haben wollt." - "Wohlan," sagten sie, "dann wollen wir mal sehen, was du kannst." Als sie bei dem Pfarrhaus ankamen, kroch Daumesdick in die Kammer, schrie aber gleich aus Leibeskräften "wollt ihr alles haben, was hier ist?" Die Diebe erschraken und sagten "sei doch leise, damit hier niemand aufwacht." Aber Daumesdick tat, als hätte er sie nicht verstanden und schrie von neuem "was wollt ihr? wollt ihr alles haben, was hier ist?" Dieses Geschrei hörte die Köchin, die in der Stube nebenan schlief, richtete sich im Bett auf und horchte. Die Diebe aber waren vor Schrecken ein Stück zurückgelaufen, endlich fassten sie wieder Mut, dachten "der kleine Kerl will uns necken," kamen zurück und flüsterten ihm hinein "nun mach Ernst und reich uns etwas heraus." Da schrie Daumesdick noch einmal, so laut er konnte, "ich will euch ja alles geben, reicht mir nur die Hände herein." Das hörte die Magd ganz deutlich, sprang aus dem Bett und stolperte zur Tür herein. Die Diebe liefen fort und rannten, als wäre der wilde Jäger hinter ihnen: die Magd aber, als sie nichts bemerken konnte, ging ein Licht anzünden. Als sie damit in die Stube kam, machte sich der Daumesdick, ohne dass er gesehen wurde, hinaus in die Scheune: die Magd aber, nachdem sie alle Winkel durchgesucht und nichts gefunden hatte, legte sich wieder zu Bett und glaubte, sie hätte mit offenen Augen und Ohren einfach nur geträumt.
Daumesdick war in den Heuhälmchen herumgeklettert und hatte einen schönen Platz zum Schlafen gefunden. Ja, da wollte er sich ausruhen, bis es Tag wäre, und dann zu seinen Eltern wieder nach Hause zu gehen. Aber er musste noch andere Dinge erfahren! Ja, es gibt viel Trübsal und Not auf der Welt! Die Magd stieg, wie gewöhnlich, als der Tag graute, schon aus dem Bett und wollte das Vieh füttern. Ihr erster Gang war in die Scheune, wo sie einen Arm voll Heu packte und zwar gerade das, in dem der arme Daumesdick lag und schlief. Er schlief aber so fest, dass er es nicht merkte, und auch nicht eher aufwachte als bis er in dem Maul einer Kuh war. "Ach Gott," rief er, "wie bin ich in die Walkmühle geraten!" merkte aber bald, wo er war. Da hieß es aufpassen, dass er nicht zwischen die Zähne kam und zermalmt ward, aber er musste doch mit in den Magen hinabrutschen. "In diesem Stübchen sind die Fenster vergessen," sprach er, "und es scheint keine Sonne hinein: ein Licht wird sich aber auch nicht finden!" Überhaupt gefiel ihm das Quartier schlecht, und was das schlimmste war, es kam immer mehr neues Heu zur Tür herein und der Platz wurde immer enger. Da rief er endlich in der Angst, so laut er konnte, "bringt mir kein frisches Futter mehr, bringt mir kein frisches Futter mehr." Die Magd melkte gerade die Kuh, und als sie jemanden sprechen hörte, ohne dass jemand zu sehen, und es dieselbe Stimme war, die sie auch in der Nacht gehört hatte, erschrak sie so, dass sie von ihrem Stühlchen herab glitt und die Milch verschüttete. Sie lief in der größten Hast zu ihrem Herrn und rief "ach Gott, Herr Pfarrer, die Kuh hat geredet." - "Du bist verrückt," antwortete der Pfarrer, ging aber doch selbst in den Stall um nachzusehen, was da vor sich ging. Aber kaum hatte er den Fuß hineingesetzt, so rief Daumesdick eben aufs neue "bringt mir kein frisches Futter mehr, bringt mir kein frisches Futter mehr." Da erschrak der Pfarrer selbst, meinte, es wäre ein böser Geist und befahl die Kuh zu töten. Nun wurde die Kuh geschlachtet, der Magen aber worin Daumesdick steckte, wurde auf den Mist geworfen. Daumesdick versuchte sich hindurch zu arbeiten, und hatte große Mühe damit, doch endlich brachte er es so weit, dass er Platz bekam, aber, als er eben seinen Kopf herausstrecken wollte, kam ein neues Unglück. Ein hungriger Wolf sprang vorbei und verschlang den ganzen Magen mit einem Schluck. Daumesdick verlor den Mut nicht, "vielleicht," dachte er, "lässt der Wolf mit sich reden," und rief ihm aus dem Wanst zu "lieber Wolf, ich weiß wo es einen tollen Fraß gibt." - "Wo ist der denn zu holen?" sprach der Wolf. "In dem und dem Haus, da musst du durch die Gosse hinein kriechen und wirst Kuchen, Speck und Wurst finden, so viel du essen möchtest," und beschrieb ihm genau seines Vaters Haus. Der Wolf ließ sich das nicht zweimal sagen, drängte sich in der Nacht zur Gosse hinein und fraß in der Vorratskammer nach Herzenslust. Als er satt war, wollte er wieder fort, aber er war so dick geworden, dass er denselben Weg nicht wieder hinaus konnte. Damit hatte Daumesdick gerechnet und fing nun an in dem Leib des Wolfs einen gewaltigen Lärmen zu machen, tobte und schrie, was er konnte. "Willst du stille sein," sprach der Wolf, "du weckst die Leute auf." - "Ach was," antwortete der Kleine, "du hast dich satt gefressen, ich will jetzt auch meinen Spaß haben," und fing von neuem an aus allen Kräften zu schreien. Davon wachte endlich sein Vater und auch seine Mutter auf, liefen an die Kammer und schauten durch die Spalte hinein. Wie sie sahen, dass ein Wolf darin war, liefen sie davon, und der Mann holte die Axt, und die Frau die Sense. "Bleib dahinten," sprach der Mann, als sie in die Kammer traten, "wenn ich ihm einen Schlag gegeben habe und er davon noch nicht tot ist, so musst du auf ihn einhauen und ihm den Leib zerschneiden." Da hörte Daumesdick die Stimme seines Vaters und rief "lieber Vater, ich bin hier, ich stecke im Leibe des Wolfs." Da sprach der Vater voll Freude "gottlob, unser liebes Kind hat wieder nach Hause gefunden," und befahl der Frau die Sense wegzulegen, damit Daumesdick nicht beschädigt wird. Danach holte er aus und schlug dem Wolf einen Schlag auf den Kopf, sodass dieser tot niederstürzte: dann suchten sie Messer und Scheere, schnitten ihm den Leib auf und zogen den Kleinen wieder hervor. "Ach," sprach der Vater, "was haben wir Sorge um dich ausgestanden!" - "Ja, leiber Vater, ich bin viel in der Welt herumgekommen; gottlob, dass ich wieder frische Luft schöpfe." - "Wo bist du denn gewesen?" - "Ach Vater, ich war in einem Mauseloch, in dem Bauch einer Kuh, in dem Bauch eines Wolfes und jetzt bin ich wieder bei euch." - "Und wir verkaufen dich um alle Reichthümer der Welt nicht wieder." Da herzten und küßten sie ihren lieben Daumesdick, gaben ihm zu essen und trinken und ließen ihm neue Kleider machen, denn die, die er an hatte, waren auf der Reise schmutzig geworden.
Create your
podcast in
minutes
It is Free